Verfahrensgang

LSG Bremen (Urteil vom 04.03.1993; Aktenzeichen L 5 Ar 12/91)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 4. März 1993 – L 5 Ar 12/91 – Prozeßkostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beschwerde betrifft einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab 1. September 1983.

Der 1960 geborene Kläger bezieht seit März 1979 mit Unterbrechungen Leistungen wegen Arbeitslosigkeit. Mit Bescheid vom 20. März 1985 stellte die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) den Eintritt einer Sperrzeit vom 5. August bis 29. September 1982 sowie das Erlöschen des Leistungsanspruchs nach § 119 Abs 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) fest. Diesen Bescheid nahm sie am 22. September 1988 vor dem Landessozialgericht (LSG) – L 5 Ar 8/87 – zurück. Mit Bescheid vom 7. November 1988 bewilligte die BA dem Kläger Alhi für die Zeit vom 4. August 1982 bis 31. März 1983 und mit Bescheid vom 10. August 1989 für die Zeit vom 1. April bis 31. August 1983. Mit weiterem Bescheid vom 10. August 1989 hob die BA die Bewilligung der Alhi ab 1. September 1983 auf. Diesen Bescheid hat das LSG im Hinblick auf die Begrenzung der Alhi-Bewilligung bis 31. August 1983 als Ablehnung der Bewilligung von Alhi für die Zeit ab 1. September 1983 behandelt. Die auf die Bewilligung von Alhi ab diesem Zeitpunkt gerichtete Klage hat das LSG abgewiesen, weil der Kläger für die Arbeitsvermittlung nicht erreichbar gewesen sei. Er habe Wohnungswechsel dem Arbeitsamt nicht mitgeteilt, so daß er Anfang September 1983 unter der dem Arbeitsamt letztgenannten Anschrift nicht mehr habe erreicht werden können. Zu dieser Überzeugung ist das LSG aufgrund des Inhalts der Leistungsakten der BA und der B/Ank sowie der Vernehmung von Bediensteten des Arbeitsamts gekommen. Die in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 4. März 1993 erstmals gestellten Anträge auf Feststellung, daß die BA verpflichtet sei, dem Kläger Arbeitsberatung und Arbeitsvermittlung zu gewähren, sowie auf Verpflichtung der BA, über den Antrag des Klägers auf Förderung seiner Umschulung zum Logopäden zu entscheiden, hat das LSG als unzulässig abgewiesen, weil diese Klageänderungen nicht sachdienlich seien. Außerdem hat es ausgeführt, ein Feststellungsinteresse des Klägers sei nicht dargelegt und hinsichtlich des Förderungsantrages fehle es an der Durchführung des Vorverfahrens als Klagevoraussetzung (Urteil vom 4. März 1993).

Mit der Beschwerde macht der Kläger die Zulassungsgründe des Verfahrensmangels und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache geltend. Zur Darstellung der Darlegung bzw Bezeichnung der Zulassungsgründe im einzelnen wird auf die Beschwerdebegründung vom 7. Juni 1993 Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

II

Dem Kläger steht Prozeßkostenhilfe nicht zu; die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg (§§ 73a Abs 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫, 114 Satz 1 Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫). Die Beschwerde hat keinen Erfolg, denn der Kläger hat die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in der gesetzlich geforderten Form dargelegt bzw bezeichnet.

Die Revision ist nach der abschließenden Regelung des § 160 Abs 2 SGG ua nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG muß in der Begründung der Beschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden. Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

1. Bezeichnet im Sinne dieser Vorschrift wird ein Verfahrensmangel nur, wenn der Beschwerdeführer die den Verfahrensmangel begründenden Tatsachen schlüssig und substantiiert vorträgt (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 12, 14).

Dazu genügt nicht die Behauptung, das LSG verstoße mit seiner Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch auf Alhi ab 1. September 1983 gegen die „Rechtskraftwirkung des Anerkenntnisses vom 22. September 1988”. Insoweit rügt der Kläger die Sachentscheidung des LSG, nicht aber das Verfahren, das das LSG auf dem Weg zum Urteil eingeschlagen hat. Im übrigen läßt sich den Ausführungen nicht entnehmen, inwiefern die Aufhebung des Sperrzeit- und Entziehungsbescheides vom 20. März 1985 Rechtskraftwirkung für die Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen ab 1. September 1983 entfalten könnte.

Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG) und der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) hat der Kläger nicht hinreichend bezeichnet. Zwar hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 4. März 1993 die Tatsache in das Wissen eines Zeugen gestellt, er sei nicht am 1. September, sondern am 1. Oktober 1983 von der H. … Straße in die T. … straße verzogen. Der Beweisantrag enthält aber nicht die ladungsfähige Anschrift des Zeugen. Deren Angabe hätte das LSG erst in die Lage versetzt, dem Antrag des Klägers zu entsprechen. Unabhängig davon genügt die Beschwerdebegründung nicht schon damit den gesetzlichen Anforderungen, daß eine aus der Sicht des LSG rechtserhebliche Tatsache behauptet wird. Nach ständiger Rechtsprechung muß die Beschwerdebegründung auch substantiiert dartun, inwiefern die beantragte Beweiserhebung das LSG zu einer abweichenden Entscheidung veranläßt hätte. Nur unter dieser Voraussetzung ist dargelegt, daß das angefochtene Urteil auf der unterlassenen Beweisaufnahme beruht (BSGE 41, 229, 236 = SozR 4100 § 101 Nr 1; SozR 1500 § 160a Nr 24; BSG Beschlüsse vom 29. November 1988 – 7 BAr 52/87 – und 7. Juli 1989 – 7 BAr 52/89 –; BVerwG VerwRspr 31 ≪1980≫, 364 f; BVerwG InfAuslR 1992, 305, 307; BFHE 115, 185, 194 f). Da ein Ereignis Gegenstand des Beweisantrags ist, das annähernd zehn Jahre zurückliegt, hätte die Beschwerdebegründung auch die Umstände aufzeigen müssen, die erwarten lassen, daß der Zeuge die in sein Wissen gestellten entscheidungserheblichen Tatsachen glaubhaft bekunden kann. Andernfalls ist nicht gewährleistet, daß der Beweisantrag konstruktiv der Sachaufklärung dient. Die Beschwerdebegründung enthält aber keine Angaben darüber, worauf der Zeuge seine Kenntnis des Umzugszeitpunkts stützt und inwiefern er sich auf ein weit zurückliegendes Ereignis soll erinnern können. Erst konkrete Umstände, die Kenntnisnahme und Erinnerungsvermögen erläutern, lassen ein Beweisergebnis erwarten, das das LSG zu einer abweichenden Entscheidung hätte veranlassen können. Auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist damit nicht schlüssig dargelegt.

Dies gilt auch für die Verfahrensrüge, das LSG habe durch Parteivernehmung des Klägers den Eingang der roten Meldekarten beim Arbeitsamt aufklären müssen. Die Parteivernehmung ist ein im sozialgerichtlichen Verfahren nicht zulässiges Beweismittel (§ 118 Abs 1 SGG).

Einen Verfahrensmangel hat der Kläger auch insoweit nicht schlüssig bezeichnet,

als das LSG Beweisangeboten über die Kenntnis Dritter von der zutreffenden Anschrift des Klägers und Dienststellen der BA (Zentralamt; Arbeitsamt Hildesheim) nicht nachgegangen ist. Für den Umfang der Sachaufklärungspflicht der Tatsachengerichte ist ihre Rechtsauffassung zum materiellen Recht maßgebend. Das LSG hat die Verfügbarkeit des Klägers ab 1. September 1983 verneint, weil er seine jeweils geltende Adresse während der maßgeblichen Zeiten nicht bekanntgegeben hat. Es hat auf die Verletzung der Mitteilungspflicht des Klägers entscheidend abgestellt. Aus diesem Grunde ist es für die Entscheidung unerheblich, ob Dritte und durch deren Vermittlung Dienststellen der BA Kenntnis von der Anschrift des Klägers erhalten haben. Entscheidend für das LSG war, daß die Arbeitsvermittlung „ab 1. September 1983 über weite Zeitstrecken hinweg keine Kenntnis von der jeweils zutreffenden Adresse des Klägers gehabt” hat.

Ein Verfahrensverstoß des LSG ist auch nicht damit bezeichnet, daß es dem Beweisangebot nicht gefolgt ist, durch Sachverständigengutachten zu beweisen, daß auf der ersten Seite der B/Ank Anfang Oktober die Anschrift H. … Straße … und später die Anschrift T. … straße eingetragen und später ausradiert worden sei. Bei der Eigenart dieses Beweisangebotes hätte der Kläger näher darlegen müssen, daß es sich insbesondere hinsichtlich des Eintragungszeitpunkts um eine dem Sachverständigenbeweis zugängliche Tatsache handelt.

Soweit der Kläger als Verfahrensmangel geltend macht, daß das LSG über die im Berufungsverfahren gestellten weiteren Klageanträge nicht sachlich entschieden habe, fehlen der Beschwerdebegründung Ausführungen darüber, daß die Entscheidung auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen kann (§ 160 Abs 1 Nr 3 SGG). Den Antrag auf Feststellung der Pflicht der BA zur Arbeitsberatung und Arbeitsvermittlung hat das LSG nicht nur als unzulässig angesehen, weil es die Klageänderung nicht als sachdienlich erachtet hat, sondern es hat „außerdem” ein Interesse des Klägers an einer alsbaldigen Feststellung vermißt. Hinsichtlich der Untätigkeitsklage hätte der Kläger zur Bezeichnung eines Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung des LSG beruht, die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen der Untätigkeitsklage nach § 88 Abs 1 Satz 1 SGG, insbesondere den Ablauf der Frist von 6 Monaten seit dem Antrag auf Umschulung des Klägers zum Logopäden zum Zeitpunkt der Entscheidung des LSG, darlegen müssen.

2. Auch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hat der Kläger nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt. Dazu ist die grundsätzliche Bedeutung in der Weise darzulegen, daß die angestrebte Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) geeignet ist, die Rechtseinheit zu erhalten oder die Rechtsfortbildung zu fördern. In diesem Sinne ist ihre Klärungsbedürftigkeit nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre und ihre Klärungsfähigkeit unter den Gegebenenheiten des zu beurteilenden Falles darzulegen (st Rspr, vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7; BVerwG NJW 1993, 2825 f). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung des Klägers nicht.

Soweit der Kläger, die Rechtmäßigkeit der Umdeutung des „Entziehungsbescheids” vom 10. August 1989 in einen „Ablehnungsbescheid” in Frage stellt, ist die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage nicht dargelegt. Die Beschwerdebegründung versucht zwar, die Zulässigkeit der Umdeutung im Hinblick auf § 43 Abs 2 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren (SGB X) zu problematisieren. Dies geschieht jedoch nicht – wie von § 43 Abs 2 SGB X gefordert – durch einen Vergleich der für den Betroffenen eintretenden Rechtsfolgen, sondern der insoweit unerheblichen Abweichungen der Voraussetzungen für einen Entziehungs- und einen Ablehnungsbescheid. Die Rechtsfolge für den Betroffenen ist in beiden Fällen die gleiche – nämlich eine negative Aussage über das Bestehen eines Anspruchs in dem zu beurteilenden Leistungszeitraum.

Die Klärungsbedürftigkeit ist auch nicht für die in der Beschwerdebegründung aufgeworfene Frage dargelegt, ob Arbeitsämter sich auf fehlende Verfügbarkeit des Betroffenen berufen dürfen, wenn eine rechtswidrige Verwaltungsentscheidung nach langer Zeit aufgehoben wird und deshalb ein großer zeitlicher Abstand zu den für die Beurteilung der Verfügbarkeit erheblichen Tatsachen entstanden ist. Die Beschwerdebegründung läßt insoweit eine Auseinandersetzung mit der umfangreichen Rechtsprechung des BSG zu den Grenzen des Herstellungsanspruchs bei der Feststellung der Verfügbarkeit vermissen. Das BSG hat dazu wiederholt ausgesprochen, wegen des Vorrangs der Arbeitsvermittlung gegenüber dem Leistungsbezug sei die Verfügbarkeit als Voraussetzung von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit nicht verzichtbar. Ein Herstellungsanspruch wegen der Verletzung verständnisvoller Förderung der Betroffenen komme nur in Betracht, soweit die tatsächlichen Voraussetzungen der Verfügbarkeit durch Verwaltungshandeln gestaltbar seien (BSGE 71, 17, 22 = SozR 3-4100 § 103 Nr 8 mwN). Auch zur mangelnden Leistungsfähigkeit des Blanketts von Treu und Glauben hat sich das BSG in diesem Zusammenhang schon geäußert (BSGE 49, 76, 80 = SozR 2200 § 1418 Nr 6). Eine durch den hier zu beurteilenden Sachverhalt klärungsbedürftige Rechtsfrage – auch hinsichtlich Obliegenheiten der Arbeitsvermittlung – besteht um so weniger, als der Kläger – trotz Belehrung über die Rechtsfolgen – seiner Mitteilungspflicht gegenüber der Arbeitsvermittlung bei Wohnungswechseln nicht nachgekommen ist. Eine Asu-Anfrage vom 1. September 1993 hat ihn nicht erreicht. Die Erwägungen des LSG zu Umständen, unter denen die Erreichbarkeit des Versicherten durch die Arbeitsvermittlung zu klären ist, gehören nicht zu den tragenden Gründen des Urteils. Die Frage einer Beweislastumkehr stellt sich nicht, weil das LSG nicht eine Beweislastentscheidung getroffen hat, sondern im Anschluß an die Rechtsprechung des BSG die Verfügbarkeit des Klägers wegen der Verletzung seiner Mitteilungspflicht bei Wohnungswechsel verneint hat.

Die Beschwerde ist nach alledem in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen, weil ihre Begründung nicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1172762

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