Leitsatz (amtlich)
Aufenthaltszeiten des Versicherten in Dänemark bleiben bei der Berechnung der Witwenrente außer Betracht; daran wird durch RVO § 1268 Abs 2 S 2 nichts geändert (Anschluß an BSG 1968-02-14 1 RA 75/67 = SozR Nr 10 zu § 1268 RVO).
Orientierungssatz
Zur Frage, ob ein zwischenstaatlicher Sozialversicherungsvertrag während seiner Wirksamkeit durch innerstaatliche Gesetze geändert oder aufgehoben werden kann.
Normenkette
RVO § 1268 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1957-02-23; SVAbk DNK Art. 25 Fassung: 1953-08-14, Art. 26 Fassung: 1953-08-14
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 19. Dezember 1966 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Rechtsstreit wird über die Höhe der Witwenrente der Klägerin geführt.
Das Landessozialgericht (LSG) hat - in dem angefochtenen Urteil vom 19. Dezember 1966 - in Übereinstimmung mit der Beklagten (Bescheid vom 14. Dezember 1964), abweichend von der Entscheidung des Sozialgerichts (Urteil vom 16. Mai 1966), die Aufenthaltszeiten des verstorbenen Ehemannes der Klägerin - des Versicherten - in Dänemark in den Jahren von 1907 bis 1922 bei der Berechnung der Witwenrente außer Betracht gelassen. Dies schreibe, so hat es ausgeführt, Art. 26 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark über Sozialversicherung vom 14. August 1953 (BGBl 1954, II, 753; BArbBl 1954, 529) - Abkommen - vor. Für die Witwenrente gelte, daß die von der Versicherungszeit unabhängigen Leistungen oder Leistungsteile nach deutschen Vorschriften zu berechnen, Steigerungsbeträge aber nur für die in den deutschen Rentenversicherungen zurückgelegten Versicherungszeiten zu gewähren seien. Diese Regelung sei durch die Rentenreform des Jahres 1957 im Grundsatz nicht berührt worden. Art. 1 des Abkommens bestimme nämlich, daß dieses sich nicht nur auf die bestehende Gesetzgebung, sondern auch auf alle Gesetze beziehe, die diese Gesetzgebung ändere oder ergänze. Das Abkommen sei weiterhin lex specialis gegenüber der innerdeutschen Rentengesetzgebung. Dasselbe gelte gegenüber § 1268 Abs. 2 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Diese durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 eingefügte Vorschrift billige der Witwe mindestens eine Rente von 6/10 der Rente - ohne Kinderzuschuß - zu, die der Versicherte zur Zeit seines Todes bezogen habe. Dem Versicherten selbst seien zwar in seiner Altersrente - entsprechend der dafür in dem Abkommen getroffenen Regelung - die Aufenthaltszeiten in Dänemark rentensteigernd angerechnet worden. Die Klägerin könne hieraus jedoch keine Rechte herleiten. - Die Regelung in Art. 26 des Abkommens erkläre sich daraus, daß die dänische Volksversicherung zur Zeit des Abschlusses des Abkommens noch keine Witwenrenten gekannt habe. Der Umstand, daß es seit 1959 auch in Dänemark Witwenrenten gebe, rechtfertige jedoch für sich allein noch nicht die Nichtanwendung dieser Regelung. Eine solche Änderung sei nur durch eine neue zwischenstaatliche Vereinbarung möglich; an der fehle es aber bisher. Auch aus dem Gedanken der "clausula rebus sie stantibus" heraus sei kein anderes Ergebnis zu rechtfertigen. Die Anwendung des Art. 26 des Abkommens sei den beteiligten Staaten weder unmöglich noch unzumutbar. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) komme schon deshalb nicht in Betracht, weil innerstaatliches Verfassungsrecht das durch zwischenstaatlichen Vertrag geschaffene Recht nicht beeinflussen könne.
Mit der - zugelassenen - Revision rügt die Klägerin insbesondere, das LSG habe § 1268 Abs. 2 Satz 2 RVO unrichtigerweise auf ihren Fall nicht angewandt. Ihre Rente sei nach dieser Vorschrift zu berechnen, müsse also auf 6/10 des Betrages festgesetzt werden, den der Versicherte zuletzt bezogen habe. Das Abkommen vermöge daran nichts zu ändern. Dessen Sinn liege darin, die Gleichstellung der Staatsangehörigen beider Länder in der Sozialversicherung jeweils zu gewährleisten. Bei der Berechnung von Witwenrenten hätten Aufenthaltszeiten in Dänemark nur deshalb unberücksichtigt bleiben sollen, weil zur Zeit des Abschlusses des Abkommens Dänemark keine Witwenrenten gekannt habe. Inzwischen seien aber durch das dänische Gesetz vom 13. März 1959 auch dort Witwenpensionen eingeführt worden. Diese würden unabhängig davon gewährt, ob der Versicherte ausschließlich in Dänemark oder in Deutschland und in Dänemark gearbeitet habe. Damit sei der Grund für die Schlechterstellung der Witwen entfallen. Auch anderen zwischenstaatlichen Sozialversicherungsabkommen sei eine solche Schlechterstellung unbekannt. Außerdem stelle die durch § 1268 Abs. 2 Satz 2 RVO eintretende Erhöhung der Rente eine von der Versicherungszeit unabhängige, deshalb bei der Berechnung der Witwenrente zu berücksichtigende Leistung dar. Schließlich sei zu beachten, daß für den Versicherten in der Zeit von 1907 bis 1920 an deutsche Versicherungsträger Beiträge geleistet worden seien, weil er in einem ehemals deutschen, erst infolge des Versailler Vertrages an Dänemark abgetretenen Gebiet gewohnt und gearbeitet habe. Diese Zeit gelte zwar als Aufenthaltszeit in Dänemark, jedoch mache dieser Hinweis deutlich, daß eine Benachteiligung, wie sie im Urteil des LSG liege, ungerecht sei.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr vom 1. März 1965 an eine Witwenrente unter Berücksichtigung der Aufenthaltszeiten des Versicherten in Dänemark zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Revision hat keinen Erfolg. Die Beklagte ist bei der Feststellung der Witwenrente der Klägerin zu Recht von dem deutsch-dänischen Sozialversicherungsabkommen ausgegangen. Die von ihr vorgenommene Berechnung der Rente bietet zu Beanstandungen keinen Anlaß.
Die Anwendung des Abkommens hat nicht schon deshalb zu unterbleiben, weil das Gebiet, in dem der Versicherte gewohnt hat, bis zum 15. Juni 1920 Bestandteil des ehemaligen Deutschen Reiches war und erst als Folge des Versailler Vertrages an Dänemark abgetreten worden ist. Diese Zeiten gelten als Aufenthaltszeiten in Dänemark im Sinne des Abkommens. Darauf, daß es sich zugleich um ehemals deutsche Versicherungszeiten handelt, kommt es nicht an. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden (BSG 9, 182; SozR Nr. 2 zum Abkommen mit Dänemark über sozVers Allg). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an; sie ist auch von den Beteiligten nicht angegriffen worden.
Art. 26 des Abkommens bestimmt, daß bei der Feststellung der Witwenrente aus der deutschen Rentenversicherung für Aufenthaltszeiten des Versicherten in Dänemark keine Steigerungsbeträge gewährt werden. Die Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze des Jahres 1957 haben an dieser Regelung nichts geändert. Ihre sinngemäße Weitergeltung ist durch die Rentenreform nicht berührt worden. Dieses Erkenntnis, das auch der erkennende Senat für zutreffend hält, ist in der Entscheidung des BSG vom 12. Januar 1966 (SozR Nr. 3 zum Abk. mit Dänemark über SozVers Allg) näher begründet. - Auch das im Jahre 1959 ergangene dänische Gesetz, das in Dänemark Witwenrenten eingeführt hat, hat insoweit keine Änderung gebracht. Ein solches ausländisches Gesetz vermag weder deutsche Gesetze noch zwischenstaatliche Abmachungen unmittelbar zu beeinflussen.
Die Entscheidung hängt daher von der Frage ab, ob der durch das RVÄndG in die RVO eingefügte Satz 2 des § 1268 Abs. 2 auch auf den Fall der Klägerin Anwendung findet. Nach dieser Vorschrift beträgt die Witwenrente mindestens 6/10 des Zahlbetrages der Versichertenrente (ohne Kinderzuschuß), wenn der Versicherte bis zu seinem Tode eine Rente bezogen hat. Die so berechnete Rente würde die von der Beklagten in Anwendung des Art. 26 des Abkommens festgestellte vom 1. Juli 1965 an übersteigen. Der erkennende Senat folgt in dieser Frage - nach eigener Prüfung - im Ergebnis der Entscheidung des 1. Senats des BSG vom 14. Februar 1968 (SozR Nr. 10 zu § 1268 RVO). In ihr ist ausgeführt, das RVÄndG habe Art. 26 des Abkommens, soweit danach bei der Feststellung der Witwenrente Aufenthaltszeiten des Versicherten in Dänemark unberücksichtigt zu bleiben hätten, nicht beseitigt. Der Sinn der durch § 1268 Abs. 2 Satz 2 RVO eingetretenen Gesetzesänderung sei darin zu erblicken, daß Härten zum Nachteil der Empfänger von sog. Umstellungsrenten nach den Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetzen ausgeräumt werden sollten. Der im Abkommen bezeichnete Personenkreis werde von dieser Regelung nicht erfaßt. Gemäß Art. 1 Abs. 2 des Abkommens beziehe sich dieses nicht nur auf die Gesetzgebung zur Zeit des Vertragsabschlusses, sondern auch auf alle Gesetze und sonstigen Vorschriften, die diese Gesetzgebung ändern oder ergänzen. Das von der Bundesrepublik erlassene Zustimmungsgesetz stehe dem nicht entgegen, weil dieses Gesetz in seiner Geltungsdauer von der des ihm zugrunde liegenden Vertrages abhänge. Dieser könne während seiner Wirksamkeit durch innerstaatliche Gesetze weder geändert noch aufgehoben werden. Ob die letztere Auffassung in vollem Umfang gebilligt werden kann, mag dahinstehen. Es kann unentschieden bleiben, ob der Gesetzgeber eines Vertragsstaates in Fällen der vorliegenden Art ausnahmslos gehindert ist, einseitig eine Änderung des zwischenstaatlichen Abkommens vorzunehmen, und zwar auch dann, wenn sie dem betroffenen Personenkreis nur Vergünstigungen bringen würde. In der Regel wird man unterstellen müssen, daß der Wille des Gesetzgebers auf eine vertragskonforme Auslegung der innerstaatlichen Gesetze gerichtet ist. Abweichungen hiervon könnten allenfalls dann angenommen werden, wenn sie erkennbar Ausdruck gefunden hätten. Dies ist jedoch im Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Abkommen nicht geschehen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß die in § 1268 Abs. 2 Satz 2 RVO getroffene Regelung auch auf den von jenem Abkommen erfaßten Personenkreis Anwendung finden soll. Ebenfalls kann unerörtert bleiben, ob § 1268 Abs. 2 Satz 2 RVO sich nur auf die bei den sog. Umstellungsrenten entstandenen Härtefälle bezieht oder ob weitere Härtefälle denkbar sind, die von dieser Vorschrift erfaßt werden könnten. Auf Härtefälle, die durch zwischenstaatliche Abkommen verursacht sind, ist sie jedenfalls in der Regel nicht anwendbar. Es ist Aufgabe der Staaten, die das Abkommen geschlossen haben, eine vertragliche Änderung herbeizuführen, falls dies als wünschenswert angesehen wird. Art 26 des Abkommens steht daher in dem vorliegenden Fall weiterhin der uneingeschränkten Anwendung des § 1268 Abs. 2 Satz 2 RVO entgegen. Die Aufenthaltszeiten des Versicherten in Dänemark müssen hiernach bei der Feststellung der Witwenrente außer Betracht bleiben.
Die Klägerin irrt, wenn sie meint, durch die in § 1268 Abs. 2 Satz 2 RVO getroffene Regelung werde eine von der Versicherungszeit unabhängige Leistung gewährt. Auch diese Vorschrift stellt auf die Versicherungszeit ab. Die Leistung, die hiernach festzustellen ist, orientiert sich an der Rente, die der Versicherte im Hinblick auf seine Versicherungszeit bezogen hat.
In Übereinstimmung mit der Entscheidung des 1. Senats des BSG vom 14. Februar 1968 sieht der erkennende Senat in dieser Gesetzesauslegung keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG. So ist denn auch die gegen das Urteil des 1. Senats erhobene Verfassungsbeschwerde vom Bundesverfassungsgericht als offensichtlich unbegründet nicht zur Entscheidung angenommen worden (Beschluß vom 16. Oktober 1968, 1 BvR 539/68). Auch die von Delbrück ("Die Sozialgerichtsbarkeit" 1968, S. 526 ff) gegen jenes Urteil des BSG erhobenen Einwendungen vermögen nicht zu überzeugen.
Die Revision muß deshalb zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen