Entscheidungsstichwort (Thema)
Einführung von Witwenrenten in Dänemark durch Gesetz Nr 70 vom 1959-03-13
Leitsatz (amtlich)
Aufenthaltszeiten des Versicherten in Dänemark bleiben bei der Berechnung der Witwenrente außer Betracht.
RVO § 1268 Abs 2 S 2 ändert daran nichts (Anschluß an BSG 1968-02-14 1 RA 75/67 = SozR Nr 10 zu § 1268 RVO und BSG 1969-01-15 4 RJ 173/67 = SozR Nr 12 zu § 1268 RVO).
Leitsatz (redaktionell)
Durch die erstmalige Einführung von Witwenrenten in Dänemark ist das Abkommen vom 1953-08-14 und die darin vorgeschriebene Berechnung der Witwenrenten nicht geändert worden, wie auch die deutsche Gesetzgebung davon nicht berührt worden ist.
Orientierungssatz
Anlaß dafür, RVO § 1268 Abs 2 S 2 einzufügen, waren Härtefälle, in denen der Versicherte eine sogenannte Umstellungsrente bezogen hat (vgl Bundesratsdrucksache 319/64 S 27). Selbst wenn diese Vorschrift dahingehend verstanden werden könnte, daß sie auch andere Härte- oder Sonderfälle umfassen sollte, in denen die Witwenrente nicht 60 % der dem Versicherten vor seinem Tode gewährten Rente erreicht, so ist doch festzustellen, daß für diese Auslegung, soweit mit ihr Abk Dänemark SV vom 1953-08-14 Art 26 außer Kraft gesetzt werden soll, weder in den Materialien noch im Gesetz eine Stütze zu finden ist.
Normenkette
RVO § 1268 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1965-06-09; SVAbk DNK Art. 16 Fassung: 1953-08-14, Art. 17 Fassung: 1953-08-14, Art. 25 Fassung: 1953-08-14, Art. 26 Nr. 2 Fassung: 1953-08-14
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 22. März 1968 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Witwenrente der Klägerin vom 1. Juli 1965 an auf Grund des § 1268 Abs. 2 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu erhöhen ist.
Der am 15. Juli 1964 verstorbene Ehemann der Klägerin hatte von der Beklagten ein Altersruhegeld in Höhe von zuletzt 94,90 DM monatlich bezogen. Der Berechnung dieser Rente hatten neben den deutschen Versicherungszeiten die Zeiten des Aufenthalts im Königreich Dänemark von November 1917 bis April 1921 nach den Art. 16 und 17 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark über Sozialversicherung vom 14. August 1953 (BGBl. II 1954, S. 753) - im folgenden als Abkommen bezeichnet - zugrunde gelegen. Die Witwenrente der Klägerin berechnete die Beklagte unter Hinweis auf die Art. 25 und 26 des Abkommens ohne die dänischen Aufenthaltszeiten des Versicherten (Bescheid vom 10. September 1964). Das Begehren der Klägerin, aufgrund des § 1268 Abs. 2 Satz 2 RVO ihre Witwenrente seit dem 1. Juli 1965 auf 6/10 des im Juli 1964 an ihren Ehemann gezahlten Altersruhegeldes zu erhöhen, hatte vor dem Sozialgericht (SG) Erfolg (Urteil des SG vom 24. Januar 1967). Auf die Berufung der Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG auf und wies die Klage ab. Es ließ die Revision zu (Urteil vom 22. März 1968).
Die Klägerin hat Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung von § 1268 Abs. 2 Satz 2 RVO, von Art. 25, 26 und Art. 1 Abs. 1 und 2 des Abkommens i. V. m. dem Zustimmungsgesetz sowie von Ziff. 12 des Schlußprotokolls zum Abkommen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 22. März 1968 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Schleswig vom 24. Januar 1967 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden.
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht dem § 1268 Abs. 2 Satz 2 RVO hier keine rentensteigernde Wirkung beigemessen.
Wie die nach Artikel 25 des Abkommens zu gewährenden Witwenrenten aus den deutschen Rentenversicherungen zu berechnen sind, regelt Artikel 26 des Abkommens, von dem das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen ist. Nach Artikel 26 Nr. 2 des Abkommens werden Steigerungsbeträge nach den deutschen Vorschriften nur für die in den deutschen Rentenversicherungen zurückgelegten Versicherungszeiten gewährt. Demnach sind bei der Feststellung der Witwenrente aus den deutschen Rentenversicherungen für Aufenthaltszeiten des Versicherten in Dänemark - anders als bei Versichertenrenten nach Artikel 17 des Abkommens - keine Steigerungsbeträge zu gewähren. Diese Regelung, mit der der beitragsunabhängige Grundbetrag vom beitragsbezogenen Steigerungsbetrag getrennt ist, ist zwar dem früheren, bis zum 31. Dezember 1956 gültig gewesenen Rentenrecht angepaßt, ist aber auch auf die Renten anzuwenden, die nach der seit dem 1. Januar 1957 maßgebenden neuen Rentenformel zu berechnen sind. Das hat der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Urteil vom 12. Januar 1966 - 1 RA 297/61 - (SozR Abk. mit Dänemark über SozVers. Allg. v. 14.8.1953 Nr. 3) dem Abkommen und allgemeinen Rechtsgrundsätzen entnommen; später hat er darauf zurückgegriffen (Urteil vom 14. Februar 1968 - 1 RA 75/67 - SozR RVO § 1268 Nr. 10). Der 4. Senat ist dem gefolgt (Urteil vom 15. Januar 1969 - 4 RJ 173/67 - SozR RVO § 1268 Nr. 12). Der erkennende Senat sieht nach Prüfung keinen Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzugehen.
An der bestehenden Rechtslage hat sich auch dadurch nichts geändert, daß in Dänemark durch Gesetz Nr. 70 vom 13. März 1959 erstmals Witwenrenten eingeführt worden sind. Hierdurch ist das Abkommen und die darin vorgeschriebene Berechnung der Witwenrenten nicht geändert worden, wie auch die deutsche Gesetzgebung davon nicht berührt worden ist (vgl. BSG SozR RVO § 1268 Nr. 12).
Der Anspruch der Klägerin auf Erhöhung ihrer Rente ist entgegen der Meinung der Revision nicht auf den mit Wirkung vom 1. Juli 1965 ab eingefügten Satz 2 des § 1268 Abs. 2 RVO zu stützen. Danach ist unter bestimmten, hier an sich gegebenen Voraussetzungen die Witwenrente auf den Betrag von sechs Zehnteln des Zahlbetrages der Versichertenrente (ohne Kinderzuschuß) im Zeitpunkt des Todes zu erhöhen. Gewiß würde die auf dieser Grundlage berechnete Witwenrente höher als die von der Beklagten gewährte sein. Die so berechnete Witwenrente würde jedoch im Ergebnis - den Bestimmungen des Abkommens zuwider - eine Berücksichtigung der Aufenthaltszeiten des Versicherten im Königreich Dänemark für die Rentenhöhe bedeuten, ein Ergebnis, das mit der Einfügung des Satzes 2 in das Gesetz nicht beabsichtigt war.
Mit dieser Frage haben sich bereits der 1. Senat des BSG (SozR RVO § 1268 Nr. 10) und ihm im wesentlichen folgend der 4. Senat (aaO Nr. 12) auseinandergesetzt. Das dabei übereinstimmende Ergebnis, daß Aufenthaltszeiten des Versicherten in Dänemark bei der Berechnung der Witwenrente außer Betracht bleiben und daran durch § 1268 Abs. 2 Satz 2 RVO nichts geändert wird, billigt der erkennende Senat trotz der Revisionsangriffe ebenfalls.
Zwar mag eine für den Betroffenen günstige Regelung, die finanziell allein den ändernden Staat belastet, auch einseitig getroffen werden können. Indes ist eine innerstaatliche Änderung nur dann auf den anspruchsberechtigten Personenkreis eines zwischenstaatlichen Abkommens anzuwenden, wenn sie nicht im Widerspruch zu den vertraglichen Bestimmungen steht oder wenn die Änderung des Abkommens ausdrücklich in den Willen des Gesetzgebers aufgenommen worden ist. Letzteres ist hier nicht der Fall. Anlaß dafür, Satz 2 in § 1268 Abs. 2 RVO einzufügen, waren Härtefälle, in denen der Versicherte eine sog. Umstellungsrente bezogen hat (vgl. BR-Drucks. 319/64 S. 27). Selbst wenn mit der Revision diese Vorschrift dahingehend verstanden werden könnte, daß sie auch andere Härte- oder Sonderfälle umfassen sollte, in denen die Witwenrente nicht 60 v. H. der dem Versicherten vor seinem Tode gewährten Rente erreicht, so ist doch festzustellen, daß für diese Auslegung, soweit mit ihr Art. 26 des Abkommens außer Kraft gesetzt werden soll, weder in den Materialien noch im Gesetz eine Stütze zu finden ist. Auch Delbrück (Sgb 1968 S. 528/29), auf den die Revision sich nachdrücklich beruft, hält diese Auslegung lediglich für vereinbar mit den Motiven des Gesetzgebers und der Fassung des Gesetzes, weil man den Anlaß für das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz nicht überbewerten dürfe (vgl. Delbrück, aaO, Fußnoten 19 bis 26).
Die Revision übersieht vor allem, daß die Bestimmungen der RVO sich grundsätzlich auf das Inland beziehen. Wenn ausländische Beitrags-, Versicherungs- oder Aufenthaltszeiten bei der Berechnung von in der Bundesrepublik Deutschland gewährten Renten zugrunde zu legen sind, bedarf es besonderer gesetzgeberischer Akte (z. B. FAG-FRG, Bilaterale Sozialversicherungsabkommen, EWG-Verordnungen). Schließt ein solches Gesetz oder Vertragswerk bestimmte Leistungen von der Vergünstigung der Anrechnung aus wie hier die Witwenrente, gilt allein die allgemeine Regel. Das bedeutet: Änderungen der RVO beziehen nicht stillschweigend weitere ausländische Zeiten ein.
Überdies bestand auch nach dem im Zeitpunkt des Vertragsschlusses in Deutschland geltenden Recht hinsichtlich der Höhe (5/10 des Steigerungsbetrages) eine Verknüpfung zwischen Invalidenrente und Witwenrente, die das Abkommen eingeschränkt hat, soweit die Höhe der Rente von dänischen Aufenthaltszeiten beeinflußt war. Allein die Umgestaltung der Verknüpfung im deutschen Recht (6/10 des Zahlbetrages), also eine neue Berechnungsvorschrift reicht nicht für eine Vertragsänderung aus. Das folgt bereits aus der Entscheidung des 1. Senats (SozR Abk. mit Dänemark über SozVers. Allg. Nr. 3), wonach Art. 26 des Abkommens nach der veränderten Rentenformel in der Weise verstanden werden muß, daß Aufenthaltszeiten in Dänemark nicht für die Höhe und damit die Rentenberechnung zählen. Da der Gesetzgeber mit dem Rentenversicherungs-Änderungsgesetz nicht auf eine Änderung des Abkommens zielte, wäre die von der Revision erstrebte Auslegung von § 1268 Abs. 2 Satz 2 RVO nur dann angebracht, wenn insoweit kein Widerspruch zu Art. 26 aufträte. Denn in aller Regel wird der Wille des Gesetzgebers auf eine vertragskonforme Auslegung der innerstaatlichen Gesetze gerichtet sein (vgl. 4. Senat des BSG SozR RVO § 1268 Nr. 12), was in diesem Fall in Art. 1 Abs. 2 des Abkommens seinen besonderen Ausdruck gefunden hat: "Dieses Abkommen bezieht sich auch auf alle Gesetze ..., die die in Abs. 1 bezeichnete Gesetzgebung ändern oder ergänzen". Das räumt auch die Revision ein (vgl. Delbrück, aaO, S. 531, 1. Sp. und Fußnote 40). Diese völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, ihre nationale Gesetzgebung in Einklang mit dem Abkommen zu halten, muß daher auch bei Prüfung der Frage beachtet werden, ob § 1268 Abs. 2 Satz 2 RVO den Art. 26 des Abkommens geändert hat. Selbst die Revision gibt zu, daß § 1268 Abs. 2 Satz 2 RVO nicht mehr mit dem Vertragstext in Einklang steht. Die Revision hält lediglich den deutschen Gesetzgeber für nicht gehindert, eine günstigere Regelung einzuführen, wenn in Anbetracht der veränderten Rentengesetzgebung in Dänemark der rechtspolitische Grund für die besondere Regelung der Art. 25 und 26 des Abkommens weggefallen ist (vgl. Delbrück, aaO, S. 532). Gerade dies spricht nicht für die Revision. Vielmehr bestätigt die Revision damit, daß § 1268 Abs. 2 Satz 2 RVO auf Härtefälle, die durch zwischenstaatliche Abkommen verursacht sind, nicht anwendbar ist, weil es, wie auch Ziffer 12 des Schlußprotokolls zum Ausdruck bringt, Aufgabe der beiden Staaten ist, eine vertragliche Änderung herbeizuführen, falls das im Hinblick auf die inzwischen eingetretenen veränderten Verhältnisse angebracht wäre. Hier durch Lückenfüllung oder Auslegung von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eine Lösung zu erwarten, wie sie die Revision erstrebt, geht nicht an. Dies muß den Regierungen der vertragschließenden Staaten vorbehalten bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen