Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorausgegangenes Verwaltungsverfahren iS des § 60 Abs 2 SGG. Ausschluß. ehrenamtlicher Richter
Orientierungssatz
1. Als vorausgegangenes Verwaltungsverfahren iS des § 60 Abs 2 SGG ist nur dasjenige anzusehen, in dem die angefochtene Entscheidung ergangen ist.
2. Als zum Ausschluß führende Tätigkeit eines ehrenamtlichen Richters reicht zwar schon das Sichten und Sammeln des Streitstoffs oder eine nur beratende Tätigkeit aus, sie muß aber im Rahmen des Verfahrens stattgefunden haben, in dem die angefochtene Verwaltungsentscheidung ergangen ist.
Normenkette
SGG § 60 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger sind als Vertragszahnärzte zugelassen, mit der Praxisanschrift H, O Im O befindet sich ein Wohnstift, in dem mehrere hundert ältere Menschen leben und ein Allgemeinarzt seine Praxis hat. In dem räumlichen Bereich dieser Praxis installierten die Kläger zahnärztliche Behandlungseinrichtungen und teilten dies den Bewohnern des Wohnstiftes unter Angabe allgemeiner Sprechzeiten (dienstags und donnerstags 9 bis 12 Uhr) mit. Ab Juni 1997 führten sie dort Behandlungen durch. Auf Intervention der Beklagten zogen die Kläger die Angabe allgemeiner Sprechzeiten zurück. Nunmehr äußerten die an Zahnbehandlungen interessierten Altenstifts-Bewohner ihre Behandlungswünsche gegenüber dem Allgemeinarzt, und die von diesem informierten Kläger setzten die Behandlungstermine individuell fest. Im August 1997 forderte die Beklagte sie - unter gleichzeitiger Ablehnung der Genehmigung einer Zweigpraxis - auf, den Betrieb der Zweigpraxis zu beenden und ihre dortige Tätigkeit auf gelegentliche Besuchsbehandlungen zu reduzieren. Sie wies ihren Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, ein Bedarf nach Versorgung durch eine Zweigpraxis iS des § 6 Abs 6 Satz 2 Bundesmantelvertrag-Zahnärzte bestehe nicht, zumal der Planungsbereich überversorgt und für Neuzulassungen gesperrt sei.
Die Kläger haben nach erfolgloser Klage beim Sozialgericht das Landessozialgericht (LSG) angerufen. In der mündlichen Verhandlung des LSG hat die Beklagte geltend gemacht, Dr. R. dürfe nicht als ehrenamtlicher Richter mitwirken, weil er schon im Disziplinarverfahren gegen die Kläger tätig gewesen sei. Das LSG hat den Bescheid der Beklagten aufgehoben, soweit den Klägern aufgegeben wurde, den Betrieb der Zweigpraxis zu beenden und ihre Tätigkeit im Wohnstift zu reduzieren. Zugleich hat es die Anschlußberufung der Beklagten zurückgewiesen, die die Feststellung begehrt hatte, daß den Klägern kein Honorar für die in den Praxisräumen im Wohnstift erbrachten vertragszahnärztlichen Leistungen zustehe (Urteil vom 29. November 2000). In der Urteilsbegründung hat das LSG zunächst dargelegt, es habe unter Mitwirkung des R. entscheiden können, da dessen Tätigkeit im Disziplinarverfahren keine Mitwirkung in einem dem Rechtsstreit vorausgegangenen Verwaltungsverfahren darstelle. Weiter hat es ausgeführt, die Forderungen, den Betrieb der Zweigpraxis zu beenden und die dortige Tätigkeit zu reduzieren, seien nicht ausreichend bestimmt. Der Tatbestand einer Zweigpraxis habe zudem gar nicht vorgelegen, weil die Kläger ihr Behandlungsangebot auf die Heimbewohner beschränkt hätten. Zudem fehle die erforderliche Ermächtigungsgrundlage für die Beklagte, eigenständige Verbotsverfügungen zu erlassen. Falls aber eine solche doch angenommen werden könne, ermangele es ausreichender Ermessensdarlegungen. Hinsichtlich der von der Beklagten begehrten Feststellung, daß den Klägern kein Honorar für die in den Praxisräumen im Wohnstift erbrachten vertragszahnärztlichen Leistungen zustehe, fehle es - auch angesichts der Schwierigkeiten der Abgrenzung des Betreibens einer sog Zweigpraxis und gelegentlichen Besuchsbehandlungen - an einem der Feststellung zugänglichen konkreten Rechtsverhältnis sowie am Feststellungsinteresse.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht die Beklagte Verfahrensmängel, die Abweichung von anderer höchstrichterlicher Rechtsprechung und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von der Beklagten erhobenen Verfahrensrügen (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ ) sind unbegründet; die von ihr erhobenen Divergenz- und Grundsatzrügen (Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG) sind mangels Darlegungen entsprechend den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen unzulässig.
Die Verfahrensrüge fehlerhafter Gerichtsbesetzung (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) ist unbegründet. Die Ansicht, Dr. R. hätte wegen seiner Tätigkeit im Disziplinarverfahren nicht am Berufungsurteil mitwirken dürfen, trifft nicht zu. Als vorausgegangenes Verwaltungsverfahren iS des § 60 Abs 2 SGG ist nur dasjenige anzusehen, in dem die angefochtene Entscheidung ergangen ist (Rspr-Nachweise bei Danckwerts in Hennig, SGG, § 60 RdNr 3, und Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl 1998, § 60 RdNr 5). Als zum Ausschluß führende Tätigkeit reicht zwar schon das Sichten und Sammeln des Streitstoffs oder eine nur beratende Tätigkeit aus, sie muß aber - dies verkennt die Beklagte - im Rahmen des Verfahrens stattgefunden haben, in dem die angefochtene Verwaltungsentscheidung ergangen ist (vgl Meyer-Ladewig aaO). Unbegründet ist auch die Verfahrensrüge, das Berufungsurteil sei nicht mit Gründen versehen (§ 202 SGG iVm § 551 Nr 7 Zivilprozeßordnung). Die Beklagte macht insoweit geltend, daß Inhalt des Bescheides auch die Ablehnung der Genehmigung der Zweigpraxis gewesen sei, das Berufungsurteil hierauf aber nicht eingehe. Eine bloße Teilanfechtung nur der Verbotsverfügungen könne lediglich dann angenommen werden, wenn der Bescheid insoweit teilbar sei. Zur Teilbarkeit enthalte das Berufungsurteil aber keine Ausführungen, so daß es insoweit nicht mit Gründen versehen sei. Dieses Vorbringen greift nicht durch. Die Teilbarkeit von einerseits Genehmigungsablehnung und andererseits Verbotsverfügung ist offensichtlich. Dazu waren Ausführungen im Urteil nicht erforderlich. Angesichts der zum Streitgegenstand gegebenen umfänglichen Begründung im Berufungsurteil kann keine Rede davon sein, dieses sei nicht mit Gründen versehen.
Die Rüge der Beklagten, es liege eine Rechtsprechungsabweichung vor (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG), ist unzulässig. Insoweit genügt die Beschwerdebegründung nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des Zulassungsgrundes. Sie enthält nicht die notwendige Gegenüberstellung miteinander unvereinbarer Rechtssätze einerseits im Berufungsurteil und andererseits in einer höchstrichterlichen Entscheidung im Sinne des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG. Es wird nicht dargelegt, das LSG habe das Bestehen einer Zweigpraxis abweichend vom Bundessozialgericht (BSG) definiert oder den Rechtssatz aufgestellt, eine Zweigpraxis dürfe ohne Genehmigung betrieben werden, während das BSG das Betreiben einer Zweigpraxis für genehmigungsbedürftig erklärt habe, wobei der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen ein Beurteilungsspielraum zukomme (vgl hierzu BSGE 77, 188, 191 ff = SozR 3-2500 § 75 Nr 7 S 29 ff). Die Beklagte macht vielmehr lediglich geltend, das LSG gehe "stillschweigend" davon aus, die Kläger dürften ohne Genehmigung Zweigsprechstunden abhalten, und wende insofern die Vorgaben des BSG nicht zutreffend an (sog Subsumtionsrüge). Auch soweit sich die Beklagte gegen die Ausführungen des LSG wendet, die Kläger betrieben schon deshalb keine Zweigpraxis, weil sie ihr dortiges Angebot nur an die Heimbewohner und nicht an einen unbestimmten Personenkreis richteten, fehlt es an der Gegenüberstellung miteinander unvereinbarer Rechtssätze einerseits des LSG und andererseits des BSG, wie dies für eine zulässige Divergenzrüge iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG iVm § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderlich wäre. Im übrigen müßte dann, wenn wie hier einem Berufungsurteil mehrere selbständige Begründungen zugrunde liegen, gegen jede von ihnen ein Zulassungsgrund geltend gemacht und formgerecht gerügt werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 38; Senatsbeschlüsse vom 31. Januar 2001 - B 6 KA 54/00 B - und vom 16. Mai 2001 - B 6 KA 80/00 B -).
Unzulässig ist auch die Rüge der Beklagten, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Für die Zulässigkeit ist die grundsätzliche Bedeutung gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG in der Beschwerdebegründung "darzulegen", dh eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung zu bezeichnen und auszuführen, inwiefern diese Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist. Falls schon Rechtsprechung des Revisionsgerichts vorliegt, ist darzulegen, woraus sich ihre erneute Klärungsbedürftigkeit ergibt, indem zB neue Argumente angeführt werden oder auf erhebliche Einwände im neueren Schrifttum hingewiesen und diese dargestellt werden (vgl zusammenfassend Senatsbeschluß vom 16. Mai 2001 - B 6 KA 72/00 B -; s auch BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung schon insoweit nicht, als die Beklagte die Frage nach der Definition des Vertrags(zahn)arztsitzes aufwirft. Diese Frage hat der Senat bereits in dem Sinne entschieden, daß der Begriff Vertrags(zahn)arztsitz die Praxisanschrift des Vertrags(zahn)arztes bedeutet (BSGE 86, 121, 122 f = SozR 3-5520 § 24 Nr 4 S 15 f). Darlegungen, daß nach diesem Urteil die Frage erneut klärungsbedürftig geworden sei, enthält die Beschwerdebegründung nicht. Unzulässig ist die Grundsatzrüge auch hinsichtlich der Frage, ob es für die Beklagte eine Ermächtigungsgrundlage gebe, eigenständige Verbotsverfügungen zu erlassen. Dies wird im Berufungsurteil verneint, aber zusätzlich ein weiterer, selbständiger rechtlicher Gesichtspunkt angeführt, nämlich, daß die Verfügungen auch bei Annahme einer Verbotsermächtigung rechtswidrig seien, da ausreichende Ermessensdarlegungen fehlten. Diesem zweiten selbständigen Begründungsteil ist die Beklagte nicht mit Revisionszulassungsgründen entgegengetreten. Wenn wie hier einem Berufungsurteil mehrere selbständige Begründungen zugrunde liegen, muß aber gegen jede von ihnen ein Zulassungsgrund geltend gemacht und formgerecht gerügt werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 38; Senatsbeschlüsse vom 31. Januar 2001 - B 6 KA 54/00 B - und vom 16. Mai 2001 - B 6 KA 80/00 B -).
Nach alledem hat die Nichtzulassungsbeschwerde keinen Erfolg und ist mit der Kostenfolge entsprechend § 193 Abs 1 SGG zurückzuweisen.
Fundstellen