Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 29.03.1976)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. März 1976 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Anzeige über witterungsbedingten Arbeitsausfall am 7. Januar 1975 auf einer Baustelle der Klägerin rechtzeitig erstattet worden ist.

Die Klägerin betreibt in Koblenz-Ehrenbreitstein ein Unternehmen des Baugewerbes. In ihrem Betrieb obliegt es dem kaufmännischen Angestellten G. ua, die Anzeigen über witterungsbedingten Arbeitsausfall zu erstellen und die tägliche Post des Unternehmens auf den Postweg zu bringen. Am Dienstag, dem 7. Januar 1975, fiel auf der Baustelle der Klägerin „Haupt schule Andernach” für acht ihrer Arbeitnehmer die Arbeit aus witterungsbedingten Gründen aus. Am Samstag, dem 11. Januar 1975 (letzter Arbeitstag der betreffenden Kalenderwoche), erstellte der Angestellte G. die Sammelanzeige über witterungsbedingten Arbeitsausfall für die Woche vom 6. Januar bis 11. Januar 1975 auf dem Formblatt der Bundesanstalt für Arbeit (BA). Er unterschrieb selbst die Anzeige und machte den an das zuständige Arbeitsamt Mayen adressierten Briefumschlag mit dem Datum der Frankiermaschine vom 11. Januar 1975 frei. Der Angestellte G warf den Brief auf dem Heimweg von der Arbeit gegen 16.00 Uhr in einen Briefkasten in der Trierer Straße in Koblenz-Metternich (in der Nähe seiner Wohnung), der samstags zuletzt um 12.15 Uhr und dann erst wieder montags um 10.45 Uhr geleert wird. In Koblenz-Metternich befinden sich sechs sog. Schwerpunktbriefkästen mit Sonntags- und Nachtleerung, die durch einen roten Punkt gekennzeichnet sind, davon drei in der Trierer Straße. Der die Anzeige enthaltende Brief erhielt den Poststempel vom 13. Januar 1975 (Montag), 13.00 Uhr; er ging am 14. Januar 1975 (Dienstag) beim Arbeitsamt Mayen ein.

Mit Bescheid vom selben Tage lehnte die Beklagte die Zahlung von Schlechtwettergeld (SWG) ab, weil die Anzeige nicht rechtzeitig erstattet worden sei. Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 1975).

Mit Urteil vom 8. September 1975 hat das Sozialgericht (SG) Koblenz die Klage abgewiesen.

Die Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz durch Urteil vom 29. März 1976 zurückgewiesen. Das LSG hat im wesentlichen ausgeführt: Nach § 84 Abs. 1 Nr. 3 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) werde SWG nur gewährt, wenn der Arbeitsausfall dem Arbeitsamt unverzüglich angezeigt werde. An der Unverzüglichkeit fehle es. Die Sammelanzeige habe der Arbeitgeber am letzten Arbeitstag der Kalenderwoche auf dem Vordruck der BA zu erstatten (§ 15 Abs. 3 der Anordnung des Verwaltungsrates der BA über die Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft – Winterbau-Anordnung – WA vom 4. Juli 1972, ANBA S. 511). Von der in § 89 Satz 2 Nr. 1 AFG enthaltenen Ermächtigung, auf das Erfordernis der Unverzüglichkeit zu verzichten, sei in § 15 Abs. 3 WA kein Gebrauch gemacht worden. Die Klägerin habe die Anzeige zwar rechtzeitig erstellt und auf den Postweg gebracht, die Postlaufzeit aber in vermeidbarer Weise verlängert. Das Verschulden ihres Angestellten G., der den Brief in einen Schwerpunktbriefkasten hätte werfen müssen, sei der Klägerin zuzurechnen.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 84 Abs. 1 Nr. 3, 89 Satz 1 AFG iVm §§ 14, 15 WA, §§ 106, 128, 157 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sowie § 278 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Sie macht geltend, daß bei einer Sammelanzeige nicht die Erstattung am letzten Arbeitstag der Kalenderwoche wesentlich sei, sondern der Eingang beim Arbeitsamt am Montag der folgenden Woche, unabhängig davon, ob der Anzeigende am Freitag, Samstag, Sonntag oder sogar erst am Montag handele. § 15 Abs. 3 WA enthalte im Gegensatz zu § 14 Abs. 3 WA nicht mehr den Begriff „unverzüglich”. Der Zweck der Anzeige erfordere nicht einmal, daß diese unbedingt schon am Montag beim Arbeitsamt eingehen müsse. Jedenfalls habe sie als Arbeitgeber nur dafür zu sorgen, daß die Anzeige rechtzeitig der Post zur Beförderung übergeben werde. Mit dem Einwurf in einen Briefkasten höre ihre Verantwortung insoweit auf. Ihr bzw ihrem Angestellten G. könne nicht zugemutet werden – noch dazu am Samstag nachmittag – größere Wegstrecken zurückzulegen, nur um einen Briefkasten mit Wochenendleerung ausfindig zu machen.

Die Klägerin beantragt (dem Sinne nach),

die Urteile des LSG Rheinland-Pfalz und des SG Koblenz aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides zu verurteilen, der Klägerin dem Grunde nach SWG für acht Aussetzer am 7. Januar 1975 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG.

Die Zurückverweisung ist geboten, weil gemäß § 75 Abs. 2 SGG die Beiladung des Betriebsrats der Klägerin erforderlich war. Der 7. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat bereits in einem Urteil vom 29. August 1974 – 7 RAr 17/72 – (BSGE 38, 94 = SozR 1500 § 75 Nr. 4) entschieden, daß im Verfahren über die Gewährung von Kurzarbeitergeld nach dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) die Betriebsvertretung notwendig beizuladen ist. Die dort aufgeführten Gründe gelten auch im Rahmen des Verfahrens zur Gewährung von SWG nach dem AFG. Der 7. Senat hat aus der Befugnis der Betriebsvertretung, anstelle des Arbeitgebers die Kurzarbeitsanzeige zu erstatten und den Antrag auf Lohnausfallvergütung zu stellen (§ 188 Abs. 1 und 2 AVAVG) gefolgert, daß der Betriebsvertretung im Rahmen der Gewährung von Kurzarbeitergeld die Stellung eines Prozeßstandschafters der betroffenen Arbeitnehmer eingeräumt worden ist und daß dieser verfahrensrechtlichen Stellung ein materiell-rechtliches Kontrollrecht entspricht, das seiner Art nach zu den Kontrollrechten nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes gehört. Die gleiche Auffassung hat der 7. Senat inzwischen auch für die Gewährung von SWG (§ 88 Abs. 1 und 2 AFG) und die Gewährung von Wintergeld –WG– (§ 81 Abs. 3 AFG) vertreten (SWG: Urteil vom 30. September 1975 – 7 RAr 94/73 und Urteil vom 21. Juni 1977 – 7 RAr 7/76 – [zur Veröffentlichung bestimmt] WG: Urteil vom 20. April 1977 – 7 RAr 55/75 –, zur Veröffentlichung bestimmt).

Der Senat schließt sich dieser Auffassung des 7. Senats an. § 88 Abs. 1 und 2 AFG räumen der Betriebsvertretung in gleicher Weise wie § 188 AVAVG und § 81 Abs. 3 AFG die Stellung eines Prozeßstandschafters ein, wobei dieser verfahrensrechtlichen Stellung ein materielles Kontrollrecht entspricht, das seiner Funktion nach den Rechten aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes zuzurechnen ist. Aufgrund dieses eigenständigen Rechts ist auch dort, wo der Betriebsrat von seinem Recht, als Prozeßstandschafter tätig zu werden, keinen Gebrauch macht, eine Beiladung notwendig, weil dieses Recht der Betriebsvertretung durch die Entscheidung des Rechtsstreits unmittelbar betroffen wird und deshalb eine Entscheidung auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen kann.

Das Unterlassen der notwendigen Beiladung nach § 75 Abs. 2 SGG ist bei einer zulässigen Revision von Amts wegen als Verfahrensmangel zu beachten (BSG SozR 1500 § 75 Nr. 1; Urteile des erkennenden Senats vom 16. Dezember 1976 – 12/3/12 RK 23/74 und vom 28. April 1977 – 12 RK 30/76). Da die Beiladung in der Revisionsinstanz nicht nachgeholt werden kann (§ 168 SGG), ist eine Zurückverweisung an das LSG geboten.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI926364

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