Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsweg. Schadensersatzanspruch des MDK gegen einen ehemaligen Geschäftsführer
Orientierungssatz
Ist Gegenstand des Klageverfahrens ein Anspruch des MDK gegen den Beklagten auf Schadensersatz wegen Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Beklagten als MDK-Geschäftsführer und leitet der MDK diesen Anspruch auch aus einer Organhaftung nach Maßgabe des § 42 Abs 2 SGB 4 ab, ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet.
Normenkette
SGG § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 1, § 202 S. 1; GVG § 17 Abs. 2 S. 1; SGB IV § 42 Abs. 2; SGB V § 279 Abs. 6 Fassung: 1988-12-20
Verfahrensgang
SG Speyer (Beschluss vom 10.02.2020; Aktenzeichen S 17 KR 44/20) |
LSG Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 05.05.2020; Aktenzeichen L 5 KR 48/20 B) |
Tenor
Auf die weitere Beschwerde des Klägers und der Drittwiderbeklagten zu 1. und 2. werden die Beschlüsse des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 5. Mai 2020 und des Sozialgerichts Speyer vom 10. Februar 2020 aufgehoben. Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist zulässig.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und des Verfahrens der weiteren Beschwerde trägt der Beklagte.
Der Streitwert wird auf 102 631,06 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten im Zwischenstreit über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit.
Der Beklagte war seit 1998 Geschäftsführer des klagenden Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Rheinland-Pfalz. Am 16.10.2013 sprach der Kläger die Kündigung des zwischen ihm und dem Beklagten geschlossenen Geschäftsführer-Anstellungsvertrags aus, gegen die sich der Beklagte mit einer Klage vor den Zivilgerichten wandte.
Mit seiner am 29.12.2016 beim SG erhobenen Klage begehrt der Kläger vom Beklagten Schadensersatz iHv insgesamt 256 577,66 Euro. Zur Klagebegründung hat er ua vorgetragen, der Beklagte habe als Geschäftsführer jeweils rechtswidrig in den Jahren 2006 bis 2013 Leistungsprämien (§ 6 Landesverordnung zur Durchführung der §§ 27 und 42a des Bundesbesoldungsgesetzes ≪LZulVO≫) und in den Jahren 2011 bis 2013 Leistungszulagen (§ 7 LZulVO) an Mitarbeiter des Klägers gewährt. Weiterhin wirft der Kläger dem Beklagten vor, im Jahr 2013 vergaberechtswidrig einen Allradtraktor angeschafft zu haben. Schließlich soll er unter Verstoß gegen die ihm als Geschäftsführer obliegenden Pflichten 50 Exemplare eines von ihm mitverfassten Buches über das Gleitschirmfliegen "Unterwegs mit dem Gleitschirm" veranlasst haben. Der Beklagte unterliege als Geschäftsführer eines MDK der Organhaftung nach § 42 Abs 2 SGB IV und sei dem Kläger hieraus zum Schadensersatz verpflichtet. Daneben hafte er auch aus dem Geschäftsführer-Anstellungsvertrag.
Im Wege der Drittwiderklage wendet sich der Beklagte gegen die damalige stellvertretende Geschäftsführerin (Drittwiderbeklagte zu 1.) und den damaligen Vorsitzenden des Verwaltungsrates des klagenden MDK (Drittwiderbeklagter zu 2.). Er ist der Auffassung, dass die Drittwiderbeklagten im Falle einer Haftung neben ihm für einen beim Kläger entstandenen Schaden mitverantwortlich sind. Insoweit begehrt er sinngemäß die Feststellung, dass die Drittwiderbeklagten und er in Bezug auf die Haftungsansprüche wegen der Gewährung der streitgegenständlichen Leistungsprämien und -zulagen Gesamtschuldner sind und die Drittwiderbeklagten zu 1. und 2. im Innenverhältnis der Gesamtschuldner allein verpflichtet sind. Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Kaiserslautern verwiesen (Beschluss vom 10.2.2020). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, es liege keine Streitigkeit in Angelegenheiten der gesetzlichen Kranversicherung (GKV) vor. Der Kläger nehme den Beklagten aus dem Geschäftsführer-Anstellungsvertrag in Anspruch. Hierfür sei der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet. Die Haftungsnorm des § 42 Abs 2 SGB IV finde auf den MDK-Geschäftsführer keine Anwendung. Die dagegen von allen Beteiligten eingelegte Beschwerde hat das LSG zurückgewiesen (Beschluss vom 5.5.2020). Zur Begründung hat es im Wesentlichen auf die Gründe des SG-Beschlusses verwiesen.
Dagegen haben der Kläger und die Drittwiderbeklagten zu 1. und 2. die vom LSG zugelassene weitere Beschwerde eingelegt. Sie sind der Auffassung, dass der Rechtsweg zu den Sozialgerichten zulässig ist.
II. Die zulässige (dazu 1.) weitere Beschwerde des klagenden MDK und der Drittwiderbeklagten zu 1. und 2. ist begründet. Die Vorinstanzen haben zu Unrecht den Rechtsweg zu den Zivilgerichten für eröffnet angesehen. Für den vorliegenden Rechtsstreit sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig (dazu 2.). Dies gilt auch für die Drittwiderklagen (dazu 3.).
1. Die weitere Beschwerde des MDK und der Drittwiderbeklagten zu 1. und 2. ist nach § 177 und § 202 SGG iVm § 17a Abs 4 Satz 4 GVG statthaft. Hierüber konnte der Senat ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter entscheiden (§ 12 Abs 1 Satz 2, § 124 Abs 3, § 153 Abs 1, § 165, § 176 SGG; vgl zB BSG vom 10.12.2015 - B 12 SF 1/14 R - SozR 4-1720 § 17a Nr 14 RdNr 8). Das LSG hat den Rechtsbehelf zugelassen, und die Entscheidung ist für das BSG bindend (§ 202 SGG iVm § 17a Abs 4 Satz 6 GVG). Die Beschwerde ist auch fristgerecht erhoben worden. Sie konnte in entsprechender Anwendung des § 173 SGG sowohl beim LSG als auch beim BSG eingelegt werden (vgl BSG vom 4.4.2012 - B 12 SF 1/10 R - SozR 4-1720 § 17a Nr 9 RdNr 6 unter Hinweis auf BSG vom 6.9.2007 - B 3 SF 1/07 R - SozR 4-1720 § 17a Nr 3; BSG vom 12.5.1998 - B 11 SF 1/97 R - SozR 3-1500 § 51 Nr 24; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 51 RdNr 61). Sie ist jeweils innerhalb der Monatsfrist beim LSG eingegangen. Dass der MDK zur Begründung der weiteren Beschwerde nur auf die Begründung seiner Beschwerde vor dem LSG verwiesen hat und die Drittwiderbeklagten die weitere Beschwerde nicht begründet haben, ist für die Zulässigkeit der weiteren Beschwerde unerheblich. Die in §§ 164 Abs 2 Satz 1, 160a Abs 2 Satz 1 SGG für die Begründung einer Revision bzw einer Nichtzulassungsbeschwerde vorgesehene Monatsfrist ist im Falle der weiteren Beschwerde nach § 17a GVG nicht anwendbar, eine Begründung nicht vorgeschrieben (vgl BSG vom 9.2.2006 - B 3 SF 1/05 R - SozR 4-1500 § 51 Nr 2 RdNr 5; BSG vom 12.5.1998 - B 11 SF 1/97 R - SozR 3-1500 § 51 Nr 24 = juris RdNr 14).
2. Die weitere Beschwerde ist begründet. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind für das Klageverfahren zuständig. Es liegt eine Angelegenheit der GKV iS des § 51 Abs 1 Nr 2, Abs 2 Satz 1 SGG vor. Der MDK stützt sein Begehren auch auf die Vorschrift zur Organhaftung des Geschäftsführers einer Selbstverwaltungskörperschaft. Ob diese Anspruchsgrundlage hier einschlägig ist, ist bislang ungeklärt, aber nicht offensichtlich haltlos und daher eine Frage der Begründetheit der Klage und nicht des Rechtswegs.
a) Nach § 51 Abs 1 Nr 2, Abs 2 Satz 1 SGG (hier idF des Gesetzes zur Neuordnung der Altersversorgung der Bezirksschornsteinfegermeister und zur Änderung anderer Gesetze vom 5.12.2012, BGBl I 2467) entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über Angelegenheiten der GKV (Abs 1 Nr 2). Dies gilt auch dann, wenn die Streitigkeiten privatrechtliche Angelegenheiten der GKV betreffen (Abs 2 Satz 1), und jeweils auch insoweit, als durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden (Abs 1 Nr 2 Halbsatz 1 und Abs 2 Satz 1 Halbsatz 2). Für die Eröffnung des Rechtswegs zu den SGen ist deshalb entscheidend, ob es sich um eine Streitigkeit in einer Angelegenheit der GKV handelt; nicht von Bedeutung ist nach der Bestimmung des § 51 SGG - mit Ausnahme der nach § 51 Abs 3 SGG ausgenommenen Streitigkeiten in Verfahren nach dem GWB -, ob die Streitigkeit öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur ist (vgl BSG vom 15.3.2017 - B 6 KA 35/16 R - BSGE 126, 1 = SozR 4-5540 Anl 9.1 Nr 12, RdNr 19; BSG vom 21.7.2016 - B 3 SF 1/16 R - SozR 4-1500 § 51 Nr 16 RdNr 8; BSG vom 23.3.2011 - B 6 KA 11/10 R - BSGE 108, 35 = SozR 4-2500 § 115b Nr 3, RdNr 17; BGH vom 17.8.2011 - I ZB 7/11 - juris RdNr 8). Eine Streitigkeit in einer Angelegenheit der GKV liegt vor, wenn sie ihre materiell-rechtliche Grundlage im Recht der GKV hat (vgl nur BSG vom 28.9.2010 - B 1 SF 1/10 R - SozR 4-1500 § 51 Nr 9 RdNr 16).
Maßgebender Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtswegs ist der Streitgegenstand, wie er sich auf der Grundlage des Klagebegehrens, also des geltend gemachten prozessualen Anspruchs, und des Klagegrunds, also des zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalts, ergibt (stRspr; vgl zB BSG vom 10.12.2015 - B 12 SF 1/14 R - SozR 4-1720 § 17a Nr 14 RdNr 11 mwN). Die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs hängt dabei grundsätzlich nicht vom Ergebnis einer materiell-rechtlichen Prüfung der Begründetheit des Klagebegehrens ab (vgl BVerwG vom 4.3.2015 - 6 B 58.14 - juris RdNr 19; OVG Lüneburg vom 24.3.2017 - 11 OB 78/17 - juris RdNr 7; Coseriu in Zeihe/Hauck, SGG, Stand 1.4.2018, § 51 Anm 2 f). Nach § 17 Abs 2 Satz 1 GVG entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten. Daraus folgt, dass der vom MDK beschrittene Rechtsweg schon dann zulässig ist, wenn sich nicht offensichtlich, dh nach jeder rechtlichen Betrachtungsweise, ausschließen lässt, dass das Klagebegehren auf eine Anspruchsgrundlage gestützt werden kann, für die dieser Rechtsweg eröffnet ist (vgl BVerwG vom 4.3.2015 - 6 B 58.14 - juris RdNr 11). Dies darf allerdings nicht dazu führen, dass der Rechtsweg vollständig zur Disposition der Beteiligten steht. Anspruchsgrundlagen, die offensichtlich nicht gegeben sind bzw erkennbar vom Rechtsuchenden nur mit dem Ziel geltend gemacht werden, einen bestimmten Rechtsweg beschreiten zu können, haben bei der Prüfung des Rechtswegs deshalb außer Betracht zu bleiben (vgl zB BSG vom 25.10.2017 - B 7 SF 1/16 R - juris RdNr 8 f; BSG vom 29.9.1994 - 3 BS 2/93 - SozR 3-1500 § 51 Nr 15 - juris RdNr 13; BVerwG vom 4.3.2015 - 6 B 58.14 - juris RdNr 11 und 18; BGH vom 5.7.1990 - III ZR 166/89 - juris RdNr 18).
b) Danach ist der Sozialrechtsweg hier gegeben. Der MDK darf versuchen, seinen materiell-rechtlichen Standpunkt in der Sozialgerichtsbarkeit durchzusetzen, ohne dass die Klage gegen seinen Willen in die Zivilgerichtsbarkeit verwiesen wird (vgl BSG vom 22.4.2009 - B 13 SF 1/08 R - SozR 4-1500 § 51 Nr 5 - RdNr 16-17).
Gegenstand des Klageverfahrens ist ein Anspruch des MDK gegen den Beklagten auf Schadensersatz wegen Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Beklagten als MDK-Geschäftsführer in den Jahren 2006 bis 2013. Diesen Anspruch leitet der MDK laut Klagebegründung auch aus einer Organhaftung nach Maßgabe des § 42 Abs 2 SGB IV (idF des Gesetzes zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen vom 27.7.1984, BGBl I 1029) ab, auf den über § 279 Abs 6 SGB V (idF des Gesundheits-Reformgesetzes vom 20.12.1988, BGBl I 2477; ab 4.8.2011 idF des Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze vom 28.7.2011, BGBl I 1622) auch für den MDK verwiesen wird. Nach § 42 Abs 2 SGB IV der hier maßgeblichen Fassung haften die Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane für den Schaden, der dem Versicherungsträger aus einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verletzung der ihnen obliegenden Pflichten entsteht. § 279 SGB V in der hier einschlägigen Fassung ist Bestandteil der Vorschriften über die rechtliche Regelung des MDK. Nach § 279 Abs 6 SGB V gelten für den MDK auch § 42 Abs 1 bis 3 SGB IV entsprechend.
Bei § 42 Abs 2 SGB IV handelt es sich nach der ganz herrschenden Auffassung um eine sozialrechtliche Haftungsnorm, für die der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet ist (vgl BGH vom 14.2.1985 - IX ZR 145/83 - BGHZ 94, 18 = juris RdNr 22 und 25; LSG Niedersachsen-Bremen vom 19.3.2019 - L 16 KR 61/16 - juris RdNr 83; LAG Sachsen-Anhalt vom 10.3.1999 - 10 (7) Ta 166/98 - juris RdNr 13; vgl anstelle vieler Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 51 RdNr 39 mwN). Die Norm stellt nämlich nicht bloß eine gesetzliche Regelung zur Reduzierung der vertraglichen (zivilrechtlichen) Haftung dar, sondern eine eigenständige materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage (vgl LSG Niedersachsen-Bremen vom 19.3.2019 - L 16 KR 61/16 - juris RdNr 83; LSG Baden-Württemberg vom 19.3.2007 - L 1 A 2763/06 - juris RdNr 38; Seegmüller in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 3. Aufl 2016, § 42 RdNr 50; Hüttenbrink, Schadensersatzansprüche der Selbstverwaltungskörperschaften gegen ihre Organwalter, 1981, 13).
Dies ergibt sich insbesondere aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Vor Inkrafttreten des § 42 SGB IV war die Organhaftung in § 14 Selbstverwaltungsgesetz vom 23.8.1967 (BGBl I 917) und zuvor schon in § 7 Gesetz über die Selbstverwaltung und über Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiet der Sozialversicherung (≪GSv≫ vom 22.2.1951, BGBl I 124) geregelt. Diese Regelungen stellten - höchstrichterlich entschieden - eigenständige (sozialrechtliche) Anspruchsgrundlagen dar (vgl BSG vom 13.12.1971 - 7/2 RU 206/69 - BSGE 33, 209 = SozR Nr 54 zu § 51 SGG - juris RdNr 12 bis 14; vgl auch BGH vom 14.2.1985 - IX ZR 145/83 - BGHZ 94, 18 = juris RdNr 22 bis 25). Durch die Kodifizierung der Regelung im SGB IV wollte der Gesetzgeber das nicht ändern. Daher knüpft der Wortlaut der Vorschrift in der Ursprungsfassung des SGB IV vom 23.12.1976 (BGBl I 3845; "Die Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane haften für den Schaden, der dem Versicherungsträger aus einer schuldhaften Verletzung der ihnen obliegenden Pflichten entsteht") erkennbar an die Formulierung in § 14 Abs 1 Selbstverwaltungsgesetz bzw § 7 Abs 1 GSv an. Auch die Gesetzesmaterialien sprechen insoweit von einer Modernisierung der "bisherigen Haftungsvorschrift". Die Einfügung der Worte "vorsätzlich oder grob fahrlässig" in § 42 Abs 2 SGB IV, die vom Beklagten argumentativ ins Feld geführt werden, erfolgte erst mit dem Gesetz zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen vom 27.7.1984 (BGBl I 1029). Dass sich hierdurch der Charakter der Vorschrift als materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage ändern sollte, lässt sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen. Vielmehr sollte nur die - originär bestehende - Haftung nach § 42 Abs 2 SGB IV begrenzt werden (vgl BT-Drucks 10/1162 S 6).
Ob die Haftungsnorm des § 42 Abs 2 SGB IV über § 279 Abs 6 SGB V auf den MDK-Geschäftsführer Anwendung findet, ist eine noch offene Fragestellung. Streitig ist insoweit, ob der MDK-Geschäftsführer in seiner Funktion einem Mitglied eines Selbstverwaltungsorgans entspricht. Der Vortrag des MDK hierzu ist nicht offensichtlich haltlos. Höchstrichterliche Rechtsprechung existiert bislang nicht. In der Literatur wird aber teilweise die Anwendbarkeit des § 42 Abs 2 SGB IV über § 279 Abs 6 SGB V auf den MDK-Geschäftsführer bejaht (vgl Cramer, Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung, 1998, 122; Heberlein in BeckOK SozR, Stand 1.9.2019, § 279 SGB V RdNr 78; Seifert in Becker/Kingreen, 6. Aufl 2018, § 279 RdNr 9; aA zB Nebendahl in Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl 2018, § 279 SGB V RdNr 14).
Zwar hat ein MDK-Geschäftsführer wesentlich umfassendere Aufgaben und Kompetenzen als der Geschäftsführer einer Selbstverwaltungskörperschaft (vgl § 279 Abs 4 SGB V einerseits und § 36 Abs 1 SGB IV andererseits; vgl hierzu nur Gitter/Köhler-Fleischmann, SGb 1999, 157, 165) und ist ebenso wenig wie der hauptamtliche Vorstand einer Krankenkasse iS des § 35a SGB IV - anders als Mitglieder von Selbstverwaltungsorganen (vgl § 40 Abs 1 Satz 1 SG IV) - ehrenamtlich tätig. Für eine Anwendung kann aber - neben dem Wortlaut der Verweisungsnorm, die nicht zwischen dem MDK-Geschäftsführer und dem Verwaltungsrat differenziert - die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben im System der GKV sprechen (vgl Cramer, aaO). Es kann daher erst im Rahmen des Klageverfahrens unter inhaltlicher Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des MDK geklärt werden, ob die zur Haftung des Geschäftsführers einer Selbstverwaltungskörperschaft ergangene Rechtsprechung (vgl BGH vom 14.2.1985 - IX ZR 145/83 - BGHZ 94, 18 = juris RdNr 25 zur Nichtanwendbarkeit des § 42 SGB IV auf den Geschäftsführer eines Selbstverwaltungsträgers iS des § 35 SGB IV; vgl BSG vom 5.5.2009 - B 1 KR 9/08 R - SozR 4-2400 § 35a Nr 4 RdNr 20 zur Nichtanwendbarkeit des § 42 SGB IV auf den hauptamtlichen Vorstand einer Krankenkasse iS des § 35a SGB IV) im Hinblick auf die Verweisung in § 279 Abs 6 SGB V auf den MDK-Geschäftsführer übertragbar ist.
Der Vortrag des MDK ist auch nicht zielgerichtet zur Begründung allein des Rechtswegs erfolgt (vgl hierzu zB BSG vom 25.10.2017 - B 7 SF 1/16 R - juris RdNr 9; BVerwG vom 4.3.2015 - 6 B 58.14 - juris RdNr 18; BGH vom 5.7.1990 - III ZR 166/89 - juris RdNr 18). Er setzt sich vielmehr inhaltlich mit den sozialrechtlichen Vorschriften auseinander. Dass im Ergebnis - sofern der Auffassung des LSG und SG, die eine Anwendbarkeit des § 42 Abs 2 SGB IV auf den MDK-Geschäftsführer verneinen, zu folgen ist - möglicherweise nur der vom MDK ebenfalls geltend gemachte zivilrechtliche Schadensersatzanspruch aus der Verletzung des Geschäftsführer-Anstellungsvertrags den geltend gemachten Schadensersatz zu stützen vermöchte, steht der Richtigkeit des Sozialrechtswegs nicht entgegen. In solchen Fällen, in denen der Klageanspruch bei identischem Streitgegenstand auf mehrere, verschiedenen Rechtswegen zugeordnete Anspruchsgrundlagen gestützt ist, ist das angerufene Gericht nach § 17 Abs 2 Satz 1 GVG zur Entscheidung über sämtliche Klagegründe verpflichtet, sofern nur der Rechtsweg für einen von ihnen gegeben ist (vgl nur BSG vom 25.10.2017 - B 7 SF 1/16 R - juris RdNr 8 f; BSG vom 30.9.2014 - B 8 SF 1/14 R - SozR 4-3500 § 75 Nr 5 RdNr 9 f).
3. Anhand der aufgezeigten Maßstäbe (s unter 2.) sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auch für die Drittwiderklagen zuständig.
Über den Rechtsweg für die Hilfswiderklage war ebenfalls vorab zu entscheiden. Bei gebotener Auslegung (§ 123 SGG) des Begehrens hat der Beklagte seine (isolierten) Drittwiderklagen gegen die Drittwiderbeklagten zu 1. und 2. unbedingt erhoben. Zwar lassen seine Ausführungen auch die Deutung zu, dass die Widerklagen nur hilfsweise für den Fall erhoben worden sein könnten, dass die Klage (zumindest teilweise) Erfolg hat (sog Eventualwiderklage; vgl hierzu BSG vom 3.4.2014 - B 5 R 25/13 R - SozR 4-2600 § 118 Nr 13 RdNr 38; BSG vom 25.1.2001 - B 4 RA 64/99 R - SozR 3-1500 § 54 Nr 45 = juris RdNr 15 mwN). Eine solche Auslegung des unbedingt formulierten Antrags des Beklagten entspräche jedoch nicht seinen Interessen, denn eine isolierte Eventualdrittwiderklage wäre unzulässig (vgl BGH vom 5.4.2001 - VII ZR 135/00 - BGHZ 147, 220 = juris RdNr 12; Schultzky in Zöller, ZPO, 33. Aufl 2020, § 33 RdNr 34).
Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind für die Drittwiderklagen zuständig (§ 51 Abs 1 Nr 2, Abs 2 Satz 1 SGG). Der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt wird für die aus ihm hergeleitete Rechtsfolge wesentlich von Bestimmungen der GKV geprägt. Denn die gesamtschuldnerische Haftung stützt der Beklagte - weder zielgerichtet allein zur Begründung des Rechtswegs noch offensichtlich haltlos - auf § 279 Abs 6 SGB V iVm § 42 SGB IV und § 426 BGB analog. Ob durch § 42 SGB IV eine gesamtschuldnerische Haftung begründet wird, wenn der Schaden durch mehrere Organe verursacht wird, ist höchstrichterlich bisher nicht geklärt (vgl nur BGH vom 14.2.1985 - IX ZR 145/83 - BGHZ 94, 18 = juris RdNr 67). Dies ist erneut eine Frage der Begründetheit.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO. Im Verfahren über eine Rechtswegbeschwerde ist eine Kostenentscheidung grundsätzlich erforderlich (vgl nur BSG vom 25.10.2017 - B 7 SF 1/16 R - juris RdNr 11 mwN). Gründe davon abzusehen (vgl dazu BGH vom 3.7.1997 - IX ZB 116/96 - juris RdNr 20) liegen hier nicht vor. Die Kosten sind hier dem Beklagten aufzuerlegen. Dass die Gegenseite der weiteren Beschwerde entgegentritt, ist dazu nicht erforderlich (str, wie hier Schleswig-Holsteinisches OLG vom 9.6.2009 - 16 W 61/09 - juris RdNr 12; OLG Rostock vom 11.12.2008 - 1 W 68/08 - juris RdNr 6; Brandenburgisches OLG vom 21.6.2001 - 6 W 36/01; Ehlers in Schoch/Schneider, VwGO, Stand 1.7.2020, § 17a GVG RdNr 35; aA OVG Sachsen-Anhalt vom 29.8.2017 - 3 O 161/17 - juris RdNr 10; Bayerischer VGH vom 8.12.2015 - 4 C 15.2471 - juris RdNr 9; Steinfatt in Prütting/Gehrlein, ZPO, 10. Aufl 2018, § 17b GVG RdNr 3 mwN).
5. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 52 Abs 1, § 45 Abs 1 Satz 1 und 3 GKG. Es erscheint angemessen, für die Vorabentscheidung über den Rechtsweg für die Klage von einem Wert iHv 51 315,53 Euro - einem Fünftel des Wertes des geltend gemachten Anspruchs - auszugehen (vgl BSG vom 25.10.2017 - B 7 SF 1/16 R - juris RdNr 11 bis 12) und für die Drittwiderklagen, die einen über die Klage hinausgehenden Gegenstand betreffen, von weiteren 51 315,53 Euro. Dies ergibt einen Gesamtwert von 102 631,06 Euro.
Fundstellen
Dokument-Index HI14470860 |