Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulassung der Revision. Zulassungsgrund. Grundsätzliche Bedeutung. Verfahrensmangel. Arbeitsförderungsrecht. Bemessungsentgelt für Überbrückungsgeld. Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelungen. Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Es ist keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, die zur Zulassung der Revision führen könnte, wenn ein Kläger geltend macht, das für die Berechnung des Arbeitslosengelds bzw. des Überbrückungsgelds heranzuziehende Bemessungsentgelt müsse deswegen erhöht werden, weil er in seiner letzten Beschäftigung nur 35 Wochenstunden gearbeitet hatte. Es ergeben sich insbesondere keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Heranziehung des in der letzten Beschäftigung erzielten Entgelts in Anwendung der §§ 129 ff. SGB III, die sich vorwiegend am Versicherungsprinzip orientieren.

2. Eine Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III) tritt ein, wenn dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung seiner Interessen mit den Interessen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden kann (st.Rspr.; vgl. BSGE 66, 94 ff.).

3. Auf einem (angeblichen) Verfahrensmangel kann das angefochtene Urteil nicht “beruhen”, wenn sich – selbst bei Unterstellung des gesamten Vorbringens des Klägers in tatsächlicher Hinsicht als richtig – an der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung der Beklagten nichts änderte.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2 Nrn. 2-3; SGB III § 144 Abs. 1 Nr. 1; SGB § 129

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 23.03.2004; Aktenzeichen L 9 AL 2687/03)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 13.07.2005; Aktenzeichen 1 BvR 1041/05)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. März 2004 – L 9 AL 2687/03 – und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.

 

Gründe

Dem Kläger steht Prozesskostenhilfe nicht zu, denn seine Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫, § 114 Zivilprozessordnung).

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn einer der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgezählten Zulassungsgründe (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Abweichung von höchstrichterlichen Rechtsprechung oder Verfahrensmangel) vorliegt. Diese Zulassungsgründe sind hier nicht ersichtlich. Selbst wenn in einem Punkt – siehe nachfolgend unter 3b) – die Vorgehensweise des Landessozialgerichts (LSG) beanstandet werden könnte, ist Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht in der Sache abzulehnen; denn die Prüfung der Erfolgsaussicht als Voraussetzung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Nichtzulassungsbeschwerde erstreckt sich nicht nur auf die Beschwerde selbst, sondern auch auf den mit dem Rechtsstreit verfolgten Anspruch (stRspr, ua BSG SozR 1750 § 114 Nr 1 und 5; SozR 3-6610 Art 5 Nr 1).

1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG. Denn es ist nicht über Rechtsfragen zu entscheiden, die im Interesse der Allgemeinheit der höchstrichterlichen Klärung bedürfen. Für die Frage, ob eine Sperrzeit eingetreten ist, folgt dies schon daraus, dass besondere Umstände des Einzelfalles zu beurteilen sind, die ein allgemeines Interesse nicht erkennen lassen. Keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen sich aber auch, soweit der Kläger geltend macht, das für die Berechnung des Arbeitslosengeldes (Alg) bzw des Überbrückungsgeldes heranzuziehende Bemessungsentgelt müsse deswegen erhöht werden, weil er in seiner letzten Beschäftigung nur 35 Wochenstunden gearbeitet hatte. Zu diesem Problemkreis hat das LSG zutreffend ausgeführt, dass es für das Begehren des Klägers keine Rechtsgrundlage gibt. Entgegen dem Vorbringen des Klägers bestehen in seinem Falle auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Heranziehung des in der letzten Beschäftigung erzielten Entgelts in Anwendung der insoweit einschlägigen Regelungen der §§ 129 ff des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) – jeweils in der im Jahre 2000 geltenden Fassung –, die sich vorwiegend am Versicherungsprinzip orientieren (vgl Begründung zum Arbeitsförderungs-Reformgesetz in BT-Drucks 13/4941 S 178 zu § 132; Pawlak in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 11 RdNr 19 ff).

2. Nicht ersichtlich ist, dass eine Abweichung der Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts bezeichnet werden könnte (§§ 160 Abs 2 Nr 2, 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Soweit der Kläger die Kostenentscheidung des LSG beanstandet und die Vermutung äußert, es existiere auch eine entgegenstehende Entscheidung des BSG oder des GmSOGB, kann dies nicht zur Zulassung der Revision führen. Dass eine auf den Kostenpunkt beschränkte Revision nicht zulässig ist, folgt aus §§ 165, 144 Abs 4 SGG; demzufolge können auch im Beschwerdeverfahren Einwendungen allein gegen die Kostenentscheidung nicht zur Zulassung der Revision führen (BSG SozR 1500 § 160 Nr 54).

3a) Aus dem Vorbringen des Klägers, insbesondere aus seinem Schriftsatz vom 18. Juli 2004 ergeben sich – abgesehen von der Frage, ob das LSG korrekterweise den Bescheid der Beklagten vom 7. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 2003 in das Berufungsverfahren einbezogen hat (dazu unter 3b) – keine Verfahrensmängel, auf denen das Urteil des LSG beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Unter Berücksichtigung der vorliegenden Einzelumstände kann die vom Kläger beanstandete Vorgehensweise des LSG, das persönliche Erscheinen nicht gemäß § 191 SGG anzuordnen und dementsprechend dem Kläger auch keine Auslagenvergütung zuzubilligen, nicht als verfahrensfehlerhaft angesehen werden. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass das LSG durch die Ablehnung der Übernahme von Fahrtkosten zum Verhandlungstermin, durch die Nichtbeachtung von Beweisanträgen, durch die Urteilsbegründung oder in anderer Weise das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt haben könnte. Dem Urteil des LSG und den vorliegenden Akten ist vielmehr zu entnehmen, dass der Kläger hinreichend Gelegenheit hatte, seinen Standpunkt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vorzutragen, und dass das LSG den umfangreichen Vortrag des Klägers vollständig entgegengenommen und in den wesentlichen Punkten im Urteil gewürdigt hat. Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs erfordert es allerdings nicht, dass das Gericht im Urteil auf alle vorgetragene Gesichtspunkte im Einzelnen eingeht (vgl BVerfG SozR 1500 § 62 Nr 13).

Soweit der Kläger einzelne Passagen des Urteils des LSG zu Beweisangeboten bzw zur Frage der Beweislast beanstandet, ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der objektiven Beweislast nicht etwa die Pflicht des Gerichts zur Amtsermittlung (§ 103 SGG) beschränkt, sondern nur dann zum Tragen kommt, wenn sich nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhalts entscheidungserhebliche Tatsachen nicht mehr feststellen lassen (BSGE 71, 256, 258 ff = SozR 3-4100 § 119 Nr 7). Der Kläger meint zwar, das LSG habe seine Beweisanträge übergangen und deshalb den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt. Doch auf einen derartigen (angeblichen) Verfahrensmangel (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) kann das angefochtene Urteil nicht “beruhen”. Denn selbst wenn das gesamte aus den Akten ersichtliche und im Prozesskostenhilfeverfahren dem BSG unterbreitete Vorbringen des Klägers in tatsächlicher Hinsicht als richtig unterstellt wird, ändert sich an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Beklagten über den Eintritt einer Sperrzeit nichts und bestand für sie kein Anlass, den Sperrzeitbescheid vom 23. November 1999 zurückzunehmen. Eine Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe (§ 144 Abs 1 Nr 1 SGB III) tritt ein, wenn dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung seiner Interessen mit den Interessen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden kann (BSGE 66, 94, 97 = SozR 4100 § 119 Nr 36; SozR 4-4100 § 119 Nr 1). Auch unter Berücksichtigung der vom Kläger geltend gemachten Umstände war es ihm zumutbar, trotz etwa vorliegender gesundheitlicher Beeinträchtigungen infolge “Schlafdefizits” und trotz Unzufriedenheit mit der Entgelthöhe und der Nichtdurchführung von Fortbildungsmaßnahmen zunächst auf eine Kündigung zu verzichten und von einer Lösung des Beschäftigungsverhältnisses mit der Folge des Eintritts von Arbeitslosigkeit zu Lasten der Versichertengemeinschaft abzusehen.

3b) Soweit der Kläger außerdem beanstandet, das LSG habe über den erst während des Klageverfahrens erlassenen (zweiten) Überprüfungsbescheid vom 7. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 2003 zur Frage des Eintritts einer Sperrzeit nicht selbst entscheiden dürfen, sondern habe – entsprechend den Ausführungen des Klägers im Schriftsatz vom 13. Dezember 2003 (Seite 3 unten) bzw im Tatbestandsberichtigungsantrag vom 28. April 2004 (Beiakten L 9 AL 1710/04) – die Sache insoweit an die erste Instanz zurückverweisen müssen, kann dahinstehen, ob die Verfahrensweise des LSG rechtlich zulässig war oder nicht (vgl zur Entscheidungsbefugnis des Berufungsgerichts über einen während des erstinstanzlichen Verfahrens gemäß § 96 SGG einzubeziehenden Bescheid, wenn dies dem Willen der Beteiligten entspricht: BSGE 61, 45 = SozR 4100 § 113 Nr 5 mwN). Denn selbst wenn das LSG unter Berücksichtigung der Einwände des Klägers über den Bescheid vom 7. Januar 2003 nicht hätte befinden dürfen, kann dies materiell-rechtlich nicht zum Erfolg des Klagebegehrens führen. Denn die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, ihre frühere Entscheidung zum Eintritt einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe zurückzunehmen. Auf die Ausführungen oben unter 3a) kann insoweit Bezug genommen werden. Kann der Kläger somit letztlich nicht erreichen, was er mit dem Prozess erreichen will – nämlich die Aufhebung der Entscheidung über den Eintritt der Sperrzeit –, könnte also eine Revision auch im Falle ihrer Zulassung nicht zum Erfolg führen, so ist Prozesskostenhilfe zu versagen.

Da dem Kläger mangels Erfolgsaussicht keine Prozesskostenhilfe zusteht, war auch sein Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts abzulehnen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1576211

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