Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiederaufleben. fiktive Anrechnung einer nicht wiederaufgelebten Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung
Orientierungssatz
Bei der nach § 44 Abs 5 BVG vorzunehmenden Gegenüberstellung von Hinterbliebenenrentenansprüchen aus der zweiten Ehe mit denen aus der ersten Ehe kann die nicht wiederaufgelebte Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung rechnerisch nicht einbezogen werden.
Normenkette
BVG § 44 Abs 5; RVO § 1291 Abs 2 Fassung: 1972-10-16
Verfahrensgang
Tatbestand
Die am 27. Juni 1920 geborene Klägerin war in erster Ehe mit dem Berufssoldaten Fritz M. verheiratet, der am 9. April 1942 gefallen ist. Am 29. August 1953 heiratete sie den Kraftfahrer Helmut K.; dieser ist am 15. April 1973 gestorben. Von Mai 1951 an bezog die Klägerin Witwengrundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz -BVG-, die nach der zweiten Eheschließung eingestellt wurde. Am 10. Februar 1976 beantragte die Klägerin das Wiederaufleben der Witwenversorgung nach M. Das Versorgungsamt stellte fest, daß den Ansprüchen aus der zweiten Ehe (Witwenrente von der Bundesversicherungsanstalt -BfA- und Rente der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder -VBL-) das Witwengeld nach dem Bundesgesetz zu Art 131 Grundgesetz (GG) nach M. gegenüberstand. Dieses kam durch die Anrechnung der Ansprüche aus zweiter Ehe vollständig zum Ruhen; den überschießenden Betrag dieser Ansprüche rechnete das Versorgungsamt auf die Grundrente nach dem BVG an (Bescheide vom 3. und 12. Januar 1977). Der Widerspruch der Klägerin war in dem noch streitigen Punkt erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 3. März 1978, vgl auch Bescheide vom 30. September 1980 und 11. Februar 1981). Im Klageverfahren verfolgte die Klägerin das Ziel, auch eine Rente von der Landesversicherungsanstalt -LVA- aus der Versicherung ihres ersten Ehemannes bei der Anrechnung zu berücksichtigen. Diese Rente habe sie zwar nicht bezogen, weil sie vor ihrer zweiten Eheschließung die nach dem damaligen Rechtszustand erforderlichen persönlichen Voraussetzungen nicht erfüllt habe. Nach dem Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz -ArVNG- hätte sie aber seit 1957 die Witwenrente erhalten, wenn sie nicht schon vorher geheiratet hätte. Da nach dem BVG die Rechtsstellung der Witwe durch die zweite Ehe nicht verschlechtert werden solle, müsse sie so gestellt werden, als bezöge sie diese - wiederaufgelebte - LVA-Rente. Dann wäre der Betrag, der jetzt noch zur Anrechnung auf die Grundrente gestellt werde, durch Aufrechnung mit der LVA-Rente kleiner, so daß ein höherer Betrag der Grundrente ausgezahlt werden müsse. Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht -LSG- hat dazu ausgeführt: In § 44 BVG, vor allen in dessen Absätzen 3 bis 5 komme zum Ausdruck, daß die wiederauflebende Witwenversorgung nach dem ersten Ehemann ihrem Charakter nach subsidiär sei und Doppelversorgungen vermieden werden sollten. Für die von der Klägerin als richtig angesehene Berechnungsmethode fehle jede Rechtsgrundlage. Der Sinn und der Zweck des § 44 Abs 5 BVG beruhe auf dem Gedanken, daß die Witwe nach Auflösung der zweiten Ehe versorgungsrechtlich nicht schlechter, aber auch nicht besser stehen solle als vor der Wiederheirat. Dieser gesetzgeberische Zweck erfordere es nicht, daß der Rechtszustand nachzuzeichnen sei, der ohne die zweite Ehe im Zeitpunkt des Wiederauflebensantrages bestanden hätte. Nach dem Grundgedanken des § 44 BVG komme es vielmehr auf den Rechtszustand im Zeitpunkt der zweiten Eheschließung im Jahre 1953 an. Der versorgungsrechtliche Besitzstand zu diesem Zeitpunkt solle gewahrt werden. Das sei geschehen. Der Beklagte habe auf die Grundrente den Betrag angerechnet, der nicht schon zur Kürzung der Bezüge nach dem Gesetz 131 geführt habe. Für eine Berücksichtigung der "fiktiven", also in Wirklichkeit weder zustehenden noch ausgezahlten LVA-Witwenrente nach M. sei schon deshalb kein Raum, weil die Klägerin zum Zeitpunkt der Wiederheirat hierauf keinen Anspruch gehabt habe. Eine Gesetzeslücke, die von der Rechtsprechung auszufüllen sei, bestehe nicht. Wenn der Gesetzgeber die Berücksichtigung auch fiktiver Ansprüche gewollt hätte, hätte er dies in einem der zahlreichen Änderungs- und Anpassungsgesetze zum BVG regeln müssen. Das sei jedoch nicht geschehen.
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung des § 44 Abs 5 BVG. Sie hätte, wenn sie nicht wieder geheiratet hätte, außer dem Witwengeld nach Gesetz 131 auch eine Rente nach ihrem ersten Ehemann aus der gesetzlichen Rentenversicherung von der LVA erhalten. Diese Rente hätte sie bei dessen Tod zwar noch nicht beziehen können, weil sie damals die nach § 1256 Reichsversicherungsordnung -RVO- idF vor dem ArVNG (aF) genannten persönlichen Voraussetzungen (Invalidität, Vollendung des 60. Lebensjahres oder Erziehung von Kindern) nicht erfüllt habe. Nach dem ArVNG hätte sie aber seit 1957 einen Anspruch auf die sogenannte kleine Witwenrente gehabt, wenn sie nicht vorher geheiratet hätte. Durch die zweite Eheschließung sei also ihre Rechtsposition verschlechtert worden; gerade dies solle jedoch durch die Wiederauflebungsregelung verhindert werden. Das Bundessozialgericht -BSG- habe mehrfach fiktive Ansprüche bei der Anrechnung auf die Witwenrente berücksichtigt; dies müsse auch dann gelten, wenn hier nur ein fiktiver Anspruch auf eine LVA-Rente zustehe. Im gleichen Sinne habe auch das Bundesverwaltungsgericht -BVerwG- entschieden. Entscheidend sei, daß die Witwe so gestellt werden solle, als wäre sie die neue Ehe nicht eingegangen. Dann hätte sie aber die LVA-Rente bezogen.
Die Klägerin beantragt, unter Abänderung der Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. März 1982 und des Sozialgerichts Köln vom 11. Dezember 1980 nach dem Klageantrag erster Instanz zu erkennen.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist nicht begründet. Die Versorgungsverwaltung durfte die durch die Anrechnung auf die Bezüge nach dem Gesetz 131 nicht aufgezehrten Ansprüche aus der zweiten Ehe der Klägerin mit K. auf die wiederaufgelebte BVG-Rente nach M. anrechnen.
Nach § 44 Abs 1 BVG erhält die Witwe im Falle der Wiederverheiratung anstelle des Anspruchs auf Rente eine Abfindung in näher bezeichneter Höhe. Wird die neue Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt, so lebt der Anspruch auf Witwenversorgung wieder auf (§ 44 Abs 2 BVG). Auf diese Witwenrente werden Versorgungsrenten oder Unterhaltsansprüche, die sich aus der neuen Ehe herleiten, angerechnet (§ 44 Abs 5 BVG), soweit sie zu verwirklichen sind und nicht schon zur Kürzung anderer, wiederaufgelebter öffentlich-rechtlicher Leistungen geführt haben. Dabei ist zunächst auf andere Ansprüche aus der ersten Ehe anzurechnen, ehe auf die Witwenversorgung nach dem BVG angerechnet werden darf.
Die Klägerin meint,von den Ansprüchen aus der Ehe mit K. sei zuviel auf die Witwenversorgung nach dem BVG aus der Ehe mit M. angerechnet worden, weil nur ihre Bezüge nach dem Gesetz 131 berücksichtigt worden seien. Es müsse aber auch die -tatsächlich nicht wiederaufgelebte - Witwenrente aus der Sozialversicherung des M. zur Aufrechnung gestellt werden. Diese Ansicht ist unrichtig.
Nach § 1291 Abs 2 RVO lebt, wenn eine Witwe sich wiederverheiratet hat und diese Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt worden ist, der Anspruch auf Witwenrente wieder auf. Das setzt jedoch voraus, daß bei der Wiederverheiratung ein bestehender Anspruch weggefallen ist. Das BSG hat in mehreren Entscheidungen den Grundsatz herausgearbeitet, daß ein Anspruch der nicht besteht, auch nicht durch Wiederverheiratung wegfalle (vgl § 1287 RVO aF) und deshalb auch nicht wiederaufleben könne (vgl Großer Senat des BSG in BSGE 14, 138 = SozR Nr 2 zu § 1291 RVO; BSGE 16, 202 = SozR Nr 3 zu 1291 RVO; BSGE 18, 62 = SozR Nr 4 zu § 1291 RVO; SozR Nr 24 zu § 1291 RVO). Die Klägerin hatte bei der zweiten Eheschließung 1953 keinen Anspruch auf Witwenrente aus der Sozialversicherung. Damals galt für die Witwenrente § 1256 RVO aF. Nach dieser Vorschrift bekam die Witwe, die nicht invalide war und auch keine Kinder zu erziehen hatte, erst mit der Vollendung des 60. Lebensjahres eine Witwenrente. Dieses Alter hatte die Klägerin, die 1920 geboren ist, noch nicht erreicht. Was die Klägerin in diesem Verfahren vorbringt, bezieht sich darauf, daß sie entgegen der bisherigen ständigen Rechtsprechung des BSG doch so gestellt werden müßte, als sei ihre Witwenrente aus der Sozialversicherung ihres ersten Ehemannes wiederaufgelebt. In diesem Verfahren ist indes ein Bescheid, der das Wiederaufleben der Witwenrente abgelehnt hat, nicht im Streit; darüber ist deshalb auch nicht zu entscheiden.
Soweit die Klägerin jedoch meint, bei der Gegenüberstellung ihrer Hinterbliebenenansprüche aus der zweiten Ehe mit denen aus der ersten Ehe müßte gleichwohl die nicht wiederaufgelebte Witwenrente aus der Sozialversicherung rechnerisch einbezogen werden, weil auch fiktive Ansprüche der Witwe aus der zweiten Ehe auf die Leistungen aus der ersten Ehe nach dem Gesetz anzurechnen seien, kann der Klägerin nicht gefolgt werden. Wie das LSG bereits zutreffend ausgeführt hat, fehlt für eine solche Berechnungsmethode jegliche Rechtsgrundlage. Das BVG regelt in § 44 Abs 5 die Anrechnung der Bezüge aus zweiter Ehe auf die wiederaufgelebten Ansprüche aus erster Ehe abschließend. Bei dieser Regelung ist nicht vorgesehen, daß ein Anspruch aus der Erstehe auch dann anzurechnen ist, wenn der tatsächlich nicht besteht. Der Gesetzgeber hat diese Frage auch nicht übersehen. In der Anrechnungsvorschrift sind vom Gesetzgeber zwei Mal Ansprüche erwähnt worden, die nicht zur Auszahlung gelangen. So sind die Ansprüche aus der zweiten Ehe nur anzurechnen, soweit sie zu verwirklichen sind; auf der anderen Seite ist ein Betrag anzurechnen, auf den die Witwe ohne verständigen Grund verzichtet hat. Dem Gesetzgeber war also bekannt, daß Ansprüchen in besonderen Fällen eine Rolle bei der Anrechnung zugewiesen werden muß, die unabhängig von ihrem rechtlichen Schicksal ist.
Schließlich - auch darauf hat das LSG schon zutreffend hingewiesen - kann hier eine Lücke im BVG nicht angenommen werden.
Die Versorgungsbezüge der Klägerin sind demnach korrekt berechnet worden. Die Revision ist unbegründet und muß zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen