Leitsatz (amtlich)

Gehört die unterhaltsberechtigte Ehefrau eines Mitgliedes der knappschaftlichen Krankenversicherung aufgrund eigener Erwerbstätigkeit einer anderen Krankenkasse als Pflichtmitglied an, so hat der Ehemann auch dann im Wege der Familienkrankenhilfe einen Anspruch auf die von der Kasse der Frau nicht übernommenen - wesentlich günstigeren - Leistungen der knappschaftlichen Krankenversicherung, wenn das Gesamteinkommen der Frau die Grenze des § 205 Abs 1 S 1 RVO überschreitet (Fortführung von BVerfG 1975-06-09 1 BvR 2261/73, 2268/73 = SozR 2200 § 205 Nr 4).

 

Normenkette

RKG § 20; RVO § 205 Abs 1 S 1 Fassung: 1977-06-27; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23

 

Verfahrensgang

SG Dortmund (Entscheidung vom 20.04.1979; Aktenzeichen S 25 (14) Kn 51/78)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger für seine Ehefrau Leistungen aus der knappschaftlichen Krankenversicherung zustehen.

Der Kläger gehört der knappschaftlichen Krankenversicherung an; bei notwendiger stationärer Behandlung steht ihm nach der Satzung der Beklagten Krankenhausbehandlung in einem Zweibettzimmer zu. Seine Ehefrau, die im Jahre 1977 ein monatliches Einkommen von mehr als 370,-- DM hatte, ist Pflichtmitglied der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK). Sie wurde in der Zeit von 10. August 1977 bis zum 20. August 1977 stationär behandelt. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 10. August 1977 den Antrag des Klägers ab, den Unterschiedsbetrag zwischen den von der DAK getragenen Kosten und den tatsächlichen Kosten für die Behandlung in einem Zweibettzimmer zu übernehmen.

Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat in seinem Urteil vom 20. April 1979 zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe für seine Ehefrau keinen Anspruch auf die höheren Leistungen der knappschaftlichen Krankenversicherung, weil die Ehefrau des Klägers einen eigenen Anspruch auf Krankenhauspflege habe und ihr Einkommen außerdem die in § 205 der Reichsversicherungsordnung (RVO) festgelegte Grenze überschreite. Ein Anspruch auf Familienkrankenhilfe könne auch nicht aus dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9. Juni 1975 hergeleitet werden, weil dieser Beschluß den § 205 RVO in seiner früheren, abweichenden Fassung betreffe.

Der Kläger hat dieses Urteil im Einverständnis mit der Beklagten mit der - vom SG zugelassenen - Sprungrevision angefochten. Er ist der Ansicht, ihm stehe der Unterschiedsbetrag zwischen den von der DAK übernommenen Krankenhausbehandlungskosten und den tatsächlichen Kosten für die Unterbringung in einem Zweibettzimmer zu. Die Einführung einer Einkommensgrenze in § 205 RVO durch das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz -KVKG- vom 27. Juni 1977 (BGBl I S 1069) habe für selbstversicherte Familienangehörige keine Änderung gebracht. Die Einführung der Einkommensgrenze könne nicht die Fälle ergreifen, in denen nach der Rechtsprechung des BVerfG die höheren Leistungen der knappschaftlichen Krankenversicherung im Wege der Familienkrankenhilfe zu gewähren seien.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte

unter Abänderung des Bescheides vom 10. August 1977

in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom

6. Februar 1978 zu verurteilen, an den Kläger einen

Betrag von 471,60 DM zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig und die Revision des Klägers für unbegründet.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Sprungrevision des Klägers führ zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG. Die festgestellten Tatsachen reichen zur abschließenden Entscheidung nicht aus.

Die Sprungrevision ist nach § 161 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft, obwohl das SG die nach § 144 SGG ausgeschlossene Berufung nicht ausdrücklich zugelassen hat (BSG SozR 1500 § 161 Nrn 11, 15; aaO § 150 Nr 9 und Urteil des erkennenden Senats vom 31. März 1981 - 5b/5 RJ 26/79 -).

Nach § 20 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) iVm § 205 Abs 1 RVO idF des KVKG (nF) schließt zwar sowohl der eigene gesetzliche Anspruch auf Krankenpflege als auch das die festgelegte Einkommensgrenze übersteigende Einkommen des unterhaltsberechtigten Ehegatten den Anspruch des Versicherten auf Familienkrankenhilfe aus. Dieser Ausschluß erfaßte nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) wegen des Grundsatzes der Unteilbarkeit der Leistungen auch die satzungsmäßig günstigeren, aber gleichartigen Leistungen aus der knappschaftlichen Krankenversicherung (vgl BSG SozR Nrn 8 und 18 zu § 205 RVO). Der Anspruch auf Familienkrankenhilfe besteht danach lediglich insoweit, als die eigene Krankenversicherung des Ehegatten die Gewährung ganzer Leistungsarten ausschließt.

Der Grundsatz der Unteilbarkeit der Leistungen steht aber nach der Entscheidung des BVerfG vom 9. Juni 1975 (BVerfGE 40, 65 = SozR 2200 § 205 Nr 4) dem Anspruch auf eine günstigere Leistung der Familienkrankenhilfe nicht in jedem Fall und insbesondere dann nicht entgegen, wenn höherrangiges Recht die Gewährung dieser günstigeren Leistungen gebietet. Wie das BVerfG in dieser Entscheidung ausgeführt hat, würde es gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) verstoßen, wollte man einem Versicherten die wesentlich günstigeren Leistungen der Familienkrankenhilfe aus der knappschaftlichen Versicherung versagen, weil seine unterhaltsberechtigte Ehefrau aus eigener Pflichtversicherung einen erheblich ungünstigeren Anspruch auf Krankenhilfe hat. Sowohl er als auch seine Ehefrau würden damit ohne sachlichen Grund schlechter gestellt als ein Versicherter und seine Ehefrau, die keiner Erwerbstätigkeit nachgeht und daher nicht pflichtversichert ist. Für eine solche Ungleichbehandlung gibt es nach der Rechtsprechung des BVerfG keinen einleuchtenden Grund. Dieser für das BVerfG maßgebliche Aspekt einer verfassungskonformen Auslegung des § 205 RVO gilt für die mit Wirkung vom 1. Juli 1977 geänderten Fassung der Vorschrift gleichermaßen, weil die vom BVerfG bei der Gewährung von Familienhilfe für grundgesetzwidrig angesehene Benachteiligung der durch Haushaltführung und Berufstätigkeit doppelt belasteten Ehefrauen und ihrer Ehemänner gegenüber Versicherten mit nicht erwerbstätigen Ehefrauen durch die vom KVKG neu eingeführte Einkommensgrenze nicht beseitigt würde.

Nach der genannten Entscheidung des BVerfG darf zwar aus sachlichen Gründen verhindert werden, einzelne Leistungen jeweils dort zu beanspruchen, wo sie am günstigsten sind. Insofern verstößt die Rechtsprechung des BSG, wonach Leistungen im Rahmen der Familienhilfe nicht erst bei Gleichwertigkeit mit Leistungen aus einer eigenen Versicherung, sondern schon bei Gleichartigkeit entfallen, nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Das kann aber jedenfalls dann nicht mehr gelten, wenn - wie im vorliegenden Fall - ganz erhebliche Unterschiede zwischen der Versicherung des Ehemannes einerseits und der eigenen Krankenversicherung der Ehefrau andererseits bestehen. Hier erreicht - wie das BVerfG aaO betont hat - die Ungleichbehandlung ein Ausmaß, das über einzelne Leistungsunterschiede zwischen verschiedenen Krankenversicherungsträgern bei im großen und ganzen gleichem Leistungsniveau weit hinaus geht. In solchen Fällen die Familienhilfe zurücktreten zu lassen, ist mit Erwägungen der Praktibilität nicht mehr zu rechtfertigen und durch solche Überlegungen auch nicht geboten. Das gilt nicht nur für den vom BVerfG entschiedenen Fall, daß der Versicherte neben der Pflichtmitgliedschaft in der knappschaftlichen Krankenversicherung der Rentner als freiwilliges Mitglied der knappschaftlichen Krankenversicherung angehört und seine Ehefrau ohne Änderung der tatsächlichen Verhältnisse kraft Gesetzes Mitglied der Krankenversicherung der Rentner geworden ist, sondern auch für den hier vorliegenden Fall des Bestehens der Pflichtmitgliedschaft aufgrund einer Erwerbstätigkeit sowohl des Versicherten als auch seiner Ehefrau.

Auch die durch das KVKG geänderte Fassung des § 205 Abs 1 RVO ist daher verfassungskonform dahin auszulegen, daß die wesentlich günstigeren Leistungen der knappschaftlichen Krankenversicherung - wie bisher - im Wege der Familienkrankenhilfe zu erbringen sind, soweit sie nicht von der Krankenkasse der unterhaltsberechtigten Ehefrau übernommen werden.

Dafür spricht auch der vom Gesetzgeber mit § 205 RVO verfolgte Zweck. Die Leistungen der Familienkrankenhilfe sollen den Versicherten in die Lage versetzen, seine Unterhaltspflicht zu erfüllen, die auch die im Falle der Krankheit erforderlich werdenden Leistungen und insbesondere die Krankenhausbehandlung umfaßt (vgl BSG SozR 2200 § 205 Nr 26). Dabei soll die unterhaltsberechtigte Ehefrau nicht auf ein geringeres Maß an Leistungen verwiesen werden, als sie dem Versicherten zustehen. Das geht schon daraus hervor, daß nach § 205 Abs 1 RVO die Familienhilfe den gleichen Umfang hat wie die Leistungen für den Versicherten. Steht dem Versicherten zB die Krankenhausbehandlung in einem Zweibettzimmer zu, so soll seiner unterhaltsberechtigten Ehefrau nicht die Behandlung in einem Mehrbettzimmer zugemutet werden. Das gilt auch dann, wenn die Ehefrau ihrer Krankenkasse gegenüber einen Anspruch auf Krankenhausbehandlung in einem Mehrbettzimmer hat. Der Anspruch auf Familienkrankenhilfe ist deshalb bei eigener Krankenversicherung der unterhaltsberechtigten Ehefrau nur dann ausgeschlossen, wenn die Leistungen der Krankenkassen im allgemeinen gleichwertig sind und der Versicherte die Leistungen der Familienkrankenhilfe zur Erfüllung seiner Unterhaltspflicht nicht bedarf. Trifft diese Voraussetzung, von der der Gesetzgeber ausgegangen ist, aber nicht zu, weil - wie im vorliegenden Fall - die Leistungen aus der Krankenversicherung des Versicherten die Leistungen aus der Krankenversicherung der unterhaltsberechtigten Ehefrau wesentlich übersteigen, so bedarf der Versicherte insoweit zur Erfüllung seiner Unterhaltspflicht der Leistungen der Familienkrankenhilfe. Die Beklagte hat daher die Grundsätze des Beschlusses des BVerfG vom 9. Juni 1975 aaO zutreffend auch auf die Fälle ausgedehnt, in denen sowohl der Versicherte als auch seine unterhaltsberechtigte Ehefrau aufgrund einer Erwerbstätigkeit pflichtversichert sind. Entgegen der Ansicht der Beklagten hat an dieser Rechtslage die Neufassung des § 205 RVO durch das KVKG nichts geändert. Die Einführung einer Einkommensgrenze soll den unterhaltsberechtigten Familienangehörigen auf den Weg einer zumutbaren Eigenvorsorge für den Fall der Krankheit verweisen. Der mit der Einführung der Einkommensgrenze verbundene Ausschluß der Familienkrankenhilfe trifft also nicht die Fälle, in denen der unterhaltsberechtigte Angehörige schon aufgrund einer Erwerbstätigkeit versicherungspflichtig ist, sondern lediglich die Fälle, in denen trotz des Überschreitens der Einkommensgrenze eine Pflichtversicherung nicht besteht. Ob in solchen Fällen die wesentlich günstigeren Leistungen der knappschaftlichen Familienkrankenhilfe auch dann ausgeschlossen sind, wenn der unterhaltsberechtigte Angehörige die ihm zugemutete, aber weniger günstige eigene Krankenversicherung eingegangen ist, kann dahingestellt bleiben. Die Neufassung des § 205 RVO durch das KVKG hat jedenfalls für diejenigen Versicherten nicht zu einer Änderung der Rechtslage geführt, deren Ehefrauen aufgrund eigener Erwerbstätigkeit mit dem Anspruch auf geringere Leistungen der Krankenversicherung pflichtversichert sind. Da die Einkommensgrenze bei einer Pflichtversicherung aufgrund eigener Erwerbstätigkeit der Ehefrau regelmäßig überschritten wird, hätte der Gesetzgeber das bis dahin schon in § 205 RVO enthaltene Tatbestandsmerkmal des eigenen Anspruchs auf Krankenpflege streichen können, wenn er dem eigenen Einkommen der Ehefrau neben ihren Anspruch auf Krankenhilfe eine eigenständige Bedeutung beigemessen hätte. Wären die wesentlich günstigeren Leistungen der knappschaftlichen Familienkrankenhilfe wegen des eigenen Einkommens der erwerbstätigen und pflichtversicherten Ehefrau ausgeschlossen, so widerspräche das - wie bereits dargelegt - nach der Rechtsprechung des BVerfG weiterhin dem Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG, weil die erwerbstätige Ehefrau und ihr versicherter Ehemann nach wie vor schlechter gestellt würden, als eine nicht erwerbstätige Ehefrau und ihr versicherter Gatte, zumal die erwerbstätige Ehefrau selbst Beiträge zur Krankenversicherung zu leisten hat.

Obwohl danach das eigene Einkommen der Ehefrau des Klägers und ihre Ansprüche gegen die DAK den Anspruch des Klägers auf Familienkrankenhilfe in dem geltend gemachten Umfang nicht ausschließen, konnte der Senat nicht abschließend entscheiden. Da die Einkommenshöhe des Klägers einerseits und seiner Ehefrau andererseits nicht feststeht, läßt sich nicht beurteilen, ob der Kläger seiner Ehefrau gegenüber iS des § 205 Abs 1 RVO unterhaltsverpflichtet ist. Diese Voraussetzung ist unabhängig davon zu prüfen, ob die Ehefrau die festgesetzte Grenze des Gesamteinkommens überschreitet. Haben beide Ehegatten Einnahmen, so ist derjenige als unterhaltsverpflichtet iS des § 205 RVO anzusehen, der das höhere Einkommen bezieht und deshalb im allgemeinen mehr zum angemessenen Unterhalt der Familie beizutragen hat (vgl BSG SozR 2200 § 205 Nr 26).

Der Senat hat auf die danach begründete Revision des Klägers des angefochtene Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur Nachholung der erforderlichen Tatsachenfeststellungen an das SG zurückverwiesen.

Das SG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

BSGE, 265

NJW 1982, 2144

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