Verfahrensgang

SG Speyer (Entscheidung vom 16.02.2017; Aktenzeichen S 16 AS 1118/14)

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 14.02.2019; Aktenzeichen L 3 AS 269/17)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 14. Februar 2019 - L 3 AS 269/17 - wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt F., F., beizuordnen, wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG), weil der zu ihrer Begründung allein angeführte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG schlüssig dargelegt ist.

Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14 S 21; BSG vom 24.3.1976 - 9 BV 214/75 - SozR 1500 § 160a Nr 24 S 31; BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36 S 53). Dem genügt das Beschwerdevorbingen insbesondere nicht, soweit die Klägerin eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) durch eine Überraschungsentscheidung rügt.

Gemäß § 62 Halbsatz 1 SGG, der dem schon in Art 103 Abs 1 GG verankerten prozessualen Grundrecht entspricht (vgl Neumann in Hennig, SGG, § 62 RdNr 6 ff, Stand Juni 2015), ist den Beteiligten vor jeder Entscheidung des Gerichts rechtliches Gehör zu gewähren. Die richterliche Hinweispflicht (§ 106 Abs 1 SGG) konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Hauck in Hennig, SGG, § 106 RdNr 10, Stand September 2010) und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen (vgl BSG vom 26.7.2016 - B 4 AS 47/15 R - BSGE 122, 25 = SozR 4-1500 § 114 Nr 2, RdNr 34). Eine den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung liegt allerdings nur vor, wenn das Urteil auf Gesichtspunkte gestützt wird, die bisher nicht erörtert worden sind, und dadurch der Rechtsstreit eine unerwartete Wendung nimmt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (vgl nur BSG vom 22.4.2015 - B 3 P 8/13 R - BSGE 118, 239 = SozR 4-3300 § 23 Nr 7, RdNr 37; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 62 RdNr 8b). Der Verfahrensmangel einer Überraschungsentscheidung ist deshalb nur dann schlüssig bezeichnet, wenn im Einzelnen vorgetragen wird, aus welchen Gründen auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter aufgrund des bisherigen Prozessverlaufs nicht damit rechnen musste, dass das Gericht seine Entscheidung auf einen bestimmten Gesichtspunkt stützt (BSG vom 7.6.2016 - B 13 R 40/16 B - RdNr 9).

Eine solche unerwartete Verfahrenswendung ist nicht nachvollziehbar dargelegt. Die Klägerin hätte insbesondere aufzeigen müssen, warum für sie schlechterdings nicht damit zu rechnen war, das LSG könne zu der Einschätzung gelangen, dass der im Pfandleihhaus von ihr verpfändete Schmuck nicht - wie sie nach dem Beschwerdevorbringen vorgetragen habe - Eigentum einer Bekannten gewesen sei, sondern sie selbst dessen Eigentümerin war und demzufolge dem streitbefangenen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen nach dem SGB II gemäß § 12 Abs 1 SGB II dieser Vermögenswert entgegenstand. Wie sie vorträgt, war ihr Prozessbevollmächtigter in Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung um Auskunft darum ersucht worden, ob ein Zeuge "aus eigener Anschauung" Angaben machen könne "zu den konkreten Umständen, Verpfändung der Wertgegenstände und den Eigentumsverhältnissen". Inwiefern danach nicht in Betracht zu ziehen war, dass das LSG der Frage nachgehen könnte, in wessen Eigentum die verpfändeten Gegenstände standen, ist der Beschwerde nicht zu entnehmen.

Das gilt vergleichbar, soweit die Klägerin das Ergebnis der Beweiswürdigung des LSG als überraschend rügt. Soweit sich das LSG danach auf Angaben in einer von ihm beigezogenen Strafakte gestützt hat, hatte die Klägerin nach ihrem Bekunden Kenntnis von deren Beiziehung, hat Akteneinsicht genommen und war durch die Ladung darauf hingewiesen worden, dass sie Gegenstand der mündlichen Verhandlung sein würde. Als Verfahrensfehler ist die Würdigung des LSG danach nur zu beanstanden, wenn die Grenzen der freien Beweiswürdigung nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG überschritten sind (vgl nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 128 RdNr 10 ff), was die Klägerin nicht geltend macht. Dagegen besteht insbesondere gegenüber - wie nach dem Vortrag hier - rechtskundig vertretenen Beteiligten weder eine allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts über die Rechtslage noch die Pflicht, bei der Erörterung der Sach- und Rechtslage bereits die endgültige Beweiswürdigung darzulegen. Denn das Gericht kann und darf das Ergebnis der Entscheidung, die in seiner nachfolgenden Beratung erst gefunden werden soll, nicht vorwegnehmen. Deshalb gibt es auch keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (stRspr; vgl nur BSG vom 1.7.2019 - B 9 SB 19/19 B - RdNr 6), solange nicht das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem selbst ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter nicht zu rechnen brauchte, was der Beschwerde nicht substantiiert zu entnehmen ist.

Soweit die Klägerin schließlich darauf abstellt, dass sie insbesondere über fehlgeschlagene Versuche zur Erlangung einer schriftlichen Zeugenaussage nicht informiert worden sei und das LSG entgegen ursprünglicher Planungen von der Befragung eines weiteren Zeugen Abstand genommene habe, kann dem jedenfalls nicht entnommen werden, inwiefern die Entscheidung des LSG darauf beruhen könnte (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG); dass und inwiefern sie dadurch von entscheidungserheblichem Vortrag abgehalten worden sei, lässt das Vorbringen nicht substantiiert erkennen, zumal sie einen Beweisantrag zur Vernehmung des vom LSG nicht gehörten Zeugen danach nicht gestellt hat.

PKH gemäß § 73a SGG iVm § 114 ZPO ist nicht zu bewilligen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung nach den obigen Ausführungen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Der Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts (§ 73a SGG iVm § 121 ZPO) ist abzulehnen, weil kein Anspruch auf PKH besteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI13729642

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge