Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschiedenenwitwenrente. keine Unterhaltsverpflichtung aus Kriegs- oder wehrdienstbedingten Gründen. analoge Anwendung bei tatsächlicher Unterhaltsleistung. Entstehungsgeschichte des § 42 Abs 1 BVG
Orientierungssatz
1. Die Vorschrift des § 42 Abs 1 S 3 BVG, nach der es unberücksichtigt bleibt, wenn eine "Unterhaltsverpflichtung" aus Kriegs- oder wehrdienstbedingten Gründen nicht bestanden hat, kann nicht analog auf eine tatsächliche Unterhaltsleistung ausgedehnt werden.
2. Zur Entstehungsgeschichte des § 42 Abs 1 BVG und dem Zusammenhang dieser Vorschrift mit ähnlichen Regelungen aus anderen Rechtsgebieten wie zB dem Rentenversicherungs- und dem Unfallversicherungsrecht.
Normenkette
BVG § 42 Abs 1 S 3 Fassung: 1978-08-10; RVO § 1265 S 2, § 592 Abs 1
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 10.10.1980; Aktenzeichen L 8 V 960/79) |
SG Stuttgart (Entscheidung vom 26.04.1979; Aktenzeichen S 15 V 143/77) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin als frühere Ehefrau des am 11. Mai 1956 verstorbenen Kaufmanns B-T B (B) Hinterbliebenenversorgung im Wege des Zugunstenbescheides begehren kann.
Die Klägerin und B haben 1934 geheiratet; diese Ehe wurde 1947 auf Antrag der Klägerin wegen Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft von mehr als drei Jahren und wegen völliger Zerrüttung ohne Schuldausspruch gemäß § 48 des Ehegesetzes (EheG) geschieden. Die Eheleute schlossen keine Unterhaltsvereinbarung; jedoch zahlte B bis in das Jahr 1952 an die Klägerin und an die vier aus der Ehe hervorgegangenen Töchter Unterhalt, bis er wegen einer Verschlimmerung seiner Schädigungsfolgen die Zahlungen einstellte. B ist nach versorgungsärztlicher Beurteilung an Schädigungsfolgen gestorben.
Der Antrag der Klägerin auf Gewährung von Hinterbliebenenversorgung wurde durch Bescheid des Versorgungsamts Karlsruhe vom 1. Juni 1973 abgelehnt. Dieser Bescheid blieb unangefochten.
Im November 1975 beantragte die Klägerin erneut Hinterbliebenenversorgung. Dieser Antrag wurde durch Bescheid vom 28. Mai 1976 (Widerspruchsbescheid vom 16. August 1976) abgelehnt. Das Sozialgericht (SG) hat den Bescheid des Beklagten aufgehoben und diesen verurteilt, der Klägerin einen neuen Bescheid über die Gewährung von Hinterbliebenenversorgung zu erteilen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen.
In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt: Nach § 40 Abs 1 des Verfahrensgesetzes der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) könne zwar jederzeit zugunsten der Klägerin ein neuer Bescheid ergehen, auch wenn ein vorangegangener ablehnender Bescheid bindend geworden sei. Dazu sei aber Voraussetzung, daß der frühere Bescheid unrichtig gewesen sei; dies sei bei dem Bescheid des Beklagten vom 1. Juli 1973 nicht der Fall. B sei weder aus eherechtlichen Vorschriften noch aus sonstigen Gründen der Klägerin zu Unterhaltsleistungen verpflichtet gewesen. Dabei hätten für das Nichtbestehen einer Unterhaltspflicht kriegs- und wehrdienstbedingte Umstände keine Rolle gespielt. Die Voraussetzungen der Sondervorschrift des § 42 Abs 1 Satz 3 Bundesversorgungsgesetz (BVG) seien nicht erfüllt, weil diese nur für eine Unterhaltsverpflichtung gelten, eine solche bei B aber nicht bestanden habe. § 42 Abs 1 Satz 3 BVG konnte auch nicht auf den Fall der Klägerin analog angewendet werden. Der Gesetzgeber habe hiermit einem abgegrenzten Personenkreis Rechte zubilligen wollen, so daß für eine Analogie kein Raum sei. Gegen einen Analogieschluß spreche auch, daß B hier bereits mehrere Jahre vor seinem Tode seine Unterhaltsleistungen an die Klägerin eingestellt habe. Der Gesetzgeber habe die Unterhaltsleistung auf das letzte Jahr vor dem Tode des Verstorbenen bezogen, weil in diesem Fall angenommen werden könne, daß dieser ohne die Schädigungsfolgen willens und fähig gewesen wäre, auch in der Folgezeit Unterhalt zu gewähren. Dies könne aber nicht mehr gesagt werden, wenn die Unterhaltsleistung geraume Zeit vor dem Tode abgebrochen worden sei, weil hier nicht auszuschließen sei, daß die Unterhaltsleistung unabhängig von den kriegs- oder wehrdienstbedingten Umständen aus anderen Gründen unterlassen worden sei. Dies könne zu Mutmaßungen führen, die der Gesetzgeber durch die Statuierung der Jahresfrist habe abschneiden wollen.
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und führt zur Begründung aus, der Gesetzgeber habe der Witwe einen materiellen Ausgleich geben wollen, wenn die auf freiwilliger Grundlage erbrachte tatsächliche Unterhaltsleistung nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit beim Beschädigten eingestellt worden sei.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die
gegen das Urteil des Sozialgerichts gerichtete
Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Beide Beteiligte sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.
Das LSG hat zu Recht auf die Berufung des Beklagten die Klage abgewiesen.
Die Klägerin hat gegen den Bescheid des Beklagten vom 1. Juni 1973 kein Rechtsmittel eingelegt. Er ist deshalb nach § 24 Abs 1 KOVVfG bindend geworden. Für die Entscheidung kann dahinstehen, ob hier noch § 40 KOVVfG anzuwenden ist oder § 44 Sozialgesetzbuch 10 (vgl für § 41 KOVVfG Bundessozialgericht -BSG- vom 1981-01-28 - 9 RV 29/80 und vom 1981-03-05 - 9 RV 39/80 -), da sie inhaltlich insoweit übereinstimmen, als beide einen neuen begünstigenden Verwaltungsakt zulassen, wenn der frühere Bescheid bei seinem Erlaß unrichtig gewesen ist. Der Bescheid des Beklagten vom 1. Juni 1973 entspricht jedoch der Gesetzeslage.
Die Klägerin erfüllt nicht die gesetzlichen Voraussetzungen für die Hinterbliebenenrente. Nach § 42 Abs 1 Satz 1 BVG idF des 3. Neuordnungsgesetzes vom 28. Dezember 1966 (BGBl I S 750) steht im Falle der Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe die frühere Ehefrau des Verstorbenen einer Witwe gleich, wenn der Verstorbene zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den eherechtlichen Vorschriften oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder im letzten Jahr vor seinem Tode geleistet hat. Das LSG hat zu Recht erkannt, daß die Klägerin diese gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Da die Ehe der Klägerin mit dem Beschädigten nach § 48 des EheG auf Antrag der Klägerin geschieden war, hatte sie keinen Unterhaltsanspruch aus den eherechtlichen Vorschriften (vgl § 61 Abs 2 EheG). Zutreffend hat das LSG auch festgestellt, daß zwischen den früheren Ehepartnern eine Unterhaltsvereinbarung nicht geschlossen worden ist. Insbesondere kann diese nicht in dem Schreiben des Beschädigten an das Wohnungsamt gesehen werden. Die Beteiligten wenden sich insoweit nicht gegen die Feststellung des LSG. Daß den tatsächlichen Leistungen des Beschädigten an die Klägerin bis in das Jahr 1952 hinein eine - freiwillige - Verpflichtung zugrunde lag, ist vom LSG weder festgestellt noch von der Klägerin vorgetragen oder auch sonst nur ersichtlich. Darüber hinaus ist davon auszugehen, daß der verstorbene frühere Ehemann der Klägerin dieser im letzten Jahr vor seinem Tode im Jahre 1956 keinen Unterhalt mehr geleistet hat.
Die Klägerin meint jedoch, sie sei deshalb einer Witwe gleichzustellen, weil ihr verstorbener früherer Ehemann bis in das Jahr 1952 hinein ihr tatsächlich Unterhalt gezahlt und diese Unterhaltszahlungen nur deswegen eingestellt habe, weil er wegen Verschlimmerung seiner anerkannten Schädigungsfolgen zu weiteren Zahlungen nicht mehr in der Lage gewesen sei. Die Klägerin sieht eine Stütze für ihre Rechtsmeinung in Satz 2 des § 42 Abs 1 BVG. Hiernach bleibt es unberücksichtigt, wenn eine Unterhaltsverpflichtung aus kriegs- oder wehrdienstbedingten Gründen nicht bestanden hat. Diese Gesetzesvorschrift, die sich nach ihrem Wortlaut nur auf eine Unterhaltsverpflichtung bezieht, will die Klägerin auch auf die tatsächliche Unterhaltsleistung ausgedehnt haben.
Das SG ist in der Tat zu einer analogen Anwendung dieser Vorschrift auf Unterhaltsleistungen gelangt, weil nach seiner Ansicht in § 42 Abs 1 Satz 1 BVG die Unterhaltspflicht und die tatsächliche Unterhaltsleistung gleichwertig für die Hinterbliebenenversorgung der geschiedenen Ehefrau nebeneinander stünden und die Außerachtlassung von kriegs- und wehrdienstbedingten Gründen für beide Tatbestandsmerkmale, nämlich für den Verlust des Unterhaltsanspruchs und für das Unterbleiben weiterer Unterhaltsleistungen die gleiche Wirkung haben müsse.
Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Bei der Auslegung ist auch auf die Entstehungsgeschichte und auf den Zusammenhang dieser Vorschrift des BVG mit ähnlichen Regelungen aus anderen Rechtsgebieten wie zB dem Rentenversicherungsrecht und dem Unfallrecht Bedacht zu nehmen.
Das BVG sah bis 1960 in § 42 Abs 1 Satz 1 vor, daß die frühere Ehefrau eine Rente erhielt, wenn der Verstorbene nach den eherechtlichen Vorschriften Unterhalt zu gewähren hätte. Mit dem 1. Neuordnungsgesetz vom 27. Juni 1960 (BGBl I S 453) wurde der Rentenanspruch der früheren Ehefrau davon abhängig gemacht, ob der Verstorbene zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den eherechtlichen Vorschriften oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder im letzten Jahr vor seinem Tode geleistet hat. Durch das 3. Neuordnungsgesetz vom 28. Dezember 1966 (BGBl I S 750) hat § 42 Abs 1 BVG noch einen Zusatz erhalten, der als Satz 2 dem Absatz 1 eingefügt worden ist. Nach diesem Satz bleibt es unberücksichtigt, wenn eine Unterhaltsverpflichtung aus kriegs- oder wehrdienstbedingten Gründen nicht bestanden hat. Aus dieser Entstehungsgeschichte ergibt sich, daß die gesetzliche Regelung unter dem Leitgedanken steht, daß die Witwenversorgung Ersatzfunktion für tatsächlich entgangene Unterhaltsansprüche oder doch wenigstens für entgangene Unterhaltsleistungen haben soll (BSG in Bundesversorgungsblatt 1968 S 138, 139). Der Leitgedanke ist allerdings durch das 3. Neuordnungsgesetz abgemildert worden. Diese Regelung selbst war eine Übernahme der durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 9. Juni 1965 als Satz 2 des § 1265 Reichsversicherungsordnung (RVO) geschaffenen Regelung in der Rentenversicherung. Dort hatte man die Unterhaltsersatzfunktion als unzulänglich beanstandet (BR-Drucks 319/64 vom 1964-07-10) und deshalb einer früheren Ehefrau falls eine Witwenrente nicht zu gewähren war, eine Hinterbliebenenrente dann zugestanden, wenn der Versicherte wegen schlechter Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse zur Unterhaltsleistung nicht imstande gewesen war. Die Rechtswohltat des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes ging damit über das Ziel, eine Unterhaltslücke zu schließen, hinaus, wenngleich das Gesetz nicht völlig mit dem Grundsatz der Surrogation brach (vgl BSG Großer Senat BSGE 48, 147, 156 f). Die frühere Ehefrau sollte, auch nachdem sie der Verstorbene nicht unterstützt hatte, wenigstens den Nutzen aus seiner Versicherung ziehen - allerdings nur für den Fall, daß eine Witwenrente nicht zu zahlen war. Obwohl diese Vorschrift im Recht der Kriegsopferversorgung (KOV) ebenfalls Geltung erlangt hat, ist doch nicht im gleichen Umfang eine Abkehr vom Surrogationsprinzip anzunehmen, weil hier die Hinwendung auf die Versicherung keine Rolle spielen kann. Bezeichnend ist es daher auch, daß in der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl § 592 Abs 1 RVO) eine vergleichbare Regelung wegen Nichtbestehens eines Unterhaltsanspruchs nicht eingefügt worden ist. In der späteren Gesetzesänderung durch das 9. Anpassungsgesetz vom 27. Juni 1977 (BGBl I S 1037) wird ein klares Bekenntnis zur Unterhaltsersatzfunktion wieder deutlich, denn es wird nunmehr eine Versorgung für die geschiedene frühere Ehefrau des Verstorbenen nur solange geleistet, als sie nach ehe- oder familienrechtlichen Vorschriften unterhaltsberechtigt gewesen wäre oder sonst Unterhaltsleistungen erhalten hätte. Diese neuen Formulierungen ähneln auffallend denen des Gesetzes vor 1960.
Bei dem kurzen Überblick über die Entstehungsgeschichte des § 42 Abs 1 BVG und dem punktuellen Bezug zu §§ 592 und 1265 RVO ergibt sich neben der Einsicht, daß im Entschädigungsrecht die Unterhaltsersatzfunktion der starke Grundgedanke für die Versorgung der geschiedenen früheren Ehefrau darstellt, auch die Erkenntnis, daß der Gesetzgeber mit seinen detaillierten Vorschriften über die Geschiedenenwitwenrente beweglich den jeweiligen Rechtsanschauungen folgte. Das schließt die Annahme, für einen Fall wie den vorliegenden bestehe eine Lücke im Gesetz, aus. Es muß vielmehr angenommen werden, daß das Gesetz jeweils erschöpfende Tatbestände aufgestellt hat, die, wenn sie vorliegen - aber auch nur dann - den Anspruch auf Versorgung ergeben (s BSG, Bundesversorgungsblatt 1968 S 138, 139).
Im übrigen wurde, wie das LSG zutreffend hervorgehoben hat, auf die tatsächliche Unterhaltsleistung im letzten Jahr vor dem Tod des Beschädigten deshalb abgestellt, weil in diesem Fall angenommen werden konnte, daß der Beschädigte ohne seinen Tod weiter willens und fähig gewesen wäre, Unterhalt zu leisten. Das kann aber nicht gesagt werden, wenn zwischen der Einstellung der Unterhaltsleistung und dem Tod rund drei Jahre liegen. Ganz abgesehen davon, daß die Klägerin geraume Zeit zur Verfügung hatte, um sich auf den Wegfall der Unterhaltsleistungen einzustellen, ist der Richter und der Verwaltungsbeamte auf Mutmaßungen darüber angewiesen, daß keine anderen als die schädigungsbedingten Gründe den Beschädigten gezwungen haben, seine Unterhaltsleistungen einzustellen. Solche Mutmaßungen sollten aber mit dem Abstellen auf die Jahresfrist der dritten Alternative des § 42 Abs 1 Satz 1 BVG entbehrlich gemacht werden.
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des LSG ist deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen