Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirkung der Anfechtung eines Aufteilungsbescheides nach § 1268 Abs 4 RVO

 

Orientierungssatz

Mit der Anfechtung des Bescheides über die Bewilligung der nach § 1268 Abs 4 RVO gekürzten Witwenrente und auch der Bescheid über die Bewilligung der Hinterbliebenenrente an die frühere Ehefrau nach § 1265 RVO wird angefochten.

 

Normenkette

RVO § 1268 Abs 4; SGG § 95

 

Verfahrensgang

LSG für das Saarland (Entscheidung vom 06.12.1990; Aktenzeichen L 1 J 1/88)

 

Gründe

Die Beklagte hat der Beigeladenen als frühere Ehefrau des verstorbenen Versicherten mit Bescheid vom 27. Juli 1984 Hinterbliebenenrente nach § 1265 Abs 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und der Klägerin, die Witwe des Versicherten ist, mit weiterem Bescheid vom 27. Juli 1984 eine nach § 1268 Abs 4 RVO gekürzte Witwenrente bewilligt. Den Widerspruch der Klägerin, mit dem diese die Zahlung der ungekürzten Witwenrente nach § 1268 Abs 2 RVO begehrte, hat sie mit Widerspruchsbescheid vom 21. Mai 1985 zurückgewiesen. Die Klage gegen diese Bescheide hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen.

Im Berufungsverfahren hat die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts für das Saarland vom 14. Dezember 1987 und Abänderung des Bescheides vom 27. Juli 1984 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 1985 die Beklagte zu verurteilen, ab 1. Juni 1984 die ungekürzte Witwenrente zu gewähren,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Mit Urteil vom 6. Dezember 1990 hat das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte "unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts für das Saarland vom 14. Dezember 1987 und Abänderung des Bescheides vom 27. Juli 1984 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 1985 ..." verurteilt, der Klägerin ab 1. Juni 1984 die ungekürzte Witwenrente zu gewähren. Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Beigeladene geltend, daß der Tenor des LSG-Urteils unklar sei. Es sei nicht klar, ob der Verwaltungsakt der an die Klägerin oder derjenige der an die Beigeladene adressiert gewesen sei oder gar beide Verwaltungsakte abgeändert worden seien. Die Beigeladene sei durch diesen unklaren Tenor auch beschwert. Es sei unklar, ob die Beklagte davon ausgehe, daß auch der an die Beigeladene adressierte Verwaltungsakt abgeändert sei und deshalb die Leistung an die Beigeladene einfach eingestellt werden könne oder ob dieser Verwaltungsakt nach § 45 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) aufgehoben werden müsse. Das LSG sei nach § 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verpflichtet, das Begehren der Beteiligten richtig zu erfassen und darüber zu entscheiden.

Die Beigeladene sieht außerdem grundsätzliche Rechtsfragen darin, wie das LSG ihren, sich aus § 60 Ehegesetz (EheG) ergebenden Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten festgestellt hat.

Die Beschwerde ist unzulässig, denn die Begründung entspricht nicht der in § 160a Abs 2 Satz 3 des SGG geforderten Form.

Mit der Rüge, der Tenor des Urteils sei unklar, macht die Beigeladene von den in § 160 Abs 2 Nrn 1 bis 3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründen - grundsätzliche Bedeutung, Divergenz und Verfahrensmangel - offensichtlich geltend, ein Verfahrensmangel liege vor. Ein unklarer Tenor ist kein Verfahrensmangel, sondern dieser Urteilstenor ist auszulegen. Eine unvollständige Entscheidung, die sich in einem unvollständigen Urteilstenor zeigt, kann eine Verletzung des § 123 SGG sein, denn in diesem Fall hat das LSG nicht über den Streitgegenstand vollständig entschieden. Ob dieser von der Beigeladenen auch behauptete Verstoß gegen § 123 SGG überhaupt ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG sein kann, braucht hier nicht entschieden zu werden (vgl zur Frage, ob ein Verstoß gegen § 123 SGG ein Verfahrensfehler iS von § 162 Abs 2 Nr 2 SGG in der bis zum 31. Dezember 1974 geltenden Fassung war: BSG, Urteil vom 20. Juli 1973 - 8 RU 43/73 = SozR Nr 199 zu § 162 SGG).

Die Beigeladene hat jedenfalls nicht dargetan, daß die Entscheidung des LSG auf dem von ihr behaupteten Verfahrensverstoß beruhen kann. Die Entscheidung des LSG wäre nicht anders, sondern allenfalls im Tenor vollständig - nämlich ausdrücklich den an die Beigeladene gerichteten Bescheid aufhebend - ausgefallen.

Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, daß mit dem Urteil des LSG - wie die Begründung des Urteils ergibt - nicht nur der an die Klägerin gerichtete Bescheid abgeändert, sondern auch der an die Beigeladene gerichtete Bescheid vom 27. Juli 1984 aufgehoben worden ist. Letzteres ist im Tenor zwar nicht ausdrücklich ausgesprochen. Wenn in dem Tenor der Bescheid vom 27. Juli 1984 idF des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 1985 abgeändert wird, so kann damit nur der an die Klägerin gerichtete Bescheid gemeint sein. Das Urteil, dessen Tenor unter Hinzuziehung der Entscheidungsgründe auszulegen ist, beinhaltet aber mit der der Klage stattgebenden Entscheidung notwendig auch die Aufhebung des an die Beigeladene gerichteten Bescheides. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß die Entscheidungen über die behaupteten Ansprüche der Witwe auf die ungekürzte Witwenrente und der früheren Ehefrau eines verstorbenen Versicherten auf Rente nach § 1265 RVO nur einheitlich ergehen können (vgl BSG SozR Nrn 3 und 5 zu § 1268 RVO = BSGE 21, 125 und zuletzt SozR 2200 § 1268 Nr 32). Deshalb wird mit der Anfechtung des Bescheides über die Bewilligung (nur) der nach § 1268 Abs 4 RVO gekürzten Witwenrente auch der Bescheid über die Bewilligung der Hinterbliebenenrente an die frühere Ehefrau nach § 1265 RVO angefochten. Eine Entscheidung des Inhalts, daß die Witwe Anspruch auf die ungekürzte Witwenrente hat, beinhaltet deshalb notwendig auch die Aufhebung des Bescheides an die frühere Ehefrau über die Gewährung der Rente nach § 1265 RVO. Ob der Rechtsprechung des 11. Senats zu folgen ist, wonach dies dann nicht gelten soll, wenn nach Eintritt der Bestandskraft der Bescheide an die Witwe und die frühere Ehefrau zu Gunsten der Witwe ein neuer Bescheid über die ungekürzte Witwenrente nach § 44 SGB X ergeht (vgl BSG SozR § 1265 Nr 73), kann hier offenbleiben. Im vorliegenden Fall ist weder der an die Klägerin noch der an die Beigeladene gerichtete Bescheid bindend geworden. In diesem Fall hat das BSG bereits in dem Urteil BSGE 21, 125 entschieden, daß jedenfalls bei fehlender Bindungswirkung der Bescheide beide Bescheide angefochten sind und über beide Bescheide nur einheitlich entschieden werden kann. In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall hatte das LSG wie auch im vorliegenden Fall auf die Klage der Witwe allein den an sie gerichteten Bescheid abgeändert und die Beklagte zur Gewährung der ungekürzten Witwenrente verurteilt. Das BSG hat dies bemängelt und es für notwendig gehalten, den an die frühere Ehefrau gerichteten Bescheid über die Bewilligung der Rente nach § 1265 RVO ausdrücklich aufzuheben und den Tenor des LSG-Urteils insoweit im Revisionsurteil zu ändern. Im Gegensatz zur damaligen Entscheidung des BSG kann im vorliegenden Fall allerdings nicht angenommen werden, daß das LSG über den Streitgegenstand nicht vollständig entschieden habe. Aus den Entscheidungsgründen des LSG ist zu ersehen, daß es den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch nur und allein deshalb für begründet erachtet hat, weil die Beigeladene keinen Anspruch auf die ihr gewährte Hinterbliebenenrente hat und der an die Beigeladene gerichtete Bescheid rechtswidrig ist.

Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist von der Beigeladenen nicht hinreichend dargetan. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Klärungsfähigkeit und Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage dargelegt ist und die grundsätzliche Bedeutung, dh die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfrage.

Als grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage sieht die Beigeladene einmal an, ob der Unterhaltsbeitrag nach § 60 EheG seiner Höhe nach in der Weise festzustellen ist, daß ein Vorrang der Ehefrau vor der früheren Ehefrau hinsichtlich ihrer Unterhaltsansprüche gegen den Ehemann bzw den geschiedenen Ehegatten besteht. Hier hat die Beigeladene die grundsätzliche Bedeutung, dh die über den Einzelfall hinausgehende Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage nicht dargetan. Das LSG hat den Vorrang der Ehefrau - dh im vorliegenden Fall der Klägerin - hinsichtlich ihrer Unterhaltsansprüche damit begründet, daß hier die Klägerin den Versicherten gepflegt habe und selbst keine Einkünfte gehabt habe. Das LSG hat damit keine generelle Entscheidung getroffen, sondern eine auf den Einzelfall abgestellte Entscheidung. Eine Darlegung, weshalb diese Entscheidung angesichts der tatsächlichen Umstände über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat, ist mit der Beschwerdebegründung nicht geschehen.

Die Beigeladene sieht weiter eine grundsätzliche Rechtsfrage, soweit das LSG von einem angemessenen Eigenbedarf des Versicherten von 1400,- DM ausgegangen ist. Sie macht dazu geltend, daß das LSG die sog. Düsseldorfer Tabelle, die es seiner Berechnung der Unterhaltsansprüche zugrunde gelegt habe, falsch angewandt habe. Damit macht die Beigeladene zunächst nur geltend, daß das Urteil insoweit unrichtig ist, als es einerseits für die Unterhaltsberechnung von der Düsseldorfer Tabelle ausgeht und andererseits diese falsch anwendet, dh das LSG falsch subsumiert habe. Die Unrichtigkeit eines Urteils ist aber kein Zulassungsgrund. Insbesondere kann die unrichtige Entscheidung im Einzelfall nicht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache begründen. Im übrigen ist aber auch die Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage nicht dargetan. Die Beigeladene geht selbst davon aus, daß der angemessene Eigenbedarf, der dem Versicherten als Selbstbehalt zu belassen gewesen war, nach der Düsseldorfer Tabelle 1200,- DM betragen habe. Das LSG hat zu dem von ihm als angemessen angesehenen Eigenbedarf schon nach dem Vortrag der Beigeladenen noch einen zusätzlichen Sonderbedarf des Versicherten von 300,- DM angenommen. Dieser Sonderbedarf ist, wie noch darzulegen sein wird, auch der Höhe nach in verfahrensrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt worden und deshalb bei der Entscheidung vom Senat zugrunde zu legen. Gleiches gilt für den vom LSG angenommenen Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen den Versicherten von 605,- DM. Dieser geht nach der Entscheidung des LSG dem auf § 60 EheG beruhenden möglichen Unterhaltsanspruch der Beigeladenen vor. Berücksichtigt man einen Selbstbehalt des Versicherten von 1500,- DM (1200,- DM angemessener Eigenbedarf + 300,- DM Sonderbedarf) und den Unterhaltsanspruch der Klägerin von 605,- DM, so ergibt sich ein Betrag von 2105,- DM. Dieser Betrag ist höher als die dem Versicherten vor seinem Tode gezahlte Rente von monatlich 2027,- DM. Ein Unterhaltsanspruch der Beigeladenen wäre deshalb schon mangels Unterhaltsfähigkeit des Versicherten entfallen.

Soweit das LSG den Selbstbehalt des Versicherten um einen Sonderbedarf von 300,- DM für Diät erhöht hat, macht die Beigeladene einen Verstoß gegen das Willkürverbot (Art 3 Grundgesetz -GG-) und gegen das Denkgesetz geltend. Ein Verstoß gegen das Denkgesetz ist kein Verfahrensmangel, sondern gehört zu den sachlich-rechtlichen Mängeln des Berufungsurteils (vgl BSG Beschluß vom 11. Dezember 1990 - 5 BJ 330/89 - unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG- Beschluß vom 7. Januar 1974 in Buchholz 310 § 132 VwGO Nr 117). Soweit die Beigeladene geltend macht, das LSG habe einen Betrag von 300,- DM als zusätzliche Kosten für die Sonderernährung willkürlich festgesetzt, rügt sie die Beweiswürdigung des LSG, dh sie macht einen Verstoß gegen § 128 Abs 1 Satz 1 SGG geltend. Wegen eines Verstoßes gegen diese Vorschrift kann aber die Revision nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht zugelassen werden.

Auch wegen der hilfsweise geltend gemachten Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) entspricht die Beschwerdebegründung nicht der in § 160a Abs 2 Satz 3 SGG geforderten Form. Die Beigeladene hat schon nicht, wie es nach dieser Vorschrift notwendig ist, die Entscheidung des BSG bezeichnet, von der das LSG angeblich abgewichen sein soll. Bezeichnet ist eine Entscheidung nur, wenn sie so genau durch Aktenzeichen und/oder Fundstelle genannt ist, daß sie für das Revisionsgericht ohne weiteres auffindbar ist (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14).

Die unzulässige Beschwerde ist ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§§ 202 SGG iVm 574 Zivilprozeßordnung und § 169 SGG analog).

Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651697

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