Orientierungssatz
Welcher Leistungsträger - derjenige des Wohnstaates oder des Beschäftigungsstaates - ist für die rentenrechtliche Berücksichtigung von Zeiten der Vollarbeitslosigkeit zuständig, wenn es sich um einen Grenzgänger handelt, der bei Vollarbeitslosigkeit nach Art 71 Abs 1 Buchst a) DBuchst ii) der EWGV 1408/71 Leistungen des Wohnstaates in Anspruch nehmen und sich dessen Arbeitsverwaltung zur Verfügung stellen mußte?
Insbesondere:
a) Folgt aus Art 71 Abs 1 Buchst a) DBuchst ii) der EWGV 1408/71, daß die von einem Grenzgänger im Wohnstaat zurückgelegten Zeiten der Vollarbeitslosigkeit auch nach den rentenrechtlichen Vorschriften des Wohnstaates zu berücksichtigen sind, als ob dessen Vorschriften während seiner letzten Beschäftigung für ihn gegolten hätten?
b) Oder sind stattdessen die Zeiten der Vollarbeitslosigkeit eines Grenzgängers nach den rentenrechtlichen Vorschriften des Beschäftigungsstaates zu berücksichtigen, als ob während der Vollarbeitslosigkeit die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedsstaates für ihn gegolten hätten?
c) Oder hat der Grenzgänger ein Recht zu wählen, ob er den Leistungsträger des Wohnstaates oder des Beschäftigungsstaates hinsichtlich der rentenrechtlichen Berücksichtigung der zurückgelegten Arbeitslosenzeiten in Anspruch nehmen will?
Normenkette
EWGV 1408/71 Art. 71 Abs. 1 Buchst. a DBuchst ii Fassung: 1971-06-14; RVO § 1259 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; AVG § 36 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Entscheidung vom 19.09.1985; Aktenzeichen L 1 A 6/83) |
SG für das Saarland (Entscheidung vom 27.01.1983; Aktenzeichen S 9 A 133/81) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Anrechenbarkeit einer Zeit der Vollarbeitslosigkeit des Klägers bei der Berechnung seiner - deutschen - Versichertenrente.
Der 1920 geborene Kläg r, der deutscher Staatsangehöriger ist und stets in Deutschland gewohnt hat, war vom 1. August 1959 bis 30. Juni 1972 als Grenzgänger in Frankreich beschäftigt und hat während dieser Zeit Beiträge zur französischen Sozialversicherung entrichtet. Im Anschluß an diese Tätigkeit war er arbeitslos (= vollarbeitslos im Sinne des Gemeinschaftsrechts) und wurde nach Meldung bei der französischen Arbeitsverwaltung von dieser an das Arbeitsamt Saarbrücken verwiesen, von dem er vom 13. Juli 1972 bis 31. Juli 1974 Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) bezogen hat. Anschließend war der Kläger - mit Unterbrechungen - nach deutschem Recht versicherungspflichtig. Seit Dezember 1980 erhält er eine französische Versichertenrente.
Mit Bescheid vom 10. Dezember 1980 wurde dem Kläger von der Beklagten Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit gewährt, bei deren Berechnung die Zeit der Arbeitslosigkeit von Juli 1972 bis Juli 1974 unberücksichtigt blieb. Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers gegen diesen Bescheid hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) für das Saarland hat in den Gründen seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt, eine Zeit der Arbeitslosigkeit sei nur dann eine Ausfallzeit iS von § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 3 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG), wenn durch sie eine nach deutschem Recht versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen worden sei; denn die Ausfallzeiten sollten - ähnlich wie Ersatzzeiten - in solchen Fällen an die Stelle einer deutschen Beitragszeit treten, so daß nur die Unterbrechung einer deutschen Beitragszeit einen Ausfallzeittatbestand begründe. Etwas anderes könne nur für solche Beitragszeiten gelten, die nach dem Fremdrentenrecht oder zwischenstaatlichen Abkommensrecht deutschen Beitragszeiten gleichgestellt seien. Eine solche Gleichstellung ergebe sich aber weder aus dem deutsch-französischen Abkommensrecht noch aus dem europäischen Gemeinschaftsrecht.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AVG in Verbindung mit Art 71 Abs 1 Buchst a) Ziff ii) der Verordnung Nr 1408/71 des Rates der Europäischen Gemeinschaften über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGV 1408/71) vom 14. Juni 1971 (ABl Nr L 149/2). Das LSG habe nicht berücksichtigt, daß er aufgrund der vorgenannten gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung bei Eintritt der Vollarbeitslosigkeit ausschließlich Leistungen des Wohnstaates habe in Anspruch nehmen und sich dessen Arbeitsverwaltung zur Verfügung stellen müssen. Daraus folge, daß es auch in die Zuständigkeit des Wohnstaates falle, die bei ihm zurückgelegten Arbeitslosenzeiten rentenrechtlich zu berücksichtigen und ihn so zu behandeln, als ob während seiner letzten Beschäftigung vor der Arbeitslosigkeit die Rechtsvorschriften dieses Staates für ihn gegolten hätten. Anderenfalls werde er allein deshalb rentenrechtlich benachteiligt, weil er kraft Gemeinschaftsrechts die Arbeitslosenzeiten nur im Wohnstaat habe zurücklegen können. Denn aufgrund des Leistungsbezugs im Wohnstaat habe er weder im Beschäftigungsstaat noch im Wohnstaat die innerstaatlichen Voraussetzungen für die rentenrechtliche Anerkennung (Anrechenbarkeit) einer Arbeitslosen-Ausfallzeit erfüllen können, weil es an dem nach französischem Recht geforderten französischen Leistungsbezug wegen Arbeitslosigkeit fehle und nach deutschem Recht keine deutsche versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen worden sei. In diesem Fall müsse er nach dem Rentenrecht des Wohnstaates so behandelt werden, als ob während seiner letzten Beschäftigung vor der Arbeitslosigkeit die Rechtsvorschriften dieses Staates für ihn gegolten hätten. Bei Zweifeln darüber, ob ggf statt dessen der Beschäftigungsstaat (Frankreich) zuständig sei und ihn so behandeln müsse, als ob er Leistungen wegen Arbeitslosigkeit von diesem Staat erhalten hätte, müsse der Europäische Gerichtshof (EuGH) angerufen werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 19. September 1985 und das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 27. Januar 1983 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 10. Dezember 1980 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. September 1981 zu verurteilen, dem Kläger höhere Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit unter Berücksichtigung der Zeit vom 13. Juli 1972 bis 31. Juli 1974 als Ausfallzeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil des LSG, das auf die Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. August 1972 (SozR Nr 48 zu § 1259 Reichsversicherungsordnung -RVO-) sowie vom 7. Dezember 1972 (1 RA 211/71) gestützt sei, für zutreffend. Sie verweist auf eine den vorliegenden Fall betreffende Besprechung der Verbindungsstellen und Träger der Rentenversicherung Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland vom 17. bis 19. September 1986 in Bensheim, bei der die Nachteile erörtert worden seien, die sich aus Art 71 Abs 1 Buchst a) Ziff ii) der EWGV 1408/71 bei der Alters- und Invaliditätssicherung eines arbeitslos gewordenen Grenzgängers ergäben. Auf deutscher Seite werde keine Möglichkeit für eine Abhilfe gesehen. Auch die französische Seite habe sich hierzu außerstande gesehen, weil der Kläger dort keine Leistungen wegen Arbeitslosigkeit bezogen habe.
Entscheidungsgründe
Der Senat ruft gemäß Art 177 des EWG-Vertrages den EuGH zur Vorabentscheidung über die in der Beschlußformel aufgeführten Fragen an, weil die Entscheidung des Senats von ihrer Beantwortung abhängt und sich ihre Beantwortung nicht ohne weiteres aus dem Wortlaut der EWGV 1408/71 oder der bisherigen Rechtsprechung des EuGH ergibt.
Die Revision des Klägers ist zulässig. Sie wäre aber auf der Grundlage allein des innerstaatlichen Rechts nicht begründet und müßte zurückgewiesen werden, weil der Kläger die Voraussetzungen des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AVG nicht sämtlich erfüllt. Nach den Feststellungen des LSG hat er zwar den vorgenannten Ausfallzeittatbestand insoweit erfüllt, als er in der streitigen Zeit vom 13. Juli 1972 bis zum 31. Juli 1974 als Arbeitsloser bei einem deutschen Arbeitsamt arbeitsuchend gemeldet war und von diesem Unterstützung aus der Arbeitslosenversicherung - zunächst Arbeitslosengeld und später Arbeitslosenhilfe - bezogen hat. Jedoch hat die Zeit der Arbeitslosigkeit keine nach deutschem Recht versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen. Der Kläger war unmittelbar vor Eintritt seiner Vollarbeitslosigkeit nach französischen Rechtsvorschriften versicherungspflichtig, weil er in Frankreich beschäftigt war. Nach Art 13 Abs 2 Buchst a) der EWGV 1408/71 unterliegt eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaates im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnt. Damit war der Kläger für die Zeit seiner Beschäftigung in Frankreich bis 30. Juni 1972 der französischen Sozial- und Arbeitslosenversicherung zugeordnet bzw nach französischem Sozial- und Arbeitslosenversicherungsrecht pflichtversichert. Die Unterbrechung dieser versicherungspflichtigen Beschäftigung durch Vollarbeitslosigkeit konnte keinen nach deutschem Recht für die Berechnung der Rente berücksichtigungsfähigen Tatbestand (Ausfallzeittatbestand) begründen, auch wenn die anschließende Zeit der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt worden ist und dort zu einem Leistungsbezug geführt hat. Denn nach dem für die streitige Zeit maßgeblichen § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AVG ist eine Zeit der Arbeitslosigkeit nur dann Ausfallzeit, wenn sie eine nach deutschem Recht versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen hat, weil eine (beitragslose) Ausfallzeit - ähnlich wie eine Ersatzzeit - nur an die Stelle einer deutschen Beitragszeit treten soll. Der Senat teilt insoweit die Auffassung des LSG, die auf der Rechtsprechung des BSG ruht (BSG SozR Nr 48 zu § 1259 RVO sowie Urteil des vorlegenden Senats vom 7. Dezember 1972 - 1 RA 211/71 -, nicht veröffentlicht). Das LSG hat insoweit auch zutreffend festgestellt, daß es keine Norm des geschriebenen nationalen oder internationalen Rechts gibt, die für die Anerkennung von Ausfallzeiten wegen Arbeitslosigkeit eine Gleichstellung der französischen Pflichtbeitragszeiten mit deutschen Pflichtbeitragszeiten zum Inhalt hat oder die Unterbrechung einer französischen Beitragszeit genügen läßt.
Auch das geschriebene Gemeinschaftsrecht enthält keine derartige Regelung. Vielmehr setzen die hier einschlägigen rentenrechtlichen Bestimmungen der Verordnung Nr 3 des Rates über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer (EWGV 3) vom 25. September 1958 (ABl-EG Nr 30 vom 16. Dezember 1958, S 561; BGBl 1959, II S 473) und die mit Wirkung ab 1. Oktober 1972 an ihre Stelle getretene EWGV 1408/71 hinsichtlich der Zusammenrechnung deutscher mit französischen Beitragszeiten für die Erfüllung der Wartezeit und für die Rentenberechnung voraus, daß es sich nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht um anrechenbare Versicherungszeiten handelt. Weder Art 27, 28 der EWGV 3 noch Art 45, 46 der EWGV 1408/71 haben deshalb unmittelbare Bedeutung für die Beantwortung der Frage, ob eine im Anschluß an eine französische Versicherungszeit eingetretene Arbeitslosigkeit eine nach deutschem Recht anrechnungsfähige Ausfallzeit ist. Vielmehr ist es nach den gemeinschaftsrechtlichen Koordinierungsregelungen grundsätzlich nach innerstaatlichem Recht zu beurteilen, ob eine bestimmte für die Rentenberechnung anrechnungsfähige Zeit - hier eine Ausfallzeit iS von § 36 Abs 1 AVG - vorliegt. Auch aus den Regelungen in Anhang G Teil I Buchst B) zur EWGV 3 und aus dem Anhang VI Buchst C) Nr 2 a) zur EWGV 1408/71 - besondere Bestimmungen über die Anwendung der Rechtsvorschriften bestimmter Mitgliedstaaten - ergibt sich nichts anderes, obwohl darin Gleichstellungsregelungen für Ausfallzeiten enthalten sind. Wenn es dort heißt: "Für die Entscheidung, ob Zeiten, die nach den deutschen Rechtsvorschriften Ausfallzeiten ... sind, als solche angerechnet werden, stehen die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates entrichteten Pflichtbeiträge und der Eintritt in die Versicherung eines anderen Mitgliedstaates den Pflichtbeiträgen nach den deutschen Rechtsvorschriften und dem Eintritt in die deutsche Rentenversicherung gleich", so kann daraus nur entnommen werden, daß sich die Gleichstellung allein auf die Ermittlung der Halbbelegung nach § 36 Abs 3 AVG bezieht. Sie betrifft nur die Frage, ob eine Zeit, die nach innerdeutschem Recht Ausfallzeit ist (also die innerstaatlichen Voraussetzungen für die Anrechenbarkeit erfüllt), auch als solche rentensteigernd angerechnet werden kann (BSG SozR Nr 48 zu § 1259 RVO; Wiegand, Das europäische Gemeinschaftsrecht in der Sozialversicherung, Einführung, Anmerkung 120). Auch diese Regelungen setzen mithin voraus, daß grundsätzlich die Tatbestandsmerkmale einer Ausfallzeit nach innerdeutschen Rechtsvorschriften vorliegen müssen.
Abweichend hiervon könnte nach Ansicht des vorlegenden Senats aus Art 71 Abs 1 Buchst a) Ziff ii) EWGV 1408/71 folgen, daß bei einem Grenzgänger, der in einem anderen Mitgliedstaat (Frankreich) vollarbeitslos geworden ist, die dort unterbrochene versicherungspflichtige Beschäftigung bei der nach innerstaatlichem - deutschem - Recht anzuwendenden Arbeitslosen-Ausfallzeitenregelung des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AVG wie eine deutsche Beitragszeit zu berücksichtigen ist. Denn in diesem Fall hat erst das Gemeinschaftsrecht die Grundlage dafür geschaffen, daß für die Gewährung von Leistungen wegen Vollarbeitslosigkeit ein anderer Staat (hier die Bundesrepublik Deutschland) zuständig ist als derjenige, in dem die Unterbrechung der versicherungspflichtigen Beschäftigung wegen Vollarbeitslosigkeit (hier Frankreich) eingetreten ist. Dies kann bei der rentenrechtlichen Berücksichtigung von Zeiten der Vollarbeitslosigkeit nicht unberücksichtigt bleiben.
Der Kläger war bei Eintritt seiner Vollarbeitslosigkeit in Frankreich sog Grenzgänger. Für Grenzgänger ist typisch, daß sie nicht in ihrem Wohnstaat arbeiten, sondern von ihrem Beschäftigungsort in einem anderen Mitgliedstaat regelmäßig - in der Regel täglich, mindestens aber einmal wöchentlich - in ihren Wohnstaat zurückkehren (Art 1 Buchst b) EWGV 1408/71). Die Grenzgängereigenschaft des Klägers ist unstreitig. Er hat während seiner Berufstätigkeit im französischen Grenzgebiet ständig im deutschen Grenzgebiet gewohnt und ist praktisch täglich dorthin zurückgekehrt. Er unterfällt daher - ungeachtet seiner Versicherungspflicht nach französischem Recht gemäß Art 13 Abs 2 Buchst a) EWGV 1408/71 während seiner letzten Beschäftigung - als echter Grenzgänger hinsichtlich der Leistungspflicht bei Vollarbeitslosigkeit der Regelung des Art 71 Abs 1 Buchst a) Ziff ii) EWGV 1408/71 (bzw der entsprechenden Vorläufervorschrift). Danach erhalten Grenzgänger bei Arbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie wohnen, als ob während der letzten Beschäftigung die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats für sie gegolten hätten; diese Leistungen gewährt der Träger des Wohnorts zu seinen Lasten.
Aufgrund dieser gemeinschaftsrechtlichen Regelung hat die französische Arbeitsverwaltung den Kläger bei seiner Arbeitslosmeldung zutreffend an die deutsche Arbeitsverwaltung verwiesen, weil die vorgenannte Vorschrift für den Kläger einen Anspruch gegen den deutschen Träger auf Arbeitslosen-Leistungen nach deutschem Recht begründet hat. Ein Leistungsanspruch gegenüber der französischen Arbeitsverwaltung war hierdurch ausgeschlossen. Hierzu hat der EuGH bereits entschieden, daß der Grenzgänger bei Vollarbeitslosigkeit ausschließlich Leistungen des Wohnstaates in Anspruch nehmen muß, selbst wenn er die im Staat der letzten Beschäftigung geltenden rechtlichen Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch erfüllt und sich der Arbeitsverwaltung dieses Staates zur Verfügung stellt. Dies könne nicht dazu führen, einem solchen Arbeitnehmer ein Wahlrecht einzuräumen, das ihm Art 71 Abs 1 Buchst a) Ziff ii) EWGV 1408/71 versagt (Urteil des EuGH vom 12. Juni 1986, Rechtssage 1/85).
Daß damit Grenzgänger hinsichtlich ihrer sozialen Sicherheit bei Vollarbeitslosigkeit an ihren Wohnstaat gebunden werden, trägt dem Umstand Rechnung, daß sie enge Bindungen an diesen Staat beibehalten und sich regelmäßig dessen Arbeitsvermittlung zur Verfügung stellen wollen. Sie sollen nicht - wie andere Wanderarbeitnehmer - gezwungen sein, sich der Arbeitsvermittlung des Beschäftigungsstaats zur Verfügung zu stellen. Vielmehr soll mit der Zuständigkeitsregelung und Fiktion des Art 71 Abs 1 Buchst a) Ziff ii) EWGV 1408/71 sichergestellt werden, daß den Grenzgängern Leistungen bei Vollarbeitslosigkeit unter den für die Arbeitsuche günstigsten Voraussetzungen - nämlich im Wohnstaat - gewährt werden (EuGH SozR 6050 Art 71Nr 6 = EuGHE 1982, 1991, 2004; Urteil vom 12. Juni 1986, aaO). Damit erweist sich Art 71 Abs 1 Buchst a) Ziff ii) EWGV 1408/71 als eine Schutznorm zugunsten vollarbeitsloser Grenzgänger, die im Hinblick auf ihre Bindungen an den Wohnstaat keine Nachteile daraus erleiden sollen, daß die Arbeitslosigkeit in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnstaat eingetreten ist.
Diesen Schutzzielen würde es zuwiderlaufen, wenn die gemeinschaftsrechtlich zwingend vorgesehene Inanspruchnahme von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit im Wohnstaat für den Grenzgänger zur Folge hätte, daß die dort zurückgelegten Zeiten der Arbeitslosigkeit weder die innerstaatlichen Voraussetzungen des Wohnstaats für die rentenrechtliche Berücksichtigung von Arbeitslosen-Ausfallzeiten erfüllen können, weil es dort an der Unterbrechung einer inländischen Beitragszeit fehlt, noch nach dem Rentenrecht des Beschäftigungsstaats berücksichtigt werden können, weil es dort an einem inländischen Leistungsbezug wegen Arbeitslosigkeit fehlt. Damit wäre der Grenzgänger allein wegen Art 71 Abs 1 Buchst a) Ziff ii) EWGV 1408/71 gehindert, Arbeitslosen-Ausfallzeiten in einem der beiden Mitgliedstaaten zu erwerben. Darin könnte eine gemeinschaftsrechtswidrige Benachteiligung bzw Schlechterstellung gegenüber solchen Wanderarbeitnehmern liegen, die bei Arbeitslosigkeit Leistungen des Beschäftigungsstaats in Anspruch nehmen (müssen bzw können) und bei denen diese Zeiten später im Beschäftigungsstaat rentenrechtlich berücksichtigt werden. Dies könnte dem Sinn und Zweck der EWGV 1408/71 widersprechen und gegen die die Freizügigkeit der Arbeitnehmer betreffenden Art 48 bis 51 des EWG-Vertrages verstoßen. Diese Regelungen sollen nämlich insgesamt einen sozialpolitisch erwünschten grenzüberschreitenden Arbeitskräfteausgleich innerhalb der Gemeinschaft erleichtern, im Bereich der sozialen Sicherheit vor allem dadurch, daß eine sozialrechtliche Benachteiligung von Auslandsbeschäftigungen vermieden wird. Dieses mit Art 48 bis 51 des EWG-Vertrages verfolgte Ziel würde verfehlt, wenn Vorschriften, die zugunsten bestimmter Wanderarbeitnehmer - hier der Grenzgänger - eine eigene materielle Anspruchsgrundlage hinsichtlich ihrer sozialen Sicherung bei Arbeitslosigkeit schaffen, gleichzeitig dazu führen würden, diese Personen in anderen Sozialrechtsbereichen (Invaliditäts- und Alterssicherung) zu benachteiligen bzw ihnen Vorteile zu entziehen, in deren Genuß sie gekommen wären, wenn diese gemeinschaftsrechtliche Bestimmung nicht existierte.
Es stellt sich daher die Frage, ob zum Ausgleich eines solchen Nachteils die Regelung in Art 71 Abs 1 Buchst a) Ziff ii) EWGV 1408/71 - gleichzeitig in Ausfüllung eines Koordinierungsdefizits hinsichtlich der rentenrechtlichen Folgen dieser Regelung - ergänzend dahin auszulegen ist, daß die von einem Grenzgänger im Wohnstaat zurückgelegten Zeiten der Vollarbeitslosigkeit auch nach den rentenrechtlichen Vorschriften des Wohnstaates zu berücksichtigen sind, als ob diese Vorschriften bereits während seiner letzten Beschäftigung für ihn gegolten hätten. Daraus ergibt sich die für den vorliegenden Rechtsstreit rechtserhebliche Frage, ob bei Anwendung des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AVG eine solche Rechtsanwendungsregelung und Fiktion zu beachten ist.
Der vorlegende Senat möchte diese Frage bejahen, sieht sich aber an einer Beantwortung im vorgenannten Sinne dadurch gehindert, daß nach der Systematik der Regelungen in Art 67 Abs 3 in Verbindung mit Art 13 Abs 2 Buchst a) der EWGV 1408/71 im allgemeinen und des Art 71 dieser Verordnung im besonderen unterschiedliche Schlußfolgerungen für das hier zu entscheidende Problem gezogen werden könnten. Es ist nicht auszuschließen, daß anstelle des Wohnstaates, der die Leistungen wegen Arbeitslosigkeit erbringt, der Beschäftigungsstaat, in dem die Arbeitslosigkeit eingetreten ist, für die rentenrechtliche Anerkennung von Ausfallzeiten zuständig ist, oder gar dem Grenzgänger ein Wahlrecht zusteht, an welchen der beiden Mitgliedstaaten er sich wegen der Arbeitslosen-Ausfallzeiten halten will. Auszugehen ist zunächst von dem in Art 67 Abs 3 EWGV 1408/71 aufgestellten, mit Art 13 Abs 2 Buchst a) dieser Verordnung korrespondierenden Grundsatz, daß ein Arbeitsloser außer in Ausnahmefällen nur dann Leistungen bei Arbeitslosigkeit beanspruchen kann, wenn er unmittelbar zuvor Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten nach den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen beantragt werden, zurückgelegt hat (EuGH SozR 6050 Art 71 Nr 2 = EuGHE 1977, 315, 324). Der Arbeitslose hat mithin nach Gemeinschaftsrecht grundsätzlich keinen Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats als desjenigen, in dem er arbeitslos geworden ist bzw in dem er bis zum Eintritt der Arbeitslosigkeit versicherungspflichtig beschäftigt war (EuGH SozR 6050 Art 45 Nr 1 = EuGHE 1975, 891, 898). Diesem Grundsatz könnte es entsprechen, auch die rentenrechtliche Zuständigkeit für die Berücksichtigung von Arbeitslosen-(Ausfall-)Zeiten bei dem Staat anzusiedeln, in dem der Grenzgänger arbeitslos geworden ist, zumal er bis zum Eintritt der Arbeitslosigkeit Beiträge zur Rentenversicherung dieses Staates entrichtet hat und ohne die Arbeitslosigkeit weiterhin entrichtet hätte. Dieser Staat müßte dann den ausländischen Grenzgänger so behandeln, als ob während der Arbeitslosigkeit seine Rechtsvorschriften für ihn gegolten hätten, mithin Leistungen wegen Vollarbeitslosigkeit nach seinem Recht gewährt worden wären.
Gegen eine solche Lösung spricht aber andererseits, daß Art 71 Abs 1 EWGV 1408/71 eine Ausnahmeregelung von dem in Art 67 Abs 3 aufgestellten Grundsatz enthält, und zwar in Buchst a) Ziff ii) zugunsten der Grenzgänger und in Buchst b) Ziff ii) zugunsten bestimmter Wanderarbeitnehmer, die keine Grenzgänger sind (EuGH SozR 6050 Art 71 Nr 2 = EuGHE 1977, 315, 324). Dieser Charakter des Art 71 Abs 1 EWGV 1408/71 als Zugunstenregelung und der Umstand, daß dem Grenzgänger - anders als den Wanderarbeitnehmern in Buchst b) Ziff ii) - ein Wahlrecht hinsichtlich der Inanspruchnahme von Leistungen bei Vollarbeitslosigkeit nicht eingeräumt ist, spricht für eine Zuständigkeit des Wohnstaates auch für die rentenrechtliche Berücksichtigung der von einem Grenzgänger bei ihm zurückgelegten Arbeitslosen-Ausfallzeiten. Ist der Grenzgänger hinsichtlich seiner sozialen Sicherheit bei Vollarbeitslosigkeit in die ausschließliche Zuständigkeit des Wohnstaates verwiesen, und kann er Zeiten der Arbeitslosigkeit mit entsprechenden Leistungen nur dort zurücklegen, ist es nicht nur folgerichtig, sondern entspricht auch der Systematik des Gemeinschaftsrechts, daß es auch hinsichtlich der rentenrechtlichen Positionen aus den im Wohnstaat zurückgelegten Zeiten der Vollarbeitslosigkeit bei der Zuständigkeit dieses Staates verbleibt. Dafür spricht insbesondere Art 25 Abs 2 EWGV 1408/71, der die Zuständigkeits- und Rechtsanwendungsregelung des Art 71 Abs 1 EWGV 1408/71 gleichsam auf den Bereich der krankenversicherungsrechtlichen Leistungen erstreckt. Nach dieser Regelung erhält ua ein vollarbeitsloser Grenzgänger im Sinne von Art 71 Abs 1 Buchst a) Ziff ii) EWGV 1408/71 Sach- und Geldleistungen der Krankenversicherung nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in dem er wohnt, als ob diese Rechtsvorschriften während seiner letzten Beschäftigung für ihn gegolten hätten; diese Leistungen gehen zu Lasten des Trägers des Wohnstaates. Einer entsprechenden Regelung hätte es auch für die rentenrechtlichen Positionen bedurft. Daß sie nicht getroffen worden ist, mag daran liegen, daß rentenrechtliche Ausfallzeiten wegen Arbeitslosigkeit - anders als Leistungen bei Krankheit - nicht in allen Mitgliedstaaten vorgesehen sind. Gleichwohl besteht auch für diesen Bereich die Notwendigkeit einer gemeinschaftsrechtlichen Koordinierung, wie sich bereits für solche - denkbaren - Fallgestaltungen ergibt, in denen in beiden beteiligten Staaten (sowohl im Beschäftigungsstaat als auch im Wohnstaat) die innerstaatlichen Voraussetzungen für die rentenrechtliche Berücksichtigung einer Arbeitslosen-Ausfallzeit erfüllt sind: Schon um eine Doppelanrechnung solcher Ausfallzeiten zu vermeiden, bedarf es einer - dem Art 25 Abs 2 EWGV 1408/71 ähnlichen - Regelung. Auch insoweit spricht einiges dafür, daß der Verordnungsgeber die aus Art 71 Abs 1 EWGV 1408/71 folgenden Probleme für die Rentenversicherung nicht gesehen und allein deshalb eine entsprechende Koordinierungsregelung nicht getroffen hat. Jedenfalls bietet sich nach der Systematik der Verordnung kein Anhalt für eine bewußte Regelungs- bzw Koordinierungslücke.
Allerdings müßte bei der zu treffenden Entscheidung auch der Fall berücksichtigt werden, daß ein Grenzgänger ausschließlich im Beschäftigungsstaat Beitragszeiten, im Wohnstaat hingegen nur Arbeitslosenzeiten zurückgelegt hat. Er könnte dann bei einer ausschließlichen Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers des Wohnstaates nicht in den Genuß von rentensteigernden Arbeitslosen-Ausfallzeiten kommen, wenn dessen Rentenrecht - wie es für die Bundesrepublik Deutschland zutrifft - dafür die Zurücklegung einer gewissen Beitragszeit verlangt. Mindestens in diesem Falle könnte es geboten sein, dem Grenzgänger ein Wahlrecht zuzubilligen, bei welchem Rentenversicherungsträger der beteiligten Mitgliedstaaten er die Anerkennung der Arbeitslosenzeiten in Anspruch nehmen will. Hingegen könnte eine Zuständigkeit des Wohnstaates jedenfalls dann in Betracht kommen, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Bindungen des Grenzgängers an seinen Wohnstaat darin zum Ausdruck kommen, daß er sein Versicherungsleben in überwiegendem Umfang in diesem Staat zurückgelegt hat und/oder nach Beendigung seiner Arbeitslosigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung im Wohnstaat fortgesetzt hat.
Der Senat kommt somit zu dem Ergebnis, daß Art 71 Abs 1 Buchst a) Ziff ii) EWGV 1408/71 zu einem Anspruch des Klägers auf Anerkennung der Arbeitslosen-Ausfallzeit nach § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AVG führt. Denn diese gemeinschaftsrechtliche Regelung ist im Hinblick auf ein bestehendes Koordinierungsdefizit im Bereich ihrer rentenrechtlichen Auswirkungen dahin zu ergänzen, daß der Grenzgänger sich regelmäßig an den Rentenversicherungsträger des Wohnstaates halten kann, der ihn hinsichtlich der im Wohnstaat zurückgelegten Arbeitslosenzeiten so zu behandeln hat, als ob auch während der letzten Beschäftigung die Rechtsvorschriften dieses Staates für ihn gegolten hätten. Möglicherweise läßt sich ein Anspruch des Klägers auch aus dem gemeinschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot herleiten. Insoweit erscheint es geboten, die aufgetretenen Fragen gemäß Art 177 EWG-Vertrag dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen, da sich ihre Beantwortung nicht ohne weiteres aus der EWGV 1408/71 ergibt.
Fundstellen