Orientierungssatz

1. Aus der Verletzung des rechtlichen Gehörs kann im sozialgerichtlichen Verfahren kein absoluter Revisionsgrund abgeleitet werden, bei dessen Vorliegen die Entscheidung stets als auf der Gesetzesverletzung beruhend anzusehen ist. In Fällen dieser Art muß der Beschwerdeführer daher grundsätzlich darlegen, welches Vorbringen verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann.

2. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß wurde nicht zur Entscheidung angenommenen (Gründe vgl BVerfG 1. Senat 3. Kammer vom 3.2.1989 1 BvR 16/89).

 

Normenkette

SGG §§ 62, 160 Abs 2 Nr 3, § 160a Abs 2 S 3

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 31.07.1986; Aktenzeichen L 9 Ar 34/85)

 

Gründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen.

Wird die Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, daß die Revision zuzulassen sei, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), muß die grundsätzliche Bedeutung in der Beschwerdebegründung dargelegt werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Grundsätzliche Bedeutung kann eine Rechtssache nur haben, wenn in ihr mindestens eine Rechtsfrage enthalten ist, die über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat, also klärungsbedürftig, klärungsfähig und im Einzelfalle entscheidungserheblich ist. Daß und warum dies der Fall ist, muß substantiiert aufgezeigt werden. Es müssen also zunächst die Rechtsfragen eindeutig angegeben werden, deren Klärung erwartet wird. Sodann ist darzulegen, weshalb sie klärungsbedürftig, klärungsfähig und entscheidungserheblich sind. Das ist hier nicht geschehen.

Selbst wenn zweifelhaft wäre, ob nach der Bestimmung des § 62 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB 1), nach der sich der Bezieher von Sozialleistungen auf Verlangen des Leistungsträgers ärztlichen und psychologischen Untersuchungsmaßnahmen unterziehen soll, eine Untersuchung durch einen Facharzt für Psychiatrie erst in Betracht kommt, wenn eine psychologische Untersuchung nicht ausreicht, und der Kläger, der dies meint, damit eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufgezeigt hätte, fehlte es an Darlegungen, weshalb im Revisionsverfahren diese Frage entscheidungserheblich ist. Dies gilt um so mehr, als der Kläger in der Beschwerdebegründung die Ansicht vertritt, daß sich aus den der Beklagten zur Verfügung stehenden Unterlagen alle Fragen hinreichend beantworten ließen, so daß weitere Untersuchungen nicht erforderlich gewesen seien.

Mit seinem Vorbringen im übrigen, die Sache habe grundsätzliche Bedeutung, weil eine Revisionsentscheidung Zweifelsfragen zu den §§ 62, 65 SGB 1 bei der Anordnung einer psychiatrischen Untersuchung ausräumen könne, zeigt der Kläger einen komplexen Sachverhalt auf, der der Zerlegung in mehrere Rechtsfragen zugänglich ist. Damit wird eine konkrete Rechtsfrage, welche der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung verleihen soll, nicht hinreichend bezeichnet. Dies ist aber erforderlich; denn es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, aus einer Vielzahl von Rechtsfragen, die der komplexe Sachverhalt aufweist, diejenigen herauszusuchen, die der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung verleihen können (BVerwG Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr 100; Hennig/Danckwerts/ König, Kommentar zum SGG, § 160a Erl 7.7.3; siehe auch BSG SozR 1500 § 160a Nr 31).

Die Beschwerdebegründung entspricht den gesetzlichen Anforderungen auch insoweit nicht, als der Kläger einen Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG geltend macht. In diesem Fall ist gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG in der Begründung der Beschwerde ein Verfahrensmangel zu bezeichnen, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Hierzu müssen, wie bei einer Verfahrensrüge innerhalb einer zugelassenen Revision, die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 14, 24, 34 und 36). Hieran fehlt es.

Soweit der Kläger geltend macht, das Landessozialgericht (LSG) habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 Grundgesetz) verletzt, indem es entschieden habe, ohne zuvor über sein erneutes Prozeßkostenhilfegesuch und seinen Antrag auf Verlegung der mündlichen Verhandlung entschieden zu haben, ist ein Mangel, auf dem das Urteil des LSG beruhen kann, schon deshalb nicht schlüssig dargetan, weil der Kläger nicht angegeben hat, welches Vorbringen ihm durch die gerügte Verfahrensweise des Sozialgerichts (SG) abgeschnitten worden ist. Da der Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG voraussetzt, daß die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann, muß mit der Beschwerde auch dargetan werden, weshalb dies der Fall ist. Das gilt auch bei (vermeintlicher) Verletzung des Anspruchs auf das rechtliche Gehör. Denn aus der Verletzung des rechtlichen Gehörs kann im sozialgerichtlichen Verfahren kein absoluter Revisionsgrund abgeleitet werden, bei dessen Vorliegen die Entscheidung stets als auf der Gesetzesverletzung beruhend anzusehen ist; im Unterschied zu § 138 Nr 3 Verwaltungsgerichtsordnung und § 119 Nr 3 Finanzgerichtsordnung ist die Verletzung des rechtlichen Gehörs nämlich weder im SGG noch in der entsprechend anwendbaren Zivilprozeßordnung unter den absoluten Revisionsgründen aufgeführt worden (BSG SozR 1500 § 160 Nr 31; BSGE 53, 83, 84 = SozR 1500 § 124 Nr 7). In Fällen dieser Art muß der Beschwerdeführer daher grundsätzlich darlegen, welches Vorbringen verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 36; Hennig/Danckwerts/König, Kommentar zum SGG, § 160a Anm 7.9.4). Ob etwas anderes gilt, wenn ein Beteiligter keine Gelegenheit hatte, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen (vgl dazu BSGE 53, 83, 85 f = SozR 1500 § 124 Nr 7), ist hier nicht zu entscheiden; denn der Kläger hat keine erheblichen Gründe angegeben, weshalb er an dem anberaumten Termin nicht teilgenommen hat, obwohl das LSG sein persönliches Erscheinen angeordnet hatte, um ihm Gelegenheit zu geben, auf öffentliche Kosten zu erscheinen und sein Begehr durch mündlichen Vortrag zu verdeutlichen. Die von ihm behauptete mangelhafte Amtsermittlung durch das LSG rechtfertigte sein Fernbleiben ebensowenig wie die vermeintliche Unmöglichkeit der erforderlichen Akteneinsicht und die fehlende Bescheidung seines zweiten Antrags auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe. Soweit der Kläger behauptet, ihm hätten keine Mittel zur Anreise nach Essen zur Verfügung gestanden, ist sein Vortrag nicht substantiiert. Es fehlt an Darlegungen, weshalb er die Reisekosten, die ihm erstattet worden wären, nicht zunächst aus seinen Sparguthaben, die über 2.500,-- DM lagen, bestreiten konnte.

Aus im wesentlichen gleichen Gründen wie vorstehend ist eine Verletzung des § 103 SGG, auf der das angefochtene Urteil beruhen kann, nicht bezeichnet worden. Die Rüge der Verletzung des § 103 SGG, auf die nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG eine Nichtzulassungsbeschwerde nur dann gestützt werden kann, wenn der Verfahrensmangel sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist, erfordert nicht nur die Angabe der Gründe, aus denen heraus das LSG sich von seinem sachlichrechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt sehen müssen, gerade den beantragten, von ihm nicht erhobenen Beweis zu erheben (vgl BSGE 1, 91, 93; SozR Nr 64 zu § 162 SGG und Nr 14 zu § 103 SGG; BSG SozR 1500 § 160a Nr 34). Vielmehr ist substantiiert auch darzulegen, welches für den Beschwerdeführer günstigere Ergebnis von der Beweisaufnahme, deren Unterlassung gerügt wird, zu erwarten gewesen wäre und daß das Berufungsgericht bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zwingend zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen müssen; denn nur dann, wenn das Ergebnis der Beweisaufnahme das Berufungsgericht zu einer anderen Entscheidung als der getroffenen veranlassen mußte, kann das angefochtene Urteil auf der unterlassenen Beweisaufnahme beruhen (vgl dazu Hennig/Danckwerts/König, Kommentar zum SGG, § 160a Anm 7.9.3; BSGE 41, 229, 236; SozR 1500 § 160a Nr 24; BVerwG, VerRspr 31, 364; BVerwG Buchholz 310 § 132 VwGO Nr 114). Welches für den Kläger günstigere Ergebnis von den Beweisaufnahmen zu erwarten gewesen wäre, ist in der Beschwerdebegründung indes nicht angegeben worden. Allgemeine Bemerkungen des Inhalts, daß die Vernehmungen ein klareres Bild des Sachverhalts hätten ergeben können oder daß sich dann gezeigt hätte, daß die Beklagte allein auf der Grundlage der ihr zur Verfügung stehenden Informationen ohne weitere Untersuchung des Klägers die ihr obliegende Aufgabe wahrnehmen konnte, genügen hierzu nicht.

Schließlich hat die Beschwerde auch nicht schlüssig dargetan, daß das LSG das Vorbringen des Klägers nicht in seine Erwägungen einbezogen und hierdurch den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt hat. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht schon dann vor, wenn ein Gericht in den Entscheidungsgründen seines Urteils nicht zu den einzelnen vorgetragenen Fragen Stellung genommen hat. Nur wenn sich aus den Umständen des Einzelfalles ergibt, daß der Vortrag nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen worden ist, ist das Recht auf Gehör verletzt worden. Daß dies vorliegend der Fall gewesen ist, hat der Kläger substantiiert nicht dargelegt. Es genügt insoweit nicht, wenn er behauptet, im Urteil finde sich nichts, was darauf deuten könnte, daß seinem Vortrag Beachtung geschenkt worden sei und dies allein damit begründet, das Vordergericht hätte sich anderenfalls zumindest knapp mit den von ihm aufgeworfenen Rechtsfragen auseinandersetzen müssen. Solche allgemein gehaltenen Hinweise sind nicht ausreichend; vielmehr muß sich aus der Beschwerdebegründung der Verfahrensmangel unmittelbar ergeben; denn dadurch soll das Revisionsgericht in die Lage versetzt werden, sich allein anhand der Begründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14).

Auch soweit der Kläger eine Verletzung des § 106 Abs 1 SGG rügt, genügt die Beschwerdebegründung nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Das ist schon deshalb der Fall, weil aus ihr nicht hervorgeht, daß die Entscheidung des LSG auf dem behaupteten Mangel beruhen kann, was aber, wie bereits ausgeführt wurde, zur Bezeichnung des Verfahrensmangels erforderlich ist.

Entspricht die Begründung der Beschwerde somit nicht den gesetzlichen Anforderungen, muß die Beschwerde entsprechend § 169 SGG als unzulässig verworfen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1665038

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