Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 27.06.1957)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 27. Juni 1957 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Das Landessozialgericht (LSG.) Berlin hat mit dem angefochtenen Urteil die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. November 1955 zurückgewiesen. Gegen dieses am 29. Juli 1957 zugestellte Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die von der Revisionsklägerin mit einem von ihrem Sohn W. Sch… unterzeichneten Schreiben vom 27. August 1957 eingelegte Revision.

Das angefochtene Urteil enthält die ausdrückliche Rechtsmittelbelehrung, daß sich die Beteiligten – soweit es sich nicht um Behörden oder Körperschaften des öffentlichen Rechts oder Anstalten des öffentlichen Rechts handelt – durch Prozeßbevollmächtigte vertreten lassen müssen, und daß schon die Revisionsschrift von einem zugelassenen Prozeßbevollmächtigten unterzeichnet sein muß. Die Rechtsmittelbelehrung führt weiter aus, wer als Prozeßbevollmächtigter zugelassen ist.

Die in § 166 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) festgelegte, im Interesse der Beteiligten zwingend vorgeschriebene Formvorschrift einer Vertretung durch Prozeßbevollmächtigte ist von der Revisionsklägerin nicht beachtet worden. Diese Bestimmung soll sicherstellen, daß sich die Beteiligten bereits bei der Einlegung der Revision durch einen sach- und rechtskundigen Prozeßbevollmächtigten beraten und vertreten lassen. Die Ansicht der Klägerin, daß § 166 SGG gegen den in Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) festgelegten Gleichheitsgrundsatz verstößt, trifft nicht zu. Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung (SozR. BVG § 43 Bl. Ca 1 Nr. 1) in Übereinstimmung mit den übrigen Senaten des Bundesozialgerichts (BSG. 2, 201 [217]) entschieden hat, gebietet die Vorschrift des Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber, daß er weder Gleiches ungleich noch Ungleiches gleich behandelt. Danach wird aber der weite Ermessensspielraum, den das Grundgesetz insoweit dem Gesetzgeber einräumt, nicht eingeengt. Vielmehr ist der Gleichheitsgrundsatz nur verletzt, wenn ein sachgemäßer Grund für eine unterschiedliche Behandlung gleicher Tatbestände nicht gegeben ist.

Wenn der Gesetzgeber im Verfahren vor dem Bundessozialgericht grundsätzlich den Vertretungszwang festgelegt hat, so hat er damit weder die Grenzen des gesetzgeberischen Ermessens überschritten noch liegt ein Mißbrauch dieses Ermessens vor. Der Vertretungszwang ist im Interesse der Rechtsschutzsuchenden mit Rücksicht auf bestimmte Formvorschriften vorgesehen, denen das Revisionsverfahren unterliegt. Gerade dadurch soll sichergestellt werden, daß sich die in der Regel rechtsunkundigen Beteiligten bereits vor der Einlegung der Revision von rechtskundigen Bevollmächtigten über die Aussichten eines Rechtsmittels beraten lassen und daß bei der Revisionseinlegung alle Formvorschriften beachtet werden. Abgesehen davon, daß damit eine Entlastung des Revisionsgerichts von nicht formgerechten oder aussichtslosen Rechtsmitteln erreicht werden soll, stellt die Festlegung des Vertretungszwanges keine Benachteiligung, sondern im Gegenteil einen Rechtsschutz der Beteiligten dar, zumal der Gesetzgeber im Falle des wirtschaftlichen Unvermögens eines Beteiligten in § 167 SGG die Möglichkeit der Bewilligung des Armenrechts vorgesehen hat. Wenn der Gesetzgeber Behörden oder Körperschaften des öffentlichen Rechts oder Anstalten des Öffentlichen Rechts von dem Vertretungszwang ausgenommen hat, so beruht dies auf der Überlegung, daß Versicherungsträger und Behörden sich durch entsprechend vorgebildete Angestellte oder Beamte vertreten lassen und damit ein Schutzbedürfnis entfällt. Es liegt also ein sachgerechter Grund für die unterschiedliche Regelung der Vertretung im Revisionsverfahren vor.

Falls die Klägerin etwa darin einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG sehen will, daß in der ersten und zweiten Instanz im Gegensatz zu dem dritten Rechtszug keine Vertretung erforderlich ist, so kann ihr auch darin nicht gefolgt werden. Der Gesetzgeber glaubte zutreffend, dem Beteiligten in der Tatsacheninstanz schon mit Rücksicht auf den Grundsatz der Amtsermittlung (§ 103 SGG) die Entscheidung überlassen zu können, ob er sich eines Vertreters bedienen oder seine Rechte selbst wahrnehmen will. Im Revisionsrechtszug mit seinen besonderen formgebundenen Voraussetzungen und der alleinigen Beschränkung auf Rechtsfragen muß jedoch einem rechtsunbeholfenen Beteiligten die Möglichkeit einer sachgemäßen Prozeßvertretung gegeben werden. Hiernach verstößt § 166 Abs. 1 SGG nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Die Revision ist nicht durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten eingelegt; sie entspricht daher nicht der gesetzlichen Form und war gemäß § 169 Satz 2 SGG als unzulässig zu verwerfen. Bei dieser Sach- und Rechtslage erübrigte sich eine weitere Prüfung, ob die Revision auch aus anderen Gründen unzulässig ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI926354

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