Orientierungssatz
Nach AVG § 65 Abs 2 (= RVO § 1288 Abs 2) findet eine Rechtsnachfolge nur statt, wenn der Berechtigte den Anspruch zu seinen Lebzeiten erhoben hat. Diese Vorschrift gilt für alle Leistungen der Rentenversicherung und schließt die Vererblichkeit bei anderen als den erhobenen Ansprüchen aus.
Normenkette
AVG § 65 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1288 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 25. Mai 1962 wird aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 21. November 1961 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 26. Mai 1961 ab 1. Januar 1961 die Witwenrente aus der Rentenversicherung ihres am 12. Januar 1961 verstorbenen Ehemannes; sie lehnte jedoch den Antrag der Klägerin, ihr auch das Altersruhegeld ihres Ehemannes für die Zeit von der Vollendung seines 65. Lebensjahres (22. Oktober 1959) bis zu seinem Tode zu gewähren, ab, weil der Versicherte zu seinen Lebzeiten keinen Anspruch erhoben habe und deshalb die Voraussetzungen für die "Bezugsberechtigung nach dem Tode des Berechtigten" nach § 65 Abs. 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) nicht erfüllt seien (Bescheid vom 11. Juli 1961).
Das Sozialgericht (SG) Hildesheim wies die Klage mit Urteil vom 21. November 1961 ab.
Auf die Berufung der Klägerin hob das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen durch Urteil vom 25. Mai 1962 das Urteil des SG Hildesheim und den Bescheid der Beklagten vom 11. Juli 1961 auf und verurteilte die Beklagte, das Altersruhegeld für den Versicherten vom Oktober 1959 bis Dezember 1960 an die Klägerin zu zahlen: Der Anspruch auf das Altersruhegeld nach § 25 Abs. 1 AVG entstehe mit der Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen und unterliege als Bestandteil des Vermögens auch dann der Vererbung, wenn er vorher nicht geltend gemacht worden sei. Das LSG ließ die Revision zu.
Die Beklagte legte gegen das Urteil des LSG Revision ein; sie beantragte,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 25. Mai 1962 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Hildesheim zurückzuweisen.
Sie rügte die Verletzung des § 65 Abs. 2 AVG.
Die Klägerin beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten erklärten sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1, 165 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden.
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG) und begründet.
Der Anspruch der Klägerin auf das Altersruhegeld ihres verstorbenen Ehemannes ist - entgegen der Auffassung des LSG - nicht begründet, weil der Versicherte selbst diesen Anspruch nicht geltend gemacht hat.
Zu der Frage, ob beim Tode des Versicherten das Recht, von dem Versicherungsträger Leistungen zu verlangen, auch dann auf die Rechtsnachfolger übergeht, wenn der Versicherte selbst die Leistung nicht beansprucht hat, hat der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) bereits in zwei Entscheidungen Stellung genommen. Er hat dabei im Anschluss an das zu § 1288 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ergangene Urteil des 4. Senats des BSG vom 18. Oktober 1961 (BSG 15, 157) entschieden, dass eine Rechtsnachfolge nur dann stattfindet, wenn der Berechtigte den Anspruch zu seinen Lebzeiten erhoben hat (Urteil vom 29. Januar 1963 - DAngVers 1963, 188 ff. - und Urteil vom 26. März 1963 - 1 RA 243/62 -). Der 1. Senat hat dies zu Recht aus § 65 Abs. 2 AVG geschlossen. Diese Vorschrift gilt für alle Leistungen (einmalige und wiederkehrende Leistungen) der Rentenversicherung und schließt die Vererblichkeit bei anderen als den erhobenen Ansprüchen aus. Wortlaut, Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten diese Auslegung.
Die Leistungen der Rentenversicherung werden grundsätzlich nur auf Antrag gewährt; sie sind geltend gemacht - und damit im Sinne von § 65 Abs. 2 AVG "erhoben" -, wenn der Antrag auf die Leistung bei einem deutschen Versicherungsträger oder einer anderen deutschen Behörde eingegangen ist (§ 204 AVG, §§ 1545 Abs. 1 Nr. 2, 1613 RVO). Nach dem Tode des Berechtigten gibt es keine Einleitung des Rentenverfahrens mehr, sondern nach § 65 Abs. 2 AVG nur die Fortsetzung eines vom Berechtigten bereits eingeleiteten Verfahrens hinsichtlich der bis zum Todestag fälligen Beträge. Hat der Berechtigte nicht durch ein Gesuch kundgetan, dass er eine bestimmte Leistung vom Versicherungsträger begehre, ist der Anspruch in seiner Hand verblieben; das Recht auf die Leistung ist in diesem Falle - ohne Rücksicht darauf, aus welchem Grund der Anspruch nicht geltend gemacht worden ist - mit dem Tode untergegangen; ein vererbliches Vermögensrecht ist insoweit nicht vorhanden. Es kommt nicht darauf an, ob der den Anspruch verfolgende Kläger Sonderrechtsnachfolger nach § 65 Abs. 2 AVG oder Erbe nach §§ 1922 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist. Der Erbe kann insoweit keine günstigere Rechtsstellung beanspruchen als ein Sonderrechtsnachfolger. Beide können nicht das Rentenverfahren für einen Verstorbenen erstmals in Gang setzen.
Dies gilt auch dann, wenn es sich - wie hier - um ein Altersruhegeld nach § 25 Abs. 1 AVG handelt. Zwar ist der Antrag auf diese Leistung - anders als nach früherem Recht (§§ 41 AVG aF, 1286 Abs. 1 RVO aF) - jetzt für den Rentenbeginn nicht mehr von Bedeutung; der Anspruch als solcher entsteht vielmehr, sobald die Voraussetzungen des Gesetzes (Vollendung des 65. Lebensjahres und Erfüllung der Wartezeit nach § 25 Abs. 4 AVG) gegeben sind (Umkehrschluss aus § 67 Abs. 5 AVG). Es trifft deshalb zu, dass der Versicherte einen - wie das LSG sagt - "jederzeit realisierbaren Anspruch" auf die Gewährung des Altersruhegeldes hatte. Aber die Sonderrechtsnachfolger können nur die "fälligen Beträge" (§ 65 Abs. 2 AVG) beanspruchen; um die Fälligkeit der laufenden Rentenleistungen zu begründen, muss der Versicherte oder in seinem Namen der gesetzliche Vertreter (oder ein Beauftragter) tätig werden, indem er die Leistungen beim Versicherungsträger anfordert und damit den Anstoß für dessen Tätigwerden gibt. Der Versicherungsträger leitet das Rentenfeststellungsverfahren nicht von Amts wegen, sondern nur auf Antrag ein. An diesem in § 1545 Abs. 1 Nr. 2 RVO enthaltenen Erfordernis hat die Neuordnung der Rentenversicherung durch die Renten-Neuregelungsgesetze nichts geändert. Der Antrag auf Einleitung des Rentenfeststellungsverfahrens muss - wie auch ein Umkehrschluss aus der Ausnahmevorschrift in § 1537 RVO zeigt - zu Lebzeiten des Versicherten gestellt werden. Erst mit dieser Antragstellung, die im freien Belieben des Versicherten steht, ist der Anspruch erhoben und beginnt die Vererblichkeit der aus ihm erwachsenen und bis zum Todestag fällig werdenden Leistungen. Die Vererblichkeit tritt dagegen nicht ein, wenn der Antrag zu Lebzeiten des Versicherten unterblieben ist.
Es besteht kein Anlass zu der Annahme, das Gesetz habe mit dem Wegfall des Antrags als Voraussetzung für den Rentenbeginn die Vererblichkeit einzelner Rentenansprüche (Altersruhegeld nach § 25 Abs. 1 AVG, Hinterbliebenenrente) abweichend von derjenigen anderer und hinsichtlich ihres Beginns nach wie vor von der Antragstellung abhängiger Rentenansprüche (Altersruhegeld nach § 25 Abs. 2 und 3 AVG, Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit) regeln wollen. Dagegen spricht die allgemeine Fassung des § 65 Abs. 2 AVG. Diese Vorschrift stimmt - bis auf wenige hier nicht in Betracht kommende Einzelheiten - inhaltlich überein mit dem bis zum 31. Dezember 1956 geltenden Recht (§ 41 AVG aF, § 1292 RVO aF), unter dessen Geltung der Antrag auf die Leistung allgemein den Beginn der Rente bestimmt (§ 41 AVG aF, § 1286 RVO aF). Hätte das Gesetz hinsichtlich der Vererblichkeit bei einzelnen Rentenansprüchen vom 1. Januar 1957 an eine vom bisherigen Recht abweichende Regelung treffen wollen, so hätte dies in § 65 Abs. 2 AVG zum Ausdruck kommen müssen. Dies ist aber nicht geschehen.
Der Anspruch auf das Altersruhegeld nach § 25 Abs. 1 AVG ist auch nicht schon dann als "wirksam erhoben" anzusehen, wenn der Versicherte bei erfüllter Wartezeit von 180 Kalendermonaten das 65. Lebensjahr vollendet hat. Für eine derartige Fiktion bietet das Gesetz keinen Anhalt. Ein Untätigbleiben des Versicherten kann nicht einem positiven Tun gleichgestellt werden. Erst wenn der Versicherte durch einen Antrag im Sinne von § 1545 Abs. 1 Nr. 2 RVO zu erkennen gibt, dass er die Leistung vom Versicherungsträger beanspruche, ist sein Rentenanspruch zu einem Vermögensrecht geworden, das im Rahmen des § 65 Abs. 2 AVG oder, falls Bezugsberechtigte im Sinne dieser Vorschrift nicht vorhanden sind, nach den Vorschriften des § 1922 ff. BGB vererblich ist. Der erkennende Senat schließt sich nach erneuter Prüfung der Rechtslage der Rechtsauffassung des 1. Senats auch insoweit an, als dieser ausgeführt hat, dass die gesetzliche Regelung keinen Widerspruch mit dem Grundgesetz (GG), insbesondere keinen Verstoß gegen Art. 14 des GG enthalte (Urteil vom 26. März 1963 - 1 RA 243/62 -).
Die "beschränkte Vererblichkeit" der Leistungsansprüche der gesetzlichen Rentenversicherung ist auch - unbeschadet der vom LSG erwähnten Sonderregelungen - keine Besonderheit des allgemeinen öffentlichen Leistungsrechts. Ist die Leistung - wie dies bei öffentlich-rechtlichen Berechtigten im Zweifel der Fall ist - höchstpersönlicher Natur in dem doppelten Sinn, dass sie nur auf Antrag des Berechtigten selbst (nicht seines Rechtsnachfolgers oder eines Dritten) gewährt wird und dass sie, soweit sie in wiederkehrenden Einzelleistungen besteht, nur für die Zeit gewährt wird, die der Berechtigte selbst erlebt, dann darf der begünstigende Verwaltungsakt, der diese Leistung feststellt, nach dem Tode des Berechtigten nur ergehen, wenn der Antrag von dem Berechtigten selbst vorher gestellt worden ist (vgl. auch Haueisen, Die Einbeziehung Dritter in öffentlich-rechtliche Unterordnungsverhältnisse, DVBl 1962 S. 547, 549 Anm. 14). So sind auch Ansprüche auf Unterhaltshilfe und Kriegsschadenrente als "grundsätzlich höchstpersönlich" nur dann vererblich, wenn sie der Berechtigte durch Antragstellung geltend gemacht hat (vgl. hierzu Kühne/Wolff, Die Gesetzgebung über den Lastenausgleich, Ausgabe B 1961, Anm. 1 a zu § 287 LAG, sowie die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Nr. 3, 12, 13, 15 und 16 zu § 229 LAG). Ebenso ist ein Anspruch des Beschädigten auf Leistungen aus der Kriegsopferversorgung grundsätzlich nur vererblich, wenn der Beschädigte ihn geltend gemacht hat (vgl. auch Urteil des BSG vom 25. Juni 1964 - 10 RV 275/62).
Da das LSG die Rechtslage sonach nicht zutreffend beurteilt hat, ist sein Urteil auf die Revision der Beklagten aufzuheben; die Berufung der Klägerin gegen das - die Klage abweisende - Urteil des SG ist zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen