Verfahrensgang

SG Würzburg (Entscheidung vom 11.02.2021; Aktenzeichen S 1 R 301/20)

Bayerisches LSG (Urteil vom 18.04.2023; Aktenzeichen L 19 R 81/21)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 18. April 2023 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger begehrt die Zuerkennung von Pflichtbeitragszeiten sowie Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung.

Der Kläger und die Beigeladene sind die leiblichen Eltern der 2012 geborenen L. Die Ehe wurde mit rechtskräftigem Urteil vom 23.9.2020 geschieden. Bereits am 27.12.2019 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Klärung seines Versicherungskontos. In dem beigefügten Formblatt V0800 erklärte er, die Tochter sei von ihm von Geburt an ununterbrochen erzogen worden. Weiter erklärte er, die Erziehung sei ohne Unterbrechung gemeinsam mit dem anderen Elternteil erfolgt, aber eine überwiegende Erziehung durch den anderen Elternteil habe nicht vorgelegen. Eine gemeinsame Erklärung über die Zuordnung der Erziehungszeiten zu einem anderen Elternteil sei nicht abgegeben worden.

Die Beklagte lehnte die Feststellung der Zeiten vom 1.8.2012 bis zum 31.07.2015 als Zeiten der Kindererziehung beim Kläger ab, weil ein anderer Elternteil das Kind überwiegend erzogen habe. Ebenso wenig könnten Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung für die Zeit vom 18.7.2012 bis zum 20.12.2019 vorgesehen werden (Bescheid vom 12.2.2020; Widerspruchsbescheid vom 16.4.2020). Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 11.2.2021), das LSG die dagegen eingelegte Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 18.4.2023). Nach den eigenen Angaben des Klägers hätten er und die Beigeladene das Kind gemeinsam erzogen und keine übereinstimmende Erklärung über die Zuordnung der Erziehungszeit zu einem Elternteil abgegeben. Damit erfolge die Zuordnung der Kindererziehungszeit auf der Grundlage des § 56 Abs 2 Satz 8 SGB VI danach, ob aufgrund der objektiven Umstände des Einzelfalles davon auszugehen sei, dass einer der Elternteile sich zeitlich mehr in die Erziehung eingebracht habe als der andere Elternteil. Dass der Kläger sich zeitlicher umfassender als die Beigeladene der Erziehung gewidmet habe, sei nicht nachgewiesen. Ein objektives Kriterium in diesem Sinne werde regelmäßig in dem Umstand gesehen, dass ein Elternteil trotz der Geburt eines Kindes weiterhin vollzeitig erwerbstätig bleibt, der andere Elternteil aber auf eine Erwerbstätigkeit für geraume Zeit ganz oder teilweise verzichtet habe. Der Versicherungsverlauf des Klägers weise in der Zeit nach der Geburt des Kindes L am 2012 lediglich eine Lücke von drei Monaten in der Zeit vom 18.8.2012 bis zum 17.11.2012 auf, was mit der Inanspruchnahme der Erziehungszeit im Arbeitsverhältnis übereinstimme. Der Versicherungsverlauf der Beigeladenen enthalte eine Lücke vom 13.9.2012 bis zum 30.11.2019. Der Senat sehe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Vorschrift des § 56 SGB VI gegen Verfassungsrecht oder gegen europarechtliche Vorschriften verstoßen könnte.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde, mit der er eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht.

II

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Der Kläger hat eine grundsätzliche Bedeutung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargelegt.

Eine Rechtssache hat nur dann iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage zu revisiblem Recht (§ 162 SGG) aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung des Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung muss der Beschwerdeführer daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr, vgl zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN). In der Beschwerdebegründung muss unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG bzw des BVerfG zu dem Problemkreis substantiiert vorgebracht werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile und Beschlüsse die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (stRspr, vgl etwa BSG Beschluss vom 6.4.2021 - B 5 RE 16/20 B - juris RdNr 6 mwN). Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.

Der Kläger stellt folgende Rechtsfrage:

"Ist es verfassungsrechtlich zulässig bei Unaufklärbarkeit der Erziehungsleistung gem. § 56 Abs. 2 Satz 7, 8 SGB VI entsprechende Versicherungszeiten einseitig einer Kindsmutter zuzuordnen?"

Der Kläger legt schon deren Klärungsbedürftigkeit nicht anforderungsgerecht dar (vgl hierzu zB BSG Beschluss vom 28.10.2020 - B 12 KR 65/20 B - juris RdNr 9). Er trägt hierzu vor, durch "die Urteile des BSG" sei die aufgeworfene Rechtsfrage noch nicht abschließend geklärt. Ihre Beantwortung sei auch nicht offenkundig, insbesondere, weil es sich hier um "jüngere Geburtenjahrgänge" handele. Auch sei nicht auszuschließen, dass andere LSG zu einem anderen Ergebnis gelangen würden. Wegen der möglichen Klageabweisung bestehe auch eine tatsächliche finanzielle Auswirkung auf die Interessen der Allgemeinheit sowie eine enge Auswirkung konkret auf die Interessen der betroffenen Kläger als größeren Teil der Allgemeinheit. Dem Vorbringen des Klägers sind auch durch Auslegung keine Umstände zu entnehmen, die eine grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfrage begründen könnten. Es findet nicht im Ansatz eine Auseinandersetzung mit der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung statt. Die Beschwerdebegründung erwähnt zwar unter der Überschrift "Entscheidungserheblichkeit" das Urteil des BSG vom 17.4.2008 (B 13 R 131/07 R - SozR 4-2600 § 56 Nr 5), geht aber in keiner Weise inhaltlich darauf ein. Der Hinweis auf "jüngere Geburtenjahrgänge" lässt sich zwar im Gesamtzusammenhang dahin deuten, dass der Kläger die Frage der Zuordnung von Zeiten der Kindererziehung für Geburten der Jahrgänge ab 1983 nicht für geklärt hält, weil sich die genannte Entscheidung nur zur Zuordnung der Kindererziehungszeiten für Kinder der Geburtsjahrgänge bis 1983 geäußert hätten. Ein Eingehen auf die dortige Argumentation des BSG fehlt jedoch. Soweit der Kläger eine Ungleichbehandlung von heterosexuellen und homosexuellen Paaren durch § 56 Abs 2 Satz 10 SGB VI geltend macht, findet eine substantiierte Erörterung unter Berücksichtigung der einschlägigen, auch verfassungsrechtlichen Rechtsprechung nicht statt (vgl zu den Anforderungen etwa BSG Beschluss vom 15.6.2023 - B 12 KR 1/23 B - juris RdNr 11).

Das Vorbringen des Klägers ist auch nicht geeignet, eine erneute Klärungsbedürftigkeit zu begründen. Dazu wäre aufzuzeigen, dass und mit welchen Gründen der höchstrichterlichen Rechtsauffassung in der Rechtsprechung oder in der Literatur widersprochen worden ist oder dass sich völlig neue, bislang nicht erwogene Gesichtspunkte ergeben haben, die eine andere Beurteilung nahelegen könnten (vgl zB BSG Beschluss vom 25.8.2022 - B 5 R 11/22 B - juris RdNr 16 mwN). Vortrag hierzu fehlt.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 183 Satz 1 iVm einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 und 4 SGG.

Düring

Körner

Hannes

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16192667

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