Verfahrensgang
SG Speyer (Entscheidung vom 23.10.2019; Aktenzeichen S 10 R 294/18) |
LSG Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 01.02.2021; Aktenzeichen L 4 R 288/19) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 1. Februar 2021 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Im Streit steht der Anspruch der Klägerin auf eine Rente wegen Erwerbsminderung zu Lasten des beklagten Rentenversicherungsträgers.
Der RV-Träger lehnte einen hierauf gerichteten Antrag der Klägerin ab. Auch vor dem SG ist die Klägerin erfolglos geblieben (Urteil vom 23.10.2019). Das LSG hat die Berufung der Klägerin hiergegen zurückgewiesen. Es hat das Vorliegen einer rentenberechtigenden Erwerbsminderung verneint und sich zur Begründung auf die im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten bezogen, ua ein auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG eingeholtes (Beschluss vom 1.2.2021).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem vorbenannten Beschluss wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde an das BSG. Sie macht einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend und rügt eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
II
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Sie hat in der Begründung des Rechtsmittels keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt.
Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
1. In der Beschwerdebegründung vom 8.4.2021 wird eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG entsprechend dargelegt.
Danach muss in der Beschwerdebegründung ausgeführt werden, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (stRspr; zB BSG Beschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 241/11 B - SozR 4-4200 § 25 Nr 1 RdNr 9 mwN; vgl auch BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7; jüngst BSG Beschluss vom 22.9.2020 - B 13 R 45/20 B - juris RdNr 5).
Die Klägerin formuliert zur grundsätzlichen Bedeutung:
"Dem (Anm. gemeint ist 'Antrag auf ein Sachverständigengutachten') ist das Gericht nicht gefolgt und hat damit in die Rechte der Klägerin eingegriffen. Insoweit hat die Sache grundsätzliche Bedeutung, da die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit durch psychische Erkrankung rapide zunimmt wie die diagnostizierten Fälle von Burnout und Fibromyalgie beweisen … . Da solche Art Erkrankung häufig zusammen auftritt (wie auch in der Berufungsbegründung dargestellt) ist deren Zusammenspiel und kombinierte Auswirkungen auch durch Rechtsprechung zu erfassen und darzustellen."
Mit dieser Formulierung verfehlt die Klägerin die Darlegungsvoraussetzungen für eine Grundsatzrüge (vgl hierzu exemplarisch BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34, juris RdNr 6 mwN). Die benannten Ausführungen enthalten keine abstraktgenerelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht (vgl allgemein BSG Beschluss vom 24.10.2018 - B 13 R 239/17 B - juris RdNr 8 mwN). Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (stRspr; zB BSG Beschluss vom 8.4.2020 - B 12 R 24/19 B - juris RdNr 8; Becker, SGb 2007, 261, 265; Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 181). Die Klägerin beschreibt hingegen einen Sachverhalt und bringt vor, dass es sich dabei nicht um einen Einzelfall handele.
Selbst wenn man annehmen wollte, die Klägerin möchte danach fragen, ob auch mehrere verschiedene psychische Erkrankungen, die in ihrer Kombination zu unterschiedlichen Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit führen, eine volle oder teilweise Erwerbsminderung nach sich ziehen könnten, fehlt es jedoch an hinreichenden Ausführungen zu deren Klärungsbedürftigkeit. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als bereits höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG Beschluss vom 8.2.2017 - B 13 R 294/16 B - juris RdNr 4). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu dem angesprochenen Fragenbereich noch keine Entscheidung vorliege oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet sei (Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 183 mwN). Hierzu fehlt es an jeglichen Darlegungen in der Beschwerdebegründung. Solche wären jedoch insbesondere deswegen angezeigt gewesen, weil sich das BSG sowohl mit der Bedeutung von psychischen Erkrankungen als auch der Kumulation von Leistungseinschränkungen und den damit verbundenen Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit befasst hat (BSG Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R - BSGE 129, 274 = SozR 4-2600 § 43 Nr 22 mwN; BSG Urteil vom 6.9.2001 - B 5 RJ 42/00 R). Die Klägerin hingegen zitiert keinerlei Rechtsprechung des BSG und setzt sich auch nicht mit dieser auseinander. Die den Ausführungen in der Beschwerdebegründung zu entnehmende Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).
2. Ebenso wenig bringt die Klägerin einen Verfahrensmangel des LSG in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form dar.
Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSG Urteil vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - BSGE 2, 81 - juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 30.10.2018 - B 13 R 59/18 B - juris RdNr 7). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Zugrunde zu legen ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG (BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG; BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33; BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 23). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (vgl zB BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 16 mwN; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN). Dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin macht geltend, das LSG hätte, angesichts ihrer Kritik an den in der ersten Instanz eingeholten Sachverständigengutachten, dem Antrag auf eine weitere Begutachtung stattgeben und einen Auftrag an einen weiteren Sachverständigen erteilen müssen. Es wäre eine Begutachtung durch einen Spezialisten erforderlich gewesen, der auf das in der Berufungsbegründung geschilderte Krankheitsbild eingehen und die entsprechende subjektive Befindlichkeit der Klägerin für ein Gericht objektiv klar hätte darstellen können. Dass sie einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt, welchen Inhalt dieser gehabt habe und mit welchem Schriftsatz bzw wann ansonsten er gestellt worden sei, legt sie jedoch nicht dar.
Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, denn die Geltendmachung eines Verfahrensmangels wegen Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) kann gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur darauf gestützt werden, dass das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Zudem kann ein - wie hier - in der Berufungsinstanz rechtsanwaltlich vertretener Beteiligter nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seiner Entscheidung wiedergibt (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 18c mwN). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn - wie vorliegend - das LSG von der ihm durch § 153 Abs 4 SGG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der in einem solchen Fall den Beteiligten zugestellten Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 SGG muss jedenfalls ein rechtskundig vertretener Beteiligter auch entnehmen, dass das Berufungsgericht keine weitere Sachaufklärung mehr beabsichtigt und dass es etwaige schriftsätzlich gestellte Beweisanträge lediglich als Beweisanregungen, nicht aber als förmliche Beweisanträge iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ansieht. Nach Zugang der Anhörungsmitteilung muss daher der Beteiligte, der schriftsätzlich gestellte Beweisanträge aufrechterhalten oder neue Beweisanträge stellen will, dem LSG ausdrücklich die Aufrechterhaltung dieser Anträge mitteilen oder neue förmliche Beweisanträge stellen (vgl BSG Beschluss vom 9.3.2016 - B 1 KR 6/16 B - juris RdNr 4 f mwN; BSG Beschluss vom 7.2.2017 - B 13 R 389/16 B - juris RdNr 9).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14476486 |