Orientierungssatz
Die Zulässigkeit einer Feststellungsklage ist auch trotz der Möglichkeit zur Erhebung einer entsprechenden Leistungsklage dann gegeben, wenn die Durchführung des Feststellungsverfahrens unter dem Gesichtspunkt einer gesunden Prozeßökonomie zu einer sachgemäßen und einfacheren Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte führt.
Normenkette
SGG § 54 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1953-09-03, § 55 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. Januar 1963 aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 24. Mai 1961 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind unter den Beteiligten nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger bezog von der Beklagten zunächst die Knappschaftsrente alten Rechts in Höhe von monatlich 141,70 DM und gemäß Bescheid vom 16. September 1959 mit Wirkung vom 1. August 1957 an die Gesamtleistung wegen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von monatlich 316,30 DM. Seine Ehefrau bezieht von der Landesversicherungsanstalt Westfalen seit Oktober 1956 die Invalidenrente, die vom 1. Januar 1957 an monatlich 83,60 DM betrug. Vorher war sie als Heimarbeiterin tätig und bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Wattenscheid für den Krankheitsfall versichert.
In der Zeit vom 23. April bis zum 5. Juli 1953 und vom 5. März bis zum 6. September 1956 war die Ehefrau des Klägers wegen Herzinsuffizienz arbeitsunfähig krank und erhielt von der AOK Krankengeld bzw. Krankenhauspflege. In der Zeit vom 23. April bis zum 23. Mai 1958 wurde sie wegen Herzinsuffizienz erneut stationär behandelt. Die AOK Wattenscheid lehnte die Übernahme der Krankenhauskosten ab, weil die Versicherte ausgesteuert sei; sie zahlte nur täglich 1,- DM als Abgeltung für die Krankenpflege.
Der Kläger beantragte bei der beklagten Knappschaft die Übernahme der Krankenhauskosten als Familienkrankenhilfe. Mit Bescheid vom 1. Juli 1960 lehnte die Beklagte den Antrag ab; die Ehefrau des Klägers sei wegen eigenen Rentenbezuges bei der AOK versichert, der Kläger habe daher keinen Anspruch auf Familienhilfe nach § 205 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos.
Mit der Klage beim Sozialgericht (SG) beantragte der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der Krankenhauskosten in Höhe von 355,10 DM. Die Klage wurde abgewiesen. In der Berufungsinstanz trug der Kläger vor, das Fürsorgeamt, das die Krankenhauskosten zunächst bezahlt habe, verlange von ihm die ratenweise Erstattung; er habe bisher 90,- DM gezahlt. Der Kläger beantragte nunmehr,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, die Krankenhauskosten für die stationäre Behandlung seiner Ehefrau vom 23. April bis zum 23. Mai 1958 in Höhe von 355,10 DM zu tragen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat antragsgemäß entschieden: Die Feststellungsklage, auf die sich die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG, ohne der Klageänderung zu widersprechen, eingelassen habe, sei zulässig und in der Sache begründet. Die Beklagte sei nach § 205 RVO verpflichtet, die Krankenhauskosten zu tragen. Die Ehefrau des Klägers sei diesem gegenüber in der streitigen Zeit unterhaltsberechtigt gewesen, weil er das wesentlich höhere Einkommen gehabt habe. Die Ehefrau habe in dieser Zeit auch keinen anderweitigen gesetzlichen Anspruch gegen einen Träger der Krankenversicherung gehabt. Zwar sei sie auf Grund eigenen Rentenbezugs bei der AOK Wattenscheid gegen Krankheit versichert, sie sei aber bereits seit dem 6. September 1956 wegen der die stationäre Behandlung erfordernden Krankheit mit Krankengeld und Krankenhauspflege ausgesteuert gewesen und habe daher insoweit keinen eigenen gesetzlichen Anspruch. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 4. Juli 1962 (BSG 17, 186), wonach der Anspruch auf Familienhilfe nicht dadurch ausgeschlossen wird, daß für denselben Krankheitsfall bereits aus eigener Versicherung Leistungen bis zur Höchstdauer bezogen wurden, müsse auch für den Fall gelten, daß der unterhaltsberechtigte Familienangehörige zwar noch aus eigenem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung angehöre, aber wegen einer Krankheit mit einer bestimmten Leistung ausgesteuert sei.
Mit der Revision rügt die Beklagte zunächst, daß das LSG antragsgemäß ein Feststellungsurteil erlassen hat. Da der anspruchsbegründende Tatbestand ausschließlich in der Vergangenheit liege, sei die Feststellungsklage unzulässig. Es fehle hierfür auch an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis des Klägers, der sein Ziel unmittelbar durch die verbundene Anfechtungs- und Leistungsklage hätte erreichen können. Die Beklagte hält das angefochtene Urteil aber auch in materiell-rechtlicher Hinsicht für fehlerhaft. Die Ehefrau des Klägers habe während der streitigen Zeit einen eigenen gesetzlichen Anspruch auf Krankenhilfe gegen die AOK Wattenscheid gehabt, die auch täglich 1,- DM als Ersatz für die gesamte Krankenpflege gezahlt habe. Ein Anspruch auf Familienkrankenpflege aus der Versicherung des Klägers habe daneben nicht bestanden. Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Gelsenkirchen vom 24. Mai 1961 zurückzuweisen.
Der Kläger, der das angefochtene Urteil für richtig hält, beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Beide Parteien sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Die wegen ausdrücklicher Zulassung durch das LSG (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) statthafte, auch frist- und formgerecht eingelegte und begründete Revision der Beklagten ist zulässig und begründet.
Der Übergang von der Leistungs- zur Feststellungsklage in der Berufungsinstanz war nach § 99 des Sozialgerichtsgesetzes (- SGG -) zulässig, weil die Beklagte sich auf die abgeänderte Klage eingelassen hat. Auch gegen die Zulässigkeit der Feststellungsklage bestehen - entgegen der Ansicht der Beklagten - hier keine Bedenken. Es handelt sich bei der Frage, ob die Beklagte die Krankenhauskosten zu tragen hat, um die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG), und der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung (§ 55 Abs. 1 Halbs. 2 SGG). Die Zulässigkeit einer Feststellungsklage ist auch trotz der Möglichkeit zur Erhebung einer entsprechenden Leistungsklage dann gegeben, wenn die Durchführung des Feststellungsverfahrens unter dem Gesichtspunkt einer gesunden Prozeßökonomie zu einer sachgemäßen und einfacheren Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte führt (BGHZ 2, 250; s. a. RGZ 146, 163; BGHZ 27, 190; BSG 10, 21; BSG 12, 44 = SozR SGG § 54 Nr. 73). Im vorliegenden Falle bestehen gegen die Zulässigkeit der Feststellungsklage schon deshalb keine Bedenken, weil nach dem Vorbringen des Klägers das Sozialamt die Krankenhauskosten übernommen, ihn jedoch auf ratenweise Erstattung in Anspruch genommen hatte. Eine Leistungsklage hätte also teilweise auf Erstattung, teilweise auf Freistellung gehen müssen, wobei sich die jeweiligen Teilbeträge in der Zeit zwischen der gerichtlichen Nachprüfung und der Entscheidung hätten verschieben können. Für den Kläger genügte es aber, daß die Verpflichtung der Beklagten, die Krankenhauskosten in feststehender Höhe zu tragen, überhaupt festgestellt wurde, weil die beklagte Knappschaft sich auch ohne Zwang der Rechtskraft eines solchen Feststellungsurteils gebeugt hätte.
Eine solche Verpflichtung der Beklagten besteht jedoch nicht. Familienkrankenpflege ist nach § 205 RVO für unterhaltsberechtigte Ehegatten und Kinder dann zu gewähren, "wenn diese ... nicht anderweit einen gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege haben". Die Ehefrau des Klägers hatte aber einen solchen Anspruch gegenüber der AOK Wattenscheid aus ihrer eigenen Krankenversicherung als Rentnerin. Wenn sie auch mit Krankenhauspflege bereits ausgesteuert war, so bestand doch ihr Anspruch auf Krankenpflege fort; demgemäß hat sie auch für die streitige Zeit gemäß Abschnitt III des Erlasses vom 2. November 1943 (AN II 487) als Abgeltung für die gesamte Krankenpflege den Betrag von 1,- DM täglich erhalten. Wie aber der Senat bereits in seinem Urteil vom 9. Februar 1961 - 5 RKn 60/59 - (BSG 14, 22) ausgeführt hat, entfällt die Familienkrankenhilfe nicht erst dann, wenn der Familienangehörige einen eigenen, sich vollinhaltlich mit den auf der Familienkrankenhilfe beruhenden Leistungen deckenden Anspruch hat, sondern auch schon dann, wenn jene Leistungen geringer sind (BSG 14, 24). Der Senat hat sich hierbei auf den Grundsatz der "Unteilbarkeit der Leistungen" in der Krankenversicherung berufen, der es nicht zuläßt, daß für einen aus verschiedenen versicherungsrechtlichen Beziehungen Berechtigten Ansprüche jeweils dort erhoben werden, wo dies für die einzelne in Frage kommende Leistung am günstigsten erscheint. Eine Ausnahme wird nur für den - hier nicht vorliegenden - Fall anerkannt, daß eine gesetzliche Regelung die Gewährung ganzer Leistungsarten ausschließt, so daß die Versicherung nur eine "Teilversicherung" darstellt. Hierfür spricht auch der Wortlaut des § 205 RVO, wonach die Familienkrankenhilfe ausgeschlossen ist, "wenn" - nicht "soweit" - anderweit ein gesetzlicher Anspruch auf Krankenpflege besteht.
Das LSG bezieht sich demgegenüber auf die Entscheidung des 3. Senats vom 4. Juli 1962 (BSG 17, 186), die in Anlehnung an die Grundsätzliche Entscheidung des Reichsversicherungsamts (RVA) Nr. 5363 (AN 1940, 179) den Anspruch eines Versicherten auf Familienhilfe für ein unterhaltsberechtigtes Kind auch dann als begründet ansieht, wenn das Kind wegen der gleichen Krankheit bereits aus eigener Versicherung Leistungen bis zur Aussteuerung erhalten hat. Dort war aber das Kind nach der Aussteuerung bereits aus der eigenen Krankenversicherung ausgeschieden, bevor die neue stationäre Behandlung notwendig wurde. Es ging hier also nicht mehr um die Frage, ob die Krankenversicherung des unterhaltspflichtigen Vaters ihn auf eine noch laufende eigene Versicherung des kranken Kindes verweisen konnte, sondern darum, ob die dem Kinde während dessen eigener Versicherung gewährte Krankenhauspflege, die es bis zur Aussteuerung erhalten hatte, auf die wegen der gleichen Krankheit erstrebte Familienhilfe anzurechnen war. Nach Ansicht des erkennenden Senats kommt es aber auf die zweite Frage entscheidend nicht mehr an, wenn überhaupt noch ein gesetzlicher Anspruch auf Krankenpflege, wenn auch in beschränktem Umfang, aus eigener Versicherung besteht.
Indessen hat auch der 3. Senat die in dem o. a. Urteil niedergelegte Auffassung mit seinem Urteil vom 10. Februar 1965 - 3 RK 61/60 - (SozR RVO § 205 Nr. 18) inzwischen aufgegeben. Das den Versicherungsfall begründende Ereignis bei der Familienkrankenpflege sei dasselbe wie bei der Versichertenkrankenpflege, nämlich der Eintritt der Erkrankung; dieser Zeitpunkt müsse daher für die Beurteilung der Leistungsverpflichtung zur Familienkrankenpflege als maßgebend angesehen werden. Der Anspruch auf Familienkrankenhilfe sei demnach ausgeschlossen, wenn der Familienangehörige zu diesem Zeitpunkt anderweit einen gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege gehabt habe. Das sei aber der Fall, wenn sich die Leistungsarten beider Versicherungen deckten. Demgegenüber sei der Umstand, daß die Ansprüche auf Krankenpflege und Familienkrankenpflege zwei getrennten Versicherungsverhältnissen mit je eigenen Beiträgen entsprängen und die Anspruchsberechtigten verschieden seien, nicht von entscheidender Bedeutung. Mit Recht weist der 3. Senat in diesem Zusammenhang darauf hin, daß das Gesetz die Familienkrankenpflege nur unter einer Reihe von Vorbehalten gewährt und insbesondere ihre Subsidiarität gegenüber anderen gesetzlichen Ansprüchen auf Krankenpflege bestimmt hat. Das Urteil hebt ferner hervor, daß die der GE Nr. 5363 zugrunde liegenden Billigkeitserwägungen inzwischen mit der Verbesserung des Leistungsrechts weitgehend weggefallen sind. Bei Weitergeltung der früheren Auffassung würde die zeitliche Begrenzung der Krankenhauspflege sich auf Versicherte, die unterhaltsberechtigte Familienangehörige sind, überhaupt nicht mehr auswirken; das würde aber weit über das mit der Familienkrankenpflege gesteckte Ziel hinausgehen, diese Familienangehörigen mangels einer entsprechenden Sicherung an dem Schutz der Krankenversicherung teilhaben zu lassen. Schließlich wird in dem genannten Urteil noch darauf hingewiesen, daß in Fällen wie dem vorliegenden zwei Krankenkassen für die Abwicklung des gleichen Versicherungsfalles zuständig wären; die auf Grund eigener Versicherung in Anspruch genommene Krankenkasse hätte Krankenpflege in Gestalt des Abgeltungsbetrages, die Krankenkasse des Unterhaltspflichtigen Krankenpflege in Gestalt der Krankenhauspflege zu gewähren. Mit Recht wird hierzu ausgeführt, man könne dieser Schwierigkeit nicht durch den Ausschluß des Anspruchs aus der eigenen Versicherung begegnen, weil dadurch das Verhältnis zwischen dem vorrangigen Anspruch aus eigener Versicherung und dem subsidiären Anspruch auf Familienkrankenpflege auf den Kopf gestellt würde.
Da der Kläger demnach keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Familienkrankenpflege für seine Ehefrau hatte, kann er von ihr Erstattung der Krankenhauskosten nicht verlangen. Deshalb war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückzuweisen, wobei sich die Abweisung allerdings nunmehr auf den in der Berufungsinstanz gestellten Feststellungsantrag (s. o.) bezieht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Entscheidung ergeht nach § 124 Abs. 2 in Verbindung mit § 153 und § 165 SGG ohne mündliche Verhandlung, nachdem die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben.
Fundstellen