Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Rechtssache. Grundsätzliche Bedeutung. Vertragspsychotherapeutische Versorgung. Bedarfsunabhängige Zulassung. Versorgungsrelevante Teilnahme. Behandlungsstunden. Delegationsverfahren. Kostenerstattungsverfahren
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine versorgungsrelevante Teilnahme gemäß § 95 Abs. 10 Nr. 3 SGB V ist gegeben, wenn ein Psychotherapeut in der Zeit vom 25.06.1994 bis zum 24. 06.1997 (so genanntes Zeitfenster) innerhalb von sechs Monaten durchschnittlich je Woche 11,6 Behandlungsstunden im Rahmen des Delegations- und/oder Kostenerstattungsverfahrens erbrachte oder wenn ein Therapeut seine Praxis erst 1997 gründete und seitdem alle Umstände auf eine berufliche Orientierung zu einer psychotherapeutischen Tätigkeit in niedergelassener Praxis hindeuteten, indem er im letzten Vierteljahr des so genannten Zeitfensters – also von April bis Juni 1997 – durchschnittlich 15 Behandlungsstunden je Woche aufzuweisen hatte.
2. Die Rechtsprechung lässt keinen Raum für eine weiter gehende Flexibilisierung dieser Grundsätze.
3. Als Teilnahme gemäß § 95 Abs. 10 Nr. 3 SGB V kommen nur Behandlungsstunden im Rahmen des Delegations- oder Kostenerstattungsverfahrens, nicht aber Behandlungen selbst zahlender Patienten in Betracht.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2, § 160a Abs. 2 S. 3; SGB V § 95 Abs. 10 S. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. Oktober 2001 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat dem Beklagten die außergerichtlichen Kosten auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin – Diplom-Psychologin – begehrt die Zulassung zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung in Freiburg. Sie eröffnete dort im Juni 1996 eine Praxis. Bis zum 24. Juni 1997 – dh in dem für die bedarfsunabhängige Zulassung maßgeblichen so genannten Zeitfenster – führte sie nach ihren Angaben 195 psychotherapeutische Behandlungsstunden im so genannten Kostenerstattungsverfahren durch. Zudem erbrachte sie – abgesehen von wöchentlich 8 Std in einer Beratungsstelle – 72,5 Std (so laut Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫) oder jedenfalls 59,5 Std (so die Beschwerdebegründung) bei Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) als Selbstzahlern. Mit ihrem Zulassungsbegehren ist sie im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren ohne Erfolg geblieben.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG macht sie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Die Entscheidung des LSG sei weder mit dessen späterem Urteil vom 7. November 2001 – L 5 KA 2233/01 – noch mit den Grundsätzen vereinbar, die sich aus der Pressemitteilung des Bundessozialgerichts (BSG) Nr 71/00 vom 9. November 2000 ergäben. Das LSG habe in dem späteren Urteil 122 Behandlungsstunden an GKV-Versicherten im Zeitraum April bis Juni 1997 genügen lassen. Dementsprechend müssten – gemäß der Vorgabe einer „flexiblen, dem Einzelfall gerecht werdenden Handhabung”, wie es in der Pressemitteilung des BSG formuliert sei – die genannten 195 Std ausreichen, jedenfalls bei Hinzurechnung der weiteren 59,5 Behandlungsstunden, die sie bei GKV-Versicherten als Selbstzahlern erbracht habe. Insoweit bestehe Bedarf nach grundsätzlicher Klärung.
Entscheidungsgründe
II
Die Beschwerde, mit der die Klägerin geltend macht, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), ist zulässig, aber unbegründet.
Für die Zulässigkeit der Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss gemäß den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Darlegungsanforderungen eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet und ausgeführt werden, inwiefern diese Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (stRspr, vgl zB BVerfG ≪Kammer≫, SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14, und BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 19 S 34 f; Nr 30 S 57 f mwN).
In der Beschwerdebegründung wird zwar nicht ausdrücklich eine konkrete Rechtsfrage als grundsätzlich bedeutsam geltend gemacht. Bei sinngemäßer und wohl wollender Auslegung lassen sich der Begründung aber mit ausreichender Klarheit die Fragen entnehmen,
(1.) ob weniger als 200 – hier 195 – Behandlungsstunden binnen eines Jahres im Rahmen des Zeitfensters gemäß § 95 Abs 10 Nr 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ausreichen können und/oder
(2.) ob Behandlungen an GKV-Versicherten zu berücksichtigen sind, die nicht im Rahmen des Delegations- oder Kostenerstattungsverfahrens durchgeführt wurden.
Zu beiden Fragen enthält die Beschwerdebegründung weitere Ausführungen entsprechend den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG.
Die mithin zulässige Beschwerde ist aber unbegründet. Hinsichtlich beider Fragen ist die Klärungsbedürftigkeit zu verneinen. Für ihre Klärung bedarf es keines Revisionsverfahrens, denn ihre Beantwortung unterliegt nach den maßgeblichen Rechtsvorschriften bzw auf der Grundlage der dazu bereits vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung keinem Zweifel (vgl zu diesem eine Grundsatzrevision ausschließenden Umstand allgemein zB BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6 und § 160a Nr 21 S 38).
Wie sich aus den Urteilen des BSG vom 8. November 2000 ergibt, ist eine versorgungsrelevante Teilnahme gemäß § 95 Abs 10 Nr 3 SGB V gegeben, wenn ein Psychotherapeut in der Zeit vom 25. Juni 1994 bis zum 24. Juni 1997 (so genanntes Zeitfenster) innerhalb von sechs Monaten durchschnittlich je Woche 11,6 Behandlungsstunden im Rahmen des Delegations- und/oder Kostenerstattungsverfahrens erbrachte (s BSGE 87, 158, 175 ff, 178 = SozR 3-2500 § 95 Nr 25 S 123 ff, 126 f). Ausreichend ist es ebenfalls, wenn ein Therapeut seine Praxis erst 1997 gründete und seitdem alle Umstände auf eine berufliche Orientierung zu einer psychotherapeutischen Tätigkeit in niedergelassener Praxis hindeuteten, indem er im letzten Vierteljahr des so genannten Zeitfensters – also von April bis Juni 1997 – durchschnittlich 15 Behandlungsstunden je Woche aufzuweisen hatte (s BSG, aaO, S 179 bzw S 127). Diese Maßstäbe lassen eine flexible, dem Einzelfall gerecht werdende Handhabung erkennen, wie sie in der Pressemitteilung des BSG – einer allerdings nur summarischen Vorinformation über die Verfahrensergebnisse – zum Ausdruck gekommen ist. Die Rechtsprechung lässt aber keinen Raum für eine weiter gehende Flexibilisierung der Grundsätze der Urteile vom 8. November 2000 entsprechend dem Begehren der Klägerin. Daraus folgt – ohne dass eine (erneute) Klärung in einem Revisionsverfahren erforderlich ist –, dass weniger als 200 Behandlungsstunden, verteilt über ein Jahr, für eine versorgungsrelevante Teilnahme iS des § 95 Abs 10 Nr 3 SGB V nicht ausreichen können.
Ob das andere von der Klägerin angeführte spätere LSG-Urteil den Anforderungen der BSG-Rechtsprechung entspricht, ist hier nicht zu entscheiden. Denn dessen etwaige Abweichung von den dargestellten Maßstäben könnte dem vorliegenden Fall keine grundsätzliche Bedeutung verleihen.
Gleichfalls unzweifelhaft ist die Antwort auf die zweite von der Klägerin als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage, die dahin geht, ob im Rahmen des Zeitfensters auch solche Behandlungen GKV-Versicherter zu berücksichtigen sind, die nicht im Rahmen des Delegations- oder Kostenerstattungsverfahrens erfolgten, sondern von den Versicherten selbst bezahlt wurden. Auf der Grundlage der Urteile vom 8. November 2000 kommen als Teilnahme gemäß § 95 Abs 10 Nr 3 SGB V nur Behandlungsstunden im Rahmen des Delegations- oder Kostenerstattungsverfahrens in Betracht (s BSG, aaO, S 166 ff bzw S 113 ff); Behandlungen selbst zahlender Patienten hat das BSG in diesem Zusammenhang ausdrücklich für irrelevant erklärt (BSG, aaO, S 166 bzw S 113 f). Daraus ergibt sich mit hinreichender Klarheit, dass der Psychotherapeut die Behandlungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen durchgeführt, also entweder über die Kassenärztliche Vereinigung oder direkt mit den Krankenkassen abgerechnet haben muss. Soweit also GKV-Versicherte nicht zu Lasten der GKV, sondern auf private Rechnung – insoweit also nicht als GKV-Versicherte – behandelt werden, kann das nicht im Sinne einer Teilnahme gemäß § 95 Abs 10 Nr 3 SGB V angerechnet werden.
Die von der Klägerin genannten Gründe für die privaten Zahlungen – etwa, dass die Verfahren auf Genehmigung der Kostenerstattung den Klienten zu lange gedauert oder dass manche Krankenkassen eine restriktive Genehmigungspraxis gehabt hätten – können keine andere Beurteilung rechtfertigen. Ebenso wenig ist das Argument, die Klienten suchten sie vielfach deshalb auf, weil sie die Therapiegespräche gleichermaßen in Englisch, Portugiesisch und Spanisch führen könne, im Rahmen des § 95 Abs 10 Nr 3 SGB V relevant, abgesehen davon, dass solchen Gesichtspunkten eine allgemeine Bedeutung über den Einzelfall hinaus, wie es für die Revisionszulassung erforderlich wäre, ohnehin nicht zukommen könnte.
Nach alledem hat die Nichtzulassungsbeschwerde keinen Erfolg und ist mit der Kostenfolge entsprechend § 193 Abs 1 und 4 SGG (in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung) zurückzuweisen.
Fundstellen