Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage

 

Orientierungssatz

Zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage, was zu den Kräften oder Mitteln des Betriebes eines landwirtschaftlichen Unternehmers zu rechnen ist, die ausreichen müssen, um eine konkrete Bauarbeit als Hilfstätigkeit für den Wirtschaftsbetrieb zu werten.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs 2 Nr 1, § 160a Abs 2 S 3; RVO § 777 Nr 3

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 10.05.1989; Aktenzeichen L 2 U 152/88)

 

Gründe

Das Sozialgericht (SG) Bayreuth hat die Beklagte verurteilt, den Unfall des Klägers vom 18. Juli 1986 als Arbeitsunfall zu entschädigen; das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Ablehnungsbescheid vom 25. September 1986, Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 1987, Urteile vom 29. April 1988 - S 1 U 5042/87 - und vom 10. Mai 1989 - L 2 U 152/88 -).

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision ist unbegründet.

Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sie mißt folgenden Fragen grundsätzliche Bedeutung bei:

1.

Was ist zu den Kräften oder Mitteln des Betriebes eines landwirtschaftlichen Unternehmers zu rechnen, die ausreichen müssen, um eine konkrete Bauarbeit als Hilfstätigkeit für den Wirtschaftsbetrieb zu werten?

2.

Ist dazu auch erforderlich, daß der Wert dieser Bauarbeit sich im wirtschaftlichen Rahmen der Ertragskraft des landwirtschaftlichen Unternehmens halten muß?

3.

Mit welchem Wert ist ggf die Bauarbeit anzusetzen, a)

mit dem, der dem landwirtschaftlichen Unternehmen von einem gewerblichen Unternehmer in Rechnung gestellt werden würde,

b)

mit dem, der dem ausführenden Arbeiter als Tariflohn zu zahlen wäre

c)

oder dem, der den Sätzen des örtlichen Maschinenrings entspricht, den der landwirtschaftliche Unternehmer in Anspruch nehmen könnte?

Diesen Fragen kommt jedoch keine grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG mehr zu. Denn soweit sie nicht bereits durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) geklärt sind, beziehen sie sich auf Modalitäten der Beweiswürdigung, die die Tatsachengerichte in eigener Verantwortung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) nach dem Maßstab vornehmen können, der ihnen im Einzelfall am besten zur erforderlichen Überzeugung verhilft. Entscheidend ist im Einzelfall lediglich, daß bei der Feststellung des Verhältnisses zwischen Umfang der Bauarbeiten und den Kräften und Mitteln des landwirtschaftlichen Betriebes ein einheitlicher oder zumindest vergleichbare Maßstäbe angelegt werden.

Die Rechtsprechung des BSG hat die geltend gemachten Rechtsfragen insoweit geklärt, wie ihnen grundsätzliche Bedeutung zukommt; das LSG hat diese Rechtsprechung ausdrücklich berücksichtigt.

Der Begriff "andere Bauarbeiten für den Wirtschaftsbetrieb" iS des § 916 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) aF und des insoweit gleichlautenden § 777 Nr 3 RVO nF bedeutet, daß die Arbeiten dem landwirtschaftlichen Betrieb dienen und sich in seinem Rahmen halten müssen (BSGE 17, 148, 149 mwN). Das Gesetz trägt damit der bäuerlichen Übung Rechnung, gewisse Bauarbeiten, die andere Bauherren an Bauunternehmer zu vergeben pflegen, eigenhändig oder mit eigenen Wirtschaftsarbeitern auszuführen. Hiernach kommt es also für die Abgrenzung der unter das Gesetz fallenden Bauarbeiten darauf an, ob eine Hilfstätigkeit vorliegt, die ein landwirtschaftlicher Unternehmer mit Kräften oder Mitteln seines Betriebes durchführen kann. Nur solche Tätigkeit rechtfertigt es, das Unfallrisiko als durch die Beiträge zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung abgegolten anzusehen. Anders ist es jedoch bei umfangreichen Bauarbeiten, deren Arbeitsaufwand die Arbeitskapazität des landwirtschaftlichen Betriebes übersteigt (BSG aaO S 151). Bei der Prüfung, ob sich die Bauarbeiten im Rahmen des landwirtschaftlichen Betriebes halten, kommt es vor allem auf das Verhältnis zwischen dem Umfang der Bauarbeiten und der Größe des Wirtschaftsbetriebes, auf die Art der Ausführung und auf das Verhältnis zwischen der von dem landwirtschaftlichen Unternehmer selbst und fremden Arbeitskräften auszuführenden Arbeiten an. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob die Baukosten aus dem laufenden Ertrag der Landwirtschaft herausgewirtschaftet werden können. Es genügt auch, daß der Arbeitsaufwand im Hinblick auf spätere Erträge wirtschaftlich vertretbar erscheint (BSG aaO S 152). Im Rahmen des landwirtschaftlichen Betriebes halten sich Bauarbeiten nicht nur dann, wenn sie ein landwirtschaftlicher Unternehmer eigenhändig oder mit eigenen Wirtschaftsarbeitern auszuführen pflegt, sondern auch, wenn sie im Wege bäuerlicher Nachbarschaftshilfe mit Arbeitskräften geleistet werden, die auch sonst üblicherweise in dem betreffenden landwirtschaftlichen Unternehmen vorübergehend oder auf Dauer für die landwirtschaftlichen Bereiche eingesetzt werden (BSGE 30, 295, 297). Für die Beurteilung der Frage, ob die Arbeitskapazität des landwirtschaftlichen Unternehmens durch die vorbehaltenen Bauarbeiten überschritten worden ist, kommt es auf das - nach dem Zeitbedarf und dem einheitlichen Arbeitswert zu beurteilende - Ausmaß der vorbehaltenen Arbeiten zu den im landwirtschaftlichen Betrieb anfallenden landwirtschaftlichen Tätigkeiten an. Wenn für die Bewältigung der vorbehaltenen Bauarbeiten nicht mehr Arbeitskräfte zusätzlich eingesetzt werden landwirtschaftlichen Bereichen eines Unternehmens vergleichbarer Größe einmal nötig ist, so überschreiten die vorbehaltenen Bauarbeiten die eigene Arbeitskapazität des landwirtschaftlichen Betriebes nicht (BSGE 30 aa0 S 298; bestätigt im Urteil vom 20. April 1978 - 2 RU 69/77 -). Bei der Abgrenzung nach dem Rahmen des landwirtschaftlichen Betriebes sind auch die einzusetzenden sachlichen Mittel, insbesondere Fahrzeuge und Transportgeräte zu berücksichtigen. Der Einsatz fremder sachlicher Mittel im Wege bäuerlicher Nachbarschaftshilfe ist dann unschädlich, wenn die einzusetzenden Mittel auch sonst, und sei es auch nur zu Zeiten des Spitzenbedarfs, in den landwirtschaftlichen Bereichen des Unternehmens hin und wieder verwendet werden (BSGE 30 aaO S 298 f). Wie das BSG bereits in BSGE 17, 148, 151 dargelegt hat, deutet der Sinn des Gesetzes darauf hin, daß als andere Bauarbeiten für den Wirtschaftsbetrieb nur Arbeiten von verhältnismäßig geringem Umfang in Betracht kommen. Dies ist grundsätzlich nicht mehr der Fall, wenn bei einem landwirtschaftlichen Betrieb von 2,6 ha Eigenland und 1 ha Pachtland durch den Anbau eines Viehstalles der gesamte bisher umbaute Raum des Betriebes um fast die Hälfte vergrößert wird (BSGE 35, 144, 146). Bauarbeiten, die sich über eine lange Zeit erstrecken, sind bei Anwendung von § 777 Nr 3 RVO als Einheit anzusehen, weil andernfalls das auf die landwirtschaftliche Unfallversicherung übertragene Unfallrisiko entgegen der Tendenz des Gesetzes ungebührlich ausgedehnt würde (BSG, Urteil vom 15. Mai 1974 - 8 RU 118/73 -). Das gilt erst recht für Vorbehaltsarbeiten, die sich nicht über eine längere Zeit hinziehen. Umfangreiche vorbehaltene Bauarbeiten, welche insgesamt den betrieblichen Rahmen sprengen, werden nicht deshalb vom Schutz der landwirtschaftlichen Unfallversicherung umfaßt, weil sie aus historischen Gründen in einzelne Teilverrichtungen verhältnismäßig geringfügigen Umfangs zerlegt werden können (BSG, Urteil vom 26. Mai 1982 - 2 RU 80/80 -).

Die Kostenentscheidung entspricht § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650269

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