Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage. Darlegung einer Divergenz
Orientierungssatz
1. Zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage, ob eine beitragsfreie Unfallversicherung gemäß § 539 Abs 2 RVO ohne Rücksicht auf den sonstigen Status des Betroffenen (selbständiger Unternehmer) und ohne Rücksicht auf Umfang und Zeitdauer dieser Tätigkeit besteht.
2. Es ist im Rahmen der Darlegung der Divergenz iS des § 160a Abs 2 S 3 SGG nicht zulässig, aus der Entscheidung des Berufungsgerichts einzelne Sätze aus dem Zusammenhang herauszulösen und allein darauf die angenommene Abweichung von dem Urteil des BSG abzuleiten.
Normenkette
SGG § 160 Abs 2 Nr 1, § 160a Abs 2 S 3, § 160 Abs 2 Nr 2; RVO § 539 Abs 2
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 17.01.1990; Aktenzeichen III UBf 60/88) |
Gründe
Die Beklagte gewährt dem Beigeladenen vorläufige Fürsorge aus Anlaß des Unfalles vom 7. Januar 1985. Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 4. August 1988 festgestellt, daß die Beklagte als der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger die der Klägerin bereits entstandenen und noch entstehenden vorläufigen Leistungen nach § 102 des Sozialgesetzbuches -Verwaltungsverfahren- (SGB X) zu erstatten hat. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 17. Januar 1990).
Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Beklagte geltend, von grundsätzlicher Bedeutung seien folgende Rechtsfragen: "Wird ein Unternehmer, der ein selbständiges Taxi-Unternehmen betreibt und als solcher bei der Klägerin freiwillig gegen Unfall versichert ist, 'wie' ein Arbeitnehmer iS des § 539 Abs 2 RVO tätig, wenn er daneben regelmäßig und in großem Umfang (bis zu 60 Stunden wöchentlich) und über einen langen Zeitraum (hier: seit 1977; ab 1983 regelmäßig) eine Tätigkeit als selbständiger Transportfahrer ausübt, mit der oben ausführlich geschilderten tatsächlichen und rechtlichen Ausgestaltung? Mit anderen Worten: Besteht eine (beitragsfreie) Unfallversicherung gemäß § 539 Abs 2 RVO ohne Rücksicht auf den sonstigen Status des Betroffenen (selbständiger Unternehmer) und ohne Rücksicht auf Umfang und Zeitdauer dieser Tätigkeit?"
Diese Rechtsfragen haben jedoch entgegen der Auffassung der Beklagten keine grundsätzliche Bedeutung (s ua BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; § 160a Nr 13; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 116). Daß ein Unternehmer außerhalb seines Unternehmens als Beschäftigter und deshalb auch wie ein Beschäftigter tätig sein kann, ist in Rechtsprechung und Schrifttum unumstritten (siehe ua RVA EuM 50, 227, 228; BSGE 5, 168, 174; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 475t, 476aI, 476h; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 539 Anm 100 Buchst b). Ebenso steht die längere Dauer der verrichteten Tätigkeit einem Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht entgegen, wie sich bereits aus Halbsatz 2 dieser Vorschrift ergibt (s Lauterbach/Watermann aaO § 539 Anm 101 Buchst c). Im Schrifttum wird im Anschluß an die Gesetzesbegründung vielmehr hervorgehoben, "auch wenn es sich nur um eine vorübergehende Tätigkeit handelt" (Lauterbach/Watermann aaO). Daß der "Status" des Handelnden entgegen der früheren Auffassung (RVA-Mitglieder-Komm, Bd III, 2. Aufl 1930, § 544 Anm 5 Buchst l) kein entscheidendes Kriterium bildet, ist schon vom RVA und somit bereits vor Jahrzehnten entschieden worden (RVA aaO; BSGE 31, 1, 3; Brackmann aaO S 475t). Von grundsätzlicher Bedeutung kann in diesem Zusammenhang auch nicht sein, ob die Tätigkeit "mit der oben ausführlich geschilderten tatsächlichen und rechtlichen Ausgestaltung" einen Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO begründet; denn dies ist eine Frage der Besonderheiten des Einzelfalles. Ob der Beigeladene die in Betracht kommende Tätigkeit "selbständig" und damit nach der Auffassung der Beklagten wohl als Unternehmer oder wie ein Beschäftigter ausgeübt hat, ist die ebenfalls durch die Besonderheiten des Einzelfalles geprägte Entscheidung der jeweiligen Fallgestaltung und damit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (Kummer aaO RdNr 126). Soweit die Beklagte - und das ist letztlich auch hier der Kern ihres Vorbringens - die Entscheidung des LSG für falsch hält, rechtfertigt dies ebenfalls nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
Die Beklagte meint außerdem, das LSG sei von den in der Beschwerdebegründung aufgeführten Entscheidungen abgewichen. Eine Divergenz liegt jedoch in keinem Fall vor.
Eine Abweichung von der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27. November 1980 (8a RU 74/79 - USK 80242 - und 8a RU 26/80 - USK 80246) ist schon nicht bezeichnet iS des § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Die Beschwerdeführerin führt zwar auf Seite 8 ihrer Beschwerdebegründung einen Rechtssatz aus dem Urteil des BSG an. Sie stellt diesem Rechtssatz aber keinen Rechtssatz gegenüber, mit dem das LSG von dem des BSG abgewichen sein soll. Vielmehr ist die Beschwerdeführerin im folgenden lediglich der Auffassung, wenn das LSG der zitierten Rechtsprechung des BSG gefolgt wäre, hätte es zu dem Ergebnis kommen müssen, daß der Beigeladene nicht wie ein Arbeitnehmer tätig geworden sei. Eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist jedoch nicht gegeben, wenn das LSG nicht von dem Rechtssatz im Urteil des BSG selbst abweicht, sondern diesen seiner Entscheidung vielmehr zugrunde gelegt hat, dabei aber - nach Auffassung der Beschwerdeführerin - unrichtig entschieden hat (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7). Dieser auch hier erforderliche prozessuale Hinweis darf aber nicht dahin mißverstanden werden, als sehe der Senat Anhaltspunkte für eine materiell unzutreffende Entscheidung des LSG.
Eine Divergenz liegt auch nicht zu dem Urteil des - nicht mehr für Angelegenheiten der gesetzlichen Unfallversicherung zuständigen - 8. Senats des BSG vom 27. Februar 1981 (BSGE 51, 213) vor. Die Beschwerdeführerin meint wohl mit dem Hinweis auf den in dieser Entscheidung erwähnten Zweck des § 539 Abs 2 RVO (BSGE aaO S 215) dem Urteil den Rechtssatz entnehmen zu können, ein Versicherungsschutz nach dieser Vorschrift komme nur dann in Betracht, wenn es sonst unbillig wäre, dem Verletzten keinen Versicherungsschutz zu gewähren.
Ein solcher Rechtssatz ist schon dem angeführten Urteil des 8. Senats des BSG nicht zu entnehmen und würde auch im Widerspruch zu der ständigen Rechtsprechung des BSG vor und nach dieser Entscheidung stehen. Es handelt sich auch im Rahmen des § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO um einen Versicherungsschutz und nicht um eine nach Billigkeitserwägungen zu gewährende Entschädigung.
Ebenso weicht die Entscheidung des LSG nicht von dem Urteil des BSG vom 24. Juli 1985 (SozR 2200 § 539 Nr 112) ab. Es ist schon im Rahmen der Darlegung der Divergenz iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht zulässig, aus der Entscheidung des Berufungsgerichts einzelne Sätze aus dem Zusammenhang herauszulösen und allein darauf die angenommene Abweichung von dem Urteil des BSG ableiten zu wollen. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, daß das BSG in seinem Urteil vom 24. Juli 1985 im Anschluß an seine Rechtsauffassung, daß grundsätzlich auch ein Selbständiger wie ein Beschäftigter iS des § 539 Abs 2 RVO tätig werden kann, gleichfalls ausgeführt hat (SozR aaO S 312, Abs 3 Satz 2): "Dies ist nur ausgeschlossen, ...". Das LSG hat sich somit insoweit nicht nur inhaltlich, sondern auch wörtlich in Übereinstimmung mit dem Urteil des LSG befunden. Im übrigen geht die Beschwerdeführerin wiederum unzutreffend davon aus, eine Divergenz könne darin liegen, daß das LSG zwar von den maßgebenden Rechtssätzen des BSG nicht abgewichen ist, diese aber im Einzelfall unzutreffend angewandt hat.
Schließlich meint die Beschwerdeführerin, das LSG sei von der Entscheidung des Senats vom 25. Oktober 1989 (2 RU 12/89) abgewichen, in dem das BSG den Rechtssatz aufgestellt habe: Ein Selbständiger, der für keinen ausreichenden Unfallversicherungsschutz gesorgt habe, könne den fehlenden Versicherungsschutz nicht über § 539 Abs 2 RVO erreichen. Einen solchen "Rechtssatz" hat der Senat schon deshalb nicht aufgestellt, weil er etwas Selbstverständliches aussprechen würde. Hat zB ein Unternehmer, der nicht der satzungsmäßigen Pflichtversicherung unterliegt, sich nicht freiwillig versichert, so kann er nicht deshalb, weil er eine freiwillige Unfallversicherung nicht eingegangen ist, bei seiner Tätigkeit als Unternehmer den Versicherungsschutz aus § 539 Abs 2 RVO herleiten. Soweit die Beklagte anschließend meint, wer selbständig als Gewerbetreibender tätig sei und im Rahmen seines Gewerbebetriebes als selbständiger Transportfahrer tätig werde, könne nicht "von Fall zu Fall" in persönliche Abhängigkeit gebracht und wie ein Arbeitnehmer eingeordnet werden, übersieht sie erneut, daß es hier gerade um die Frage geht, ob der Beigeladene "als selbständiger Transportfahrer" oder "wie ein beschäftigter Fahrer" tätig wurde. Das LSG hat die Frage nur anders bezeichnet als die Beklagte.
Als Verfahrensmangel rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Diese Rüge ist unzulässig. Der Verfahrensmangel ist nicht bezeichnet iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Es kann dahinstehen, ob überhaupt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darin liegen kann, daß das Gericht die rechtskundig vertretenen Beteiligten auf rechtliche Erwägungen hinweist, daß "wohl" eine andere als die vom SG angenommene Rechtsgrundlage "zu prüfen wäre" (s Seite 3 der Sitzungsniederschrift), das Urteil dann aber nicht auf diese Erwägung stützt. Der Verfahrensmangel ist jedenfalls deshalb nicht ordnungsgemäß bezeichnet, weil die Beschwerdebegründung nicht dargelegt hat, welches zur Beeinflussung der Entscheidung des LSG geeignete zusätzliche Vorbringen der Beklagten durch das Verhalten des LSG abgeschnitten worden ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 36; Kummer aaO RdNr 233).
Da die Beschwerde nur teilweise unzulässig, teilweise aber unbegründet war, ist diese somit insgesamt zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen