Leitsatz (amtlich)
Wer in den Jahren 1934 bis 1940 zur Ausbildung als Wirtschaftsprüfer gegen Entgelt beschäftigt war, war nach damaliger Rechtsauffassung der RfA nur während der ersten 3 Jahre der 6jährigen Ausbildungszeit versicherungsfrei nach AVG § 12 Abs 1 Nr 4 (Fassung: 1924-04-28) und ist deshalb auch nur für diese Zeit berechtigt, Beiträge nach AnVNG Art 2 § 44a Abs 3 (= ArVNG Art 2 § 46 Abs 3 S 1) nachzuentrichten (Fortführung von BSG 1978-05-31 12 RK 62/76 = SozR 5750 Art 2 § 46 Nr 3).
Leitsatz (redaktionell)
Nachentrichtung von Angestelltenversicherungsbeiträgen nach AnVNG Art 2 § 44a Abs 3 S 1 für einen Wirtschaftsprüfer:
1. Nach AnVNG Art 2 § 44a Abs 3 S 1 können Personen, die vor dem 1957-03-01 während ihrer wissenschaftlichen Ausbildung (AVG § 12 Abs 1 Nr 4 aF) für ihren künftigen Beruf nicht versicherungspflichtig waren, auf Antrag abweichend von AVG § 140 für die Zeiten der Versicherungsfreiheit, längstens jedoch bis zum 1924-01-01 zurück, Beiträge zur Angestelltenversicherung nachentrichten, soweit solche Zeiten nicht bereits mit Beiträgen belegt sind.
2. Bei der Prüfung der Frage, ob eine versicherungsfreie wissenschaftliche Ausbildung vorliegt, ist von der Rechtslage und Rechtsauffassung auszugehen, die zur Zeit der Beschäftigung gültig war, bzw vertreten wurde.
Normenkette
AVG § 12 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1924-04-28; AnVNG Art. 2 § 44a Abs. 3 S. 1 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 46 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1972-10-16
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 05.07.1977; Aktenzeichen L 2 An 670/76) |
SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 21.06.1976; Aktenzeichen S 13 An 266/75) |
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger berechtigt ist, nach Art 2 § 44a Abs 3 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) Beiträge für einen Zeitraum nachzuentrichten, in dem er zur Ausbildung als Wirtschaftsprüfer beschäftigt war.
Der Kläger war, nachdem er im Februar 1931 sein Studium mit dem Examen als Diplomkaufmann abgeschlossen hatte, zunächst als selbständiger Wirtschaftsberater tätig. Vom 1. September 1934 bis 31. Dezember 1941 befand er sich nach seinen Angaben bei zwei Revisions- und Treuhandgesellschaften in Berlin in der Ausbildung zum Wirtschaftsprüfer. Im April 1942 bestand er die Prüfung und am 6. Mai 1942 erhielt er die Bestallung als Wirtschaftsprüfer.
Seinem Antrag vom 21. August 1974, die Nachentrichtung von Beiträgen für die Zeit vom 1. September 1934 bis 31. August 1940 zuzulassen, gab die Beklagte nur für die Zeit vom 1. September 1934 bis zum 1. September 1937 (die in der Versicherungskarte Nr 2 als versicherungsfrei nach § 12 Abs 1 Nr 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG aF - eingetragen ist) statt (Bescheid vom 10. April 1975). Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts - SG - vom 21. Juni 1976, Urteil des Landessozialgerichts - LSG - vom 5. Juli 1977). Das LSG hat ua ausgeführt: Bei der Auslegung des Begriffes "wissenschaftliche Ausbildung für den künftigen Beruf" müsse sowohl in tatsächlicher Hinsicht wie bei der rechtlichen Bewertung von den Verhältnissen ausgegangen werden, die für den in Betracht kommenden Ausbildungszeitraum maßgebend gewesen seien. In Übereinstimmung mit dem Reichsversicherungsamt - RVA - (GE Nr 5395, AN 1940, II 450) sei die praktische Tätigkeit im Wirtschaftsleben, die als Ausbildung für den Beruf eines Wirtschaftsprüfers vorgeschrieben gewesen sei, nicht als "wissenschaftliche" Ausbildung für den zukünftigen Beruf iS von § 12 Abs 1 Nr 4 AVG aF anzusehen. Es habe sich vielmehr um eine rein praktische Tätigkeit im Wirtschaftsleben gehandelt.
Der Kläger hat - die vom LSG zugelassene - Revision eingelegt. Er rügt Verletzung materiellen Rechts. Für die Frage der Zulässigkeit der Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 44a Abs 3 AnVNG dürfe nicht ausschließlich auf die damaligen Verhältnisse zurückgegriffen werden. Der Zielsetzung dieser Vorschrift entspreche es vielmehr, auch die heutigen Bewertungsmaßstäbe heranzuziehen. Diese hätten nämlich im Ergebnis den Gesetzgeber veranlaßt, bestimmten Berufsgruppen die Möglichkeit zu geben, ausbildungsbedingte Versorgungslücken zu schließen. Daß der Ausbildungsweg des Wirtschaftsprüfers nicht unbedingt ein Hochschulstudium voraussetze, stehe dem Merkmal der wissenschaftlichen Ausbildung nicht entgegen. Da er den Ausbildungsgang zum Wirtschaftsprüfer nach Abschluß eines akademischen Studiums beschritten habe, müsse die während der "praktischen" Ausbildung ausgeübte Tätigkeit unter dem Gesichtspunkt einer der wissenschaftlichen Ausbildung für den künftigen Beruf dienenden Tätigkeit gesehen werden. Er habe sich im gesamten sechsjährigen Zeitraum über das Mindesterfordernis von drei Jahren hinaus der Prüfungstätigkeit gewidmet. Es sei sachlich nicht gerechtfertigt, den zweiten Ausbildungsabschnitt anders zu beurteilen als den ersten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG und - sinngemäß - das Urteil des SG aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 10. April 1975 zu verurteilen, die Nachentrichtung von Beiträgen gemäß Art 2 § 44a Abs 3 AnVNG für den Zeitraum vom 1. September 1937 bis zum 31. August 1940 zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II.
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.
Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, daß der Kläger nicht berechtigt ist, für den Zeitraum vom 2. September 1937 bis 31. August 1940 Beiträge nach Art 2 § 44 Abs 3 AnVNG nachzuentrichten. Nach dieser Vorschrift können Personen, die vor dem 1. März 1957 während der wissenschaftlichen Ausbildung für ihren künftigen Beruf nicht pflichtversichert waren, auf Antrag abweichend von § 140 Abs 1 AVG für die Zeiten der Versicherungsfreiheit, längstens jedoch bis zum 1. Januar 1924 zurück, Beiträge nachentrichten, soweit diese Zeiten nicht bereits mit Beiträgen belegt sind.
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß sich die Frage, ob Personen vor dem 1. März 1957 während der wissenschaftlichen Ausbildung für ihren künftigen Beruf nicht pflichtversichert waren, nach der im Zeitraum der Ausbildung herrschenden Rechtsauffassung beurteilt. Sinn und Zweck des Art 2 § 44a Abs 3 AnVNG ist es nämlich, den Betroffenen die Möglichkeit zu geben, die aufgrund der früher herrschenden versicherungsrechtlichen Lage entstandenen Nachteile durch Nachentrichtung von Beiträgen auszugleichen (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 31. Mai 1978 - 12 RK 62/76 -). Entscheidend ist es deshalb nicht, ob sich eine frühere Ausbildung rückblickend und unter Anwendung jetziger Bewertungsmaßstäbe als wissenschaftliche Ausbildung einstufen läßt. Maßgebend ist vielmehr, wie sie nach damaliger Rechtslage, dh nach der allgemein von den Versicherungsträgern und von der Rechtsprechung praktizierten Rechtsauffassung, beurteilt und gehandhabt wurde. Denn nur auf der Grundlage der von dieser Rechtsauffassung getragenen Rechtsanwendung konnte eine als wissenschaftlich angesehene Ausbildung zur Versicherungsfreiheit nach § 12 Abs 1 Nr 4 AVG aF führen. Wurde hingegen eine Ausbildung - ungeachtet ihres möglichen wissenschaftlichen Charakters - nicht als wissenschaftlich eingestuft, dann konnte das von vornherein keine Versicherungsfreiheit nach dieser Vorschrift und damit auch keine ausbildungsbedingte Beitragslücke zur Folge haben. Für die Anwendung des Art 2 § 44a Abs 3 AnVNG bleibt dann mangels einer Kausalität zwischen der damaligen Rechtsauffassung und dem Unterlassen der Beitragszahlung kein Raum.
Im streitigen Zeitraum war für die Frage, ob die Ausbildung zum Wirtschaftsprüfer bei akademischer Vorbildung unter die Vorschrift des § 12 Abs 1 Nr 4 AVG aF fiel, beim zuständigen Versicherungsträger, der damaligen Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA), die Rechtsauffassung maßgebend, daß von der vorgeschriebenen "sechsjährigen praktischen Tätigkeit, davon mindestens drei Jahre Prüfungstätigkeit" nur die drei ersten Jahre versicherungsfrei seien, da es sich hierbei um eine wissenschaftliche Ausbildung für den zukünftigen Beruf des Wirtschaftsprüfers handele. Darüber hinaus bestehe aber Versicherungspflicht, weil es sich bei einer Ausbildung im allgemeinen um eine vorübergehende Tätigkeit handeln müsse, hiervon aber bei einer Ausbildungszeit von mindestens sechs Jahren nicht mehr gesprochen werden könne. Diese Rechtsauffassung ergibt sich aus der Sachverhaltsschilderung in der Grundsätzlichen Entscheidung (GE) des RVA vom 8. November 1940 (AN 1940, II 450), die die versicherungsrechtliche Behandlung der Ausbildung von zwei promovierten Diplomkaufleuten zum Wirtschaftsprüfer in den Zeiträumen vom 15. Februar 1932 bis 31. August 1938 bzw ab 1. August 1934 durch die RfA zum Gegenstand hatte. Diese Rechtsauffassung hat sich in gleicher Weise in der versicherungsrechtlichen Behandlung der Ausbildung des Klägers niedergeschlagen, wie aus dem Eintrag in der Versicherungskarte Nr 2 ersichtlich ist. Sie ist durch die vorgenannte GE des RVA sogar noch eingeengt worden. Das RVA hat nämlich für die gesamte Ausbildungszeit von sechs Jahren Versicherungsfreiheit nach § 12 Abs 1 Nr 4 AVG aF verneint. Die RfA hatte es aber gleichwohl im Falle des Klägers bei der von ihr angenommenen Versicherungsfreiheit für die ersten drei Jahre der Ausbildung belassen. Die Beklagte hat deshalb als Rechtsnachfolgerin der RfA folgerichtig auch diesen Zeitraum als der Nachentrichtung nach Art 2 § 44a Abs 3 AnVNG zugänglich anerkannt. Darüber hinaus bestand aber für die Beklagte keine Veranlassung, die Nachentrichtung auch für die nachfolgenden drei Jahre zuzulassen, weil diese Zeit nach damaliger Rechtsauffassung der RfA nicht versicherungsfrei war und auch tatsächlich nicht als versicherungsfrei anerkannt wurde. Daß in diesem streitigen Zeitraum ebenfalls keine Beiträge entrichtet wurden, lag demnach nicht daran, daß keine Versicherungspflicht wegen wissenschaftlicher Ausbildung bestand. Der Kläger kann versicherungsfrei gewesen sein, weil er für die Tätigkeit - die nach Auffassung der RfA über die ersten drei Jahre hinaus überhaupt keine Ausbildung mehr war, sondern praktische Erwerbstätigkeit darstellte - ein Entgelt erhielt, das über der Versicherungspflichtgrenze - damals 7.200,- RM jährlich - lag. Es kann aber auch so gewesen sein, daß - bei Unterschreiten dieser Grenze - versäumt wurde, die fälligen Pflichtbeiträge zu entrichten. Beitragslücken, die auf solchen Gründen beruhen, lassen sich nicht durch Nachentrichtung nach Art 2 § 44a AnVNG auffüllen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen