Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenhausvergütung. Verlegung eines Patienten in ein anderes Krankenhaus. Vorliegen eines sachlichen Grundes

 

Orientierungssatz

Für die Verlegung eines Versicherten in ein anderes Krankenhaus bedarf es eines sachlichen Grundes, den das Krankenhaus im Streitfall darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen hat, es sei denn, die Verlegung verursacht der Krankenkasse keine Mehrkosten (vgl BSG vom 7.3.2023 - B 1 KR 4/22 R = SozR 4-2500 § 69 Nr 12).

 

Normenkette

SGB V § 12 Abs. 1 S. 1, § 109 Abs. 4 S. 3; KHG § 17b; KHEntgG §§ 7, 9; FPVBG § 1; FPVBG 2016 § 1; FPVBG § 3; FPVBG 2016 § 3

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 19.01.2022; Aktenzeichen L 10 KR 142/20)

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 16.01.2022; Aktenzeichen L 10 KR 142/20)

SG Duisburg (Urteil vom 14.02.2020; Aktenzeichen S 44 KR 379/17)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Januar 2022 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3253,65 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.

Das beklagte Krankenhaus behandelte den 1938 geborenen und bei der klagenden Krankenkasse (im Folgenden: KK) versicherten G vom 27.7. bis 1.9.2016 vollstationär. Am 1.9.2016 wurde der Versicherte zur frührehabilitativen geriatrischen Komplexbehandlung in das Katholische Klinikum R verlegt. Für die stationäre Behandlung bei der Beklagten zahlte die KK einen Betrag in Höhe von 5367,98 Euro. Für die stationäre Behandlung im aufnehmenden Krankenhaus zahlte sie einen Betrag von 6874,88 Euro nebst einer Aufwandspauschale in Höhe von 300 Euro. Darüber hinaus sind Kosten für den Verlegungstransport in Höhe von 107,80 Euro entstanden. In einer gutachtlichen Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vom 18.11.2016 kam dieser zu dem Ergebnis, dass es keine medizinischen Gründe gegeben habe, aus denen das beklagte Krankenhaus nicht selbst die geriatrische Komplexbehandlung in der klinikinternen Geriatrie hätte durchführen können.

Am 3.4.2017 hat die KK beim SG Duisburg Klage erhoben und die Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 3553,65 Euro geltend gemacht. Sie hat vorgetragen, dass bei durchgehender Behandlung des Versicherten im Haus der Beklagten Kosten lediglich in Höhe von 9097,01 Euro angefallen wären. Die Differenz sei ihr als Schaden entstanden. Das SG hat die Beklagte zur Zahlung von 3553,65 Euro nebst Zinsen ab dem Tag der Rechtshängigkeit verurteilt (Urteil vom 14.2.2020). Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG geändert und die Beklagte unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung im Übrigen zur Zahlung von 3253,65 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem Tag nach Rechtshängigkeit verurteilt. Das Krankenhaus sei im Rahmen seines Versorgungsauftrages verpflichtet gewesen, Leistungen der geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung zu erbringen. Da es keine konkreten medizinischen oder organisatorischen Gründe für die Verlegung vorgetragen bzw nachgewiesen habe, liege eine Pflichtverletzung im Sinne des § 280 BGB vor. Aus § 1 Abs 1 Satz 2 und 3FPV 2016 ergebe sich nichts anderes. Lediglich Schadensersatz in Höhe der Zahlung der Auslagenpauschale für die Prüfung der Rechnung des aufnehmenden Krankenhauses in Höhe von 300 Euro könne die KK nicht verlangen (Urteil vom 19.1.2022).

Die Beklagte wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.

II. Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet und daher zurückzuweisen.

Die Beklagte beruft sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung und formuliert folgende Rechtsfrage:

"Sind bei einer Verlegung, abweichend von den enumerativ gemäß § 301 SGB V zu übermittelnden Daten, von einem Krankenhaus gegenüber einer Krankenkasse konkrete medizinische oder organisatorische Gründe anzugeben, obwohl die Vertragspartner auf Bundesebene in § 1 Fallpauschalenvereinbarung 2016 im Auftrag des Gesetzgebers die nachfolgende, das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 2 SGB V konkretisierende, abschließende Regelung zur Verlegung getroffen haben: 'Nach § 1 Abs. 1 S. 2 Fallpauschalenvereinbarung rechnet auch im Falle der Verlegung in ein anderes Krankenhaus jedes beteiligte Krankenhaus eine Fallpauschale ab. Diese wird gemäß § 1 Abs. 1 S. 3, 1. HS Fallpauschalenvereinbarung nach Maßgabe des § 3 Fallpauschalenvereinbarung gemindert.'?"

Diese Rechtsfrage hat keine grundsätzliche Bedeutung mehr. Sie bedarf keiner Klärung in einem erneuten Revisionsverfahren. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich entschieden ist.

Der Senat hat sich mit der von der Beklagten aufgeworfenen Frage in der Sache in einem Urteil vom 7.3.2023 auseinandergesetzt (B 1 KR 4/22 R - juris). Danach bedarf es bei einer Verlegung eines sachlichen Grundes, den das Krankenhaus im Streitfall darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen hat, es sei denn, die Verlegung verursacht der KK keine Mehrkosten. Dies ergibt sich aus der Verpflichtung zur Beachtung des allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs 1 Satz 1 SGB V). Als sachliche Gründe für eine Verlegung kommen zwingende medizinische Gründe, zwingende Gründe in der Person des Versicherten sowie übergeordnete Gründe der Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen, patienten- und bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhäusern in Betracht. Ein übergeordneter Grund der Sicherstellung ist die Verlegung aus einem Krankenhaus einer höheren in ein Krankenhaus einer niedrigeren Versorgungsstufe, wenn und soweit es der besonderen Mittel des Krankenhauses der höheren Versorgungsstufe nicht (mehr) bedarf und die dortigen Versorgungskapazitäten für andere Patienten benötigt werden.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Regelungen der FPV über die Verlegung. Wörtlich hat der Senat dazu ausgeführt (B 1 KR 4/22 R - juris RdNr 35 f):

"Die FPV regelt auf der Grundlage von § 17b KHG und § 9 KHEntgG nur die Vergütung bei erfolgter Verlegung und macht diese nicht von einschränkenden Voraussetzungen abhängig, insbesondere nicht von einer Notwendigkeit der Verlegung (siehe oben RdNr 14 ff). Ihr lässt sich aber auch nicht entnehmen, dass die Entscheidung über die Verlegung vollständig in das Belieben des Krankenhauses gestellt werden soll (vgl zur Gefahr eines rein ökonomischen 'Verlegungstourismus' BSG vom 16.12.2008 - B 1 KR 10/08 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 14 RdNr 21). Eine solche Wertung rechtfertigt sich auch nicht allein daraus, dass der Verlegungsabschlag gemäß § 3 FPV 2013 auch dazu dient, Anreizen für eine zu frühe Verlegung entgegenzuwirken (vgl Amtliche Begründung zum Referentenentwurf zur KFPV 2004, zu B. Einzelbegründung zu § 3, recherchiert am 6.3.2023 unter https://www.g-drg.de/archiv/drg-systemjahr-2004-datenjahr-2002).

Die preisrechtlichen Regelungen der FPV 2017 sind im Übrigen auch aufgrund ihrer Stellung in der Normenhierarchie und ihrer rechtssystematischen Verortung außerhalb der GKV nicht in der Lage, aus eigenem Geltungsgrund das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs 1 und des § 70 Abs 1 Satz 2 SGB V einzuschränken. Eine spezifische gesetzliche Ermächtigung zu einer solchen Einschränkung zu Lasten der KKn fehlt den Vertragsparteien des § 17b Abs 2 Satz 1 KHG."

Danach verbleibt kein Klärungsbedarf mehr, der eine revisionsgerichtliche Entscheidung erforderlich macht. Soweit die Beklagte - nach entsprechendem richterlichen Hinweis auf das Entfallen der grundsätzlichen Bedeutung - lediglich geltend gemacht hat, das LSG habe einen übergeordneten Grund, der sich aus dem in Nordrhein-Westfalen geltenden Planungsrecht ergebe, namentlich das Geriatriekonzept nach Krankenhausplan NRW 2015, nicht geprüft und folglich auch nicht seiner Entscheidung zugrunde gelegt, trifft dies bereits in der Sache nicht zu. Denn das LSG hat festgestellt, dass die geriatrische Frührehabilitation vom Versorgungsauftrag der Beklagten umfasst ist und es ihr nicht freisteht zu entscheiden, ob sie diese Leistungen erbringen will. Es hat ausdrücklich angenommen, das Krankenhaus sei im Rahmen seines Versorgungsauftrages verpflichtet gewesen, Leistungen der geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung zu erbringen und habe weder konkrete medizinische oder organisatorische Gründe für die Verlegung vorgetragen bzw nachgewiesen noch seien hinreichend konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen entsprechender Gründe ersichtlich. Das beklagte Krankenhaus hat diese Feststellungen des LSG nicht mit Verfahrensrügen angegriffen. Im Übrigen rügt es mit diesem Vorbringen letztlich nur die inhaltliche Unrichtigkeit des LSG-Urteils in ihrem Einzelfall. Die Behauptung, die Berufungsentscheidung sei inhaltlich unrichtig, kann aber nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl BSG vom 18.4.2023 - B 1 KR 31/22 BH - juris RdNr 8).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.

Schlegel

Estelmann

Geiger

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15977417

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge