Leitsatz (amtlich)

Ein Rechtsanwalt erfüllt die ihm zumutbare Sorgfaltspflicht zur Wahrung von gesetzlichen Verfahrensfristen nicht dadurch, daß er sein Büropersonal allgemein anweist, jede Sache sei nach Anfertigung eines Schriftsatzes oder Schreibens dem Bürovorsteher zur Prüfung und Notierung etwa zu wahrender Fristen vorzulegen.

 

Normenkette

SGG § 67 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

1) Dem Kläger wird für das Verfahren vor dem Bundessozialgericht das Armenrecht verweigert.

2) Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.

3) Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der erkennende Senat hat durch Beschluß vom 30. Dezember 1959 die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts (LSG.) Nordrhein-Westfalen in Essen vom 16. September 1959 als unzulässig verworfen, weil sie nicht gemäß § 164 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) fristgerecht binnen zweier Monate nach Zustellung des angefochtenen Urteils, bis zum 21. Dezember 1959, begründet worden ist. Dieser Beschluß ist dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 12. Januar 1960 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 22. Januar 1960, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG.) am 23. Januar 1960, hat der Kläger beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist und für die Durchführung der Revision das Armenrecht zu bewilligen. Der Kläger hat dazu vorgetragen, er sei am 17. November 1959 wegen der Durchführung der Revision erstmalig zu seinem Prozeßbevollmächtigten gekommen. Da die Revisionsfrist abzulaufen drohte, sei zunächst am gleichen Tage Revision eingelegt worden. Die Revisionsbegründung habe dann in den nächsten Tagen erfolgen sollen. Der technische Ablauf im Büro seines Prozeßbevollmächtigten gehe in der Weise vor sich, daß nach Fertigung eines jeden Schriftstückes und Schriftsatzes die Sache dem Bürovorsteher vorgelegt werde, der die Sache auf Fristen prüft und gegebenenfalls die Sache in einem Fristenkalender aufnimmt. Im Büro würden zwei Kalender vom Bürovorsteher geführt und die Eintragungen in diese vom Bürovorsteher selbst vorgenommen. In dem einen Kalender seien sämtliche Wiedervorlagesachen einzutragen einschließlich aller Termin- und Fristensachen; in dem zweiten Kalender seien die Termin- und Fristensachen gesondert einzutragen. Aus einem nicht mehr festzustellenden Grund sei in seinem Falle die Eintragung der Revisionsbegründungsfrist in die Kalender nicht erfolgt. Die Akten seien, ohne daß sie bei dem Bürovorsteher durchgelaufen seien, abgelegt und damit auch die Eintragung der Revisionsbegründungsfrist versäumt worden.

Nach § 67 Abs. 1 SGG ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer gesetzlichen Verfahrensfrist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, diese Frist einzuhalten. Der Antrag auf Wiedereinsetzung wegen Versäumung einer gesetzlichen Verfahrensfrist ist nach § 67 Abs. 2 Satz 1 SGG innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Diese Monatsfrist ist im vorliegenden Falle gewahrt; es ist jedoch nicht die Voraussetzung erfüllt, daß der Kläger ohne Verschulden verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Der Kläger muß, wie das BSG. wiederholt entschieden hat, ein Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten gegen sich gelten lassen (BSG. in SozR. SGG § 67 Bl. Da 1 Nr. 2, Bl. Da 10 Nr. 16 und Bl. Da 16 Nr. 24). Nach der Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Urteil konnte für den Prozeßbevollmächtigten des Klägers kein Zweifel bestehen, daß die Revisionsbegründungsfrist am 21. Dezember 1959 ablief. Für die zu treffende Entscheidung ist ausschlaggebend, daß dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers persönlich ein Verschulden dafür trifft, daß die Revisionsbegründungsfrist nicht gewahrt worden ist. Aus dem Vortrag des Klägers, seines Prozeßbevollmächtigten und dem Inhalt der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung ergibt sich, daß der Prozeßbevollmächtigte nach Erhalt des Mandats weder vor noch nach der Fertigung der Revisionsschrift sein Büropersonal, insbesondere seinen Bürovorsteher, zur Eintragung der Revisionsbegründungsfrist in die im Büro geführten Kalender angewiesen hat. Der Prozeßbevollmächtigte hat insbesondere die Akten dem Bürovorsteher nicht unmittelbar zugeleitet. Der Prozeßbevollmächtigte hat auch weder selbst die Prüfung vorgenommen, wann die Revisionsbegründungsfrist im vorliegenden Falle abläuft, noch selbst die Notierung der Revisionsbegründungsfrist verfügt. Die gesetzlichen Verfahrensfristen sind für die einzelnen gerichtlichen Verfahren in den Verfahrensordnungen so unterschiedlich geregelt, so daß schon dieser Umstand allein bei der einem Rechtsanwalt zuzumutenden Sorgfalt es erfordert, die Bestimmung und Notierung der für eine fristgerechte Begründung eines Rechtsmittels erforderlichen Frist nicht dem an sich ausreichend ausgebildeten und hinreichend überwachten Büroangestellten zu überlassen (vgl. dazu bereits BGH. in NJW. 55 S. 1358 und BSG. in SozR. SGG § 67 Bl. Da 4 Nr. 7). Die Verfügung zur Eintragung einer gesetzlichen Verfahrensfrist ist so wichtig, daß eine solche Büroanweisung nicht durch andere Arbeiten verzögert werden darf. Dem Prozeßbevollmächtigten ist zuzumuten, bei der Übernahme eines Mandats wenigstens nach Erledigung der sofort vorzunehmenden Maßnahmen, hier der Einlegung der Revision, selbst zu veranlassen, daß die gesetzliche Verfahrensfrist in den Kalender eingetragen wird. Diese Eintragung kann leicht mit der ersten Büroverfügung veranlaßt werden, denn sie nimmt nur wenig Zeit in Anspruch. Auch im vorliegenden Fall hätte dies geschehen können, bevor die Akten in den Geschäftsgang gelangten. Die Notierung einer so wichtigen Frist kann nicht erst dann geschehen, wenn die Akte schon in den Geschäftsgang gegeben ist, weil schon damit die Gefahr besteht, wie gerade der vorliegende Fall zeigt, daß das Aktenstück weder rechtzeitig zur Eintragung der Frist noch zur Fristwahrung wieder vorgelegt wird. Die Anweisung an das Büropersonal, jede Sache nach Anfertigung eines Schriftsatzes oder Schreibens dem Bürovorsteher zur Prüfung und Eintragung von Fristen vorzulegen und die laufende Kontrolle, daß dieser allgemeinen Anweisung entsprechend verfahren wird, genügt nicht, um festzustellen, daß der Rechtsanwalt die ihm zumutbare Sorgfalt bei Wahrung von gesetzlichen Verfahrensfristen nicht außer acht gelassen hat. Die Revisionsbegründungsfrist ist deshalb nicht ohne Verschulden im Sinne des § 67 Abs. 1 SGG versäumt, so daß der Antrag auf Wiedereinsetzung abzulehnen war.

Die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist hat zugleich die Zurückweisung des Gesuches auf Bewilligung des Armenrechts für die Durchführung des Revisionsverfahrens zur Folge, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 167 SGG in Verbindung mit § 114 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung).

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

NJW 1960, 1636

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