Leitsatz (amtlich)

1. 1. Auch einem auf Zeit gebildeten Senat (SGG § 210) können bei der Geschäftsverteilung Angelegenheiten des Kassenarztrechts zugeteilt werden.

2. Ein Senat verliert nicht dadurch den Charakter als Kassenarztsenat (SGG § 31 Abs 2), daß ihm bei der Geschäftsverteilung auch Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung zugeteilt werden, sofern ihm für die Angelegenheiten des Kassenarztrechts besondere Landessozialrichter aus den Kreisen der Krankenkassen und der Kassenärzte zugewiesen sind.

 

Normenkette

SGG § 12 Fassung: 1953-09-03, § 31 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03, § 210 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 11. Oktober 1957 wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte hat dem Kläger die ihm erwachsenen außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I. Der Prüfungsausschuß der Beklagten beanstandete die kassenärztliche Einzelabrechnung des Klägers und strich einen Teil der Honorarforderung, weil sie über dem Landesdurchschnitt liege. Der Beschwerdeausschuß der Beklagten wies die Beschwerde des Klägers zurück, denn die Honorarforderung sei überhöht gewesen. Das Landessozialgericht (LSG.) hat jedoch auf die Berufung des Klägers das die Klage abweisende Urteil des Sozialgerichts (SG.) und die Beschlüsse der Honorarprüfinstanzen aufgehoben, weil den angefochtenen Bescheiden eine tatsächlich und rechtlich ausreichende Begründung fehle und die Beklagte keine verbindlichen Prüfrichtlinien aufgestellt habe. Der Landesdurchschnitt, nach dem sich die Prüfinstanzen gerichtet hätten, sei eine Zufallszahl, die über die Unwirtschaftlichkeit oder Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise nichts auszusagen vermöge. Das LSG. hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen.

Mit der rechtzeitig und formgerecht eingelegten und rechtzeitig begründeten Revision beantragt die Beklagte,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beklagte rügt, der 7. Senat des LSG., der das angefochtene Urteil gefällt habe, sei nicht als besonderer Senat für Angelegenheiten des Kassenarztrechts gebildet worden. Ihm seien neben den Angelegenheiten des Kassenarztrechts noch andere Sachen übertragen worden. Nach § 31 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei aber für Angelegenheiten des Kassenarztrechts "ein eigener Senat" zu bilden. Die Beklagte rügt ferner, dieser Senat sei als Zeitsenat nach § 210 SGG gebildet worden. Nach § 31 Abs. 2 SGG sei aber für die Angelegenheiten des Kassenarztrechts ein eigener Senat zu bilden, der als Dauersenat hätte gebildet werden müssen. Die Bildung von Zeitsenaten komme nur "bei Bedarf" in Betracht, dies setze voraus, daß der Arbeitsanfall größer sei als ein Dauersenat bewältigen könne oder daß erhebliche Rückstände vorlägen. In Schleswig habe es keine nennenswerten Rückstände gegeben. Wenn aber die Angelegenheiten des Kassenarztrechts vor einen ordentlichen Senat gehörten, so müsse dieser nach § 34 SGG mit einem Senatspräsidenten besetzt sein, der den Vorsitz zu führen habe. Die Beklagte rügt, der Vorsitzende des Zeitsenats, Landessozialgerichtsrat H, sei - nicht nur zur vorübergehenden Vertretung - schon im Januar 1957 zum Vorsitzenden des 7. Senats bestellt worden und habe diesen Senat offenbar bis zum Januar 1958 geführt. Selbst wenn er vertretungsweise tätig gewesen sei, hätte der Senat spätestens nach drei Monaten mit einem Senatspräsidenten als Vorsitzenden besetzt werden müssen. Dies hätte der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Reichsgerichts entsprochen (BGH. Bd. 16 S. 254 und 10 S. 130). Der Rechtsstreit sei somit seinem ordentlichen Richter entzogen worden.

Da das LSG. die Revision nicht zugelassen hat, wäre sie nur statthaft, wenn die Beklagte einen wesentlichen Mangel des Verfahrens rügte, der auch tatsächlich vorliegt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG und BSG. Bd. 1 S. 150). Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf einem wesentlichen Mangel im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG.

Aus dem vom Senat beigezogenen Geschäftsverteilungsplan des LSG. Schleswig, der am 1. Juli 1957 in Kraft getreten ist, ergibt sich, daß der 7. Senat besetzt worden ist mit

Landessozialgerichtsrat Dr. H, Landessozialgerichtsrat Dr. R und mit Sozialgerichtsrat L.

In dieser Besetzung hat das LSG. über die Berufung gegen das Urteil des SG. entschieden. Im angefochtenen Urteil ist der entscheidende Senat nicht mit einer Zahl, sondern als Senat für Kassenarztrecht bezeichnet. Nach dem Geschäftsverteilungsplan ist die sachliche Zuständigkeit des 7. Senats wie folgt umgrenzt:

"B.

die Streitverfahren aus der Kriegsopferversorgung mit den Anfangsbuchstaben A - R, die im Jahre 1954 eingegangen sind.

--

D.

Alle Streitverfahren aus dem Kassenarztrecht in Angelegenheiten der Kassenärzte und Kassenzahnärzte (einschließlich Parteistreitigkeiten)."

Wie aus der Mitteilung des Präsidenten des LSG. Schleswig vom 11. August 1959 hervorgeht, bestand für den 7. Senat eine besondere Beisitzerliste für das Kassenarzt- und Kassenzahnarztrecht. Er war somit als eigener Senat für die Angelegenheiten des Kassenarztrechts gebildet. Die Tatsache, daß diesem Senat - mit anderen ehrenamtlichen Beisitzern - auch Versorgungssachen zugewiesen worden sind, schließt nicht aus, daß er ein Kassenarztsenat im Sinne des § 31 Abs. 2 SGG war. In Wahrheit bestand der - inzwischen wieder aufgelöste - 7. Senat aus zwei Fachsenaten, nämlich einem Kassenarztsenat und einem Versorgungssenat mit besonderen ehrenamtlichen Beisitzern. Mag auch eine solche äußere Zusammenfassung zweier Senate im Geschäftsverteilungsplan nicht tunlich sein, so kann darin jedenfalls keine gesetzeswidrige Besetzung des für die Entscheidung zuständigen Kassenarztsenats gesehen werden. Es läßt sich daraus also nicht herleiten, daß das angefochtene Urteil auf einem wesentlichen Mangel des Verfahrens beruhe.

Nach der Mitteilung des Präsidenten des LSG. Schleswig vom 11. August 1959 war der inzwischen wieder aufgelöste 7. Senat seit seiner Errichtung nur als Zeitsenat nach § 210 SGG gebildet worden. Durch Zeitsenate sollten die neu errichteten Gerichte in die Lage versetzt werden, die Schwierigkeiten des Beginns der Rechtsprechung trotz der großen Zahl der Altfälle zu überwinden. Dabei war es damals weder möglich noch erforderlich, die Zuständigkeit der Zeitkammern und Zeitsenate nur auf Altfälle oder Sachgebiete bestimmter Art zu beschränken. Auch im Kassenarztrecht gab es eine größere Zahl von Altfällen, die bei den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit anhängig waren und die beim Inkrafttreten des SGG auf die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit übergingen (SGG § 215 Abs. 6 bis 9). Die Zeitsenate konnten bei Bedarf errichtet werden, das bedeutet "für jeden Bedarf und für jedes Sachgebiet". Somit konnten auch die Angelegenheiten des Kassenarztrechts einem Zeitsenat - als eigenen Senat mit besonderen ehrenamtlichen Beisitzern für Kassenarzt- und Kassenzahnarztsachen - übertragen werden, wie das im zur Entscheidung stehenden Fall geschehen ist. Eine Sonderstellung der Kassenarztsenate bei Bildung von Zeitsenaten gemäß § 210 SGG findet im Gesetz keine Stütze und würde der inneren Berechtigung entbehren.

Auch die Rüge der Beklagten, der Senat des LSG. sei nicht dem Gesetz entsprechend besetzt gewesen, weil der Landessozialgerichtsrat Dr. H in der mündlichen Verhandlung vom 11. Oktober 1957 den Vorsitz im Senat geführt habe, greift nicht durch. Zwar bestimmt § 34 SGG - entsprechend §§ 117, 62 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) - daß den Vorsitz im Senat eines LSG. der Präsident oder ein Senatspräsident führt. Durch diese Vorschrift soll erreicht werden, daß ein besonders erfahrener Richter die Güte und Stetigkeit der Rechtsprechung des Senats beeinflussen und mit dazu beitragen soll, das Ansehen des Gerichts und das diesem entgegenzubringende Vertrauen der Rechtsuchenden zu stärken (Kern: Gerichtsverfassungsgesetz, 2. Aufl. S. 132; BGHZ. 10 S. 130; 15 S. 135; 16 S. 254; 20 S. 355; BGHSt. 2 S. 71). Abweichend von diesem Grundsatz des § 34 SGG läßt jedoch § 210 Abs. 2 SGG zu, daß in den auf Zeit gebildeten Senaten ein anderer Berufsrichter des LSG. den Vorsitz führen darf. Der durch die Verfassung gewährleistete Grundsatz der Unabhängigkeit der Richter (Art. 97 GG) wird durch die Bestellung eines Landessozialgerichtsrats zum Vorsitzenden eines Senats nicht berührt; auch ein Landessozialgerichtsrat ist ständiges Mitglied des Gerichts und seine Unabhängigkeit wird nicht durch die Bestellung zum Vorsitzenden in einem Zeitsenat beeinträchtigt. Daß Landessozialgerichtsrat Dr. H nicht nur vorübergehend zum Vorsitzenden des Zeitsenats bestellt worden ist und den Vorsitz längere Zeit geführt hat, stellt keinen wesentlichen Mangel des Verfahrens dar; er ist nicht zum Vertreter eines Senatsvorsitzenden, sondern zum Vorsitzenden selbst nach § 210 Abs. 2, 2. Halbsatz SGG bestellt worden. Das ist ohne zeitliche Begrenzung zulässig.

Der Senat war somit als Zeitsenat nicht deshalb unvorschriftsmäßig besetzt, weil den Vorsitz ein Landessozialgerichtsrat geführt hat, und er war - obwohl für Kassenarztsachen ein besonderer Senat zu bilden ist (§§ 31 Abs. 2, 12 Abs. 3 SGG) - nicht deshalb gesetzwidrig, weil er nur ein Zeitsenat war und weil ihm auch andere Sachgebiete zur Entscheidung übertragen waren. Der 10. Senat des Bundessozialgerichts hat denn auch im Urteil vom 4. Februar 1959 - 10 RV 663/58 - (Sozialrecht SGG § 210 Bl. Da 1 Nr. 2) entschieden, daß die auf Zeit gebildeten Senate auch in anderen als in den nach § 214 SGG geregelten Fällen (übernommenen Altfällen) entscheiden dürfen und daß in solchen Senaten den Vorsitz ständig ein Landessozialgerichtsrat führen darf. Es besteht insoweit kein Anlaß, von diesen Grundsätzen abzuweichen. Da die von der Beklagten innerhalb der Revisionsbegründungsfrist geltend gemachten Mängel des Verfahrens somit nicht vorliegen, so ist die Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG nicht statthaft. Sie mußte daher nach § 169 SGG als unzulässig verworfen werden.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2391800

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