Leitsatz (amtlich)
Ein Spezialbetrieb, der ausschließlich Bohrarbeiten an Gebäuden erbringt, gehört zu den Betrieben des Baugewerbes, in denen nach AFG § 76 Abs 2 S 1 iVm BaubetrV § 1 die ganzjährige Beschäftigung durch Leistungen der Produktiven Winterbauförderung zu fördern ist.
Normenkette
AFG § 75 Abs. 1 Fassung: 1972-05-19, § 76 Abs. 1 Fassung: 1972-05-19, Abs. 2 S. 1 Fassung: 1972-05-19, S. 2 Fassung: 1972-05-19, § 186a Abs. 1 Fassung: 1972-05-19; BaubetrV § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. e Fassung: 1972-07-19, Abs. 2 Fassung: 1972-07-19
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 28.07.1977; Aktenzeichen L 7 Ar 5/75) |
SG Lüneburg (Entscheidung vom 27.11.1974; Aktenzeichen S 7 Ar 47/74) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 28. Juli 1977 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, von der Klägerin eine Umlage zur Aufbringung der Mittel für die Produktive Winterbauförderung (PWF) gemäß § 186 a des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) zu erheben.
Die Klägerin (Tochterunternehmen eines US-amerikanischen Konzerns) unterhält in der Bundesrepublik ua Bohrbetriebe, die als selbständige Betriebsabteilungen überwiegend für die Bauindustrie Arbeiten verrichten. Auftraggeber sind Bauunternehmen, Architekten, Ingenieurbüros, Bundespost, Bundesbahn, Finanzbauämter und andere Bauämter. Die Arbeit der Klägerin besteht darin, daß mit Spezialbohrgeräten und Diamantbeton-Bohrkronen sowie Diamantsägen Bohrungen und andere Öffnungen in Neu- und Altbauten (in Stahlbeton und anderen in der Bauindustrie verwendeten Materialien) hergestellt werden. Diese Arbeiten laufen bei Neubauten bereits in der Rohbauphase an.
Am 21. September 1972 beantragte die Klägerin für ihre Bohrbetriebe die Gewährung von Schlechtwettergeld. Dem gab die Beklagte durch formlosen Bescheid vom 1. November 1972 statt unter Hinweis auf die gemäß § 186 a AFG bestehende Umlagepflicht. Daraufhin teilte die Klägerin mit Schreiben vom 7. Dezember 1972 der Beklagten mit, sie sei nach gründlichen Überlegungen zu dem Schluß gekommen, der Winterbauförderung und Schlechtwettergeldregelung "nicht beizutreten". Es sei eine innerbetriebliche Regelung getroffen worden, die in Bedarfsfällen zur Anwendung kommen werde. Die Beklagte stellte durch Bescheid vom 19. Januar 1973 die Umlagepflicht der Klägerin nach § 186 a AFG in Verbindung mit den Vorschriften der Verordnung über die Umlage zur Aufbringung der Mittel für die PWF vom 13. Juli 1972 (BGBl I 1201) - Winterbau-UmlageVO - ab 1. Juli 1972 fest. Der Betrieb könne nicht selbst bestimmen, ob er in die Winterbauförderung einzubeziehen sei oder nicht. Wenn der Betrieb die Leistungen der Winterbauförderung nicht in Anspruch nehmen wolle, weil er betriebsintern eine entsprechende Regelung getroffen habe, so werde die Umlagepflicht davon nicht berührt. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28. März 1974).
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Lüneburg den Bescheid vom 19. Januar 1973 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. März 1974 aufgehoben (Urteil des SG vom 27. November 1974).
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil des LSG vom 28. Juli 1977). Es hat dazu ausgeführt: Die Klägerin sei umlagepflichtig, weil sie zu denjenigen Betrieben gehöre, in denen die ganzjährige Beschäftigung durch Leistungen der PWF nach den §§ 77 bis 80 AFG zu fördern sei. Die aufgrund der Ermächtigung in § 76 Abs 2 AFG erlassene Verordnung über die Betriebe des Baugewerbes, in denen die ganzjährige Beschäftigung zu fördern ist (Baubetriebe-Verordnung) vom 19. Juli 1972 (BGBl I 1257) - BaubetriebeVO - lege auch den Kreis der umlagepflichtigen Arbeitgeber fest. Die Klägerin unterhalte Betriebe im Sinne des § 1 Abs 2 der BaubetriebeVO, die nach ihrer Zweckbestimmung und betrieblichen Einrichtung gewerblich Bauleistungen iS des § 75 Abs 1 Nr 3 AFG erbrächten. Ob diese Betriebe daneben auch zu den "insbesondere" aufgeführten Betrieben der Verordnung (§ 1 Abs 1 Nr 1 a bis h) gehörten, könne offenbleiben. Die Klägerin zähle jedenfalls nicht zu den Betrieben der in Nr 1 a bis h aufgeführten Gruppen, die ausnahmsweise von der Förderung ausgeschlossen seien. Es brauche insbesondere nicht entschieden zu werden, ob die Klägerin Bohrbauarbeiten iS des § 1 Abs 1 Nr 1 e der BaubetriebeVO verrichte. Jedenfalls gehörten die Bohrbetriebe der Klägerin nicht zu den Spezialbetrieben der Bohrbetriebsgruppe nach Nr 1 e, die nicht gewerblich Bauleistungen erbrächten und nicht von der Vorschrift erfaßt werden sollten. Der von der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes geteilten Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in seiner Entscheidung vom 8. Mai 1974 - 4 AZR 338/73 - (AP Nr 19 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau), wonach Spezialbetriebe für Bohrarbeiten usw, die sich im wesentlichen nur mit diesen Spezialbauarbeiten befaßten, nicht unter die Tarifverträge des Baugewerbes fallen sollten, weil die Ausnahmeregelung sonst überhaupt keinen Sinn habe, könne nicht gefolgt werden.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 186 a iVm § 76 Abs 2 AFG und §§ 1, 2 der BaubetriebeVO. Ihre Bohrbetriebe seien keine Baubetriebe iS von § 1 der BaubetriebeVO bzw des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe vom 1. April 1971 (BRTV-Bau 1971). Das Berufungsgericht habe außer acht gelassen, daß mit der Feststellung, ihre Betriebe erbrächten bauliche Leistungen, noch nichts über deren Erfassung vom fachlichen Geltungsbereich des BRTV-Bau gesagt werde. Ihre Betriebe gehörten zu den Spezialbetrieben, die nach der Rechtsprechung des BAG nicht zu den vom BRTV-Bau erfaßten Betrieben gezählt werden könnten. Ebenso wie für den fachlichen Geltungsbereich des BRTV-Bau sei in der Verordnung die Aufzählung einzelner Betriebe nur beispielhaft zu verstehen. Die Vorschrift des § 2 der BaubetriebeVO halte sich nicht im Rahmen der Ermächtigungsgrundlage des § 76 Abs 2 AFG, wenn Betriebe wie die ihren nicht oder noch nicht in die Ausschlußregelung übernommen würden. Durch § 76 Abs 2 AFG werde dem Verordnungsgeber ausdrücklich aufgegeben, nur förderungsfähige Betriebe einzubeziehen. Stehe aber fest, daß eine Förderungsmöglichkeit nicht bestehe, so sei für einen Beurteilungsspielraum kein Platz.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß die Klägerin zur Umlage nach § 186 a AFG heranzuziehen ist.
Nach § 186 a Abs 1 AFG erhebt die Bundesanstalt für Arbeit (BA) zur Aufbringung der Mittel für die PWF von den Arbeitgebern des Baugewerbes, in deren Betrieben die ganzjährige Beschäftigung durch Leistungen nach den §§ 77 bis 80 AFG zu fördern ist, eine Umlage. Die Klägerin gehört zu diesem Kreis von Arbeitgebern des Baugewerbes. Sie ist Inhaberin eines Betriebes des Baugewerbes und bietet auf dem Baumarkt gewerblich Bauleistungen an (§ 75 Abs 1 Nr 1 AFG). Ihr Betrieb (selbständige Betriebsabteilung) erbringt überwiegend Bauleistungen und ist deshalb ein Betrieb des Baugewerbes iS des § 75 Abs 1 Nr 2 AFG. Die im Betrieb der Klägerin verrichteten Bohrarbeiten (Herstellung von Bohrungen und anderen Öffnungen in Neu- und Altbauten) sind Bauleistungen iS des § 75 Abs 1 Nr 3 AFG.
Ob es sich bei einem Bohrbetrieb, der sich mit Bohrungen an Gebäuden befaßt, bereits traditionell um einen Betrieb des Baugewerbes handelt, bleibt dahingestellt. Jedenfalls muß er nach der Verkehrsanschauung, insbesondere nach Auffassung der beteiligten Kreise - den Tarifpartnern der Bauwirtschaft -, hierzu gezählt werden. Dies ergibt sich aus dem Inhalt des zwischen den Tarifpartnern abgeschlossenen BRTV-Bau 1971, in dem unter Nr 2 Betriebe, in denen Bohrarbeiten ausgeführt werden, mit aufgezählt sind. Dem entspricht die Vorschrift des § 1 Abs 1 Nr 1 Buchst e Halbsatz 1 der BaubetriebeVO.
Die Voraussetzungen, wonach Betriebe des Baugewerbes ausnahmsweise nicht zum Kreis der förderbaren Betriebe gehören, sind nicht gegeben. § 1 Abs 2 BaubetriebeVO trifft auf die Klägerin nicht zu, denn ihr Bohrbetrieb erbringt nach seiner Zweckbestimmung und betrieblichen Einrichtung gewerblich Bauleistungen iS des § 75 Abs 1 Nr 3 AFG. Aus diesem Grund ist auch § 1 Abs 1 Nr 1 Buchst e Halbsatz 2 der BaubetriebeVO nicht anwendbar, wonach Spezialbetriebe ua für Bohrarbeiten nicht erfaßt werden, wenn sie nicht gewerblich Bauleistungen erbringen. Zwar hat das BAG zu der inhaltlich entsprechenden Bestimmung des BRTV-Bau 1971 entschieden, daß Spezialbohrbetriebe, die außer den Bohrarbeiten keine anderen Bauleistungen erbringen, vom fachlichen Geltungsbereich des BRTV-Bau nicht erfaßt werden. Es hat dies damit begründet, daß bei einer anderen Auslegung diese Ausnahmebestimmung keinen Sinn habe. Diese unter dem Gesichtspunkt des Zweckes tariflicher Abgrenzungsbestimmungen sinnvollen und zwingenden Überlegungen treffen indes für den rechtlichen Bereich der PWF nicht zu. Hier geht es nämlich nicht darum, Zuständigkeiten der einzelnen Wirtschaftsbereiche tariflich abzugrenzen, sondern die Zugehörigkeit zu den förderbaren Betrieben zu normieren (vgl hierzu auch BSG SozR 4670 § 2 Nr 2 und das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des erkennenden Senats vom heutigen Tage in der Sache 12 RAr 50/76). In Erfüllung des in § 76 Abs 2 Satz 1 AFG erteilten gesetzlichen Auftrags, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, in welchen Betrieben des Baugewerbes die ganzjährige Beschäftigung zu fördern ist, durfte sich der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung des Kataloges des BRTV-Bau nicht uneingeschränkt bedienen. Er mußte dabei die unterschiedlichen Zweckbestimmungen der ganz verschiedenen Rechtsbereichen angehörenden Regelungen beachten (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 1. Juni 1978 - 12 RAr 50/76 -). Sachliche Gründe, Spezialbohrbetriebe, die ausschließlich oder überwiegend Bauleistungen in Form von Bohrarbeiten erbringen, nur deshalb von der PWF auszunehmen, weil sie nicht daneben auch noch andere Bauarbeiten verrichten, lassen sich - im Gegensatz zu den tarifrechtlichen Abgrenzungsbedürfnissen - aus der gesetzlichen Zielsetzung der PWF nicht ableiten. Ihr Ausschluß wäre daher eine willkürliche Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte. Eine solche Absicht kann dem Verordnungsgeber bei der Regelung in der BaubetriebeVO aber nicht unterstellt werden. Ein Spezialbohrbetrieb ist somit nur dann nicht erfaßt, wenn er gewerblich keine Bauleistungen erbringt, wenn also auch die Bohrarbeiten keine Bauleistungen darstellen. Diese wörtliche Auslegung des § 1 Abs 1 Nr 1 Buchst e Halbsatz 2 der BaubetriebeVO nimmt der Vorschrift keineswegs jeglichen Sinn, wie das BAG (aaO) zu der dem Wortlaut nach gleichen Bestimmungen des BRTV-Bau 1971 - der dortigen ganz andersartigen Zweckbestimmung entsprechend sicher zu Recht - angenommen hat. Im Hinblick auf § 76 Abs 1 und § 75 Abs 1 Nr 3 AFG (vgl auch § 1 Abs 2 der BaubetriebeVO) wäre allerdings § 1 Abs 1 Nr 1 Buchst e Halbsatz 2 der BaubetriebeVO entbehrlich gewesen. Denn nach §§ 75, 76 AFG ist die ganzjährige Beschäftigung in Betrieben ohnehin nur zu fördern, wenn diese nach ihrer Zweckbestimmung und betrieblichen Einrichtung gewerblich Bauleistungen iS des § 75 Abs 1 Nr 3 AFG erbringen. Daß § 1 Abs 1 Nr 1 Buchst e Halbsatz 2 dennoch in die BaubetriebeVO mit aufgenommen wurde, läßt sich nur damit erklären, daß der Verordnungsgeber den Katalog des BRTV-Bau ohne nähere Prüfung gemessen an den ihm durch den Gesetzgeber nach § 76 AFG gesetzten Grenzen seiner Regelungsbefugnisse, übernommen hat, wie sich insbesondere daraus ergibt, daß unter den förderungsfähigen Arbeiten in § 1 Abs 1 Nr 1 Buchst o der BaubetriebeVO sogar Isolierarbeiten an nicht erdverbundenen Bauwerken (Luft- und Wasserfahrzeugen) mit aufgeführt sind (vgl auch BSG aaO).
Die Klägerin gehört sonach zu den nach § 76 Abs 2 Satz 1 AFG durch Rechtsverordnung bestimmten Betrieben, in denen die ganzjährige Beschäftigung zu fördern ist. Ihrer Einbeziehung in diesen Kreis steht § 76 Abs 2 Satz 2 AFG nicht entgegen. Hiernach darf der Verordnungsgeber in die Förderung nur Betriebe einbeziehen, deren Bautätigkeit in der Schlechtwetterzeit dadurch voraussichtlich in wirtschafts- und sozialpolitisch erwünschter Weise belebt werden wird. Daß dies für Betriebe zutrifft, die Bauarbeiten auch an Rohbauten verrichten, wie dies bei der Klägerin nach den vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen der Fall ist, unterliegt keinem Zweifel. Überdies wäre das Argument der Klägerin, daß die Einbeziehung ihrer Bohrbetriebe in die Winterbauförderung und Umlagepflicht nicht von der Ermächtigung des § 76 Abs 2 AFG gedeckt sei, nur dann beachtlich, wenn eine wesentliche Förderung ihrer Arbeiten unmöglich wäre (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 2. September 1977 - 12 RK 37/76 - SozR 4100 § 186 a Nr 2; ferner Urteil vom 1. Juni 1978 - 12 RAr 50/76 -). Da aber die Bohrbetriebe überwiegend auf Baustellen tätig werden, sind ihre Arbeiten witterungsabhängig und damit grundsätzlich förderungsfähig. Witterungsbedingte Mehrkosten - die übrigens nicht nachgewiesen werden müssen - entstehen dem Unternehmer schon durch Aufwendungen für Schutzkleidung und wegen der verminderten Arbeitsleistung der Bauarbeiter. Unter dem Gesichtspunkt des § 76 Abs 2 AFG ist daher die Einbeziehung der Bohrbetriebe in die Winterbauförderung und Umlagepflicht nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen