Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlöschen der Wirkung der Arbeitslosmeldung bei Nichtmitteilung einer Zwischenbeschäftigung. Rücknahme der Arbeitslosenhilfebewilligung für die Vergangenheit
Leitsatz (amtlich)
- Bei Aufnahme einer Beschäftigung von mindestens 15 Stunden pro Woche, die der Arbeitslose, der Arbeitslosengeld/Arbeitslosenhilfe bezieht, der Bundesagentur nicht unverzüglich mitteilt, verliert die Arbeitslosmeldung als Anspruchsvoraussetzung endgültig ihre Wirkung; ohne erneute Arbeitslosmeldung lebt die Wirkung nicht wieder auf.
- Unterlässt ein Antragsteller vorsätzlich oder grob fahrlässig die Mitteilung wesentlicher geänderter Umstände, die er bei Antragstellung noch anders angegeben hatte, die aber vor Erlass des Bewilligungsbescheids eingetreten sind, so ist dieses Unterlassen bei der Rücknahme der Leistungsbewilligung wegen anfänglicher Rechtswidrigkeit der unrichtigen oder unvollständigen Angabe gleichzusetzen.
Normenkette
SGB III F: 1997-03-24 § 117 Abs. 1 Nr. 2; SGB III F: 1997-12-16 § 118 Abs. 1 Nr. 1; SGB III F: 1999-07-21 § 122 Abs. 2 Nr. 2; SGB III F: 1998-04-06 § 122 Abs. 2 Nr. 3; SGB 10 § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2, § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2; GG Art. 20 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 4. Mai 2005 aufgehoben, soweit es den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 26. April 2002 und den Bescheid der Beklagten vom 21. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Juni 2001 aufgehoben hat; die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Im Streit ist (nur noch) die von der Beklagten verfügte Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 25. Dezember 1999 bis 25. Juli 2000 sowie die Erstattung der für diese Zeit gezahlten Alhi.
Der Kläger stand in den Jahren 1999/2000 im Alhi-Leistungsbezug. Vom 11. bis 24. September 1999 übte er eine Beschäftigung (mehr als 15 Wochenstunden) aus. Erst am 26. Juli 2000 (ergänzt am 11. August 2000) teilte er dies der Beklagten mit. Weil die Angabe im Wiederbewilligungsantrag auf Gewährung von Alhi nicht enthalten war, hatte die Beklagte ab 1. September 1999 – auch für die Zeit der Beschäftigung – Alhi in Höhe von 219,80 DM wöchentlich (= 31,40 DM täglich) bewilligt (Bescheid vom 10. September 1999). Der Zahlbetrag wurde dann wegen Inkrafttretens einer neuen Leistungsentgeltverordnung (LeistungsentgeltVO) mit Wirkung ab 1. Januar 2000 auf 224,70 DM wöchentlich (= 32,10 DM täglich) erhöht (Bescheid vom 4. Januar 2000) und mit Wirkung ab 1. Juli 2001 auf 222,18 DM wöchentlich (= 31,74 DM täglich) nach Ablauf eines Jahres (zum Dynamisierungsstichtag) angepasst (Bescheid vom 26. Juli 2001). Nach Anhörung des Klägers hob die Beklagte die Bewilligung der Alhi für die Zeit vom 11. September 1999 (Aufnahme der Beschäftigung) bis 25. Juli 2000 (Tag vor der erneuten Arbeitslosmeldung) auf und verlangte die Erstattung der gezahlten Alhi in Höhe von 10.152,50 DM (Bescheid vom 21. März 2001; Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 2001).
Die am 3. September 2001 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen, weil sie nicht innerhalb der einmonatigen Klagefrist erhoben worden sei (Gerichtsbescheid vom 26. April 2002). Mit seiner Berufung hat der Kläger geltend gemacht, er habe den (am 20. Juni von der Beklagten zur Post gegebenen) Widerspruchsbescheid erst nach einem Anruf bei der Beklagten (am 1. August 2001) mit Schreiben vom 2. August 2001 zugesandt erhalten. Den Originalwiderspruchsbescheid habe er nie gesehen. Dieser sei möglicherweise deshalb nicht zu ihm gelangt, weil sein Briefkasten im maßgeblichen Zeitraum aufgebrochen und dadurch für jedermann zugänglich gewesen sei. Das Landessozialgericht (LSG) hat den Gerichtsbescheid und den Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheids dahin geändert, “dass die Aufhebung und Erstattung auf die Zeit bis zum 24. Dezember 1999 begrenzt” werde, und im Übrigen die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 4. Mai 2005).
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Klage sei fristgerecht erhoben worden und damit zulässig. Zwar gelte nach § 37 Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) ein schriftlicher Verwaltungsakt bei der Übermittlung durch die Post im Inland am 3. Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Dies gelte jedoch nach Satz 2 der Vorschrift nicht, wenn er überhaupt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen sei; im Zweifel habe die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Vorliegend habe der Kläger substantiiert bestritten, den Widerspruchsbescheid vor dem 3. August 2002 erhalten zu haben. Die Beklagte habe den ihr obliegenden Nachweis der Zustellung vor diesem Zeitpunkt nicht erbracht. In der Sache sei der angefochtene Bescheid der Beklagten rechtswidrig, soweit er die Aufhebung der Alhi-Bewilligung und deren Erstattung für die Zeit nach dem 24. Dezember 1999 betreffe. Rechtsgrundlage der Aufhebung der Leistungsbewilligung sei entgegen der Ansicht der Beklagten nicht § 45 SGB X, sondern § 48 SGB X iVm § 330 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III). Nur für die Zeit vom 11. September bis 24. Dezember 1999 sei gegenüber der Sach- und Rechtslage, die der Bewilligung der Alhi zu Grunde gelegen habe, eine wesentliche Änderung eingetreten. Mit der Aufnahme der Beschäftigung am 11. September 1999 sei der Kläger nicht mehr beschäftigungslos (§ 118 Abs 2 Nr 1 SGB III) gewesen, dadurch habe aber auch die Arbeitslosmeldung gemäß § 122 Abs 2 Nr 2 SGB III ihre Wirkung verloren, weil der Kläger die Beschäftigungsaufnahme nicht unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, mitgeteilt habe. Der Kläger habe gegen die Meldepflicht des § 60 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) verstoßen. Er habe die Notwendigkeit, eine Arbeitsaufnahme anzuzeigen, gekannt; er habe auch gewusst, dass ihm für die Zeit der Beschäftigung keine Alhi zustehe. Der Bescheid der Beklagten sei indes rechtswidrig, soweit er den Zeitraum ab 25. Dezember 1999 betreffe; die Rechtswirkung des § 122 Abs 2 Nr 2 SGB III sei auf einen Zeitraum bis drei Monate nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung zu begrenzen. Dies sei zur Lückenfüllung erforderlich, weil die Regelung des § 122 Abs 2 Nr 2 SGB III dem Plan des Gesetzes widerspreche. Die Gesetzesmaterialien ließen keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass der Gesetzgeber die Auswirkungen einer über den Zeitraum von drei Monaten (nach Ende der Beschäftigung) hinausgehende Erlöschenswirkung gesehen habe. Unter Geltung des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) habe sich dieses Problem deshalb nicht ergeben, weil der Arbeitslose nach § 15 Abs 3 Satz 1 AFG spätestens alle drei Monate zu einer Arbeitsberatung habe vorgeladen werden sollen. Sei dies unterblieben, habe sich die Beklagte bei einer Rückforderung im Rahmen der Schadensminderungspflicht dies entgegenhalten lassen müssen. Die Regelung des § 15 Abs 3 Satz 1 AFG sei zwar nicht ins SGB III übernommen worden; jedoch habe es bis 31. Juli 1999 nicht zu einer längeren Überzahlung kommen können, weil der Arbeitslose selbst gemäß § 122 Abs 2 Nr 3 SGB III aF seine Arbeitslosmeldung in einem Dreimonatsrhythmus habe erneuern müssen. Eine unbegrenzte Erlöschenswirkung verstoße auch gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Dem geltenden Recht lasse sich bei Heranziehung vergleichbarer Sanktionsnormen ein gesetzgeberisches Konzept entnehmen, den zeitlichen Umfang von Sanktionen bei einmaligen Pflichtverletzungen auf drei Monate zu begrenzen. So trete nach § 144 SGB III eine Sperrzeit für maximal zwölf Wochen ein, und nach § 31 Abs 6 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) werde die Absenkung bzw der Wegfall des Arbeitslosengeldes (Alg) II ebenfalls auf einen Zeitraum von drei Monaten begrenzt.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 122 Abs 2 Nr 2 SGB III. Sie ist der Ansicht, das LSG habe zu Unrecht eine Begrenzung der in der Norm vorgesehenen Erlöschenswirkung der Arbeitslosmeldung angenommen. Die Regelung sei im Gegensatz zur Ansicht des LSG eindeutig; die Schlechterstellung des Leistungsempfängers sei gewollt und verfassungsgemäß.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben, soweit dieses den Gerichtsbescheid des SG und den Bescheid vom 21. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Juni 2001 aufgehoben hat, und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts insgesamt zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verweist auf die seines Erachtens zutreffenden Gründe in der LSG-Entscheidung.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Der Bescheid der Beklagten ist in vollem Umfang rechtmäßig; das LSG hat mit seiner Entscheidung § 122 Abs 2 Nr 2 SGB III verletzt.
Für die Entscheidung des Senats ist ohne Bedeutung, dass das LSG zu Unrecht im Urteilstenor nicht den Erstattungsbetrag numerisch korrigiert hat, also nicht deutlich gemacht hat, in welcher Höhe der Kläger noch Erstattung zu leisten hat, sodass insoweit der Streitgegenstand des Revisionsverfahrens unklar ist; die Voraussetzungen des § 131 Abs 5 Satz 1 SGG liegen jedenfalls nicht vor. Mit dem Revisionsurteil, den Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheids in vollem Umfang zu bestätigen, wirkt sich dieser Verfahrensfehler des LSG letztlich nicht aus, weil der angefochtene Bescheid der Beklagten in vollem Umfang bestätigt ist, also der Erstattungsbetrag nicht zu reduzieren ist.
Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 21. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Juni 2001 (§ 95 SGG). Mit diesem Bescheid hat die Beklagte neben der Aufhebung der Alhi die Erstattung von nur 10.152,50 DM verfügt; streitig ist nicht die Erstattung von 10.277,12 DM, obwohl dieser Betrag im Widerspruchsbescheid angegeben ist. Mit dieser Angabe in den Gründen des Widerspruchsbescheids hat die Beklagte unter Berücksichtigung des objektiven Empfängerhorizonts, nach dem Verwaltungsakte auszulegen sind (vgl dazu BSGE 67, 104, 107 mwN = SozR 3-1300 § 32 Nr 2), keine Verfügung iS des § 31 SGB X getroffen. In den Entscheidungstenor des Widerspruchsbescheids ist eine Änderung des Erstattungsbetrags nicht aufgenommen. Es ist deshalb auch ohne Bedeutung, ob die Beklagte überhaupt eine solche Verböserung hätte vornehmen dürfen und ob diese nicht an § 45 SGB X hätte gemessen werden müssen (vgl dazu nur Leitherer in Meyer-Ladewig ua, SGG, 8. Aufl 2005, § 85 RdNr 5 mwN). Nicht entscheidungserheblich ist damit außerdem, dass – jedenfalls nach Aktenlage – der Kläger vor Erlass des Widerspruchsbescheids zu einer vorgesehenen Erhöhung der Erstattungsforderung nicht gehört (§ 24 SGB X) und die fehlende Anhörung im Gerichtsverfahren nicht nachgeholt worden ist (§§ 24, 41 Abs 2 SGB X iVm § 114 Abs 2 Satz 2; vgl dazu das Senatsurteil vom 6. April 2006 – B 7a AL 64/05 R). In der Sache geht es im Revisionsverfahren, selbst wenn die Beklagte im angefochtenen Bescheid und Widerspruchsbescheid die aufgehobenen Bewilligungsbescheide nicht genannt hat, darum, ob die Beklagte zu Recht den Ausgangsbewilligungsbescheid vom 10. September 1999, den Folgebescheid vom 4. Januar 2000 über die Erhöhung der Alhi wegen Inkrafttretens einer neuen Leistungsentgeltverordnung mit Wirkung ab 1. Januar 2000 und den Anpassungsbescheid der Beklagten vom 26. Juli 2001 (die Zeit ab 1. Juli 2001 betreffend) aufgehoben hat.
Die Klage war zulässig; insbesondere war die Klagefrist des § 87 Abs 2 SGG eingehalten. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im Urteil des LSG verwiesen.
Die Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Beklagten misst sich, soweit es den Ausgangsbescheid vom 10. September 1999 betrifft, entgegen der Ansicht des LSG nicht an § 48 SGB X, sondern, wovon die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid ausgegangen ist, an § 45 SGB X. § 48 SGB X setzt eine wesentliche Änderung nach Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung voraus. Unter dem Erlass eines Verwaltungsakts ist jedoch nicht seine Erstellung (vorliegend der 10. September 1999), sondern der Zeitpunkt seines Wirksamwerdens (§ 39 Abs 1 SGB X) zu verstehen (Waschull in Lehr- und Praxiskommentar SGB X, § 45 RdNr 16; Wiesner in von Wulffen, SGB X, 5. Aufl 2005, § 45 RdNr 10). Vorliegend war dies gemäß § 37 Abs 2 Satz 1 SGB X der dritte Tag nach Aufgabe zur Post, mithin der 13. September 1999; zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger jedoch bereits die Beschäftigung angetreten. Die Folgebescheide vom 4. Januar 2000 (höhere Leistung wegen neuer LeistungsentgeltVO) bzw 26. Juli 2000 (Anpassungsbescheid), die lediglich auf dem Ausgangsbescheid aufbauen und die Leistungshöhe aufstocken bzw herabsetzen, haben nach der Rechtsprechung des Senats nur einen beschränkten Regelungsgehalt. Das Vorgehen der Beklagten misst sich bezüglich dieser Bescheide an § 48 SGB X, weil deren beschränkter Regelungsgehalt nicht betroffen ist und deshalb die Folgebescheide erst mit der Aufhebung des Ausgangsbescheides als der wesentlichen Änderung iSd § 48 SGB X rechtswidrig werden (BSGE 93, 51 ff RdNr 7 = SozR 4-4100 § 115 Nr 1).
Die Voraussetzungen des § 45 SGB X iVm § 330 Abs 2 SGB III für die Rücknahme des Bescheids vom 10. September 1999 mit Wirkung ab 11. September 1999 sind zu bejahen. Der Bescheid der Beklagten war teilweise von Anfang an rechtswidrig, weil der Kläger mangels Beschäftigungslosigkeit iS des § 118 Abs 1 Nr 1 SGB III (idF, die die Norm durch das 1. SGB III-Änderungsgesetz vom 16. Dezember 1997 – BGBl I 2970 – erhalten hat) keinen Anspruch auf Alg (§ 117 SGB III idF des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes vom 24. März 1997 – BGBl I 594) besaß. Beschäftigungslos war der Kläger erst wieder am 25. September 1999. Ab diesem Zeitpunkt fehlt es jedoch an der Anspruchsvoraussetzung (§ 117 Abs 1 Nr 2 SGB III) einer wirksamen Arbeitslosmeldung. Dies ergibt sich aus § 122 Abs 2 Nr 2 SGB III (idF, die die Norm durch das Zweite SGB III-Änderungsgesetz vom 21. Juli 1999 – BGBl I 1648 – erhalten hat).
Danach erlischt die Wirkung der Arbeitslosmeldung des Abs 1 ua mit der Aufnahme einer Beschäftigung, wenn der Arbeitslose diese dem Arbeitsamt (heute: Agentur für Arbeit) nicht unverzüglich mitgeteilt hat. Die Alhi-Anspruchsvoraussetzungen sind dann erst wieder mit einer erneuten Arbeitslosmeldung erfüllt (vgl hierzu das Senatsurteil vom 9. Februar 2006 – B 7a AL 58/05 R). Da der Kläger die Beklagte über die Aufnahme der Beschäftigung nicht unverzüglich (= ohne schuldhaftes Zögern; vgl § 121 Bürgerliches Gesetzbuch), sondern erst im Juli/August 2000 informiert hat, waren die Voraussetzungen für den Bezug von Alhi erst wieder am 26. Juli 2000, dem Tag der erneuten Arbeitslosmeldung, erfüllt.
Entgegen der Ansicht des LSG kann eine Beschränkung der in § 122 Abs 2 Nr 2 SGB III angeordneten Erlöschenswirkung auf die Zeit der Beschäftigung und drei Monate nach deren Ende nicht angenommen werden. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob die vom LSG vorgenommene (richterliche) Ausfüllung einer (vermeintlichen) normativen Lücke durch Schaffung eines mit dem Ende der Beschäftigung beginnenden Dreimonatszeitraums, für den es im SGB III keine Grundlage gibt, nicht die Grenzen einer zulässigen Auslegung überschreitet. Schon in seinem Ausgangspunkt, das Gesetz enthalte eine unbewusste, planwidrige Lücke, ist dem LSG nicht zu folgen. Seine Auslegung verstößt gegen Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte und Teleologie der Norm.
Entgegen der Ansicht des LSG war eine Beschränkung der Erlöschenswirkung vom Gesetzgeber gerade nicht gewollt. Dies musste der Gesetzgeber nicht ausdrücklich in den Gesetzesbegründungen zum Ausdruck bringen. In der BT-Drucks 13/4941 S 176 zu § 122 wird zu Abs 2 ausgeführt, die Regelung diene der rechtlichen Klärung der Zweifelsfrage, wie lange die materielle Wirkung der persönlichen Arbeitslosmeldung anhalte. Die bisherige Auslegung der Praxis, die eine erneute persönliche Arbeitslosmeldung grundsätzlich nach jeder Unterbrechung der Arbeitslosigkeit und jeder Aufhebung der Leistungsbewilligung verlange, könne dazu führen, dass der Arbeitslose in dem Vertrauen darauf, mit der erstmaligen Arbeitslosmeldung alles Erforderliche getan zu haben, nach Unterbrechung des Leistungsbezugs uU längere Zeit verstreichen lasse, um die erneute Zahlung der Leistung abzuwarten, während das Arbeitsamt seinerseits keine Zahlungen leiste, da es auf die erneute persönliche Meldung des Arbeitslosen warte. Die Neuregelung sehe nunmehr vor, eindeutig zu regeln, dass die Wirkung einer persönlichen Meldung nur dann, aber auch immer dann erlösche, wenn die Arbeitslosigkeit für einen zusammenhängenden Zeitraum von mehr als sechs Wochen unterbrochen gewesen sei. Die persönliche Meldung solle allerdings dann nicht fortwirken, wenn der Arbeitslose seinen Anzeigepflichten nicht oder nicht rechtzeitig nachgekommen sei. Damit solle verhindert werden, dass Schwarzarbeitern, die ihre Beschäftigung dem Arbeitsamt verschwiegen, aus der Regelung der Nr 1 ungerechtfertigte Vorteile erwachsen könnten.
Diese Begründung macht deutlich, dass dem Gesetzgeber die Rechtslage in vollem Umfang bewusst war, was nur den Schluss zulässt, dass das Erlöschen der Wirkung der Arbeitslosmeldung endgültig sein und diese nicht lediglich für einen bestimmten Zeitraum suspendiert werden sollte (vgl auch Spellbrink in Eicher/Schlegel, SGB III, § 122 Rz 47, Stand Oktober 2005). Wortlaut und Gesetzesbegründung sind insoweit eindeutig. Die vom LSG befürwortete Begrenzung lässt sich auch nicht damit begründen, dass das Gesetz bis 31. Juli 1999 in Abs 2 Nr 3 des § 122 SGB III eine Regelung enthalten hat, die bei der hier behandelten Fallkonstellation zur Schadensminderung beitragen konnte. Danach erlosch die Wirkung einer Arbeitslosmeldung auch mit Ablauf eines Zeitraums von drei Monaten nach der letzten persönlichen Meldung des Arbeitslosen, wenn der Arbeitslose die Meldung nicht vor Ablauf dieses Zeitraums beim zuständigen Arbeitsamt oder einem Dritten, der an der Vermittlung des Arbeitslosen beteiligt war, erneuert hatte. Nach der bezeichneten Gesetzesbegründung sollte die Vorschrift den arbeitslosen Leistungsbezieher im Sinne verstärkter Eigenbemühungen zwingen, spätestens alle drei Monate beim Arbeitsamt vorstellig zu werden. Mit der Formulierung sollte zugleich erreicht werden, dass das Arbeitsamt nicht gehalten war, Bewilligungen auf jeweils drei Monate zu begrenzen. Diese Begründung macht gerade deutlich, dass das Ziel des Abs 2 Nr 3 nicht die Begrenzung der Auswirkungen der Nr 2 war, sondern im Gegenteil eine Verschärfung der Erlöschensregelung; die Schadensbegrenzung war nur ein Nebeneffekt.
Auch der Streichung dieser Regelung durch das Zweite SGB III-Änderungsgesetz kann deshalb nicht entnommen werden, dass dem Gesetzgeber die gravierenden Auswirkungen der Nr 2 nicht bewusst gewesen wären. Vielmehr wurde die Streichung der Nr 3 ausschließlich damit begründet (BT-Drucks 13/873 S 12 zu Nr 12), dass die seit 1. Januar 1998 geltende Verpflichtung von Arbeitslosen, ihre persönliche Arbeitslosmeldung im Abstand von drei Monaten zu erneuern, in der Praxis zu erheblichem Verwaltungsaufwand in den Arbeitsämtern geführt habe. Zur Bekämpfung des Leistungsmissbrauchs reichten effektivere Instrumente, wie etwa die Einladung von Arbeitslosen im Rahmen der Meldepflicht (§ 309) aus. Die Bundesregierung gehe davon aus, dass die Arbeitsverwaltung dafür Sorge trage, dass der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Leistungen auch durch intensivere Meldekontrollen entgegengewirkt werde. Die Regelung zur Erneuerung der Arbeitslosmeldung solle deshalb entfallen. Vor dem Hintergrund dieser Begründung bestand für den Gesetzgeber keine Veranlassung, eine Änderung der Nr 2 vorzunehmen, weil die aufgehobene Nr 3 mit Nr 2 der Regelung systematisch nicht korrespondiert (vgl auch Steinmeyer in Gagel, SGB III, § 122 RdNr 49, Stand Januar 2005). Dies gilt auch im Hinblick auf die vom LSG angeführte Rechtsprechung zur Möglichkeit einer Schadensminderungspflicht der Beklagten (vgl: BSGE 77, 175, 180 = SozR 3-4100 § 105 Nr 2; BSG, Urteile vom 1. August 1996 – 11 RAr 9/96 und 11 RAr 15/96; Urteil vom 21. März 1996 – 11 RAr 93/95), die dem Gesetzgeber bekannt war, ihn aber nicht veranlasst hat, die Rechtsfolgen des § 122 Abs 2 Nr 2 SGB III zeitlich zu begrenzen.
Schließlich sprechen auch teleologische Gründe gegen die Auslegung des LSG. Wie bereits ausgeführt, soll die Norm verhindern, dass Schwarzarbeit geleistet wird und den Schwarzarbeitern, die ihre Beschäftigung dem Arbeitsamt verschweigen, aus der Regelung der Nr 1 ungerechtfertigte Vorteile erwachsen. Dabei wird im Hinblick auf die Zunahme von Schwarzarbeit auch generalpräventiven Gesichtspunkten dadurch Rechnung getragen, dass die Rechtsfolge des Verlustes eines Leistungsanspruchs für eine längere Zeit als der der Beschäftigung – oder mehrerer Beschäftigungen – abschreckende Wirkung erzielen kann. Die Regelung dient außerdem, ohne dass dies in der Gesetzesbegründung erwähnt ist, nachvollziehbaren und berechtigten Verwaltungsinteressen, der Verwaltungspraktikabilität. In der vom LSG gewonnenen Auslegung führt die Norm dazu, dass die Beklagte, wenn sie eine Leistungsbewilligung aufheben will, immer auch das Ende der Beschäftigung bzw uU sogar mehrerer Beschäftigungen des Arbeitslosen ermitteln muss. Dies ist in einer Vielzahl der Fälle, wie nicht zuletzt der vorliegende Fall zeigt, aufwändig, weil die Bundesagentur (BA) in der Regel zunächst auf die Angaben des Arbeitslosen selbst zurückgreifen muss, die oftmals – verständlicherweise – nicht durch eine erforderliche Klarheit und Stringenz gekennzeichnet sind. Eine fehlende oder aber fehlerhafte Mitwirkung des Arbeitslosen ändert jedoch nichts daran, dass die BA und im Prozess das Gericht von Amts wegen den Sachverhalt soweit aufklären müssten (§ 20 SGB X, § 103 SGG), wie es möglich ist (s dazu das Senatsurteil vom 20. Oktober 2005 – B 7a/7 AL 102/04 R –, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Vor diesem Hintergrund wird auch deutlich, dass die Regelung entgegen der Ansicht des LSG nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip (Art 20 Abs 3 Grundgesetz) verstößt. Sie genügt den Anforderungen an Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass die Rechtsfolgen des § 122 Abs 2 Nr 2 SGB III regelmäßig – wie auch hier – dadurch abgemildert werden (so auch Valgolio in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 10 RdNr 99), dass für eine rückwirkende Aufhebung der Leistungsbewilligung nach §§ 45, 48 SGB X “Bösgläubigkeit” verlangt wird (hierzu später). Des besonderen Schutzes eines bösgläubigen Leistungsempfängers, insbesondere eines solchen, der wie der Kläger vorsätzlich handelt, bedarf es indes nicht.
Soweit das LSG ein Problem darin sieht, dass der Leistungsempfänger für die zurückliegende Zeit, für die ihm Alhi-Leistungen entzogen werden, sogar den (nachrangigen) Sozialhilfeanspruch verliert, kann dem durch einen (teilweisen) Erlass der Erstattungsforderung Rechnung getragen werden (vgl dazu Eicher in Eicher/Schlegel, SGB III, § 330 Rz 14a mwN, Stand Oktober 2005).
Auch die weiteren Voraussetzungen des § 45 SGB X iVm § 330 Abs 2 SGB III sind erfüllt. Die in § 45 SGB X enthaltenen Fristen für die Rücknahme sind eingehalten. Auf Vertrauen in die Regelung des Bescheides vom 10. September 1999 kann sich der Kläger nicht berufen, weil der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Kläger vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X). Zwar hat er nicht ausdrücklich unrichtige oder unvollständige Angaben in seinem Wiederbewilligungsantrag gemacht. Jedoch ist im Hinblick auf die Obliegenheit des § 66 Abs 1 SGB I wie auch im Rahmen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X das vorsätzliche oder grob fahrlässige Unterlassen einer für die Leistung maßgeblichen Mitteilung von Umständen dem aktiven Tun gleichzustellen (Wiesner in von Wulffen, SGB X, 5. Aufl 2005, § 45 RdNr 22 mwN). Dies gilt vornehmlich dann, wenn das Unterlassen einer Mitteilung – wie vorliegend – dazu führt, dass frühere Angaben (im Wiederbewilligungsantrag) unrichtig oder unvollständig werden (BSG SozR 1300 § 45 Nr 29 S 93 f). Nach den Feststellungen des LSG war sich der Kläger auch seiner Verpflichtung zur Mitteilung einer Beschäftigungsaufnahme bewusst. Eine unverzügliche – ggf telefonische – Mitteilung an die Beklagte hätte den Erlass des Verwaltungsakts und sogar seine Erstellung am 10. September 1999 verhindert.
Da mithin die Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 10. September 1999 zu Recht zurückgenommen hat, sind auch die Folgebescheide vom 4. Januar 2000 und 26. Juli 2000 rechtswidrig geworden. Auch sie durften mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X iVm § 330 Abs 3 SGB III). Nach § 330 SGB III war weder bei der Rücknahme des Ausgangsbescheides vom 10. September 1999 noch der Aufhebung der Folgebescheide vom 4. Januar 2000 und 26. Juli 2000 Ermessen auszuüben.
Aus der Aufhebung der Bewilligungsbescheide für den bezeichneten Zeitraum folgt, dass der Kläger gemäß § 50 Abs 1 SGB X die gezahlte Alhi zu erstatten hat. Mit 10.152,50 DM hat die Beklagte diesen Betrag richtig errechnet (112 × 31,40 DM + 182 × 32,10 DM + 25 × 31,74 DM). Abgesehen davon, dass die Beklagte, wie bereits ausgeführt, mit dem Widerspruchsbescheid keine Erhöhung dieses Erstattungsbetrags auf 10.277,12 DM verfügt hat, ist dieser Betrag auch nicht nachvollziehbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1549149 |
BSGE 2007, 285 |
DStR 2007, 1044 |