Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsunfähigkeit im Ausland
Leitsatz (redaktionell)
1. Hat der zuständige Träger die Feststellungen des Trägers des Wohnorts über den Eintritt und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit seiner Entscheidung über den Anspruch auf Geldleistungen (hier: Krankengeld nach § 182 RVO) in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zugrunde zu legen, wenn er den Arbeitnehmer nicht gemäß Art 18 Abs 5 EWGV 574/72 durch einen Arzt seiner Wahl untersuchen läßt?
2. Wenn die Frage zu 1) bejaht wird: Gilt dies auch dann, wenn der Arbeitnehmer sich nicht drei Tage nach dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit an den Träger des Wohnorts wendet und eine vom behandelnden Arzt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt (Art 18 Abs 1 EWGV 574/72) und/oder der Träger des Wohnorts zwar ärztliche Kontrolluntersuchungen durchführt, aber nicht die hierfür und für die Übermittlung des ärztlichen Berichts an den zuständigen Träger in Art 18 Abs 3 EWGV 574/72 vorgeschriebenen Fristen einhält?
3a. Kann der zuständige Träger den Arbeitnehmer gemäß Art 18 Abs 5 EWGV 574/72 auch durch einen Arzt des Beschäftigungslandes untersuchen lassen?
3b. Muß die Aufforderung, ins Beschäftigungsland zurückzukehren und sich dort von einem bestimmten Arzt untersuchen zu lassen, mit der Erklärung verbunden sein, daß der zuständige Träger die Kosten für die Hin- und Rückfahrt übernimmt?
3c. Ist der Versicherte gleichzeitig schriftlich über eventuelle nachteilige Rechtsfolgen für den Fall zu belehren, daß er ohne wichtigen Grund der Aufforderung keine Folge leistet?
4. Welche Rechtsfolgen hat es, wenn der Arbeitnehmer sich nicht der Untersuchung im Beschäftigungsland stellt?
Normenkette
RVO § 182 Abs. 1 Nr. 2; EWGV 574/72 Art. 18 Abs. 5, 3, 1
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 20.07.1984; Aktenzeichen L 4 Kr 2137/81) |
SG Reutlingen (Entscheidung vom 15.10.1981; Aktenzeichen S 1 Kr 1926/80) |
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger noch Anspruch auf Krankengeld hat.
Der Kläger, der italienischer Staatsangehöriger ist, war seit dem 17. Juli 1979 als Bauwerker bei der Firma G B in M beschäftigt. Am 7. Dezember 1979 kündigte er dieses Arbeitsverhältnis zum 2. Januar 1980 und kehrte in sein Heimatland zurück. Am 14. Januar 1980 ging bei der beklagten Krankenkasse, deren Mitglied der Kläger war, eine Bescheinigung des I. vom 3. Januar 1980 ein. Darin wird ausgeführt, der Kläger sei seit dem 24. Dezember 1979 für voraussichtlich 35 Tage arbeitsunfähig erkrankt. Eine Befund- oder Diagnoseangabe enthält die Bescheinigung nicht. Die Beklagte holte Arbeitgeberauskünfte vom 21. und 31. Januar 1980 ein und teilte dem Kläger mit Schreiben vom 25. März 1980 mit, sie könne über seinen Krankengeldanspruch noch nicht entscheiden, da nach Mitteilung des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis gelöst sei und sie außer der erwähnten Mitteilung des I. keine Unterlagen über die Art der Erkrankung und die erhobenen Befunde erhalten habe. Ferner stellte sie dem Kläger anheim, - sofern es sein Gesundheitszustand erlaube - unverzüglich wieder in die Bundesrepublik Deutschland zurückzukehren und sich dem Vertrauensärztlichen Dienst vorzustellen, weil nur dann eine abschließende Entscheidung über die Gewährung von Krankengeld möglich sei. Mit Schreiben vom 29. April 1980 teilte der Kläger der Beklagten mit, daß er nicht ins Bundesgebiet zurückkehren könne. Gründe hierfür gab er nicht an. Am 22. Mai 1980 erhielt die Beklagte einen Befundbericht (nach Formular E 116) vom 12. Mai 1980, der auf einer durch Dr C am 23. April 1980 durchgeführten ärztlichen Untersuchung beruht. In dem Bericht sind als Diagnose "Gastroduodenitis" und als Befund "Epigastrialgie" nachgewiesen durch oberflächliche und tiefe Palpation" angegeben. Schließlich teilte das I. der Beklagten am 18. Juni 1980 mit, daß die Arbeitsunfähigkeit des Klägers nach dem Ergebnis der ärztlichen Kontrolluntersuchung vom 26. Mai 1980 am 28. Mai 1980 beendet sei. Die Beklagte holte eine Stellungnahme der Vertrauensärztin Dr S vom 1. Juli 1980 ein und lehnte mit Schreiben vom 3. Juli 1980 und am 23. September 1980 durch förmlichen Bescheid die Gewährung von Krankengeld ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte - nach Einholung einer weiteren Stellungnahme ihres Ärztlichen Dienstes vom 30. September 1980 - mit Bescheid vom 1. Dezember 1980 zurück.
Das Sozialgericht (SG) hat von dem italienischen Versicherungsträger die Atteste des behandelnden Arztes Dr B, in denen Arbeitsunfähigkeit vom 24. Dezember 1979 bis einschließlich 27. Mai 1980 wegen "Lendenarthrose" bescheinigt worden ist, die Unterlagen über eine stationäre Behandlung des Klägers in den Krankenanstalten in C vom 21. bis 26. April 1980 sowie die Befunde der Kontrolluntersuchungen beigezogen und sodann durch Urteil vom 15. Oktober 1981 die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 23. September 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Dezember 1980 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 21. bis 26. April 1980 Krankengeld zu gewähren. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat von Dr B eine Bescheinigung vom 23. August 1983 sowie einen Bericht vom 29. Februar 1984 eingeholt und durch Urteil vom 20. Juli 1984 die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es bestehe - außer für die Zeit der stationären Behandlung in Italien vom 21. bis 26. April 1980 - kein Anspruch auf Krankengeld. Die Leistungsgewährung richte sich - wie den Regelungen der EWG-Verordnung Nr 1408/71 zu entnehmen sei - nach deutschem Recht. Danach habe Anspruch auf Krankengeld nur derjenige Versicherte, der infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit seine zuletzt ausgeübte oder eine ähnliche Beschäftigung nicht mehr fortsetzen könne. Die beigezogenen Unterlagen des behandelnden Arztes Dr B und die Ergebnisse der vom italienischen Versicherungsträger durchgeführten Kontrolluntersuchungen reichten nicht aus, um beim Kläger eine so lange dauernde Arbeitsunfähigkeit anzunehmen. Da sich trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellen lasse, daß der Kläger während der jetzt noch streitigen Zeiten - wie dies der italienische Versicherungsträger angenommen habe - krankheitsbedingt arbeitsunfähig gewesen sei, könne ihm die begehrte Leistung nicht gewährt werden. Nach den im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsätzen der objektiven Beweislastregelung müsse den Nachteil, der sich aus der Nichterweislichkeit anspruchsbegründender Tatsachen ergebe, derjenige tragen, der aus dem Vorliegen der Tatsache ein Recht herleiten wolle. Die vom Kläger hilfsweise beantragte Vorlage der Sache an den Europäischen Gerichtshof sei nicht in Betracht gekommen, da das Recht der Gemeinschaft ausdrücklich das innerstaatliche Recht als maßgebend bezeichne und im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art 177 des EWG-Vertrages nur Fragen des Gemeinschaftsrechts entschieden werden könnten. Insoweit erscheine die Sache dem Gericht jedoch rechtlich nicht zweifelhaft.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger die Verletzung der Art 19 EWG-VO Nr 1408/71 und 18 EWG-VO Nr 574/72 sowie des § 182 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Wenn der Versicherungsträger ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit eines Versicherten habe, so müsse er diesen ärztlich untersuchen lassen. Dies gelte, unabhängig davon, ob sich die Versicherten im Inland oder im Ausland aufhielten. Da die behördlichen Kontrollen der Arbeitsunfähigkeit im Wohnland seitens des Versicherungsträgers des Wohnorts durch das EWG-Recht in besonderem Maße Feststellungssicherheit hinsichtlich der Dauer der Arbeitsunfähigkeit gewährleisteten, sei der zuständige Träger im Beschäftigungsland für den Fall, daß er eine abweichende und für den Arbeitnehmer ungünstige Feststellung über die Arbeitsunfähigkeitsdauer treffen wolle, gehalten, den Arbeitnehmer durch einen beauftragten Arzt direkt im Wohnland untersuchen zu lassen und den Arbeitnehmer von der Absicht einer negativen Feststellung rechtzeitig vor der Entscheidung in Kenntnis zu setzen. Dies gelte um so mehr, wenn der zuständige Versicherungsträger die Feststellung einerseits rückwirkend und andererseits zu einem Zeitpunkt treffe, zu dem der Arbeitnehmer auch nach der Feststellung des Trägers des Wohnorts bereits wieder arbeitsfähig sei. Dies habe die Beklagte nicht beachtet. Sie sei deshalb verpflichtet, das Krankengeld auch für die noch strittigen Zeiten zu gewähren. Im vorliegenden Falle gehe es auch um die Auslegung des Art 18 EWG-VO Nr 574/72. Sollte der erkennende Senat Zweifel an der Auslegung dieser Bestimmung durch das LSG haben, so müsse die Sache gem Art 177 Abs 3 des EWG-Vertrages dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt werden. Dieser habe bisher keine Gelegenheit gehabt, Art 18 EWG-VO Nr 574/72 auszulegen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. Juli 1984 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 15. Oktober 1981 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. September 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Dezember 1980 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 24. Dezember 1979 bis 20. April 1980 und vom 27. April bis 27. Mai 1980 Krankengeld zu gewähren,
hilfsweise,
den Rechtsstreit auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof mit folgender Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist der zuständige Träger berechtigt, einem Wanderarbeitnehmer, der sich in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, Geldleistungen (Art 19 Abs 1 Buchst b EWG-VO Nr 1408/71) aus Gründen bezweifelter Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers zu verweigern, obwohl der Träger des Wohnortes für denselben Zeitraum Arbeitsunfähigkeit feststellte und die erforderliche verwaltungsmäßige und ärztliche Kontrolle durchführte (Art 18 Abs 3 und 4 EWG-VO Nr 574/72), der zuständige Träger hingegen den Arbeitnehmer nicht durch einen Arzt seiner Wahl direkt untersuchen ließ, sondern lediglich ein Gutachten nach Lage der Akten in Auftrag gab?
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und macht ua geltend, die EWG-Verordnungen Nr 1408/71 und 574/72 dienten nur der Übertragung von Ansprüchen, die in einem Mitgliedstaat der EG erworben worden seien, in das Wohnortland, da wegen des Territorialprinzips die Leistungsgewährung durch den zuständigen Versicherungsträger nicht im Ausland bewirkt werden könne. Der Leistungsträger sei nicht an die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit durch den ausländischen Arzt oder den ausländischen Versicherungsträger gebunden. Im vorliegenden Falle gehe es um die Auslegung innerstaatlichen Rechts und nicht um Auslegungsprobleme des Gemeinschaftsrechts. Deshalb bestehe auch - entgegen der Auffassung des Klägers - keine Vorlagepflicht nach Art 177 Abs 3 EWG-Vertrag.
Entscheidungsgründe
Der Senat ruft den Europäischen Gerichtshof gemäß Art 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-Vertrag) zur Vorabentscheidung an über die Auslegung von Art 18 der Verordnung (EWG) Nr 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG)Nr 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft - ABL - EG Nr L 74/1 vom 27. März 1972) in der Fassung vor Änderung durch die Verordnung (EWG) Nr 3795/81 des Rates vom 8. Dezember 1981 zur Ausdehnung der Verordnung (EWG) Nr 574/72 auf Selbständige und ihre Familienangehörigen.
Die Anwendung und Auslegung des Art 18 EWG-Verordnung Nr 574/72 ist für die Entscheidung über den anhängigen Rechtsstreit erheblich. Die zulässige Revision des Klägers wäre begründet, wenn Art 18 EWG-Verordnung Nr 574/72 im vorliegenden Falle dahin anzuwenden wäre, daß die beklagte Krankenkasse die Feststellungen des italienischen Trägers über den Eintritt und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit ihrer Entscheidung über den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Krankengeld zugrunde legen müßte. Andernfalls hätte die Revision keinen Erfolg, weil das Berufungsgericht - ohne daß insoweit begründete Rügen erhoben worden sind - ausgeführt hat, daß sich nicht feststellen lasse, ob der Kläger in dem noch streitigen Zeitraum arbeitsunfähig gewesen sei, und daß das Nichtfestgestelltsein der anspruchsbegründenden Tatsachen zu Lasten des Klägers gehe.
Die EWG-Verordnung Nr 1408/71 und die hierzu ergangene Durchführungsverordnung Nr 574/72 sind auf den Kläger anzuwenden. Dies ergibt sich aus Art 2 Abs 1 EWG-Verordnung Nr 1408/71. Danach gilt diese Verordnung ua für Arbeitnehmer, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaates sind. Der Kläger ist als Italiener Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates der EWG. Für ihn gelten zumindest die Rechtsvorschriften Italiens.
Für den hier geltend gemachten Anspruch auf Krankengeld ist auszugehen von Art 19 Abs 1 Buchst b EWG-Verordnung Nr 1408/71. Danach erhält ein Arbeitnehmer, der im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates als des zuständigen Staates wohnt und die nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für den Leistungsanspruch erforderlichen Voraussetzungen, ggf unter Berücksichtigung des Art 18, erfüllt, in dem Staat, in dem er wohnt, Geldleistungen vom zuständigen Träger nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften. Der Kläger ist Arbeitnehmer iS von Art 19 Abs 1 EWG-Verordnung Nr 1408/71. Der Begriff des Arbeitnehmers ist in Art 1 Buchst a EWG-Verordnung Nr 1408/71 definiert. Danach ist Arbeitnehmer jede Person, die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer erfaßt werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist. Der Kläger war - jedenfalls bei Beginn des hier streitigen Leistungszeitraums - aufgrund seiner Beschäftigung bei der Firma G B ua für den Fall der Krankheit pflichtversichert (§ 165 Abs 1 Nr 1 RVO). Das Arbeitsverhältnis endete zwar am 2. Januar 1980, also vor Ablauf des Leistungszeitraums. Der Versicherungsfall - die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit (§ 182 Abs 1 Nr 2 RVO) - ist aber nach der Darstellung des Klägers bereits am 24. Dezember 1979 eingetreten, so daß der Kläger für den aufgrund dieses Versicherungsfalles geltend gemachten Krankengeldanspruch gemäß Art 1 Buchst a) i) EWG-Verordnung Nr 1408/71 (noch) als Arbeitnehmer zu gelten hat.
Auch die weitere Voraussetzung des Art 19 Abs 1 EWG-Verordnung Nr 1408/71, daß Wohnland und der zuständige Staat nicht identisch sind, ist erfüllt. Der Kläger wohnt in Italien. Zuständiger Staat ist die Bundesrepublik Deutschland. Denn gemäß Art 1 Buchst q EWG-Verordnung Nr 1408/71 ist zuständiger Staat der Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der zuständige Träger seinen Sitz hat.
Der zuständige Träger ist hier aber die beklagte Krankenkasse, die im Bundesgebiet ihren Sitz hat. Ihre Zuständigkeit ergibt sich daraus, daß der Kläger im Zeitpunkt des Antrags auf Leistungen bei ihr versichert war (Art 1 Buchst o i EWG-Verordnung Nr 1408/71).
Dagegen kann der vorlegende Senat nicht ohne vorhergehende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes darüber befinden, ob die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Krankengeldanspruch gegeben sind. Dieser Anspruch richtet sich - weil es sich um einen Anspruch auf Geldleistungen handelt - zwar gemäß Art 19 Abs 1 Buchst b EWG-Verordnung Nr 1408/71 nach den für den zuständigen Träger, die beklagte AOK, geltenden Rechtsvorschriften, also nach deutschem Recht. Bei der Anwendung des deutschen Rechts könnten sich aber hinsichtlich der Feststellung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Krankengeldanspruch für die Beklagte Einschränkungen aus Art 18 EWG-Verordnung Nr 574/72 ergeben.
Nach § 179 Abs 1 Nr 2 iVm Abs 2RVO gehört zu den Regelleistungen der gesetzlichen Krankenkassen die Krankenhilfe. Als Krankenhilfe wird nach § 182 Abs 1 Nr 2 Satz 1 RVO Krankengeld gewährt, wenn die Krankheit den Versicherten arbeitsunfähig macht. Die Beteiligten streiten hier darüber, ob bei dem Kläger am 24. Dezember 1979 krankheitsbedingt Arbeitsunfähigkeit eingetreten ist und ob diese bis einschließlich 27. Mai 1980 gedauert hat. Arbeitsunfähig ist ein Versicherter, der seiner bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit überhaupt nicht mehr oder nur auf die Gefahr hin nachgehen kann, seinen Zustand zu verschlimmern. Bei der Prüfung, ob Arbeitsunfähigkeit vorliegt, ist mithin lediglich zu fragen, welche Tätigkeit der Versicherte zuletzt verrichtet hat und ob er sie - oder eine ähnlich geartete - nach seinem Gesundheitszustand noch verrichten kann. Ist dies zu verneinen, muß Arbeitsunfähigkeit angenommen werden (BSGE 19, 179, 181; 26, 228, 290). Die Arbeitsunfähigkeit ist ein Rechtsbegriff. Der Arzt hat allein dessen medizinische Voraussetzungen festzustellen. Es genügt deshalb, wenn er feststellt, daß der Versicherte aufgrund einer Krankheit weder seine letzte Tätigkeit noch eine ähnliche verrichten kann (BSGE 41, 201, 203). Dem Krankenversicherungsträger obliegt es, hieraus die rechtliche Schlußfolgerung zu ziehen, ob Arbeitsunfähigkeit gegeben ist. Gemäß § 369b Abs 1 Nr 2 RVO sind die Kassen verpflichtet, eine Begutachtung der Arbeitsunfähigkeit durch einen Vertrauensarzt zu veranlassen, wenn es zur Sicherung des Heilerfolges, insbesondere zur Einleitung von Maßnahmen der sozialen Leistungsträger für die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit, oder zur Beseitigung von begründeten Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit erforderlich erscheint oder der Arbeitgeber dies unter Darlegung begründeter Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit verlangt.
Für Arbeitnehmer, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates als des zuständigen Staates wohnen, enthält Art 18 EWG-Verordnung Nr 574/72 für den Bezug von Geldleistungen nach Art 19 Abs 1 Buchst b EWG-Verordnung Nr 1408/71 eine Regelung, die dem für die Leistung zuständigen Träger die Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch offensichtlich erleichtern soll. Jedenfalls das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen ist danach in der Regel durch Ärzte des Wohnlandes festzustellen und durch den Träger des Wohnortes zu kontrollieren. Allerdings behält der zuständige Träger gemäß Art 18 Abs 5 EWG-Verordnung Nr 574/72 die Möglichkeit, den Arbeitnehmer durch einen Arzt seiner Wahl untersuchen zu lassen. Der vorliegende Fall wirft bei der Anwendung des Art 18 EWG-Verordnung Nr 574/72 die oben herausgestellten Fragen auf, die sich nicht zweifelsfrei beantworten lassen und den Senat daher zwingen, sie dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen (vgl dazu BSGE 43, 255, 268).
Zur Frage Nr 1:
Die beklagte Krankenkasse hat den Kläger nicht gemäß Art 18 Abs 5 EWG-Verordnung Nr 574/72 durch einen Arzt ihrer Wahl untersuchen lassen. Inhalt und Systematik des Art 18 EWG-Verordnung Nr 574/72 könnten dafür sprechen, daß in einem solchen Falle grundsätzlich die medizinischen Feststellungen, die der behandelnde Arzt und/oder der Träger des Wohnortes getroffen haben, der Entscheidung über den Anspruch auf Geldleistungen zugrundegelegt werden müssen (vgl dazu aber BSG, Urteil vom 23. März 1983 - 3 RK 26/82 - SozR 2200 § 369b RVO Nr 1, wo im Hinblick auf das Deutsch-Spanische Abkommen über Soziale Sicherheit und seine Zusatzvereinbarung eine Bindungswirkung verneint wird). Denn Art 18 regelt das Verfahren, wie im Wohnland die notwendigen Feststellungen zu treffen sind und innerhalb welcher Fristen Kontrolluntersuchungen stattzufinden haben, sowie die Benachrichtigungspflicht gegenüber dem zuständigen Träger. Diese ins Einzelne gehenden Regelungen sollen wohl dazu dienen, eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des zuständigen Trägers sicherzustellen. Sie binden ihn zwar nicht ohne weiteres. Wenn er aber nicht von der Möglichkeit des Art 18 Abs 5 EWG-Verordnung Nr 574/72 Gebrauch macht, also den Arbeitnehmer nicht durch einen Arzt seiner Wahl untersuchen läßt, so müßte man eine Bindung möglicherweise schon deshalb annehmen, weil der betroffene Arbeitnehmer grundsätzlich Anspruch auf Vertrauensschutz hat. Läßt der zuständige Träger nämlich die Feststellungen des behandelnden Arztes und die Ergebnisse der Kontrolluntersuchungen des Trägers des Wohnorts später nicht gelten, so könnte sich, weil inzwischen die Arbeitsfähigkeit wiederhergestellt ist, für den Arbeitnehmer eine ungünstige Beweissituation ergeben.
Ob sich eine solche Bindung nicht nur auf die medizinischen Feststellungen des behandelnden Arztes und der Kontrollärzte beschränkt, sondern auch die rechtliche Beurteilung umfaßt, daß Arbeitsunfähigkeit vorliegt, ist zweifelhaft. Für eine solche Bindung könnte Art 18 Abs 4 EWG-Verordnung Nr 574/72 ein Beleg sein. Wenn dort ua davon die Rede ist, daß der Träger des Wohnortes später erforderlichenfalls die verwaltungsmäßige Kontrolle des Arbeitnehmers wie bei seinen eigenen Versicherten durchführt, so schließt dies möglicherweise auch eine rechtliche Beurteilung der Frage ein, ob Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Dafür daß der Träger des Wohnortes nicht nur auf medizinische Feststellungen beschränkt ist, spricht Art 18 Abs 4 Satz 2 und 3 EWG-Verordnung Nr 574/72. Danach trifft er, jedenfalls über die Beendigung der Arbeitsunfähigkeit, für den zuständigen Träger auch gegenüber dem Arbeitnehmer die Verwaltungsentscheidung. Andererseits hätte der Träger des Wohnorts über den Inhalt eines ihm fremden Rechtsbegriffs aus dem nationalen Recht des zuständigen Trägers zu entscheiden.
Zur Frage Nr 2):
Sollte der zuständige Träger, wenn er nicht von der in Art 18 Abs 5 EWG-Verordnung Nr 574/72 eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, grundsätzlich an die Feststellungen des Trägers des Wohnortes über den Eintritt und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit gebunden sein, so könnte diese Bindung im vorliegenden Falle aber deshalb nicht eingetreten sein, weil das nach Art 18 Abs 1 und 3 EWG-Verordnung Nr 574/72 vorgeschriebene Verfahren nicht strikt eingehalten worden ist. Nach den bisher getroffenen Feststellungen hat der Kläger am 24. Dezember 1979 den behandelnden Arzt aufgesucht und ist an diesem Tage für voraussichtlich 35 Tage arbeitsunfähig krank geschrieben worden. Es steht jedoch noch nicht fest, ob der Kläger sich innerhalb der durch Art 18 Abs 1 EWG-Verordnung Nr 574/72 vorgeschriebenen 3-Tages-Frist an den Träger des Wohnortes gewendet und eine vom behandelnden Arzt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt hat. Insoweit müßte, wenn dies für den Eintritt einer Bindung des zuständigen Trägers an die Feststellungen des behandelnden Arztes und der Kontrollärzte des Wohnlandes erforderlich sein sollte, eine Zurückverweisung des Rechtsstreits erfolgen, um diesbezügliche Feststellungen durch die Vorinstanz nachholen zu lassen.
Der zuständige Träger - die Beklagte - könnte hier aber insbesondere auch deshalb nicht an die in Italien getroffenen Feststellungen gebunden sein, weil der Träger des Wohnortes nicht die in Art 18 Abs 3 EWG-Verordnung Nr 574/72 enthaltenen Vorschriften strikt eingehalten hat. Erst am 14. Januar 1980 ging bei der beklagten Krankenkasse eine Bescheinigung des I. vom 3. Januar 1980 ein, in dem lediglich mitgeteilt wurde, daß der Kläger seit dem 24. Dezember 1979 für voraussichtlich 35 Tage arbeitsunfähig krank sei. Der italienische Versicherungsträger hat erstmalig am 30. Januar 1980 und dann am 13. und 28. Februar, 24. März, 23. April und 26. Mai 1980 Kontrolluntersuchungen durchgeführt. Der Nachricht vom 3. Januar 1980 war demzufolge kein Bericht über eine durchgeführte Kontrolluntersuchung beigefügt. Gleichwohl könnte die Nichteinhaltung des Art 18 Abs 3 EWG-Verordnung Nr 574/72 durch den Träger des Wohnortes dem Kläger möglicherweise nicht entgegengehalten werden, weil der Träger des Wohnortes insoweit für den zuständigen Träger tätig wird und der Kläger die ordnungsgemäße Handhabung durch den Träger des Wohnortes nicht beeinflussen kann. Hierfür könnte auch Art 18 Abs 6 EWG-Verordnung Nr 574/72 sprechen. Denn darin ist als Versagungsgrund lediglich der Fall erwähnt, daß der Arbeitnehmer die nach den Rechtsvorschriften des Wohnlandes vorgesehenen Formvorschriften nicht eingehalten hat. Versäumnisse des Trägers des Wohnortes werden in dieser Vorschrift nicht erwähnt. Im übrigen hat sich die beklagte Krankenkasse bei ihrer versagenden Entscheidung weder auf die Nichteinhaltung der Formvorschriften durch den Kläger noch durch den Träger des Wohnortes berufen. Schon dies könnte dafür sprechen, daß die geschilderten Versäumnisse unbeachtlich sind und es bei der Bindung des zuständigen Trägers an die Feststellungen über die Arbeitsunfähigkeit durch den Träger des Wohnortes bleibt.
Zur Frage Nr 3):
Mit Schreiben vom 25. März 1980 hat die Beklagte den Kläger aufgefordert, unverzüglich wieder in die Bundesrepublik Deutschland zurückzukehren und sich dem Vertrauensärztlichen Dienst vorzustellen. Diese Aufforderung war weder mit der Erklärung verbunden, daß der zuständige Träger die Kosten für die Rückfahrt übernimmt, noch enthielt sie eine konkrete Belehrung über die nachteiligen Rechtsfolgen für den Fall, daß der Kläger ohne wichtigen Grund der angeordneten Untersuchung fernbleibt. In dem Schreiben wurde nur darauf hingewiesen, daß ohne eine vorhergehende Untersuchung noch keine abschließende Entscheidung über die Gewährung des beantragten Krankengeldes möglich sei.
a) Zweifelhaft ist zunächst, ob unter dem Begriff "Arzt seiner Wahl" in Art 18 Abs 5 EWG-VO Nr 574/72 auch ein Arzt zu verstehen ist, der im zuständigen Staat praktiziert oder als Vertrauensarzt tätig ist. Nach dem Wortlaut der genannten Vorschrift erscheint eine solche Auslegung möglich. Im Hinblick auf den Gesamtzusammenhang, in den die Regelung des Abs 5 gestellt ist, läßt sich aber auch die Auffassung vertreten, daß der zuständige Träger lediglich die Möglichkeit haben soll, einen Arzt im Wohnland des Arbeitnehmers auszusuchen. Andernfalls hätte es nahegelegen, in Art 18 Abs 5 EWG-Verordnung Nr 574/72 weitere Einzelheiten über die Zumutbarkeit der Rückkehr, die Kostentragungspflicht sowie die vom Arbeitnehmer einzuhaltenden Fristen zu regeln.
b) Aber selbst wenn der zuständige Träger die Möglichkeit haben sollte, den Arbeitnehmer auch durch einen Arzt im Beschäftigungsland untersuchen zu lassen, so ist doch fraglich, ob die Aufforderung zur Rückkehr nicht mit der Erklärung verbunden werden muß, daß der zuständige Träger die Reisekosten für die Hin- und Rückfahrt übernimmt. Diese zusätzlichen Kosten werden nämlich nur erforderlich, weil der zuständige Träger die Feststellungen des Trägers des Wohnortes als nicht ausreichend ansieht. Daraus dürften dem Versicherten aber keine Nachteile entstehen.
c) Ferner könnte es für die Wirksamkeit einer Aufforderung notwendig sein, daß der Versicherte auf die möglichen Rechtsnachteile hingewiesen wird, die eintreten, wenn er ohne wichtigen Grund einer Aufforderung zur Untersuchung nicht folgt. Dies könnte sich insbesondere aus der Betreuungspflicht des Versicherungsträgers aufgrund des Sozialrechtsverhältnisses (vgl dazu BSGE 46, 124, 126; 50, 12, 14 jeweils mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung) ergeben. Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob der Versicherungsträger Rechtsvorschriften des eigenen Staates oder Bestimmungen des EWG-Rechts anwendet.
Zur Frage Nr 4):
Der Kläger ist der Aufforderung der Beklagten, zur Untersuchung in die Bundesrepublik Deutschland zurückzukehren, nicht gefolgt. Er hat hierfür keine Begründung gegeben. Wenn die Aufforderung auch ohne Verpflichtung zur Kostenübernahme und ohne Belehrung über die nachteiligen Rechtsfolgen rechtens sein sollte, so könnte das Verhalten des Klägers die Konsequenz haben, daß er sich nicht auf die Feststellungen des Trägers des Wohnortes über die Arbeitsunfähigkeit berufen kann. Hierfür könnte folgende Überlegung sprechen: Die dem zuständigen Träger in Art 18 Abs 5 EWG-VO Nr 574/72 eingeräumte Möglichkeit, den Versicherten durch einen Arzt seiner Wahl untersuchen zu lassen, ist nur dann ein brauchbares Mittel der Kontrolle, wenn die Verweigerung der Mitwirkung durch den Versicherten zu rechtlichen Sanktionen führt, die darin bestehen könnten, daß eine etwa bestehende formelle Bindung an die Feststellungen des Trägers des Wohnortes entfällt und der zuständige Träger über das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit nach eigener Prüfung der vorhandenen ärztlichen Unterlagen entscheidet.
Fundstellen