Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, ob das Berufungsgericht auf die Stellung eines Beweisantrages hinzuwirken hat, der nach SGG § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 Voraussetzung für die Zulassung der Revision wegen Verletzung der Amtsermittlungspflicht ist.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2 Fassung: 1974-07-30, § 160a Abs. 1 S. 1 Fassung: 1974-07-30, § 103 Fassung: 1974-07-30, § 106 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 112 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20. Februar 1975 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die zulässige Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg, denn die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Die Klägerin hat nicht geltend gemacht, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung oder das Landessozialgericht (LSG) sei in dem angefochtenen Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abgewichen. Sie hat ihre Beschwerde vielmehr gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG darauf gestützt, das Berufungsverfahren leide an verschiedenen Mängeln. Die erhobenen Rügen sind jedoch nicht begründet.

1. Zwar ist das LSG dem von der Klägerin in der letzten mündlichen Verhandlung gestellten Antrag nicht gefolgt, eine Auskunft der Bundesanstalt für Arbeit (BA) zur Frage des Teilzeitarbeitsmarkts für weibliche Arbeitnehmer einzuholen. Das LSG hat die Ablehnung dieses Antrags aber hinreichend begründet. Da es aufgrund der nach § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG nicht nachprüfbaren Beweiswürdigung die Klägerin für fähig gehalten hat, verschiedene Arbeiten vollschichtig zu verrichten, hat es die mit dem Antrag der Klägerin unter Beweis gestellte Frage, ob der Klägerin auch ein entsprechender Teilzeitarbeitsmarkt zur Verfügung stehen würde, mit Recht für rechtsunerheblich gehalten.

2. Das LSG hat die Klägerin nicht darauf hinweisen müssen, daß es - abweichend vom Sozialgericht (SG) - die Klägerin noch für fähig hält, verschiedene Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten. Die Klägerin mußte mit der Möglichkeit rechnen, daß das LSG die Frage prüfen und entscheiden würde, ob sie noch vollschichtig tätig sein kann. Die in der ersten Instanz eingeholten Gutachten und das Urteil des SG waren keine Garantie dafür, daß das LSG die Frage der Fähigkeit zur Verrichtung einer vollschichtigen Tätigkeit ungeprüft lassen würde. Es war auch für die Klägerin erkennbar, daß die früheren Gutachten und der Vortrag der Beklagten in der Berufungsschrift zur Prüfung dieser Frage Anlaß gaben.

3. Das LSG brauchte - entgegen der Ansicht der Klägerin - nicht darzutun, woher es die Sachkunde für die Beurteilung hat, welches der vorliegenden medizinischen Gutachten den Vorzug verdient. Die Beweiswürdigung ist ein wesentlicher Teil der Rechtsfindung in der Tatsacheninstanz. Es ist daher stets Aufgabe der Tatsachengerichte, die Überzeugungskraft vorliegender Beweismittel zu prüfen. Dazu gehört auch die Abwägung voneinander abweichender medizinischer Gutachten. Bei dieser Abwägung und der darauf resultierenden Überzeugungsbildung geht es weniger um die Anwendung medizinischer als richterlicher Sachkunde. Aufgabe der Tatsachengerichte ist es, zu prüfen und darzulegen, aus welchen Gründen dem medizinisch nicht sachkundigen Richter das eine Gutachten überzeugender erscheint als das andere. Wenn es sich dabei um die Verwertung medizinischer Sachkunde handelte, müßten die Tatsachengerichte, die keine eigene medizinische Sachkunde haben, zur Würdigung voneinander abweichender Gutachten wiederum einen Sachverständigen herbeiziehen, so daß die Beweiswürdigung entgegen dem § 128 SGG vom Gericht auf den Sachverständigen verlagert würde, was aber nicht richtig sein kann.

4. Das LSG hat weder den § 106 Abs. 1 noch den § 112 Abs. 2 SGG verletzt, wenn es nicht darauf hingewirkt hat, daß die Klägerin einen Beweisantrag zu der Frage gestellt hat, ob ihr gesundheitlich nur noch Teilzeitarbeiten möglich seien. Da die Tatsachengerichte nach § 103 SGG den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln haben, können Beweisanträge nur die Bedeutung einer Beweisanregung haben. Hält das Tatsachengericht eine Beweiserhebung für notwendig, so hat es nicht einen entsprechenden Beweisantrag herbeizuführen, sondern den Beweis auch ohne Antrag zu erheben. Der Beweisantrag hat im sozialgerichtlichen Verfahren deshalb grundsätzlich nur Bedeutung im Rahmen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG. Danach kann die Verletzung der Amtsermittlungspflicht nur dann zur Zulassung der Revision führen, wenn das LSG einem gestellten Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ist aber ein Beweisantrag nicht gestellt worden, so kann nicht über den Umweg des § 106 Abs. 1 und § 112 Abs. 2 SGG ein nicht gestellter Beweisantrag zur Zulassung der Revision führen. Wollte man eine andere Ansicht vertreten, so würde das zu dem nicht dem Zweck des Gesetzes entsprechenden Ergebnis führen, daß das Tatsachengericht auf einen Beweisantrag, dem es nicht zu folgen braucht, nur deshalb hinwirken muß, damit der betreffende Beteiligte seine Nichtzulassungsbeschwerde darauf stützen kann. Nach der im Rahmen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG nicht nachprüfbaren Beweiswürdigung des LSG brauchte das Berufungsgericht im übrigen im vorliegenden Fall sich daher weder gedrängt zu fühlen, weitere Beweise zu erheben, noch auf Beweisanträge hinzuwirken.

5. Soweit die Klägerin die Beweiswürdigung des LSG angreift, muß ihr entgegengehalten werden, daß eine Verletzung des § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG nicht rechtfertigen kann (vgl. Beschluß des erkennenden Senats vom 18. September 1975 - 5 BJ 28/75 -).

6. Das LSG hat auch nicht den § 136 Nr. 6 SGG verletzt. Es mag dahingestellt bleiben, ob diese Vorschrift dann verletzt ist, wenn ein Beweismittel in der Urteilsbegründung überhaupt nicht gewürdigt wird. Das Berufungsurteil hat jedoch - entgegen der Ansicht der Klägerin - das fachinternistische Gutachten des Dr. W vom 2. Mai 1975 nicht unberücksichtigt gelassen. Zwar hat das LSG bei der Beweiswürdigung weder den Namen des Gutachters noch das Datum des Gutachtens ausdrücklich erwähnt. Es hat jedoch die von dem Sachverständigen erhobenen Befunde ausdrücklich hervorgehoben und gewürdigt (vgl. S. 5, letzter Absatz).

Der Senat hat die danach unbegründete Beschwerde der Klägerin zurückgewiesen. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1646808

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