Verfahrensgang

LSG Hamburg (Urteil vom 03.04.2020; Aktenzeichen L 4 SO 46/18)

SG Hamburg (Entscheidung vom 26.04.2018; Aktenzeichen S 52 SO 557/17)

 

Tenor

Die Beschwerden der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 3. April 2020 werden als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Im Streit ist die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem 4. Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).

Die miteinander verheirateten Kläger beantragten im März 2017 beim Beklagten Grundsicherungsleistungen, die dieser unter Hinweis auf vorhandenes, verwertbares Vermögen, zwei Kraftfahrzeuge (Kfz), ablehnte (Bescheid vom 21.4.2017; Widerspruchsbescheid vom 23.10.2017).

Die Klagen hiergegen haben keinen Erfolg gehabt (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ≪SG≫ Hamburg vom 26.4.2018; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Hamburg vom 3.4.2020). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG unter Bezugnahme auf die Entscheidung des SG ausgeführt, der Wert der beiden Kfz übersteige noch im Zeitpunkt seiner Entscheidung den (gemeinsamen) Vermögensfreibetrag von 10 000 Euro. Zudem stünden der Verwertung zumindest eines der beiden Kfz keine Härtegesichtspunkte iS des § 90 Abs 3 Satz 1 SGB XII entgegen.

Mit ihren Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Urteil machen die Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, eine Divergenz sowie Verfahrensmängel geltend.

II

Die Beschwerden sind unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der Revisionszulassungsgründe.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung - ggf sogar des Schrifttums - angeben, welche Rechtsfrage sich stellt, dass diese noch nicht geklärt ist, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfrage aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt (BSG vom 2.3.1976 - 12/11 BA 116/75 - SozR 1500 § 160 Nr 17 und BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7; BSG vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG vom 25.9.1975 - 12 BJ 94/75 - SozR 1500 § 160a Nr 13; BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31; BSG vom 19.1.1981 - 7 BAr 69/80 - SozR 1500 § 160a Nr 39; BSG vom 9.10.1986 - 5b BJ 174/86 - SozR 1500 § 160a Nr 59 und BSG vom 22.7.1988 - 7 BAr 104/87 - SozR 1500 § 160a Nr 65). Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer eine konkrete Frage formulieren, deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit und (konkrete) Klärungsfähigkeit (= Entscheidungserheblichkeit) sowie deren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (Breitenwirkung) darlegen (vgl nur BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Die Kläger formulieren als Rechtsfrage die Frage, ob es ihnen zumutbar ist, ein Kfz gemeinsam zu nutzen und ihre Arzttermine und Einkäufe so zu legen, dass ihr Alltag mit einem Kfz zu bewältigen und ihnen bei Verwertung, eines Kfz weiterhin die Mobilität mit dem anderen Kfz verbleibe. Dabei sei zu berücksichtigen, dass sie beide weit über 70 Jahre alt seien und ihnen jeweils das Merkzeichen G zuerkannt sei. Weiter führen sie nur aus, aufgrund der demographischen Entwicklung und des Steigens der Lebenserwartung beträfen derartige Konstellationen (ältere Ehepaare jeweils mit Schwerbehinderung und stark eingeschränkter Mobilität) nicht nur den Einzelfall, sondern absehbar eine Vielzahl von Fällen. Damit ist eine Rechtsfrage, die abstrakt klärungsbedürftig ist und die vorliegend konkret geklärt werden könnte, aber nicht aufgezeigt. Die Kläger werfen vielmehr eine gänzlich auf ihren Einzelfall zugeschnittene Frage auf. Dass vergleichbare Fallgestaltungen bei Leistungen der Grundsicherung im Alter nicht ungewöhnlich sind, ändert am Fehlen einer hinreichend abstrakten Rechtsfrage nichts. Sie tragen auch zu den aus ihrer Sicht anzuwendenden Normen nichts vor. Selbst wenn sich ihrem Vortrag noch entnehmen ließe, dass eine Frage grundsätzlicher Bedeutung im Anwendungsbereich des § 90 Abs 3 SGB XII (Schutz des Vermögens unter dem Gesichtspunkt einer besonderen Härte) gestellt werden soll, fehlt jede weitere Auseinandersetzung mit dieser Vorschrift. Es hätte aber zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung - wie eingangs ausgeführt - einer solchen Auseinandersetzung insbesondere mit der gesamten zu § 90 Abs 3 SGB XII vorliegenden Rechtsprechung bedurft und der Darstellung, weshalb die notwendigen rechtlichen Kriterien zur Beurteilung einer besonderen Härte nicht bereits abschließend gebildet sind bzw der Fortentwicklung bedürfen. Dass bestimmte Konstellationen des Zusammenlebens von älteren Paaren häufig vorkommen mögen, lässt den Schluss auf eine grundsätzliche Bedeutung der Sache nicht zu. Im Ergebnis sind die Kläger lediglich der Auffassung, dass das LSG fehlerhaft entschieden habe. Die Frage nach der Richtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall vermag die Revision aber nicht zu eröffnen.

Soweit die Kläger zudem eine Divergenz zu einer Entscheidung des BSG behaupten, genügt ihr Vorbringen ebenfalls nicht den gesetzlichen Anforderungen. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB BSG vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4; BSG vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat.

Eine Abweichung zu der von den Klägern genannten Entscheidung des BSG (vom 6.9.2007 - B 14/7b AS 66/06 R - BSGE 99, 77 = SozR 4-4200 § 12 Nr 5) wird nicht ordnungsgemäß bezeichnet. Nach ihrem eigenen Vortrag hat das LSG die Rechtsprechung des BSG seiner Entscheidung nämlich zugrunde gelegt. Ihr Vortrag erschöpft sich insoweit in dem Vortrag, dass das LSG (jedoch) den Verkehrswert ihrer beiden Kfz auf eine unzutreffende Weise ermittelt habe. Sie übersehen aber, dass eine Rechtsprechungsdivergenz nicht vorliegt, wenn das Berufungsgericht die von ihm herangezogene höchstrichterliche Rechtsprechung im angefochtenen Urteil nicht in Frage gestellt, sondern nur missverstanden oder übersehen und deshalb das Recht fehlerhaft angewendet hat (stRspr; vgl zuletzt BSG vom 29.6.2020 - B 9 V 54/19 B). Zudem wird aus der Beschwerdebegründung nicht deutlich, dass in der genannten Entscheidung des BSG über die Frage nach dem Maßstab zur Ermittlung des Verkehrswertes eines Kfz hinaus - der von einem privaten Verkäufer aktuell erzielbare Preis - auch Rechtssätze zu der Frage der Anwendbarkeit der sog Schwacke-Liste aufgestellt worden sind. Die Kläger führen selbst aus, das BSG habe insoweit auf solche Listen nur als "Anhaltspunkt" verwiesen.

Auch ein Verfahrensmangel wird nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechend bezeichnet. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14, vom 24.3.1976 - 9 BV 214/75 - SozR 1500 § 160a Nr 24 und vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36). Hieran fehlt es.

Soweit die Kläger in ihrem Vortrag auf Defizite in den Ermittlungen des LSG und dabei insbesondere die Möglichkeit eines Sachverständigengutachtens hinweisen, fehlt es an einer formgerechten Bezeichnung der Verletzung der Verpflichtung des LSG zur Sachaufklärung (§ 103 SGG). Wer sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützt, muss ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (vgl zB BSG vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 mwN). Hierzu gehört nach ständiger Rechtsprechung des BSG die Darlegung, dass ein anwaltlich vertretener Beteiligter - wie hier die Kläger - einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl dazu BSG vom 20.9.2013 - B 8 SO 15/13 B; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN) oder einen im schriftlichen Verfahren gestellten Beweisantrag aufrechterhalten hat (BSG vom 18.12.2000 - B 2 U 336/00 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 52; BSG vom 18.2.2003 - B 11 AL 273/02 B - juris RdNr 3). Ein solcher Vortrag fehlt gänzlich; einen Beweisantrag gestellt zu haben, behaupten die Kläger noch nicht einmal.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI14048077

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