Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 10.08.2023; Aktenzeichen L 6 SB 1549/21)

SG Ulm (Entscheidung vom 09.04.2021; Aktenzeichen S 11 SB 3497/19)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 10. August 2023 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin begehrt in der Hauptsache die Erstfeststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 80 anstatt des zuerkannten GdB von 30 sowie die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft ab dem 10.1.2019. Diese Ansprüche hat das LSG wie zuvor das SG nach Auswertung der im Verfahren eingeholten ärztlichen Unterlagen und Meinungsäußerungen, der sachverständigen Zeugenaussagen sowie Sachverständigengutachten verneint. Das auf Antrag der Klägerin eingeholte Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie K sowie die Ausführungen der behandelnden Ärztin für Innere Medizin Y seien nicht überzeugend. Der Gesamt-GdB sei mit 30 festzustellen, sodass die Voraussetzung der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft mit einem Gesamt-GdB von 50 nicht erreicht werde (Urteil vom 10.8.2023).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Sie macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, eine Divergenz und einen Verfahrensmangel geltend.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil weder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache noch eine Divergenz oder ein Verfahrensmangel ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

1. Die Klägerin hat eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend dargelegt.

Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher unter Berücksichtigung des anwendbaren Rechts und der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.8.2020 - B 9 V 5/20 B - juris RdNr 6 mwN).

Diese Anforderungen verfehlt die Beschwerde schon deshalb, weil die Klägerin bereits keine hinreichend konkrete Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten, genau bezeichneten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert hat (vgl BSG Beschluss vom 9.5.2022 - B 9 SB 75/21 B - juris RdNr 7). Die Bezeichnung einer aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das BSG als Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (stRspr; zB BSG Beschluss vom 8.4.2020 - B 13 R 337/18 B - juris RdNr 7). Es gehört nicht zu den Aufgaben des BSG, aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin selbst eine entsprechende Rechtsfrage herauszusuchen und zu formulieren (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 5.12.2022 - B 9 V 30/22 B - juris RdNr 26).

2. Die Klägerin hat auch die von ihr gerügte Divergenz nicht in der gebotenen Weise bezeichnet.

Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt sind. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung einer Divergenz sind ein oder mehrere entscheidungstragende Rechtssätze aus der Berufungsentscheidung und zu demselben Gegenstand gemachte und fortbestehende aktuelle abstrakte Aussagen aus einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG einander gegenüberzustellen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 25.10.2018 - B 9 V 27/18 B - juris RdNr 8 mwN). Zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (stRspr; zB BSG Beschluss vom 20.1.2021 - B 5 R 248/20 B - juris RdNr 9 mwN). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht infrage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge). Denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (stRspr; zB BSG Beschluss vom 6.1.2023 - B 9 V 22/22 B - juris RdNr 6 mwN).

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung bereits deshalb nicht, weil die Klägerin darin schon keine divergierenden Rechtssätze aus dem Urteil des LSG und einer oder mehreren Entscheidungen der in § 160 Abs 2 Nr 2 SGG abschließend genannten Gerichte bezeichnet hat.

3. Schließlich hat die Klägerin auch keinen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG hinreichend dargetan.

Sie rügt, die Begründung des Urteils sei falsch. Dadurch, dass das LSG entgegen der vorliegenden Gutachten und ärztlichen Berichte entschieden habe, habe es unmittelbar auch förmliche Fehler einschleichen lassen. Das Urteil beruhe nicht auf Tatsachen und Feststellungen, sondern auf Unterstellungen. Bis auf ein "lebensfremdes Gutachten", das an ihrer Lebensrealität vorbei erstellt worden sei, gingen die meisten Gutachten und ärztlichen Berichte von einer schwerwiegenden Funktionsbeeinträchtigung aus. Das LSG stelle die Sach- und Rechtslage so dar, als würde es ihr gut gehen und alle Ärzte und Gutachter sich geirrt hätten und inkompetent seien, "richtige Gutachten" zu erstellen. Dem Urteil lägen "willkürliche teilweise sachfremde Überlegungen" zugrunde.

Mit diesem und ihrem weiteren Vorbringen gegen die vom LSG vorgenommene Auswertung und Würdigung der im Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten, sachverständigen Zeugenaussagen und sonstigen medizinischen Unterlagen moniert die Klägerin im Kern dessen Beweiswürdigung. Die Würdigung voneinander abweichender Gutachtenergebnisse oder ärztlicher Auffassungen gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, so darf es sich diesem anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einholen zu müssen. Bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (BSG Beschluss vom 11.7.2023 - B 9 SB 4/23 B - juris RdNr 15). Die Beweiswürdigung ist allerdings gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG der Beurteilung des BSG im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vollständig entzogen. Kraft der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (stRspr; zB BSG Beschluss vom 1.7.2020 - B 9 SB 5/20 B - juris RdNr 10 mwN). Die gesetzliche Beschränkung des Rechtsmittels der Nichtzulassungsbeschwerde kann auch nicht dadurch umgangen werden, dass die Rüge einer fehlerhaften Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht zusätzlich als eine Verletzung des Willkürverbots bezeichnet wird (vgl BSG Beschluss vom 7.6.2016 - B 13 R 40/16 B - juris RdNr 6). Dass die Klägerin die Entscheidung des LSG insgesamt für verfehlt und inhaltlich unrichtig hält, eröffnet die Revisionsinstanz ebenfalls nicht (vgl stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 31.7.2023 - B 9 V 2/23 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 6.7.2022 - B 10 EG 2/22 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 29.10.2019 - B 13 R 129/19 B - juris RdNr 5 mwN).

Soweit die Klägerin mit ihrem Vortrag, das LSG sei zu Unrecht insbesondere nicht der für sie günstigeren Beurteilung des Gesamt-GdB der im Berufungsverfahren nach § 109 SGG gehörten Sachverständigen K gefolgt, eine Verletzung ihres rechtliches Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) in Gestalt einer Überraschungsentscheidung mit einer aus ihrer Sicht willkürlichen Sachverhaltsänderung zu ihren Lasten rügen will, hat sie einen solchen Gehörsverstoß nicht schlüssig und nachvollziehbar dargetan. Von einer Überraschungsentscheidung kann nur dann ausgegangen werden, wenn das angegriffene Urteil auf Gesichtspunkte gestützt wird, die bisher nicht erörtert worden sind, und dadurch der Rechtsstreit eine unerwartete Wendung nimmt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 3.3.2022 - B 9 V 37/21 B - juris RdNr 11 mwN). Dies hat die Klägerin aber nicht schlüssig vorgetragen. Denn es fehlt in ihrer Beschwerdebegründung schon an substantiierten Ausführungen zum Inhalt der im Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten und sonstigen ärztlichen Berichte.

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

5. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Kaltenstein

Röhl

Othmer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16208759

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