Leitsatz (amtlich)
Vorschüsse auf Renten aus der Unfallversicherung stehen iS des RKG § 75 Abs 4 (RVO § 1278 Abs 4) grundsätzlich der Rentenzahlung gleich (Anschluß an BSG 1965-01-28 4 RJ 49/63 = SozR Nr 6 zu § 1278 RVO). Jedoch können "Vorschüsse" der Berufsgenossenschaft auf die Witwenbeihilfe (RVO § 595a aF), die unter Vorbehalt der Anrechnung auf eine gegebenenfalls zu gewährende Unfall-Witwenrente gezahlt wurden, nicht das teilweise Ruhen einer Witwenrente aus der Rentenversicherung zum 1957-01-01 bewirken, wenn die Zahlung bereits im Jahre 1953 abgeschlossen worden ist, die Berufsgenossenschaft alsdann die Gewährung der Witwenrente abgelehnt, über die Leistung der Witwenbeihilfe Abrechnung erteilt und erst vom Jahre 1960 an - nachdem sie zur Gewährung der Witwenrente verurteilt worden war - weitere Zahlungen geleistet hat.
Normenkette
RKG § 75 Abs. 4 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1278 Abs. 4 Fassung: 1957-02-23, § 595a Abs. 1 Fassung: 1925-07-14
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. März 1963 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten der Revisionsinstanz zu erstatten.
Gründe
I
Der Ehemann der Klägerin, der von der Bergbau-Berufsgenossenschaft (BBG) eine Unfallteilrente von zuletzt 60 v. H. der Vollrente bezog, ist am 12. Juni 1952 gestorben. Die BBG lehnte mit Bescheid vom 16. September 1953 die Gewährung einer Witwenrente aus der Unfallversicherung (UV) ab, zahlte der Klägerin aber die Witwenbeihilfe von 1.800,- DM in den Jahren 1952/1953 in Teilbeträgen aus. Nachdem sie im sozialgerichtlichen Verfahren zur Gewährung der Hinterbliebenenrente verurteilt worden war, zahlte sie dann der Klägerin am 19. März und am 19. Mai 1960 Vorschüsse auf die Witwenrente in Höhe von je 500,- DM und stellte mit Bescheid vom 27. Mai 1960 die erhöhte Witwenrente aus der Unfallversicherung rückwirkend vom 12. Juni 1952 an fest.
Von der beklagten Ruhrknappschaft bezog die Klägerin gemäß Bescheid vom 14. Juli 1952 seit dem 1. Juli 1952 die Witwenvollrente aus der knappschaftlichen Rentenversicherung. Die Rente, die ohne Anwendung von Ruhensvorschriften ausgezahlt worden war, wurde mit Bescheid vom 9. September 1958 auf das seit dem 1. Januar 1957 geltende Recht umgestellt. Nachdem die Beklagte von der BBG über den Ausgang des Unfallrenten-Streitverfahrens und die Vorschußzahlung vom 19. März 1960 unterrichtet worden war, zahlte sie die Rente der Klägerin, die sich seit dem 1. Januar 1960 auf 321,40 DM belief, in den Monaten April und Mai 1960 nur in Höhe von 141,90 DM aus und wies die Klägerin mit Schreiben vom 29. März 1960 auf die Pflicht hin, die entstandene Überzahlung zurückzuerstatten. Auf ihr Verlangen hin gab die Klägerin am 6. April 1960 die Erklärung ab, sie trete die aufgelaufenen Unfallrentenansprüche bis zur Höhe der entstandenen Überzahlung an die Beklagte ab, widerrief diese Erklärung aber mit Schreiben vom 2. Mai 1960.
Auf Grund der Mitteilung der BBG über die Höhe der Unfall-Witwenrente stellte die Beklagte die Witwenrente aus der knappschaftlichen Rentenversicherung vom 1. Januar 1957 an unter Anwendung der Ruhensbestimmungen neu fest, wobei sie eine Überzahlung in Höhe von 3.977,30 DM errechnete. Mit Bescheid vom 13. Juni 1960 forderte sie diesen Betrag von der Klägerin zurück; er wurde ihr von der BBG aus der aufgelaufenen Unfallrente überwiesen. Widerspruch und Klage gegen diesen Rückforderungsbescheid blieben erfolglos.
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Klägerin den angefochtenen Bescheid vom 13. Juni 1960 insoweit geändert, als ein Betrag von 3.894,30 DM zurückgefordert wird; es hat die Rückforderung nur in Höhe von 83,- DM als berechtigt angesehen. Zur Begründung hat das Berufungsgericht im wesentlichen ausgeführt: Das teilweise Ruhen der knappschaftlichen Witwenrente wegen des Bezuges der mit Bescheid vom 27. Mai 1960 festgestellten Unfall-Witwenrente sei nämlich nicht schon - wie die Beklagte meint - vom 1. Januar 1957, sondern erst vom 1. April 1960 an eingetreten. Als erste Auszahlung der Hinterbliebenenrente aus der UV im Sinne von § 75 Abs. 4 in Verbindung mit § 76 Abs. 5 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) sei die Vorschußzahlung vom 19. März 1960 anzusehen, nicht schon die am 2. Juli 1952 beginnende Zahlung von Teilbeträgen der Witwenbeihilfe, wenn diese auch später auf die zu zahlende Witwenrente aus der UV angerechnet worden seien. Sinn und Zweck des § 75 Abs. 4 RKG sei zu verhindern, daß dem Versicherten im Hinblick auf einen noch nicht realisierten Unfallrentenanspruch zeitweise schon diejenigen Mittel entzogen werden, auf die er im Ergebnis in jedem Fall Anspruch habe. Die Anwendung dieser Vorschrift auf Vorschußzahlungen enthalte eine Ausdehnung des Gesetzes auf einen anderen Tatbestand. Das sei unbedenklich, wenn laufende Vorschüsse auf eine dem Grunde nach unbestrittene Rente gezahlt würden, deren Höhe noch nicht durch Bescheid festgestellt werden könne. Eine extensive Anwendung dieser Vorschrift sei aber dann nicht möglich, wenn - wie hier - Zahlungen geleistet wurden, die zunächst gerade nicht als Rente gedacht seien und die auch der Höhe nach nur einen verhältnismäßig kurzen Rentenzahlungszeitraum deckten, ohne daß dann bis zur Anerkennung der Entschädigungspflicht der Träger der UV weitere Zahlungen geleistet habe. Wollte man die 1.800,- DM der gezahlten Witwenbeihilfe als Vorschuß auf die Witwenrente ansehen, so würde dieser Betrag nur einen Rentenzahlungszeitraum von 12 Monaten, also vom 12. Juni 1952 bis zum 11. Juni 1953 decken. In der Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum Februar 1960 sei daher keine Hinterbliebenenrente der Klägerin aus der UV mit ihrer Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zusammengetroffen. Das Ruhen der Rente sei somit kraft Gesetzes erst am 1. April 1960 eingetreten. Von diesem Zeitpunkt an seien ihr aber nur 83,- DM zuviel gezahlt worden. Den darüber hinaus zurückgeforderten Betrag könne die Beklagte auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Abtretung beanspruchen. Der Abtretungserklärung der Klägerin fehle die nach § 92 RKG i. V. m. § 119 der Reichsversicherungsordnung (RVO) erforderliche Genehmigung der Gemeindebehörde. Sie könne sich zudem nur auf Beträge beziehen, für die die Beklagte einen Rückforderungsanspruch habe.
Mit der Revision rügt die Beklagte die unrichtige Anwendung des § 75 Abs. 4 RKG. Maßgeblich für die Anwendung der Ruhensvorschriften sei die Zahlung der Vorschüsse auf die Witwenbeihilfe. Diese Zahlungen, die auch als Vorschüsse auf eine etwa zustehende Witwenrente gelten müßten, hatten am 2. Juli 1952 begonnen. Der Klägerin sei ausdrücklich mitgeteilt worden, daß diese Vorschüsse auf die Witwenbeihilfe unter dem Vorbehalt der Anrechnung auf die ggf. festzusetzende Rente gezahlt würden. Da diese Leistungen von insgesamt 1.800,- DM bei der späteren Rentenfeststellung auch tatsächlich verrechnet worden seien, müsse man - rückschauend gesehen - zu dem Ergebnis kommen, die Klägerin habe mit der Zahlung vom 2. Juli 1952 zum ersten Male einen Vorschuß auf die Unfall-Witwenrente erhalten. Nach Sinn und Zweck der Ruhensvorschriften müsse aber die Zahlung eines Vorschusses auf die noch festzustellende Unfallrente der tatsächlichen Gewährung der Unfallrente gleichgesetzt werden. Anderenfalls ergebe sich ein Doppelbezug von Leistungen der Sozialversicherung aus demselben Leistungsgrund, den der Gesetzgeber aber habe verhindern wollen. Das teilweise Ruhen der Rente sei deshalb bereits seit dem 1. Januar 1957 eingetreten, so daß die Klägerin einen Betrag von 3.977,30 DM zu Unrecht empfangen habe, der nach § 90 RKG gegen die laufende Witwenrente habe aufgerechnet werden können. Die Abtretungserklärung der Klägerin gelte als Zahlungsauftrag gegenüber der BBG.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) Gelsenkirchen vom 9. Mai 1961 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.
II
Die durch ausdrückliche Zulassung des LSG nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, daß das teilweise Ruhen der Witwenrente der Klägerin aus der gesetzlichen Rentenversicherung erst seit April 1960, nicht schon seit Januar 1957 eingetreten ist. Nach § 76 RKG ruht eine solche Rente zu einem gewissen Teil, wenn sie mit einer Witwenrente aus der gesetzlichen UV zusammentrifft. Nach der gemäß § 76 Abs. 5 RKG entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 75 Abs. 4 RKG wird aber die Rente unverkürzt bis zum Ende des Monats gewährt, in dem die Rente aus der gesetzlichen UV zum ersten Male ausgezahlt wird. Durch das teilweise Ruhen der Rente wollte der Gesetzgeber, wie die Beklagte mit Recht betont, den Doppelbezug von Leistungen der Sozialversicherung aus demselben Leistungsgrund verhindern oder doch einschränken. Er nimmt aber - wie aus § 75 Abs. 4 RKG eindeutig hervorgeht - diesen sozialpolitisch unerwünschten Zustand für die Zeit bis zur tatsächlichen Zahlung der Rente aus der UV bewußt in Kauf. Die Anordnung, daß die Rente bis dahin "unverkürzt ... gewährt", nicht etwa nur "vorläufig unverkürzt gezahlt" wird, hat unvermeidlich zur Folge, daß auch eine rückwirkende Feststellung der Rente aus der UV für diesen Zeitraum keinen Einfluß mehr auf die knappschaftliche Rente haben kann, daß dem Rentenempfänger also die knappschaftliche Rente in voller Höhe verbleiben soll, obwohl ihm die UV-Rente für den gleichen Zeitraum nachgezahlt wird. Entscheidend für die Frage nach dem Beginn der Ruhenswirkung ist daher die Feststellung, wann die Rente aus der UV zum ersten Mal ausgezahlt worden ist. Da das LSG - von der Klägerin nicht angefochten - die Vorschußzahlung im März 1960 bereits als Zahlung dieser Art berücksichtigt hat, kämen als frühere Zahlungen nur noch diejenigen aus den Jahren 1952/1953 in Frage.
Der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat in seinem Urteil vom 28. Januar 1965 - 4 RJ 49/63 - (SozR RVO § 1278 Nr. 6) entschieden, daß Vorschüsse auf die Unfallrente im Sinne des § 1278 Abs. 4 RVO (der dem § 75 Abs. 4 RKG entspricht) der Unfallrente gleichstehen, daß allerdings vor Auszahlung der Unfallrente für die Berechnung des ruhenden Teils nur die Vorschußbeträge zu berücksichtigen sind. Der Senat hat keine Bedenken, sich dieser Entscheidung, die der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts (GE 3992 = AN 1931, 78) entspricht, anzuschließen, soweit es sich um echte Vorschüsse handelt, d. h. um eine Erfüllungsvorleistung, die in Erwartung einer noch nicht fälligen oder noch nicht geklärten Schuld bewirkt wird (BSG aaO). Im vorliegenden Fall hat die BG aber vor März 1960 keine Vorschüsse dieser Art auf die Hinterbliebenenrente, sondern "Vorschüsse" - richtiger gesagt: Teilzahlungen - auf die Witwenbeihilfe nach § 595 a RVO aF gezahlt. Diese einmalige Leistung, die gerade voraussetzt, daß ein Anspruch auf Witwenrente nicht besteht, und die selbst weder eine Rente ist noch etwa den Charakter einer Rentenabfindung hat, bewirkt aber kein Ruhen der Witwenrente aus der Rentenversicherung. Die Zahlung dieser Beihilfe ist auch nicht schon allein deshalb als Vorschuß auf die Witwenrente anzusehen, weil sie später bei der nachträglichen Feststellung dieser Rente in Anrechnung gebracht wurde. Man wird allerdings der Situation der BG bei Ungewißheit darüber, ob die Witwenrente oder nur die Witwenbeihilfe zu gewähren ist, dadurch Rechnung tragen müssen, daß man ihr einräumt, Zahlungen zu leisten, die primär als Teilzahlungen auf die Witwenbeihilfe, hilfsweise aber als Vorschüsse auf die etwa zu gewährende Witwenrente gelten sollen. Es kann dahinstehen, ob diese alternative Bedeutung besonders zum Ausdruck gebracht werden muß und ob das hier geschehen ist. Denn der alternative Charakter dieser Zahlungen ist jedenfalls dadurch wieder weggefallen, daß die BG, nachdem ihre "Vorschüsse" im Juli 1953 den vollen Betrag der Witwenbeihilfe genau erreicht hatten, die Zahlung eingestellt und der Klägerin zunächst einen Bescheid über die Ablehnung der Witwenrente und dann eine Abrechnung über die bereits gezahlte Beihilfe erteilt hat. Da der Betrag der Witwenbeihilfe (Zweifünftel des Jahresarbeitsverdienstes) dem Einjahresbetrag der Witwenrente entsprach (§§ 588 Abs. 1 Satz 2, 595 a Abs. 1 RVO aF), konnte die BG auch nicht davon ausgehen, dieser Betrag sei als Rentenvorschuß für eine wesentlich längere Zeit aufzufassen. Sie hätte daher, wenn sie wirklich echte Vorschüsse auf die Witwenrente erbringen wollte, nach Ablauf der Zeit, für die die geleisteten Zahlungen noch als Rentenvorschüsse angesehen werden konnten, weitere Zahlungen über den Betrag der Witwenbeihilfe hinaus leisten müssen. Die endgültige Einstellung der Zahlungen bis zur späteren rechtskräftigen Verurteilung läßt erkennen, daß sie tatsächlich nur ihre vermeintliche Pflicht zur Zahlung der Witwenbeihilfe erfüllen, nicht aber echte Vorschüsse auf die Witwenrente leisten wollte.
Selbst wenn man aber unter diesen Umständen die Zahlungen in den Jahren 1952 und 1953 überhaupt noch als Vorschüsse, die der Rentenzahlung im Sinne des § 75 Abs. 4 RKG gleichzustellen wären, ansehen würde, so hätten sie sich doch im vorliegenden Fall auf den Beginn des Ruhens nicht mehr auswirken können. Hier kommt nämlich ein Ruhen nur für die umgestellte Witwenrente, also für die Zeit seit dem 1. Januar 1957 in Betracht. Zu diesem Zeitpunkt jedenfalls war aber die Leistung der BG eindeutig und endgültig bereits seit langem abgeschlossen. Die erst im März 1960 aufgenommene Zahlung echter Rentenvorschüsse stellt daher, weil eine Überbrückung durch zwischenzeitliche Zahlungen fehlt, keine Fortsetzung der Zahlungen aus den Jahren 1952 und 1953, sondern eine völlig neue Vorschußleistung dar, die das LSG zutreffend als erstmalige Auszahlung im Sinne des § 75 Abs. 4 RKG gewertet hat.
Die von der Beklagten veranlaßte Abtretungserklärung der Klägerin vom 6. April 1960 ist hierbei ohne Bedeutung. Sie enthält kein Anerkenntnis einer bestimmten Überzahlung und eines daraus resultierenden Rückforderungsanspruchs, sondern betrifft nur die Form der Realisierung eines solchen Anspruchs. Im Streit ist aber nicht die Form der Einziehung, sondern die Rechtmäßigkeit des erst mit Bescheid vom 13. Juni 1960 erhobenen Rückzahlungsanspruchs selbst.
Die Revision der Beklagten wurde daher zurückgewiesen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen