Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Verfahrensfehler. materiellrechtliche Ausschlussfrist
Orientierungssatz
Macht der Kläger geltend, dass das Landessozialgericht rechtsirrtümlich angenommen habe, auf Grund der §§ 1546, 1547 RVO sei der Anspruch des Klägers verwirkt, betrifft diese Rüge nur die Anwendung des materielles Rechts, nicht des Verfahrensrechts. Selbst wenn das Landessozialgericht diese Vorschriften unrichtig angewandt hätte, läge deshalb kein Verfahrensmangel vor.
Normenkette
SGG § 162 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03; RVO §§ 1546-1547
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 15.06.1954) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 15. Juni 1954 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger hat durch seinen Prozeßbevollmächtigten, Rechtsanwalt Dr. ... am 14. Juli 1954 gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 15. Juni 1954 Revision eingelegt, diese begründet und den Antrag gestellt, die Sache zur erneuten Verhandlung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte hat beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt.
Entgegen der Auffassung der Beklagten sind Urteile der Landessozialgerichte in Rechtsstreitigkeiten, die nach § 215 Abs. 7 SGG von den allgemeinen Verwaltungsgerichten des ersten Rechtszuges als Berufungen auf die Landessozialgerichte übergegangen sind, nicht endgültig, wie der beschließende Senat bereits anderweitig entschieden hat (Beschl. v. 14.9.1955 - 5 RKn 5/54, in Sachen ... ./. Bergbauberufsgenossenschaft). Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn das Landessozialgericht gleichzeitig über einen nach § 214 Abs. 4 SGG als Berufung geltenden Rekurs und eine als Berufung nach § 215 Abs. 7 SGG übergegangene verwaltungsgerichtliche Klage entschieden hat (vgl. Urt. v. 13.10.1955 - 5 RKn 10/55 - in Sachen ... ./. Bergbauberufsgenossenschaft).
Allerdings ist die Revision im vorliegenden Fall nicht statthaft, weil die Voraussetzungen des § 162 Abs. 1 SGG nicht gegeben sind.
Das Landessozialgericht hat die Revision nicht zugelassen (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG).
Auch liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel nicht vor (Nr. 2 a.a.O.). Der Kläger rügt in erster Linie, daß das Landessozialgericht rechtsirrtümlich angenommen habe, auf Grund der §§ 1546, 1547 RVO sei der Anspruch des Klägers verwirkt. Da es sich bei den Fristen der §§ 1546, 1547 RVO um materiell-rechtliche Ausschlußfristen handelt (vgl. Entsch. d. RVA. v. 10.11.1920, EuM. 14 S. 24), betrifft diese Rüge nur die Anwendung des materiellen Rechts, nicht des Verfahrensrechts. Selbst wenn das Landessozialgericht diese Vorschriften unrichtig angewandt hätte, läge kein Verfahrensmangel vor.
Außerdem rügt der Kläger, daß es von der Beklagten arglistig sei, sich auf diese Ausschlußfristen zu berufen, vor allem, weil sie sich in dem früheren Stadium des Verfahrens nie darauf berufen habe. Dieser Mangel liegt jedoch nicht vor, weil die Beklagte bei der Geltendmachung dieser Ausschlußfristen weder von ihrem Ermessen einen sachwidrigen Gebrauch gemacht noch die Grenzen ihres Ermessens überschritten hat. Diese Ausschlußfristen haben den Zweck, die Berufsgenossenschaften vor unbegründeten Ansprüchen zu schützen. Das Reichsversicherungsamt hat die Berufsgenossenschaften darauf hingewiesen, daß sie diesen Einwand in Fällen, in denen der Anspruch selbst einwandfrei berechtigt ist oder in denen doch wenigstens eine Nachprüfung im Feststellungsverfahren geboten erscheint, nicht erheben sollen (RdE. v. 28.9.1928, AN. 1928, S. IV 330). Die Nachprüfung ergibt, daß die Beklagte diese Richtlinien beachtet hat. Sie brauchte den Anspruch des Klägers durchaus nicht als einwandfrei berechtigt anzusehen. Wenn sie trotzdem eine Nachprüfung des Anspruchs vorgenommen hat, ist sie ihrer Verpflichtung in vollem Umfange nachgekommen. Nachdem das Verfahren keine einwandfreie Klärung des materiellen Anspruchs zugunsten des Klägers herbeigeführt hatte, durfte sie daher berechtigterweise von dem ihr zustehenden Recht Gebrauch machen. Es bestehen auch keine Bedenken, daß sie ihr Recht erst im Berufungsverfahren geltend gemacht hat (vgl. dazu Entsch. d. RVA., EuM. 09, S. 438). Da die Voraussetzungen der Nr. 2 nur erfüllt sind, wenn der gerügte Mangel auch tatsächlich vorliegt (vgl. Urt. des 8. Senats v. 14.7.1955 - 8 RV 177/54), kann auch diese Rüge nicht zum Erfolg führen.
Nr. a.a.O. bleibt hier schon deshalb außer Betracht, weil das Landessozialgericht die Frage, ob die Leiden des Klägers in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Unfall stehen, dahingestellt gelassen hat, also insoweit überhaupt keine Feststellung zuungunsten des Klägers getroffen worden ist.
Da die Revision somit unstatthaft ist, mußte sie nach § 169 Satz 2 SGG als unzulässig verworfen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen