Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenhauspflegekosten. Geisteskrankenabkommen. öffentlich-rechtlicher Vertrag. Schadensersatzanspruch wegen culpa in contrahendo

 

Orientierungssatz

1. Die Zusage der Krankenkasse gegenüber dem Sozialhilfeträger im Rahmen des Westfälischen Geisteskrankenabkommens vom 11.12.1968, die Krankenhauskosten zu übernehmen, ist als öffentlich-rechtlicher Vertrag zustande gekommen, der neben dem Verwaltungsakt eine zulässige und gleichwertige Handlungsform darstellt und der insbesondere zwischen gleichgeordneten Rechtsträgern von Bedeutung ist (vgl hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 1981-01-27 5a/5 RKn 14/79). Durch einen derartigen Vertrag darf die Rechtslage verbindlich geklärt werden (vgl hierzu bereits RVA in "Die Arbeiterversorgung" 1938, 265).

2. Ein Schadensersatzanspruch wegen culpa in contrahendo kommt nur in Frage, wenn der Sozialhilfeträger die Krankenkasse schuldhaft zum Abschluß des Vertrages gebracht hat.

 

Normenkette

RVO § 184 Abs 1 Fassung: 1973-12-19

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 29.05.1979; Aktenzeichen L 15 Kn 131/76)

SG Dortmund (Entscheidung vom 06.10.1976; Aktenzeichen S 22 Kn 131/75)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Krankenhauspflegekosten zurückzuerstatten, die der Beklagte von der Klägerin für den Versicherten P für die Zeit von Anfang 1973 bis Ende 1974 erhalten hat.

Der wegen Schwachsinn und Schizophrenie entmündigte Versicherte bezieht seit Mai 1960 Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit. Er befindet sich seitdem im Westfälischen Landeskrankenhaus W, dessen Träger der Beklagte ist. Zunächst war er aufgrund amtsgerichtlicher Beschlüsse untergebracht, später aufgrund vormundschaftsgerichtlich genehmigter Entscheidungen seines Vormundes. Für die Zeit von 1966 bis 1972, in der der Versicherte auch wegen einer Lungenerkrankung stationär behandelt wurde, lehnten die ehemalige Ruhrknappschaft und die Klägerin Anträge des Beklagten auf Kostenersatz ab.

Mit Schreiben vom 3. Februar 1973 teilte das Westfälische Landeskrankenhaus (Fachkrankenhaus für Psychiatrie) der Klägerin mit, der Versicherte sei am 1. Januar 1973 zur stationären Behandlung aufgenommen worden. Unmittelbarer Anlaß seien Affekt- und Kontaktstörungen, die eine stationäre Behandlung erforderten. Die ärztliche Dienststelle der Klägerin gelangte in einer Stellungnahme zum Ergebnis, bei der Unterbringung des Versicherten ab 1. Januar 1973 handele es sich um eine heilbehandlungsbedürftige Krankheit. Ein Pflege- und Bewahrfall liege nicht mehr vor. Daraufhin erklärte sich die Klägerin am 26. Februar 1973 gegenüber dem Beklagten bereit, die Kosten der stationären Behandlung des Versicherten im Rahmen des zwischen den Beteiligten bestehenden Geisteskrankenabkommens für die Zeit vom 1. Januar 1973 bis zum 30. Juni 1973 zu übernehmen. Im Juni und Oktober 1973, Januar und Mai 1974 sowie im September 1974 stellte das Westfälische Landeskrankenhaus W durch seine Ärzte jeweils Kostenverlängerungsanträge, denen die Klägerin nach Anhörung ihrer ärztlichen Beraterin entsprach. Im Januar 1975 erhielt sie vom Westfälischen Landeskrankenhaus W die Mitteilung, die Behandlungsbedürftigkeit des Versicherten sei beendet. Seit dem 1. Dezember 1974 handele es sich wieder um einen Pflegefall gemäß § 68 Bundessozialhilfegesetz (BSHG).

Die Klägerin gelangte nunmehr zu der Überzeugung, auch in der Zeit vom 1. Januar 1973 bis 1. Dezember 1974 habe es sich bei dem Versicherten lediglich um einen Pflege-, nicht jedoch um einen Behandlungsfall gehandelt. Sie erhob deshalb Klage auf Erstattung der von ihr übernommenen Krankenhauspflegekosten durch den Beklagten. Das Sozialgericht (SG) wies die Klage mit Urteil vom 6. Oktober 1976 ab. Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung im wesentlichen mit folgender Begründung zurück: In Frage komme hier nur der allgemein anerkannte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch. Er setze voraus, daß der Beklagte zu Unrecht Leistungen erhalten habe. Das hänge aber nicht ausschließlich von der materiellen Rechtslage ab, sondern auch davon, ob aufgrund einer bindenden Leistungszusage der Klägerin dem Beklagten Leistungen zugeflossen seien. Das Westfälische Geisteskrankenabkommen (WGKrA) diene dem Ziel, Streitigkeiten zwischen der Klägerin und dem Beklagten über die Ersatzpflicht bei der Unterbringung von Geisteskranken nach Möglichkeit auszuschalten. Indem die Klägerin auf den Antrag des Beklagten eine Kostenübernahmezusage gemacht habe, seien sich die Beteiligten darüber einig gewesen, daß dem Beklagten die Leistungen zugestanden hätten, die der Beklagte von der Klägerin erhalten habe. Dieser Vertrag zwischen den Beteiligten sei weder nichtig noch wirksam angefochten worden (Urteil vom 29. Mai 1979).

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine unrichtige Anwendung des § 184 Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie des Rechtsinstituts des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs. Außerdem ist sie der Auffassung, daß ihr - bei Ablehnung eines solchen Erstattungsanspruchs - ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 28.626,60 DM aus Verschulden des Beklagten bei Vertragsschluß (culpa in contrahendo) zustehe.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil sowie das Urteil des

Sozialgerichts Dortmund vom 6. Oktober 1976

aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen,

die von der Klägerin getragenen Unterbringungskosten

für die Zeit vom 1. Januar 1973 bis 30. November

1974 in Höhe von 28.626,60 DM zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte Revision der Klägerin ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG einen Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Rückzahlung der Beträge verneint, die die Klägerin an den Beklagten für die Behandlung des Versicherten gezahlt hat.

Für den von der Klägerin wahlweise geltend gemachten öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch und Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens des Beklagten bei Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrags ist zwar der Rechtsweg vor den Sozialgerichten gegeben (vgl hierzu Urteile des erkennenden Senats vom 31. Mai 1978 - 5 RKn 31/76 - und vom 27. Januar 1981 - 5a/5 RKn 14/79 - sowie Urteil des BVerwG vom 29. Mai 1973 in DÖV 1974, 133). Die materiellen Voraussetzungen beider Ansprüche liegen indes nicht vor.

Im Anschluß an die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (RVA) hat das Bundessozialgericht (BSG) einen Anspruch auf Rückgewähr solcher Leistungen anerkannt, die ohne rechtlichen Grund erbracht worden sind (vgl Urteile des erkennenden Senat vom 31. Mai 1978 aaO und vom 28. Mai 1980 - 5 RKn 21/79 - jeweils mwN). Die Leistungen der Klägerin an den Beklagten, die sie nun zurückverlangt, sind jedoch nicht ohne rechtlichen Grund erbracht worden. Ob sie ihre Grundlage unmittelbar im Gesetz finden, kann offenbleiben, weil sie durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen der Klägerin und dem Beklagten gerechtfertigt sind (vgl BSGE 20, 223 hinsichtlich der Rechtfertigung einer Leistung durch bindenden Bescheid). Entgegen der Auffassung der Klägerin kann hier ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch aus der Entscheidung des erkennenden Senats vom 31. Mai 1978 aaO deshalb nicht hergeleitet werden, weil dort nur ein bindender Bescheid als Rechtsgrundlage im Verhältnis zwischen dem Versicherungsträger und dem Versicherten, nicht aber im Verhältnis zum Sozialhilfeträger vorgelegen hatte. Dagegen ist im vorliegenden Fall eine direkte vertragliche Grundlage zwischen der Klägerin als Versicherungsträger und dem Beklagten als Sozialhilfeträger geschaffen worden.

Das LSG hat zu Recht nicht geprüft, ob beim Versicherten von Anfang 1973 bis Ende 1974 die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Krankenhauspflege im Sinne des § 184 RVO tatsächlich vorgelegen haben. Denn auf diese Frage kommt es nicht mehr an, nachdem die Klägerin dem Beklagten für den genannten Zeitraum Zusagen hinsichtlich der Kostentragung gemacht hatte und diese Zusagen die Rechtsgrundlage für die Leistungen der Klägerin bildeten. Nach den Feststellungen des LSG erfolgten die entsprechenden Anträge des Beklagten und die Kostenübernahmeerklärungen der Klägerin aufgrund des zwischen ihnen bestehenden WGKrA vom 11. Dezember 1968, dessen Inhalt vom Berufungsgericht zutreffend ausgelegt worden ist. Dadurch ist zwischen dem Beklagten und der Klägerin jeweils ein öffentlich-rechtlicher Vertrag zustande gekommen, der neben dem Verwaltungsakt eine zulässige und gleichwertige Handlungsform darstellt und der insbesondere zwischen gleichgeordneten Rechtsträgern von Bedeutung ist (vgl hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 27. Januar 1981 aaO mwN). Durch einen derartigen Vertrag darf die Rechtslage verbindlich geklärt werden (vgl hierzu bereits RVA in Die Arbeiterversorgung 1938, 265), und nach den Feststellungen des LSG war dies auch Sinn und Zweck des zwischen den Beteiligten jeweils zustande gekommenen Vertrags. Wenn die Klägerin mit ihrer Revision hiergegen vorbringt, ihre nur "im Rahmen des Geisteskrankenabkommens" erteilte Zusage bedeute keinen von den gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen unabhängigen Verpflichtungswillen, so übersieht sie dabei, daß das LSG für die Kostenübernahmeerklärungen der Klägerin eine gegenteilige Willensrichtung festgestellt hat. Da es sich insoweit um eine Tatsachenfeststellung handelt (vgl BSG in SozR 1500 § 163 Nr 2, 2200 § 1265 Nr 24), gegen welche die Klägerin keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorgetragen hat, ist der Senat an diese Feststellung gemäß § 163 SGG gebunden.

Wo ein öffentlich-rechtlicher Rechtsträger sich durch öffentlich-rechtliche Verträge gebunden hat, ist er ebenso wie bei Privatverträgen nur dann von seiner Verpflichtung frei, wenn der Vertrag nichtig oder wirksam angefochten ist. Nichtigkeitsgründe sind hier nicht ersichtlich. Anfechtungsgründe oder ein Wegfall der Geschäftsgrundlage sind vom Berufungsgericht mit zutreffenden Gründen verneint worden und werden mit der Revision auch nicht vorgebracht.

Ein Schadensersatzanspruch wegen culpa in contrahendo, den die Klägerin erstmals in der Revisionsbegründung geltend macht, käme nur in Frage, wenn der Beklagte die Klägerin schuldhaft zum Abschluß des Vertrages gebracht hätte. Für eine derartige Annahme lassen indes die nach § 163 SGG für das Revisionsgericht bindenden Tatsachenfeststellungen des LSG keinen Raum.

Die Revision ist nach alledem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1656075

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