Orientierungssatz
Zuständiger Leistungsträger für Leistungen an Grenzgänger bei Vollarbeitslosigkeit - ausschließliche Zuständigkeit des Trägers des Wohnortes: 1. Bedeutet die in Art 71 Abs 1 Buchst a DBuchst ii EWGV 1408/71 festgelegte Zuständigkeit des Trägers des Wohnortes für Leistungen an Grenzgänger bei Vollarbeitslosigkeit, daß der Leistungsanspruch gegen den zuständigen Träger des Beschäftigungsstaates ausgeschlossen ist, auch wenn nach dessen Rechtsvorschriften der Anspruch trotz ausländischen Wohnortes besteht, insbesondere weil der arbeitslose Grenzgänger sich der Arbeitsvermittlung des Beschäftigungsstaates zur Verfügung stellt?
2. Bei Bejahung der Frage 1:
a) Gilt die ausschließliche Zuständigkeit des Trägers des Wohnortes nach Art 71 Abs 1 Buchst a DBuchst ii EWGV 1408/71 auch dann, wenn der Grenzgänger
- bislang immer nur in dem Beschäftigungsstaat, dessen Angehöriger er ist, gearbeitet und bis vor wenigen Jahren auch dort gewohnt hat,
- er am Beschäftigungsort ein Büro unterhält, von dem er sowohl seine Arbeitnehmertätigkeit als während der Arbeitslosigkeit auch die nur auf den Beschäftigungsstaat beschränkte Arbeitssuche betreibt,
- er im Zusammenhang mit dem Büro eine Schlafmöglichkeit besitzt, die er während der Beschäftigung regelmäßig ein- bis zweimal wöchentlich benutzt, während der Arbeitssuche sogar noch häufiger,
- er über Anfragen von Kunden oder des Arbeitsamtes bei Abwesenheit vom Büro durch eine Mittelsperson fernmündlich unterrichtet wird,
- er schließlich sowohl von der grenznah gelegenen Wohnung als auch von dem Büro aus seine beruflichen und privaten Kontakte ausschließlich im Beschäftigungsstaat pflegt, sich dort auch sein gesamter Freundes- und Bekanntenkreis befindet?
b) Kommt für einen derartigen "untypischen" Grenzgänger eine entsprechende Anwendung des Art 71 Abs 1 Buchst b Buchst i EWGV 1408/71 in Betracht?
Normenkette
EWGV 1408/71 Art. 71 Abs. 1 Buchst. a DBuchst ii, Buchst. b Buchst. i; AFG § 100; EWGV 1408/71 Art. 71 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 15.12.1982; Aktenzeichen L 12 Ar 48/81) |
SG Aachen (Entscheidung vom 08.12.1980; Aktenzeichen S 10 Ar 16/80) |
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Verweigerung von Arbeitslosengeld durch die Beklagte.
Der 1930 geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger. Er war vom 1. November 1975 bis zum 30. September 1979 als angestellter Provisionsvertreter (Fachberater für Einbauküchen) für die V KG, W, (V KG) im Bereich A tätig. Während dieser Beschäftigung führte die Arbeitgeberin für ihn an die zuständigen Stellen in der Bundesrepublik Deutschland ua Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und Steuern ab.
Am 19. November 1976 verzog der Kläger, der bis dahin in der Bundesrepublik Deutschland gewohnt hatte, mit seiner Ehefrau nach E (L), in B. Auf diese Weise konnten seine Kinder, die ein belgisches Internat besuchten, nunmehr täglich von der elterlichen Wohnung aus mit dem Schulbus zum Unterricht fahren. Der für Eltern und Kinder entsprechend ausgestattete Haushalt wurde von der Ehefrau des Klägers geführt. Gleichzeitig mit dem Umzug meldeten sich der Kläger und seine Ehefrau in der Bundesrepublik Deutschland polizeilich ab und in Belgien an.
Seit Ende 1976 hatte der Kläger ein "Büro" in der Wohnung seiner Schwiegermutter in A inne. Es handelte sich dabei um ein Zimmer, das mit Schreibtisch, zwei Sesseln, einem Schreibmaschinentisch mit Schreibmaschine und einem Rollschrank ausgestattet war. Ebenso standen für den Kläger in der genannten Wohnung eine Schlafcouch und ein Fremdenbett zur Benutzung bereit. Von dieser Schlafmöglichkeit machte der Kläger während seiner Beschäftigung in aller Regel etwa ein- bis zweimal pro Woche Gebrauch, und zwar meistens dann, wenn er abends so lange mit Arbeiten beschäftigt gewesen war, daß er den um ein Uhr nachts schließenden, seiner belgischen Wohnung nächstgelegenen Grenzübergang nicht mehr benutzen konnte. Sonst hätte er einen vielkilometrigen Umweg zu einem nachts geöffneten Grenzübergang machen müssen. Nach Eintritt seiner Arbeitslosigkeit übernachtete der Kläger noch häufiger in seiner A Unterkunft. Der Kläger konnte das Telefon seiner Schwiegermutter mitbenutzen, wofür er eine entsprechende Vergütung zahlte. Über dieses Telefon war er stets erreichbar, auch dann, wenn er sich gerade nicht in A aufhielt. Im Falle seiner Abwesenheit wurde er über etwaige Vorkommnisse von seiner Schwiegermutter laufend fernmündlich informiert.
Um die für seine Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland erforderliche Reisegewerbekarte weiterhin erhalten zu können und um steuer- und arbeitsrechtlichen Problemen aus dem Wege zu gehen, meldete der Kläger sich selbst am 20. Dezember 1977 und seine Ehefrau etwa drei Wochen später unter der A Adresse seiner Schwiegermutter polizeilich an. Beide blieben in Belgien gemeldet und veränderten auch die dortigen Wohnverhältnisse nicht.
Nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses bei der V - KG meldete sich der Kläger nicht bei dem Landesamt für Arbeitsbeschaffung - Regionales Arbeitslosenamt - in D / Belgien arbeitslos und beantragte dort auch keine Leistungen. Seine Arbeitslosmeldung erfolgte vielmehr am 3. Oktober 1979 beim Arbeitsamt A, welches seinen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld durch Bescheid vom 17. Dezember 1979 ablehnte, weil der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 7. Februar 1980).
Der Kläger erhielt am 23. Januar 1980 von der belgischen Meldebehörde eine Abmeldebescheinigung, ohne im Melderegister gestrichen zu werden. Dabei wurde seine belgische Immatrikulationsbescheinigung eingezogen. Am 1. Mai 1980 nahm der Kläger eine neue Beschäftigung auf.
Das vom Kläger angerufene Sozialgericht (SG) A hat die Klage mit Urteil vom 8. Dezember 1980 abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen das Urteil des SG abgeändert und die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide antragsgemäß verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld für die Zeit ab 3. Oktober 1979 in gesetzlicher Höhe zu gewähren (Urteil vom 15. Dezember 1982). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, daß der Kläger die Voraussetzungen des § 100 Abs 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) für den mit seiner Antragstellung am 3. Oktober 1979 entstandenen Anspruch auf Arbeitslosengeld erfülle. Insbesondere habe er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden. Er habe zwar seinen Wohnsitz in Belgien gehabt. Angesichts der tatsächlichen Umstände sowohl während seiner Beschäftigung als auch nach Eintritt seiner Arbeitslosigkeit sei nicht zweifelhaft, daß der Kläger jedenfalls seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland besessen habe und deshalb nach deutschem Recht auch der Anspruch auf Leistungen wegen Arbeitslosigkeit gegen die Beklagte begründet sei (§ 30 Abs 1 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - -SGB I-). Der Kläger habe nicht nur seinen gesamten Arbeitstag in A und Umgebung verbracht, sondern sich in dem ihm in der Wohnung seiner Schwiegermutter zur Verfügung stehenden, nicht nur zu Beschäftigungszwecken möblierten Raum auch darüber hinaus aufgehalten. Ferner habe er dort Arbeiten verrichtet, die der eigentlichen Beschäftigung vorausgingen oder nachfolgten, habe das Angehörigenverhältnis zu seiner Schwiegermutter und später auch zu seinem Sohn gepflegt, der seit Mitte 1979 ganz in A gewohnt habe. Von seiner Unterkunft in A habe er nach Eintritt der Arbeitslosigkeit auch die Stellensuche betrieben, die Freizeit gestaltet und Kundenkontakte vorsorglich aufrechterhalten. Insoweit sei sein Aufenthalt nicht nur arbeitsplatzbedingt, sondern von der Absicht getragen gewesen, mit seinem persönlichen Alltag generell in den Grenzen und Verhältnissen der Bundesrepublik Deutschland zu wurzeln. Der Kläger habe sich stets nur in der Bundesrepublik Deutschland, seinem Heimatland, zu Hause gefühlt, nur hier seine Berufstätigkeit ausgeübt und - nach Eintritt der Arbeitslosigkeit - eine neue angestrebt. Auch habe er seinen gesamten Freundes- und Bekanntenkreis, also das den gewöhnlichen Aufenthalt charakterisierende personelle Umfeld, lediglich im Inland gehabt.
Dem inländischen Anspruch des Klägers stehe nicht das Recht der Europäischen Gemeinschaft (EG) entgegen. Zwar hätten dem Kläger nach Art 71 Abs 1 Buchst a) ii) der Verordnung Nr 1408/71 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGV 1408/71) vom 14. Juni 1971 (ABl Nr L 149/2, berichtigt ABl EG 1973 Nr L 128/22, idF des Anhanges I der EWGV 2001/83 vom 2. Juni 1983, ABl EG Nr L 230/8), Leistungen wegen Arbeitslosigkeit gegen den belgischen Versicherungsträger zugestanden. Dieser Bestimmung lasse sich jedoch - jedenfalls für Fälle der vorliegenden Art - eine die Anwendung nationalen Rechts ausschließende Kompetenzregelung nicht entnehmen. Denn sie solle in erster Linie der Benachteiligung von Grenzgängern entgegenwirken.
Mit ihrer Revision gegen das Urteil des LSG rügt die Beklagte sowohl die Verletzung innerstaatlichen Rechts wie der oa Vorschriften der EG. Sie führt hierzu insbesondere aus: Art 71 Abs 1 Buchst a) ii) EWGV 1408/71 stehe einer Gewährung von Arbeitslosengeld entgegen. Denn diese Vorschrift verweise Grenzgänger im Falle der Arbeitslosigkeit auf die Leistungen ihres Wohnsitzstaates und räume ihnen - anders als den von Art 71 Abs 1 Buchst b) EWGV 1408/71 erfaßten Personen - kein Wahlrecht im Hinblick auf Leistungen des Beschäftigungsstaates ein. Dem Freizügigkeitsprinzip werde dadurch Rechnung getragen, daß auch dem Grenzgänger die Möglichkeit des Art 69 EWGV 1408/71 offenstehe. Im übrigen verfolge Art 71 Abs 1 Buchst a) ii) EWGV 1408/71 das Ziel, eine mißbräuchliche Inanspruchnahme von Leistungen in mehreren Staaten zu verhindern.
Der Prozeßantrag der Beklagten richtet sich deshalb auf Klageabweisung.
Der Kläger ist durch einen Prozeßbevollmächtigten im Revisionsverfahren nicht vertreten. Dies ist für die Wahrung seines Klageanspruchs prozessual unschädlich.
Entscheidungsgründe
Der Senat ruft den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung über die Auslegung von Art 71 Abs 1 Buchst a) ii) und b) i der EWGV 1408/71 an.
1. Die Revision der Beklagten ist zulässig. Auf der Grundlage des innerstaatlichen Rechts ist sie jedoch nicht begründet und müßte zurückgewiesen werden. Nach Auffassung des Senats erfüllt der Kläger für den streitigen Zeitraum alle Voraussetzungen für den gegen den zuständigen deutschen Träger geltend gemachten Anspruch auf Arbeitslosengeld nach deutschem Recht (§§ 100ff AFG). Er stand insbesondere der Arbeitsvermittlung durch den deutschen Versicherungsträger zur Verfügung (§ 103 AFG). § 30 Abs 1 SGB I steht dem Anspruch nicht entgegen. Der Senat teilt insoweit die Auffassung des LSG. Grundlage hierfür bleiben ungeachtet der Angriffe der Beklagten hiergegen die Feststellungen des LSG über die relevanten Arbeits-, Lebens- und Aufenthaltsverhältnisse des Klägers.
2. Dem Klageanspruch aus §§ 100ff AFG könnte folglich nur eine anderweitige Regelung aus vorrangig beachtlichen Rechtsnormen entgegenstehen, insbesondere solchen des Gemeinschaftsrechts.
a) Eine Entscheidung über die hier anwendbaren Vorschriften ist nach Auffassung des Senats allerdings nicht durch Art 13 EWGV 1408/71 getroffen worden. Nach Abs 1 Satz 1 dieser Bestimmung unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, grundsätzlich den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates. Der Kläger gehört zu dem genannten Personenkreis, da er als Arbeitnehmer iS des Art 1 Buchst a) EWGV 1408/71 von dem sozialen Sicherungssystem der Bundesrepublik Deutschland jedenfalls hinsichtlich seiner Versicherungspflicht erfaßt worden ist und zudem deutscher Staatsangehöriger ist (Art 2 Abs 1 EWGV 1408/71). Welche Rechtsvorschriften nach Art 13 Abs 1 WGV 1408/71 für den Kläger maßgebend sind, bestimmt sich nach den Vorschriften des Titels II, dh den Art 13 bis 17 der Verordnung (§ 13 Abs 1 Satz 2 EWGV 1408/71).
Nach Art 13 Abs 2 Buchst a) EWGV 1408/71 unterliegt eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaates im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnt. Damit wird der Kläger zwar in Übereinstimmung mit deutschem Recht (§ 173a AFG, § 3 Nr 1 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - -SGB IV-) für die Zeit seiner Beschäftigung bei der V KG dem deutschen Sozial- und Arbeitslosenversicherungssystem zugeordnet. Dem ist jedoch nicht zu entnehmen, daß sich auch im Falle seiner Arbeitslosigkeit die Leistungen nach dem deutschen Recht (§ 100 AFG) richten. Art 13 EWGV 1408/71 soll nach der Begründung der EG-Kommission zu ihrem Verordnungsvorschlag nur den Grundsatz aufstellen, daß die Arbeitnehmer, für welche die Verordnung gilt, nach den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates pflichtversichert sein können (Unterrichtung der gesetzgebenden Körperschaften gem Art 2 des Gesetzes zu den Gründungsverträgen der EG - hier: Sozialpolitik in der EWG -, BT-Drucks V/197, S 35).
Der Senat hat schon in seiner Vorlage an den EuGH vom 18. Februar 1982 - 7 RAr 93/80 -, die allerdings wegen Rücknahme der Revision zu keiner Entscheidung des EuGH geführt hat (vgl EuGH - Rechtssache 106/82 -), die Auffassung vertreten, daß Art 13 EWGV 1408/71 keine abschließende Aussage über Leistungsansprüche für Arbeitnehmer enthält, dies vielmehr den besonderen Vorschriften für die einzelnen Leistungsgebiete zu entnehmen ist, die den Titel III bilden. Er sieht sich hierin durch das Urteil des EuGH vom 27. Mai 1982 - Rechtssache 227/81 - (SozR 6050 Art 71 EWGV 1408/71 Nr 6 = EuGHE 1982, 1991, 2002ff) bestätigt.
b) Die Regelung der Leistungen für den Fall der Arbeitslosigkeit sind in Titel III Kapitel 6 EWGV 1408/71 enthalten. Einschlägig im vorliegenden sind die Bestimmungen des Art 71. Diese Vorschrift berührt offensichtlich die Anwendbarkeit des jeweiligen innerstaatlichen Rechts; denn sie schafft zwar eigene materielle Anspruchsgrundlagen, bestimmt dabei jedoch zugleich, welcher innerstaatliche Träger die Leistungen nach welchen Rechtsvorschriften zu gewähren hat. +%
Der Kläger gehört zu dem von Art 71 EWGV 1408/71 erfaßten Personenkreis. Während seiner Beschäftigung bei der V - KG war er nach Art 13 Abs 2 Buchst a) EWGV 1408/71 iVm § 173a AFG, § 3 Nr 1 SGB IV in der Bundesrepublik Deutschland beitragspflichtig. Insoweit war die Beklagte der zuständige Träger, da der Kläger gegen sie im Falle von Arbeitslosigkeit einen Anspruch auf Leistungen gehabt hat bzw hätte, wenn er in der Bundesrepublik Deutschland, wo die Beklagte ihren Sitz hat, wohnte (Art 1 Buchst o) ii) EWGV 1408/71). Damit ist die Bundesrepublik Deutschland auch als zuständiger Staat iS von Art 71 Abs 1 EWGV 1408/71 anzusehen (Art 1 Buchst q) EWGV 1408/71). Weil dort aufgrund der Beschäftigung des Klägers die Arbeitslosenversicherung erfolgte, kann die Bundesrepublik Deutschland hier auch als "Beschäftigungsstaat" bezeichnet werden (BSG Urteil vom 20.März 1984 - 7 RAr 69/82 -).
Die Anwendung des Art 71 EWGV 1408/71 setzt ferner voraus, daß der Kläger in einem anderen Mitgliedstaat wohnte. Dieser "Wohnortsstaat" darf während der zuletzt vor der Arbeitslosigkeit ausgeübten Beschäftigung nicht mit dem "Beschäftigungsstaat" identisch gewesen sein (so BSG Urteil vom 20. März 1984 - 7 RAr 69/82 - unter Hinweis auf EuGH SozR 6050 Art 71 Nrn 2, 3 und 6 = EuGHE 1977, 315ff; 2311ff; 1982, 1991ff). "Wohnort" ist nach der Definition des Art 1 Buchst h) EWGV 1408/71 der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts. Dieser ist von dem vorübergehenden Aufenthalt iS von Art 1 Buchst i) EWGV 1408/71 zu unterscheiden. Der Begriff des Wohnorts ist damit nicht ohne weiteres dem des gewöhnlichen Aufenthalts iS von § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I gleichzusetzen. Vielmehr kommt ihm eine eigenständige Bedeutung zu, die sich auch aus der überstaatlichen Rechtsnatur der EWGV 1408/71 ergibt.
Bereits in seinem Urteil vom 12. Juli 1973 - 13/73 - (SozR Nr 3 zu Art 12 EWG-VO Nr 3 vom 25. September 1958 = EuGHE 1973, 935, 950) hat der EuGH darauf hingewiesen, daß bei der Ermittlung des Wohnortes auch außerberufliche Faktoren zu berücksichtigen seien. Die für einen gewöhnlichen Aufenthalt erforderliche Dauerhaftigkeit könne danach in dem Vorhandensein eines Wohnsitzes gesehen werden, zumal wenn dieser im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates liege, dessen Staatsangehörigkeit der Arbeitnehmer besitze und der für ihn den Mittelpunkt seiner Interessen bilde. In seiner Entscheidung vom 17. Februar 1977 - 76/76 - (SozR 6050 Art 71 Nr 2 = EuGHE 1977,315, 325) hat der EuGH dann den Begriff des Wohnortes wie folgt näher eingegrenzt: Wohnortsstaat iS des Art 71 Abs 1 EWGV 1408/71 sei nur derjenige Mitgliedstaat, in dem der Arbeitnehmer, obgleich in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigt, weiterhin gewöhnlich wohne und in dem sich auch der gewöhnliche Mittelpunkt seiner Interessen befinde. In diesem Zusammenhang sei der Umstand, daß der Arbeitnehmer seine Familie in dem genannten Staat zurückgelassen habe, ein Indiz dafür, daß er dort seinen Wohnort beibehalten habe; dies könne aber allein nicht genügen. Verfüge nämlich ein Arbeitnehmer in einem Mitgliedstaat über einen festen Arbeitsplatz, so werde vermutet, daß er dort wohne, auch wenn er seine Familie in einem anderen Staat zurückgelassen habe. Es seien daher nicht nur die familiären Verhältnisse des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, sondern auch die Gründe, die ihn zu der Abwanderung bewogen hätten, sowie die Art seiner Tätigkeit.
Diesen Auslegungskriterien dürfte zu entnehmen sein, daß für einen Arbeitnehmer nicht zwei oder mehr Wohnorte in verschiedenen Mitgliedstaaten bestehen können. Darauf deutet bereits der Hinweis in dem Urteil des EuGH vom 17. Februar 1977 - 76/76 - hin, daß der Wohnortsbegriff einen nicht gewöhnlichen (also vorübergehenden) Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat nicht zwangsläufig ausschließe. Auch die Verwendung des Begriffes "gewöhnlicher Mittelpunkt der Interessen" spricht für diese Auffassung, da ein Mittelpunkt im Grunde nur an einem Ort liegen kann. Entscheidend aber ist, daß die Anknüpfung an den Wohnort zur Abgrenzung gegenüber dem Beschäftigungsort dient (vgl EuGH SozR Nr 3 zu Art 12 EWG-VO Nr 3 vom 25. September 1958 = EuGHE 1973, 935, 950). Denn die Anwendungsproblematik bei Art 71 Abs 1 EWGV 1408/71 reduziert sich praktisch auf die Frage, ob der Arbeitnehmer im Beschäftigungsstaat wohnt oder in einem anderen Staat. Im erstgenannten Fall bestünde kein Bedürfnis für eine europarechtliche Regelung, da dem Arbeitslosen die Leistungen nach dem Recht des Beschäftigungsstaates ohne weiteres offenstünden. Die Möglichkeit eines gleichzeitigen gewöhnlichen Aufenthalts in beiden Mitgliedstaaten widerspräche daher der terminologischen Systematik dieser Bestimmung.
Die Anwendung des Art 71 Abs 1 EWGV 1408/71 hängt im vorliegenden Fall also davon ab, ob der Kläger während seiner Tätigkeit bei der Firma V KG in Belgien oder in der Bundesrepublik Deutschland gewohnt hat.
Nach der dargestellten Rechtsprechung des EuGH sind sowohl der Aufenthalt der Familie als auch die Innehabung einer festen Beschäftigung wichtige Merkmale für die Bestimmung des Wohnortes des Arbeitnehmers. Diese beiden Bezugspunkte fallen gerade bei einem Grenzgänger von vornherein auseinander. Darunter ist nämlich nach Art 1 Buchst b) EWGV 1408/71 jeder Arbeitnehmer zu verstehen, der seine Berufstätigkeit im Gebiet eines Mitgliedstaates ausübt und im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnt, in das er in der Regel täglich, mindestens aber einmal wöchentlich zurückkehrt. Der Wohnortsstaat wird insoweit typischerweise dadurch als solcher gekennzeichnet, daß der Arbeitnehmer entsprechend häufig seine Familienwohnung aufsucht. Zudem geht der Verordnungsgeber ersichtlich davon aus, daß der Beschäftigungsstaat nicht bereits dadurch zu einem Wohnortsstaat wird, daß sich der Arbeitnehmer dort zum Zwecke der Berufsausübung aufhält, auch wenn er mehrmals in der Woche dort übernachtet.
Der Kläger erfüllte während seiner Beschäftigung bei der Firma V KG die äußeren Merkmale eines Grenzgängers in dem vorgenannten Sinne, da er, wie sich aus dem Zusammenhang der Feststellungen des LSG ergibt, nur ein- bis zweimal in der Woche in A, ansonsten aber bei seiner Familie in E /Belgien übernachtet hat, wo er eine entsprechend ausgestattete Wohnung innehatte. Es fällt jedoch schwer, ihn als typischen Grenzgänger anzusehen. Der - deutsche - Kläger hat zusammen mit seiner deutschen Ehefrau seinen Wohnsitz von der Bundesrepublik Deutschland nach Belgien ausschließlich aus besonderen familiären Gründen verlegt, ohne seine Beschäftigung bei der V KG als Provisionsvertreter im Bereich A aufzugeben. Es handelte sich dabei also nicht um einen "Arbeitskraftexport", sondern sozusagen um einen "Wohnungsexport". Damit entspricht der Kläger nicht dem typischen Bild eines Grenzgängers, der von seinem Wohnortsstaat aus einer Tätigkeit im benachbarten Ausland nachgeht. Gleichwohl wird man daraus nicht folgern können, daß der Kläger überhaupt kein Grenzgänger iS von Art 1 Buchst b) EWGV 1408/71 war (Hennig/Kühl/Heuer, AFG, Komm 1984, Anhang V/1, Art 71 EWGV 1408/71, Anm 3b). Immerhin hat er in E eine gemeinsame Wohnung schaffen wollen und geschaffen, wo auch seine bis dahin in einem belgischen Internat wohnenden Kinder nunmehr zusammen mit ihm und seiner Ehefrau leben konnten. Jedenfalls kann trotz der vom LSG festgestellten starken Beziehungen des Klägers zum A Raum nicht angenommen werden, daß er - wenn überhaupt - dort seinen alleinigen Wohnort gehabt habe.
c) Da der Kläger somit während seiner Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland seinen Wohnort iS des EG-Rechts in Belgien gehabt hat, unterfällt er der Regelung des Art 71 Abs 1 EWGV 1408/71. Es handelt sich bei ihm um einen - echten - Grenzgänger, so daß für den hier vorliegenden Fall seiner Vollarbeitslosigkeit Art 71 Abs 1 Buchst a) ii) EWGV 1408/71 einschlägig ist. Danach erhalten Grenzgänger bei Arbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in dessen Gebiet sie wohnen, als ob während der letzten Beschäftigung die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaates für sie gegolten hätten; diese Leistungen gewährt der Träger des Wohnortes zu seinen Lasten. Demnach begründet diese Vorschrift für den Kläger einen Anspruch gegen den belgischen Träger auf Leistungen nach belgischem Recht. Es fragt sich jedoch, ob dadurch die Anwendung des § 100 AFG ausgeschlossen worden ist.
Seinem Wortlaut nach enthält Art 71 Abs 1 Buchst a) ii) EWGV 1408/71 nur eine positive Aussage hinsichtlich der Leistungserbringung durch den Träger des Wohnortsstaates. Ausdrücklich wird jedenfalls nicht bestimmt, daß es sich dabei um eine ausschließliche Zuständigkeits- und Rechtsanwendungsregelung handeln soll. Allerdings ist der EuGH - soweit ersichtlich - immer, wenn er sich mit Art 71 Abs 1 Buchst a) ii) EWGV 1408/71 zu befassen hatte, vom Wortlaut dieser Vorschrift ausgegangen und hat eine Wahlmöglichkeit des Arbeitslosen - anders als bei Art 71 Abs 1 Buchst b) EWGV 1408/71 - bislang nicht in Erwägung gezogen (s zB EuGH SozR 6050 Art 68 Nr 1 = EuGHE 1980, 535, 543; EuGH SozR 6050 Art 71 Nr 6 = EuGHE 1982, 1991, 2004). Ähnlich verhält es sich mit Auffassungen im Schrifttum (Hennig/Kühl/Heuer, aaO, Art 71 EWGV 1408/71 Anm 4b; Kühl, ABA 1972, 287, 288).
Nach Auffassung des Senats lassen sich aus der Systematik der Regelungen des 6. Kapitels, Titel III, der EWGV 1408/71 im allgemeinen und des Art 71 EWGV 1408/71 im besonderen Schlußfolgerungen für das hier zu entscheidende Problem ziehen. Auszugehen ist von dem in Art 67 Abs 3 EWGV 1408/71 aufgestellten Grundsatz, daß ein Arbeitsloser außer in Ausnahmefällen nur dann Leistungen bei Arbeitslosigkeit beanspruchen kann, wenn er unmittelbar zuvor Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten nach den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen beantragt werden, zurückgelegt hat (EuGH SozR 6050 Art 71 Nr 2 = EuGHE 1977, 315, 324). Der Arbeitslose hat mithin nach Gemeinschaftsrecht grundsätzlich keinen Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates als desjenigen, in dem er arbeitslos geworden ist (EuGH SozR 6050 Art 45 Nr 1 = EuGHE 1975, 891, 898). Insoweit macht Art 71 Abs 1 EWGV 1408/71 unter bestimmten Voraussetzungen eine Ausnahme, und zwar in Buchst a) ii) zugunsten der Grenzgänger und in Buchst b) ii) zugunsten bestimmter Wanderarbeitnehmer, die keine Grenzgänger sind (EuGH SozR 6050 Art 71 Nr 2 = EuGHE 1977, 315, 324). Dieser Charakter des Art 71 EWGV 1408/71 als Zugunstenregelung spricht ebenso gegen die von der Beklagten vertretene Auslegung des Art 71 Abs 1 Buchst a) ii) EWGV 1408/71 wie der Umstand, daß Abs 2 dieser Vorschrift einen ausdrücklichen Ausschluß hinsichtlich nach inländischem Recht bestehender Ansprüche regelt, ohne jedoch mögliche Ansprüche eines Grenzgängers im Beschäftigungsstaat anzusprechen.
Andererseits läßt sich das von der Beklagten (in Anlehnung an die Ausführungen der EG-Kommission in dem schon erwähnten EuGH-Verfahren 106/82) vorgetragene Argument nicht ohne weiteres von der Hand weisen, der Verordnungsgeber habe Grenzgängern bewußt und aus guten Gründen im Gegensatz zu den Wanderarbeitnehmern iS von Art 71 Abs 1 Buchst b EWGV 1408/71 kein Wahlrecht hinsichtlich des Leistungsbezuges im Beschäftigungs- oder im Wohnortsstaat einräumen wollen. Während nach Art 71 Abs 1 Buchst a) i) und Buchst b) i) EWGV 1408/71 beide Personengruppen bei Kurzarbeit oder sonstigem vorübergehenden Arbeitsausfall in ihrem Unternehmen Leistungen vom zuständigen Träger des Beschäftigungsstaates erhalten, wird diese Möglichkeit bei Vollarbeitslosigkeit nur den Wanderarbeitnehmern, die keine Grenzgänger sind, eingeräumt (Art 71 Abs 1 Buchst b) i) EWGV 1408/71).
Es mag somit einige vertretbare Erwägungen dafür geben, dem dargestellten Regelungszusammenhang des Art 71 Abs 1 EWGV 1408/71 für Grenzgänger im Falle von Vollarbeitslosigkeit eine ausschließliche Zuweisung an den Träger des Wohnortes zu entnehmen. Diese Beurteilung geht nach Auffassung des Senats jedoch am eigentlichen Kern der Fragestellung vorbei. Sie übersieht nämlich den Unterschied zwischen europarechtlich begründeten und innerstaatlich begründeten Leistungsansprüchen arbeitsloser Grenzgänger. Auch wenn Art 71 Abs 1 Buchst a) ii) EWGV 1408/71 dahin auszulegen ist, daß Grenzgängern bei Vollarbeitslosigkeit durch diese Verordnung kein Wahlrecht (entsprechend Art 71 Abs 1 Buchst b) EWGV 1408/71) zwischen jeweils europarechtlich begründeten Leistungen des Beschäftigungsstaates und des Wohnortsstaates zugebilligt worden ist, so braucht dadurch ein Wahlrecht zwischen den gem Art 71 Abs 1 Buchst a) ii) EWGV 1408/71 zu erbringenden Leistungen des Wohnortsstaates und Leistungen, die sich aus dem nationalen Recht des Beschäftigungsstaates (hier: § 100 AFG) ergeben, nicht zwingend ausgeschlossen zu sein.
Vom Regelungsbedürfnis her könnte es dem Verordnungsgeber nämlich nur darum gegangen sein, für Grenzgänger bei Vollarbeitslosigkeit keinen eigenständigen europarechtlichen Leistungsanspruch gegen den Träger des Beschäftigungsstaates zu begründen. Er brauchte sich deshalb nicht zugleich Gedanken über Ansprüche nach dem innerstaatlichen Recht des Beschäftigungsstaates zu machen. Wenn dem Art 71 Abs 1 Buchst b) i) EWGV 1408/71 offenbar die Annahme zugrundeliegt, daß selbst Wanderarbeitnehmer, die nicht wie Grenzgänger häufiger in den Wohnortsstaat zurückkehren, normalerweise nach dem Recht des Beschäftigungsstaates wegen fehlenden Wohnortes dort keine Leistungen erhalten können, so dürfte der Verordnungsgeber kaum damit gerechnet haben, daß ein echter Grenzgänger derartige Ansprüche nach dem innerstaatlichen Recht des Beschäftigungsstaates geltend machen könnte. Art 71 EWGV 1408/71 geht vielmehr insgesamt davon aus, daß der Leistungsanspruch nach nationalem Recht stets einen inländischen Wohnort während des Leistungsbezuges voraussetzt (Hennig/Kühl/Heuer, aaO, Art 71 EWGV 1408/71 Anm 2). Für einen besonderen Ausschluß der Anwendung des Rechts des Beschäftigungsstaates auf arbeitslose Grenzgänger hatte der Verordnungsgeber daher keine Veranlassung. Trifft dies zu, so kann man dem Art 71 Abs 1 Buchst a) ii) EWGV 1408/71 nicht ohne weiteres die Bedeutung unterlegen, er stehe etwaigen Leistungsansprüchen entgegen, die der arbeitslose Grenzgänger bereits nach innerstaatlichem Recht gegen den zuständigen Träger des Beschäftigungsstaates geltend machen kann.
Diese Auslegung folgt auch aus dem Sinn und Zweck der EWGV 1408/71 sowie der die Freizügigkeit der Arbeitnehmer betreffenden Art 48 bis 51 des EWG-Vertrages. Diese Regelungen sollen nämlich insgesamt einen arbeitsmarktpolitisch erwünschten grenzüberschreitenden Arbeitskräfteausgleich innerhalb der Gemeinschaft erleichtern, im Bereich der sozialen Sicherheit insbesondere dadurch, daß eine sozialrechtliche Benachteiligung von Auslandsbeschäftigungen vermieden wird. Insoweit wird auf die Ausführungen im Vorlagebeschluß des Senats vom 18. Februar 1982 - 7 RAr 93/80 - in der Rechtssache 106/82 verwiesen.
Schließlich spricht auch die bisherige Rechtsprechung des EuGH zum Sinn und Zweck der EWGV 1408/71 dafür, daß Art 71 Abs 1 Buchst a) ii) EWGV 1408/71 die Anwendung des § 100 AFG unberührt läßt. So hat der Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 10. Januar 1980 - 69/79 - (SozR 6050 Art 19 Nr 2 = EuGHE 1980, 75, 85ff) ausgeführt: "Die aufgrund des Art 51 des Vertrages erlassene Verordnung Nr 1408/71 hat im wesentlichen zum Ziel, die Anwendung der in den einzelnen Mitgliedstaaten für Arbeitnehmer, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, geltenden Systeme der sozialen Sicherheit nach einheitlichen und gemeinschaftlichen Kriterien sicherzustellen. Zu diesem Zweck stellt sie eine Gesamtheit von Vorschriften auf, die sich insbesondere auf das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Aufenthaltsortes sowie auf die Aufrechterhaltung der Ansprüche gründen, die der Arbeitnehmer nach dem System oder den Systemen der sozialen Sicherheit, die für ihn gelten oder gegolten haben, erworben hat. Es hieße demnach, über dieses Ziel hinauszugehen und sich gleichzeitig außerhalb der Zweckbestimmung und des Rahmens des genannten Art 51 zu stellen, legte man die Verordnung Nr 1408/71 so aus, daß sie innerstaatlichen Rechtsvorschriften verbietet, dem Arbeitnehmer einen weitergehenden sozialen Schutz zu gewähren, als sich aus der Anwendung dieser Verordnung ergibt." Ähnlich heißt es im Urteil vom 23. März 1982 - 79/81 - (SozR 6050 Allg Nr 2 = EuGHE 1982, 1063, 1077): "Zwar dürfen den Wanderarbeitnehmern nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Ausgleich für die Vorteile der sozialen Sicherheit, die sie aufgrund der Gemeinschaftsverordnungen erwerben und die sie ohne diese nicht erhalten könnten, Beschränkungen auferlegt werden; das mit den Art 48 bis 51 EWG-Vertrag verfolgte Ziel würde jedoch verfehlt, wenn die Anwendung dieser Verordnungen zum Wegfall oder zur Kürzung von Sozialleistungen führen würde, die einem Arbeitnehmer allein aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zustehen. Es würde nämlich den Zielen der Art 48 bis 51 EWG-Vertrag zuwiderlaufen, wenn Vorschriften, durch die die Freizügigkeit der Wanderarbeitnehmer erleichtert werden soll, in Wirklichkeit dazu führen würden, sie zu erschweren, indem den Betroffenen Vorteile entzogen würden, in deren Genuß sie gekommen wären, wenn diese Vorschriften des Vertrages und die vom Rat zu ihrer Durchführung erlassenen Bestimmungen nicht existierten."
d) Selbst wenn man trotz alledem zu der Auffassung gelangen wollte, daß das Leistungsrecht des Beschäftigungsstaates und die Zuständigkeit des dortigen Trägers bei Vollarbeitslosigkeit eines Grenzgängers nach Art 71 Abs 1 Buchst a) ii) EWGV 1408/71 ausgeschlossen ist, bleibt die Frage, ob dieser Grundsatz auch im vorliegenden Fall gilt. Wie bereits erörtert, handelt es sich beim Kläger nämlich eher um einen untypischen Grenzgänger, da er mit Rücksicht auf seine Staatsangehörigkeit sowie seine privaten und beruflichen Beziehungen in besonderer Weise mit dem Beschäftigungsstaat verbunden ist, im Wohnortsstaat dagegen nie gearbeitet hat und wohl nur sehr schwer eine angemessene Beschäftigung finden könnte. Daher erscheint es unbillig, ihn auf die Arbeitslosmeldung und den Leistungsbezug in Belgien zu verweisen, von wo er sich allenfalls in den verhältnismäßig engen Grenzen des Art 69 EWGV 1408/71 ohne Leistungsverlust zur Arbeitsuche in die Bundesrepublik Deutschland begeben könnte. Dies gilt um so mehr in einem Fall wie hier, in dem der Arbeitslose von seiner sachgerechten Interessenlage her sich zur Arbeitsuche in dem früheren Beschäftigungsstaat aufhält, weil er nur dort eine Arbeit aufnehmen möchte, er diese Absicht durch die äußere Gestaltung seiner Lebensverhältnisse objektiv belegt und sich insbesondere ausschließlich - aber auch tatsächlich - der Arbeitsvermittlung des dort zuständigen Trägers zur Verfügung stellt. Der Senat nimmt insoweit ausdrücklich auf die Ausführungen in seinem Vorlagebeschluß vom 18. Februar 1982 - 7 RAr 93/80 - Bezug, zu denen die EG-Kommission in dem Verfahren vor dem EuGH (Rechtssache 106/82) bereits zustimmend Stellung genommen hat (Schriftsatz vom 25. Mai 1982, S 15ff). Auf die insoweit überzeugenden Darlegungen der EG-Kommission wird ebenfalls Bezug genommen.
Der von der Beklagten geltend gemachten Gefahr eines Leistungsmißbrauchs sollte in diesem Zusammenhang keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen. Ihr wird das Arbeitsamt regelmäßig durch entsprechende Anfragen bei dem ausländischen Träger und sonstige Kontrollmaßnahmen begegnen können. Eine ungerechtfertigte Belastung der Beklagten ist jedenfalls nicht dadurch zu gewärtigen, daß sie die ihr nach § 100 AFG obliegenden Leistungen zu erbringen hat.
3. Als Alternative zu dem vorstehend erörterten Lösungsweg stellt sich für den Senat die Frage, ob dem Kläger angesichts seiner besonderen Umstände nicht bereits nach Europarecht ein Leistungsanspruch zusteht. Insoweit könnte man daran denken, den Art 71 Abs 1 Buchst b) i) EWGV 1408/71 nach seinem Sinn und Zweck auch auf "atypische" Grenzgänger wie den Kläger entsprechend anzuwenden. Eine derartige Auslegung könnte sich besonders unter dem Gesichtspunkt anbieten, daß der Kläger in ähnlicher Weise mit dem Beschäftigungsstaat verbunden ist wie Wanderarbeitnehmer, die keine Grenzgänger sind.
4. Der Senat kommt somit zu dem Ergebnis, daß Art 71 Abs 1 Buchst a) ii) EWGV 1408/71 jedenfalls im vorliegenden Fall einer Anwendung des § 100 AFG nicht entgegensteht. Möglicherweise läßt sich ein Anspruch des Klägers sogar aus Art 71 Buchst b) i) WGV 1408/71 herleiten. Insoweit erscheint es - wie in der Rechtssache 106/82 - geboten, die aufgetretenen Fragen gem Art 177 EWG-Vertrag dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen, da sich ihre Beantwortung nicht zweifelsfrei aus dem Wortlaut der EWGV 1408/71 oder der bisherigen Rechtsprechung des EuGH ergibt.
Von ihrer Beantwortung hängt die Entscheidung des Senats in dem anhängigen Rechtsstreit ab.
Fundstellen