Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Kostenübernahme. Krankenhauspflege. Divergenzrüge. Verkennung der Beweislast. Verletzung der Aufklärungspflicht. Hinwirkung auf sachdienliche Anträge

 

Orientierungssatz

1. Die bloße Tatsache der Aufnahme eines Versicherten im Krankenhaus, sei es aufgrund einer gerichtlichen Verwahrung oder Unterbringungsanordnung oder durch ärztliche Einweisung, verpflichtet die Krankenkasse nicht, den Aufenthalt als Sachleistung oder die entstandenen Kosten zu tragen; in der Reichsversicherungsordnung (RVO) fehlt dafür eine Anspruchsnorm. Auf Krankenhauspflege wie auf ärztliche Behandlung hat der Versicherte nur Anspruch, soweit die Leistung notwendig ist.

2. Daraus, daß das LSG die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 372 RVO nicht geprüft hat, folgt nicht, daß es einen vom BSG abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat oder auch nur davon ausgegangen ist.

3. Die Verkennung der Beweislast ist, soweit es sich um den Beweis des Vorliegens der materiellen Anspruchsvoraussetzungen handelt, kein Verfahrensmangel.

4. Verletzungen des § 103 SGG begründen die Zulassung nur, wenn der Mangel sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

5. Nach § 106 SGG hat der Vorsitzende ua darauf hinzuwirken, daß sachdienliche Anträge gestellt werden. Das Unterlassen dieser Hinwirkung stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, wenn sie sich dem Gericht aufdrängen mußte; maßgebend ist der sachlich rechtliche Standpunkt des Gerichts.

 

Normenkette

RVO § 184 Abs 1, § 372; SGG § 160a Abs 2 S 3, § 160 Abs 2 Nr 3, §§ 103, 106, 160 Abs 2 Nr 2

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 25.05.1987; Aktenzeichen L 4 Kr 79/85)

 

Gründe

Der Kläger leidet an chronischem Alkoholismus und Psychopathie. Mit Beschluß des Vormundschaftsgerichts vom 31. Januar 1983 wurde die weitere Unterbringung des seit 1964 mit Unterbrechungen und seit 1976 durchgehend im Bezirkskrankenhaus H. befindlichen Klägers angeordnet. Die Unterbringungskosten übernahm die Beklagte bis zum 30. April 1983, stellte aber durch Bescheid vom 14. März 1983 die Gewährung von Krankenhauspflege mit dem 30. April 1983 ein, weil es an der Krankenhauspflegebedürftigkeit fehle. Der Kläger blieb bis zum 4. Mai 1984 in dem Krankenhaus. Die Kosten trug nach dem 30. April 1983 der Beigeladene, dem sie aber der Kläger erstattet hat. Das Sozialgericht (SG) gab der auf Verurteilung zur Zahlung der Behandlungskosten gerichteten Klage statt. Im Berufungsverfahren stellte der Kläger hilfsweise den Antrag festzustellen, daß der Beigeladene die entstandenen Krankenhauskosten als Krankenhausträger selbst zu tragen und die vom Kläger erhaltenen bzw eingezogenen Beiträge diesem zu erstatten habe. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Klage abgewiesen und dargelegt, die medizinische Notwendigkeit der stationären Behandlung sei nicht nachgewiesen; zumindest seit dem 1. Mai 1983 sei das Verweilen des Klägers im Krankenhaus nicht mehr durch Krankenhausbehandlung zu rechtfertigen. Ansprüche gegen die Beklagte könne der Kläger auch nicht aus dem Umstand herleiten, daß er sich in der streitigen Zeit tatsächlich im Krankenhaus mit Willen der dortigen Ärzte aufgehalten habe. Über den Feststellungsanspruch könne der Senat nicht entscheiden. Ohne daß es darauf ankomme, ob hier eine zulässige Klagänderung vorliege, gelte, daß für die Rechtsbeziehung gegenüber dem Beigeladenen der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nicht gegeben sei.

Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde ist nicht begründet.

Der Kläger macht geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung wegen der Rechtsfrage, ob die Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgebots bei Erbringung von Krankenhauspflege auch dann zu Lasten des Kassenpatienten gehe, wenn er die unwirtschaftlichen Leistungen selbst nicht verlangt habe, oder ob die Krankenkasse ihm - evtl durch Freistellung gegenüber dem Krankenhaus - verpflichtet und auf den Regreß gegen das Krankenhaus verwiesen bleibe. Im Kassenarztrecht sei es Sache des Arztes und der Krankenkasse, den Streit über die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots unter sich auszutragen. Das Abrechnungsverhältnis zwischen Krankenkasse und Krankenhaus müsse dieser Regelung im Kassenarztrecht entsprechen.

Diesem Vorbringen des Klägers ist keine klärungsbedürftige Rechtsfrage zu entnehmen. Das LSG hat zutreffend dargelegt, die bloße Tatsache der Aufnahme eines Versicherten im Krankenhaus, sei es aufgrund einer gerichtlichen Verwahrung oder Unterbringungsanordnung oder durch ärztliche Einweisung, verpflichte die Krankenkasse nicht, den Aufenthalt als Sachleistung oder die entstandenen Kosten zu tragen; in der Reichsversicherungsordnung (RVO) fehle dafür eine Anspruchsnorm. Auf Krankenhauspflege wie auf ärztliche Behandlung hat der Versicherte nur Anspruch, soweit die Leistung notwendig ist. Es ist dafür unerheblich, daß im Kassenarztrecht der Streit darüber, ob eine vom Arzt erbrachte Leistung wirtschaftlich war und ihm zu vergüten ist, ohne Beteiligung des Patienten ausgetragen wird. Daraus ergibt sich jedenfalls kein Anspruch des Versicherten gegen die Krankenkasse auf Erbringung nicht notwendiger Leistungen.

Das Vorliegen einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage ergibt sich insoweit auch nicht aus dem Vorbringen des Klägers, das Fehlen von Rahmenverträgen nach § 372 RVO stelle einen Verstoß gegen das Gesetz dar. Warum die Verträge zwischen den Krankenkassen und den Krankenhäusern regeln müssen, daß Ansprüche der Krankenhäuser gegen die Versicherten aus nicht notwendiger Krankenhausbehandlung ausgeschlossen sind, ist nicht ersichtlich. Der Kläger meint, der Krankenhaus- und der Sozialhilfeträger hätten kein Recht, in solchen Fällen Kassenpatienten in Anspruch zu nehmen. Weshalb aber die Krankenkassen für ein fehlerhaftes Vorgehen dieser Träger einstehen sollten, ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.

Der Kläger rügt weiter eine Abweichung des Berufungsurteils von der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) in SozR 2200 § 372 RVO Nr 1. Danach komme das Unterlassen von Vertragsabschlüssen gemäß § 372 RVO der Nichterfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung der Landesverbände der Krankenkassen und der Krankenhausträger gleich. Die Beschwerdebegründung genügt aber in diesem Punkt nicht den Anforderungen nach § 160a Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Der Kläger hat nicht die Entscheidung bezeichnet, von der das LSG abweicht. Dazu muß er nämlich auch auf den ausdrücklich oder stillschweigend vertretenen Rechtssatz des LSG hinweisen, der vom Rechtssatz des BSG abweicht. Daraus, daß das LSG die Rechtsfolgen des Verstosses gegen § 372 RVO nicht geprüft hat, folgt nicht, daß es einen vom BSG abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat oder auch nur davon ausgegangen ist.

Der Kläger rügt die Verkennung der Beweislast als Verfahrensmangel; das LSG habe die Klage abgewiesen, weil die Notwendigkeit der stationären Behandlung nicht nachgewiesen sei. Indessen ist die Verkennung der Beweislast, soweit es sich um den Beweis des Vorliegens der materiellen Anspruchsvoraussetzungen handelt, kein Verfahrensmangel.

Auf die vom Kläger gerügte Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG kann die Zulassung der Revision nicht gestützt werden (§ 160 Abs 1 Nr 3 SGG). Verletzungen des § 103 SGG begründen die Zulassung nur, wenn der Mangel sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Diese einschränkende Bestimmung kann der Kläger nicht durch die Rüge umgehen, das LSG hätte ihn aufklären müssen, daß es weitere Tatsachen für entscheidungserheblich hielt und es hätte ihm Gelegenheit zum Beweisantrag geben müssen - Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 106 SGG - (BSG SozR 1500 § 160 SGG Nr 13). Im übrigen hat der Kläger nicht vorgetragen, welche Beweisanträge er nach entsprechender Aufklärung gestellt hätte.

Schließlich rügt der Kläger, das LSG hätte ihn darauf hinweisen müssen, daß es den Rechtsweg für unzulässig hält; es hätte einen Verweisungsantrag anregen müssen. Dieser Verfahrensmangel liegt nicht vor. Nach § 106 SGG hat der Vorsitzende ua darauf hinzuwirken, daß sachdienliche Anträge gestellt werden. Das Unterlassen dieser Hinwirkung stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, wenn sie sich dem Gericht aufdrängen mußte; maßgebend ist der sachlich rechtliche Standpunkt des Gerichts (Hennig/Danckwerts/König, Kommentar zum SGG § 106 Erl 4 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts). Dem LSG mußte sich die Hinwirkung auf einen Verweisungsantrag zumindest nicht aufdrängen. Dafür wäre nämlich erforderlich gewesen, daß der Feststellungsantrag nach Meinung des LSG überhaupt Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden war. Dies ist nicht der Fall. Das LSG hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt, der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit sei für den Feststellungsantrag nicht gegeben; deshalb hat es ausdrücklich dahingestellt sein lassen, ob in dem Feststellungsantrag eine zulässige Klagänderung liegt. Die Annahme, daß keine Klagänderung gegeben sei oder daß die Klagänderung sachdienlich oder aus anderen Gründen zulässig sei, mußte sich dem LSG nicht aufdrängen. Insbesondere lag die Sachdienlichkeit nicht nahe. Der Kläger hatte zur Begründung des Antrags vorgebracht, wenn die Krankenhausbehandlung nicht notwendig gewesen wäre, dann würde der Beigeladene für die überflüssige und sogar gesetzwidrige Behandlung keine Ansprüche gegen den Kläger haben. Diesem Vorbringen konnte das LSG nicht entnehmen, daß trotz der Inanspruchnahme einer anderen Person, nämlich hier des Beigeladenen statt des bisherigen Beklagten, und in der Einbeziehung ihrer Rechtsbeziehung zum Kläger keine Klagänderung oder eine sachdienliche Klagänderung vorlag.

Für den Antrag auf Prozeßkostenhilfe fehlt es aus allen diesen Gründen an der Erfolgsaussicht (§ 73a SGG iVm § 114 der Zivilprozeßordnung).

Die Kostenentscheidung wird auf § 193 SGG gestützt.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663192

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