Leitsatz (amtlich)

1. Der Revisionsantrag muß innerhalb der Revisionsfrist von einem Monat nach Zustellung des angefochtenen Urteils gestellt werden.

2. In der Erklärung, daß gegen ein näher bezeichnetes Urteil Revision eingelegt werde, kann nicht gleichzeitig ein Revisionsantrag erblickt werden.

3. Falls gesetzlich für eine Willenserklärung die Schriftform vorgeschrieben ist, müssen alle wesentliche Merkmale in der Urkunde zum Ausdruck gekommen sein; die Ergänzung eines in der Urkunde nicht zum Ausdruck gekommenen wesentlichen Merkmals durch Hinzuziehung außerhalb der Erklärung liegender Umstände ist nicht statthaft.

 

Normenkette

SGG § 164 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1953-09-03; BGB § 133 Fassung: 1896-08-18, § 126 Fassung: 1896-08-18

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des ... Landessozialgerichts in ... vom 18. Mai 1954 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beklagte hat gegen das ihr am 14. Juli 1954 zugestellte Urteil des ... Landessozialgerichts vom 18. Mai 1954 am 22. Juli 1954 Revision eingelegt. Die Revisionsschrift enthält ... außer der Revisionseinlegung nur die Bezeichnung des angefochtenen Urteils, jedoch keinen Revisionsantrag. Die Frist zur Begründung der Revision wurde auf Antrag der Beklagten bis zum 14. Oktober verlängert. Die Revisionsbegründung, die auch einen Revisionsantrag enthält, ging am 13. Oktober 1954 bei dem erkennenden Gericht ein.

Die Revision mußte nach § 169 Satz 2 SGG als unzulässig verworfen werden, weil die Beklagte innerhalb der Revisionsfrist von einem Monat nach Zustellung des Urteils keinen Revisionsantrag gestellt und somit gegen die Bestimmung des § 164 Abs. 2 Satz 1 SGG verstoßen hat. Zwar heißt es in § 164 Abs. 2 Satz 1: "Die Revision muß ... enthalten" und es könnte die Ansicht vertreten werden, daß hier unter "Revision" das gesamte Rechtsmittel einschließlich der Begründung zu verstehen sei, so daß es ausreiche, wenn der Antrag innerhalb der Begründungsfrist gestellt werde. Diese Auffassung steht aber nicht mit dem Gesetz in Einklang. Das Wort "Revision" im Abs. 2 Satz 1 bedeutet "Revisionsschrift"; denn nur diese kann die geforderten Angaben enthalten, während die "Revision" lediglich ein Rechtsmittel, also ein prozessualer Begriff, ist (vgl. dazu den insoweit klareren Wortlaut des § 553 Abs. 1 ZPO). Würde man die Vorschrift anders auslegen, würde dies zudem bedeuten, daß auch die Bezeichnung des angefochtenen Urteils erst in der Revisionsbegründung angegeben zu werden brauchte; dies aber würde mit einem geordneten Gerichtsverfahren nicht vereinbar sein.

Es war allerdings zu prüfen, ob nicht in der Erklärung, daß "Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts vom 18. Mai 1954 eingelegt werde", neben der Revisionseinlegung gleichzeitig auch ein Revisionsantrag erblickt werden könnte; denn eines förmlichen Antrags bedarf es nicht, es genügt vielmehr, wenn aus den insgesamt in der Revisionsfrist abgegebenen schriftlichen Erklärungen des Revisionsklägers klar erkennbar ist, welchen Antrag er stellen will. Der erkennende Senat glaubte jedoch, daß dies hier nicht möglich ist; denn § 164 SGG verlangt ausdrücklich neben der Erklärung, daß Revision eingelegt werde, auch noch die Bezeichnung des angefochtenen Urteils und die Stellung eines Revisionsantrages. Es ist derselbe Grundsatz, der in der Zivilprozeßordnung deutlicher zum Ausdruck gekommen ist. § 553 Abs. 1 Ziff. 1 verlangt: "die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Revision gerichtet wird", Ziff. 2: "die Erklärung, daß gegen dieses Urteil die Revision eingelegt wird" und § 554 Abs. III Ziff. 1: "die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten und dessen Aufhebung beantragt wird (Revisionsanträge)". Die Erklärung über den "Umfang der Anfechtung" enthält andere Merkmale als die Erklärung, daß "das Urteil angefochten wird". Das Gesetz bestätigt dies, da es jede dieser drei Erklärungen nebeneinander stellt. Es ist daher nicht möglich, in einer dieser drei Erklärungen gleichzeitig auch schon eine der anderen Erklärungen zu erblicken.

Allerdings sind auch prozessuale Erklärungen nach denselben Grundsätzen auszulegen, die für bürgerlich-rechtliche Willenserklärungen gelten. Danach könnte die Revisionseinlegung dann gleichzeitig als ausreichender Revisionsantrag angesehen werden, wenn sonstige, außerhalb der Erklärung liegende Umstände hinzutreten, die es dem Gericht ermöglichen, im Wege der Auslegung festzustellen, welcher Revisionsantrag gestellt werden soll (vgl. § 133 BGB). In Betracht zu ziehen wären vor allem der Wortlaut des angefochtenen Urteils und der sonstige Prozeßstoff, insbesondere die Schriftsätze einschließlich der Anträge der Revisionsklägerin in der Vorinstanz. Sicherlich würde diese Auslegung nur dann zum Ziele führen können, wenn nach Hinzuziehung dieser Umstände nur ein einziger Revisionsantrag möglich wäre; denn andernfalls wäre der Antrag nicht eindeutig und könnte somit nicht Grundlage einer Entscheidung sein. (Vgl. auch § 164 Abs. 2 SGG, der einen "bestimmten" Antrag verlangt.) Das Bundesverwaltungsgericht, das einen im wesentlichen gleichlautenden Gesetzeswortlaut auszulegen hatte, hat in seiner Entscheidung vom 8. November 1954 (Beschluß des Großen Senats; EBVG Bd. 1 Heft 2/3 Nr. 77) diesen Weg der Auslegung in einem vergleichbaren Falle beschritten. Der erkennende Senat glaubt jedoch, daß diese Art der Auslegung in Fällen vorliegender Art nicht möglich ist. Es darf nicht übersehen werden, daß die nach § 164 SGG erforderlichen Erklärungen formgebunden sind, da sie wirksam nur "schriftlich beim Bundessozialgericht" abgegeben werden können, also einer Unterschrift bedürfen (§ 126 Abs. 1 BGB). Sicherlich können auch zur Auslegung formbedürftiger Erklärungen außerhalb der Erklärung liegende Umstände, also der Prozeßstoff und das Urteil der Vorinstanz, herangezogen werden. Aber dieser Auslegungsregel ist hier im Gegensatz zu nichtformbedürftigen Erklärungen insofern eine Grenze gesetzt, als das Formerfordernis nicht verletzt werden darf. Dies aber wäre der Fall, wenn man auf dem Umweg über die Auslegung wesentliche Merkmale auch ohne Beachtung der Schriftform als wirksam erklärt anerkennen würde. Das Reichsgericht hat in ständiger Rechtsprechung den Grundsatz entwickelt, daß die wesentlichen Merkmale in der Urkunde einen wenn auch noch so unvollkommenen Ausdruck gefunden haben müssen und eine Ergänzung der Urkunde hinsichtlich wesentlicher Merkmale nicht möglich ist (Bd. 57, 260; 59, 219; 62, 175 u. 382; 67, 214; 71, 115; 76, 306; 80, 401; 136, 422; 109, 338; 145, 272). Der erkennende Senat sah keine Veranlassung, von diesem Grundsatz abzuweichen.

Beide Erklärungen, die Revisionseinlegung und der Revisionsantrag, enthalten, wie schon dargelegt, voneinander abweichende Elemente; es kann aber auch nicht zweifelhaft sein, daß der Revisionsantrag ein wesentlicher Teil der insgesamt erforderlichen Erklärungen ist, was sich schon daraus ergibt, daß das Revisionsgericht ohne seine Kenntnis nicht entscheiden könnte. Auch der Gesetzgeber hat dadurch, daß er beide Erklärungen ausdrücklich nebeneinander stellt, zu erkennen gegeben, daß er den Revisionsantrag als wesentlich neben der Revisionseinlegung ansieht. Dies bedeutet, daß der Wille über den Umfang der Anfechtung einen - wenn auch noch so unvollkommenen - Ausdruck in der schriftlichen Erklärung gefunden haben müßte, wenn man auch außerhalb dieser Erklärung liegende Umstände zur Auslegung mitheranziehen wollte. Dies aber ist hier nicht der Fall. In der bloßen Revisionseinlegung allein ist nichts über den Umfang der Urteilsanfechtung enthalten. Der Umfang der Anfechtung hat also überhaupt keinen Ausdruck in der abgegebenen Erklärung der Revisionseinlegung gefunden. Eine Hinzuziehung außerhalb der Erklärung liegender Umstände ist hier also nicht möglich. Vielmehr würde dies eine unstatthafte Ergänzung eines vollständig fehlenden wesentlichen Teils der Gesamterklärung sein, würde also das Erfordernis der gesetzlich vorgeschriebenen Schriftform verletzen. Die von der Revisionsklägerin in den Vorinstanzen eingereichten Schriftsätze einschließlich der Anträge können, trotzdem sie von der Revisionsklägerin schriftlich abgegeben sind - nicht anders als der Text des angefochtenen Urteils - nur als außerhalb der in § 164 SGG geforderten Erklärungen liegende Umstände gewertet werden, da sie nicht dem Revisionsgericht gegenüber abgegeben sind, wie es zwingend vorgeschrieben ist.

Der erkennende Senat ist daher der Auffassung, daß das angefochtene Urteil und der sonstige Prozeßstoff hier nicht zur Auslegung herangezogen werden können. In der bloßen Erklärung, daß Revision eingelegt werde, kann nicht gleichzeitig der Revisionsantrag erblickt werden.

Somit war der Revisionsantrag nicht in der vorgeschriebenen Frist gestellt.

Es war daher, wie geschehen, zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324246

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