Leitsatz (amtlich)
Ist ein Berichtigungsbescheid zuungunsten des Berechtigten (KOV-VfG § 41) mit der Klage angefochten und hat das Gericht auf Grund des bereits vorliegenden Beweisstoffes noch nicht die Gewißheit, sondern sachlich begründete Zweifel, daß der berichtigte alte Bescheid tatsächlich unrichtig war, so darf sich das Gericht im allgemeinen mit diesem Ergebnis begnügen, um hierauf die Überzeugung zu gründen, daß die Unrichtigkeit des alten Bescheides nicht außer Zweifel steht.
Normenkette
KOVVfG § 41 Fassung: 1955-05-02; SGG § 103 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts in Celle vom 2. Juli 1957 wird als unzulässig verworfen.
Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
In einem Bescheid der Verwaltungsbehörde vom 27. Oktober 1949 war u.a. "Bronchialkatarrh" des Klägers als Gesundheitsschädigung im Sinne von § 4 SVD Nr. 27 anerkannt. Auf Grund eines ärztlichen Gutachtens, wonach diese Annahme von vornherein auf einer Fehldiagnose beruht habe, hob das Versorgungsamt Oldenburg mit Bescheid vom 19. Juni 1956, gestützt auf § 41 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung vom 2. Mai 1955 (BGBl. I S. 202) (VerwVG), den Bescheid vom 27. Oktober 1949 insoweit auf. Der Teilberichtigungsbescheid wurde gemäß § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand eines beim Landessozialgericht (LSG.) Celle schwebenden Berufungsverfahrens des Klägers. Durch Urteil vom 2. Juli 1957 hob das LSG. den Bescheid vom 19. Juni 1956 auf, wies aber im übrigen die Berufung des Klägers zurück.
Gegen dieses Urteil hat der Beklagte form- und fristgerecht Revision eingelegt mit dem Antrag, den Bescheid vom 19. Juni 1956 wiederherzustellen und die Berufung des Klägers zurückzuweisen. Der Beklagte hat die Revision, die nicht zugelassen ist, form- und fristgerecht damit begründet, daß das Verfahren des LSG. an einem wesentlichen Mangel leide. Er rügt eine Verletzung der dem LSG. obliegenden Aufklärungspflicht (§ 103 SGG). Nach seiner Auffassung hängt die entscheidende Frage, ob der frühere Bescheid vom 27. Oktober 1949 zur Zeit seines Erlasses tatsächlich und rechtlich zweifellos unrichtig war, wiederum von der Frage ab, ob der anerkannte Bronchialkatarrh auf den Wehrdienst zurückzuführen ist. Das LSG. hätte - nach der Revisionsbegründung - diese Frage nicht entscheiden dürfen, ohne ein weiteres ärztliches Gutachten einzuholen.
Die Voraussetzungen für die Statthaftigkeit der Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG liegen nicht vor. Aus dem Vorbringen des Beklagten ergibt sich nicht, daß das LSG. den von ihm zu beurteilenden Sachverhalt nicht oder ungenügend erforscht und dadurch gegen § 103 SGG verstoßen hat. Der Umfang der Aufklärungspflicht richtet sich danach, welche Tatsachen nach der Auffassung des LSG. für die von ihm zu treffende Entscheidung rechtserheblich sind (vgl. SozR. § 103 SGG, Bl. Da 2 Nr. 7; Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 7. Aufl., § 138 III 1 b S. 664). Da der auf § 41 Abs. 1 Satz 1 VerwVG gestützte Berichtigungsbescheid vom 19. Juni 1956 mit der Klage angefochten war, hatte das LSG. nur über die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des dem Kläger ungünstigen Verwaltungsaktes zu entscheiden. Das LSG. hatte also nicht zu beurteilen, ob der Bronchialkatarrh mit Wahrscheinlichkeit (§ 1 Abs. 3 BVG, § 128 SGG) auf den Wehrdienst des Klägers zurückzuführen ist, sondern, ob der begünstigende Bescheid vom 27. Oktober 1949, soweit er den Bronchialkatarrh als Schädigungsfolge anerkannte, damals aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen unrichtig war und ob im Zeitpunkt seiner Entscheidung kein Zweifel an der Unrichtigkeit bestand. In der richtigen Erkenntnis, nur diese Fragen prüfen zu müssen, hat das LSG. aus den voneinander abweichenden Auffassungen der vorliegenden ärztlichen Gutachten gefolgert, es stehe nicht zweifelsfrei fest, daß in dem alten Bescheid der ursächliche Zusammenhang zu Unrecht bejaht worden ist.
Im vorliegenden Falle, in welchem die Rechtmäßigkeit eines auf Grund des § 41 Abs. 1 Satz 1 VerwVG erlassenen Berichtigungsbescheides im Klageverfahren zu prüfen ist, trifft den Beklagten die objektive Beweislast für die Tatsache, daß der teilweise aufgehobene alte Bescheid im Zeitpunkt seines Erlasses insoweit tatsächlich und rechtlich unrichtig war (vgl. Urteil des BSG. vom 24.10.1957 - 10 RV 945/55 -). Denn der Beklagte will aus der Unrichtigkeit des alten Bescheides das Recht herleiten, dessen bindende Wirkung zu seinem Vorteil und zuungunsten des Klägers zu beseitigen. An den Beweis der Unrichtigkeit sind hierbei strengere Anforderungen zu stellen als an den Beweis der anspruchsbegründenden Tatsachen, solange der Anspruch auf eine Versorgungsleistung von der Verwaltungsbehörde nicht anerkannt ist. Denn das Gesetz verlangt, daß die Unrichtigkeit "außer Zweifel steht" (vgl. Urteil des BSG. vom 15.11.1957 - 9 RV 212/57 -). Kann sich das Gericht von der Unrichtigkeit des alten Bescheides nicht in so hohem Grad überzeugen, daß ihm kein vernünftiger, in den Umständen des Einzelfalles begründeter Zweifel mehr bleibt, so hat es der Klage stattzugeben und den Berichtigungsbescheid aufzuheben. Andererseits muß für das Gericht, damit es die Klage abweisen darf, die Unrichtigkeit des alten Bescheides "außer Zweifel stehen". Nach diesen Voraussetzungen, von denen die Rechtmäßigkeit des Berichtigungsbescheides abhängt, ist zu beurteilen, wie weit die Pflicht des Gerichts reicht, nach § 103 SGG den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Hat das Gericht auf Grund des ihm bereits vorliegenden Beweisstoffes noch nicht die Gewißheit, sondern sachlich begründete Zweifel, daß der alte Bescheid tatsächlich unrichtig war, so darf sich das Gericht im allgemeinen mit diesem Ergebnis begnügen, um hierauf die Überzeugung zu gründen, daß die Unrichtigkeit des alten Bescheides nicht "außer Zweifel" steht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn nach der Überzeugung des Gerichts die bestehenden Zweifel durch weitere Ermittelungen oder eine Beweiserhebung nicht vollständig ausgeräumt werden können. Die gegenteilige Auffassung verkennt den Zweck des Verwaltungsverfahrens zur Berichtigung von Bescheiden (§ 41 VerwVG) und die Bedeutung des im gerichtlichen Verfahren geltenden Untersuchungsgrundsatzes (§ 103 SGG). Die Befugnis der Verwaltungsbehörde, auf Grund des § 41 VerwVG die Verbindlichkeit einer früheren Entscheidung anzutasten, auf deren Fortbestand der Berechtigte bei gleichbleibenden Verhältnissen grundsätzlich vertrauen darf, muß sich, um die allgemeine Rechtssicherheit nicht zu erschüttern, in engen Grenzen halten (vgl. BSG. 1, 56 [60,61]). Die Ausnahmevorschrift des § 41 darf der Verwaltungsbehörde nicht als Handhabe dafür dienen, zweifelhafte Fragen, die für die Anerkennung eines Leistungsanspruchs bedeutsam gewesen sind, von neuem aufzurollen und mittelbar eine Tätigkeit des Gerichts in Gang zu setzen, damit dieses genötigt wird, die Anspruchsgrundlagen von Amts wegen zu erforschen.
Im vorliegenden Falle sind besondere Umstände, die etwa ausnahmsweise dem LSG. die Pflicht auferlegen, nach Anfechtung eines Berichtigungsbescheides Beweis zu erheben, weder dem angefochtenen Urteil noch der Revisionsbegründung zu entnehmen. Der Revisionskläger räumt selbst ein, daß von den entgegengesetzten Ansichten der ärztlichen Sachverständigen weder die eine noch die andere in sich widerspruchsvoll ist. Das LSG. hat in den Entscheidungsgründen zusätzlich Tatsachen angeführt, die für die Ansicht der Ärzte Dr. L... und Dr. K... sprechen. Es hat aber, wie die Begründung erkennen läßt, diese Hinweise nur gegeben, um darzulegen, daß die Unrichtigkeit der Beurteilung durch diese Ärzte und damit die zweifelsfreie Unrichtigkeit des Bescheides vom 27. Oktober 1949 " nicht zu erweisen ist ".
Da der Beklagte sonstige Verfahrensmängel oder eine Verletzung des Gesetzes bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhanges im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG nicht gerügt hat, ist seine Revision nicht statthaft. Sie mußte daher als unzulässig verworfen werden.
Der Beschluß ergeht gemäß § 169 SGG, die Kostenentscheidung in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen