Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung. Vorschriften über die Festsetzung der Höhe des Regelbedarfs sowie deren Fortschreibung. Sozialstaatsprinzip. Vereinbarkeit. Klärungsbedürftigkeit. Verfahrensmangel. Verweisung. Zivilgericht. Schadensersatz. Amtshaftungsklage. Teilverweisung. Einheitlicher Streitgegenstand. Beschluss über Ablehnung von Prozesskostenhilfe. Nach dem Termin zur mündlichen Verhandlung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Bundesverfsssungsgericht hat bereits entschieden, dass die Vorschriften über die Festsetzung der Höhe des Regelbedarfs sowie deren Fortschreibung nach Maßgabe der Gründe mit Art. 1 Abs. 1 i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG vereinbar sind.

2. Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, dass ein Prozessbevollmächtigter aufzeigen könnte, dass diese Frage für die hier streitigen Zeiträume vom 01.08.2015 bis zum 31.01.2016 und vom 01.08.2016 bis zum 31.01.2017 erneut klärungsbedürftig geworden sein könnte.

3. Es liegt kein Verfahrensmangel darin, dass das LSG den Rechtsstreit nicht an das zuständige Zivilgericht verwiesen hat, soweit es das Vorbringen, es werde auch Ersatz ggf. entstandener Schäden, über einen Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II hinaus geltend gemacht, als Amtshaftungsklage ausgelegt hat, weil eine Teilverweisung angesichts des einheitlichen Streitgegenstands unzulässig gewesen wäre.

4. Dass die Ablehnungsbeschlüsse über die – wiederholten – Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe erst nach dem Termin zur mündlichen Verhandlung ergangen sind, verletzt die Kläger nicht in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn die Kläger die zugrundeliegenden Anträge erst am Tag der mündlichen Verhandlung gestellt haben, ohne dass insoweit neues Vorbringen oder eine Änderung der Rechtslage erkennbar war bzw. vorgelegen hat, so dass bei rechtzeitiger Entscheidung vor dem Termin ausgehend von dem damaligen Sach- und Kenntnisstand eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung (weiterhin) nicht zu bejahen gewesen wäre.

 

Normenkette

SGG § 73 Abs. 4, § 73a Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2; ZPO §§ 114, 121; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1; SGB II § 21 Abs. 6

 

Verfahrensgang

SG Stuttgart (Entscheidung vom 25.01.2021; Aktenzeichen S 28 AS 6525/16)

SG Stuttgart (Entscheidung vom 28.09.2021; Aktenzeichen S 28 AS 1678/17)

SG Stuttgart (Entscheidung vom 09.06.2021; Aktenzeichen S 28 AS 6526/16)

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 30.03.2023; Aktenzeichen L 7 AS 797/21)

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 30.03.2023; Aktenzeichen L 7 AS 3508/21)

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 30.03.2023; Aktenzeichen L 7 AS 2274/21)

 

Tenor

Die Verfahren B 7 AS 81/23 BH, B 7 AS 82/23 BH und B 7 AS 83/23 BH werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden; führend ist das Verfahren B 7 AS 81/23 BH. Die Anträge der Kläger, ihnen zur Durchführung der Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in den Urteilen des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. März 2023 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt F, W, als Bevollmächtigten beizuordnen, werden abgelehnt.

 

Gründe

Die Anträge auf Bewilligung von PKH sind nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO). An der erforderlichen Erfolgsaussicht fehlt es in allen drei Verfahren.

Hinreichende Aussicht auf Erfolg böte die Nichtzulassungsbeschwerde nur, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen. Die Revision darf danach nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Von diesen Zulassungsgründen kann nach Aktenlage unter Berücksichtigung des Vortrags der Kläger keiner mit Erfolg in den Beschwerdeverfahren geltend gemacht werden.

Eine (noch) klärungsbedürftige Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung ist nicht zu erkennen. Das BVerfG hat bereits entschieden, dass die Vorschriften über die Festsetzung der Höhe des Regelbedarfs sowie deren Fortschreibung (idF des Gesetzes vom 24.3.2011, BGBl I 453) nach Maßgabe der Gründe mit Art 1 Abs 1 iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG vereinbar sind (BVerfG vom 23.7.2014 - 1 BvL 10/12 ua - BVerfGE 137, 34). Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, dass ein Prozessbevollmächtigter aufzeigen könnte, dass diese Frage für die hier streitigen Zeiträume (1.8. bis 31.8.2015 ≪B 7 AS 83/23 BH≫, 1.9.2015 bis 31.1.2016 ≪B 7 AS 81/23 BH≫ und 1.8.2016 bis 31.1.2017 ≪B 7 AS 82/23 BH≫) erneut klärungsbedürftig geworden sein könnte. Ebenfalls sind keine grundsätzlich bedeutsamen Rechtsfragen hinsichtlich behaupteter, nicht aber substantiierter Mehrbedarfe (in Höhe von etwa 50 Euro monatlich) erkennbar.

Das LSG hat auch keine Rechtssätze aufgestellt, die von der Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweichen und auf dieser Abweichung beruhen, sodass auch eine Zulassung wegen Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nicht in Betracht kommt.

Schließlich sind auch keine Verfahrensmängel erkennbar, auf denen die angefochtenen Entscheidungen des LSG beruhen können (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Insbesondere liegt kein Verfahrensmangel darin, dass das LSG den Rechtsstreit nicht an das zuständige Zivilgericht verwiesen hat, soweit es das Vorbringen der Kläger, sie machten auch Ersatz ggf entstandener Schäden geltend, über einen Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs 6 SGB II hinaus als Amtshaftungsklage ausgelegt hat, weil eine Teilverweisung angesichts des einheitlichen Streitgegenstands unzulässig gewesen wäre (vgl BSG vom 31.10.2012 - B 13 R 437/11 B). Es hat zudem rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung (30.3.2023) über die - wiederholten - Anträge auf Bewilligung von PKH entschieden (Bewilligung von PKH im Verfahren L 7 AS 3508/21 am 9.3.2023; Ablehnung wiederholter Anträge durch Beschlüsse vom 26.10.2022, 22.3.2023 und 4.4.2023 im Verfahren L 7 AS 797/21; Ablehnung durch Beschlüsse vom 27.10.2022, 22.3.2023 und 4.4.2023 im Verfahren L 7 AS 2274/21). Dass die Beschlüsse vom 4.4.2023 erst nach dem Termin zur mündlichen Verhandlung ergangen sind, verletzt die Kläger nicht in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör. Denn die Kläger haben die zugrundeliegenden PKH-Anträge erst am Tag der mündlichen Verhandlung gestellt, ohne dass insoweit neues Vorbringen oder eine Änderung der Rechtslage erkennbar war bzw vorgelegen hat. Bei rechtzeitiger Entscheidung vor dem Termin wäre also ausgehend von dem damaligen Sach- und Kenntnisstand eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung (weiterhin) nicht zu bejahen gewesen (vgl nur BSG vom 3.4.2020 - B 8 SO 58/19 B mwN).

Mit der Ablehnung von PKH entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

S. Knickrehm

Harich

Siefert

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15825235

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