Leitsatz (amtlich)

Zu dem Rechtsstreit über die Frage, ob und in welchem Zweig der Rentenversicherung die Nebenbeschäftigung eines Mehrfach- Beschäftigten der Versicherungs- und Beitragspflicht unterliegt, ist der Arbeitgeber der Nebenbeschäftigung immer, der Arbeitgeber der Hauptbeschäftigung dann beizuladen (SGG § 75 Abs 2), wenn sich die gerichtliche Entscheidung unmittelbar auf die Versicherungs- und Beitragspflicht in der Hauptbeschäftigung auswirkt.

 

Normenkette

SGG § 75 Abs. 2

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 17. Oktober 1969 wird aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Der Kläger wendet sich gegen eine Beitragsforderung der Beklagten und begehrt die Feststellung, daß seine Zweitbeschäftigung nicht der Rentenversicherung der Arbeiter zuzuordnen sei.

Er ist seit Juli 1960 als Betriebsleiter bei der Firma G S in B im Angestelltenverhältnis tätig. Zeitweise arbeitete er auch für die Arbeitsgemeinschaft einiger Filmtheater in B.

Die Beklagte forderte von dem Kläger als Mehrfachbeschäftigten (§§ 1396 Abs. 2, 1405 Abs. 1 und 4 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) für die Zeit vom 1. Januar 1964 bis zum 31. Januar 1966 die Zahlung rückständiger Beiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter (Bescheid vom 18. April 1966, Widerspruchsbescheid vom 27. September 1966). In der (nicht überwiegenden) Nebenbeschäftigung habe der Kläger als Filmvorführer der Arbeiterrentenversicherung angehört. Damit sei auch in der Haupttätigkeit - wegen Unterschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze - keine Versicherungsfreiheit in der Angestelltenversicherung eingetreten.

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, daß das Beschäftigungsverhältnis des Klägers bei der Arbeitsgemeinschaft nicht der Arbeiterrentenversicherung zuzuordnen sei (Urteil vom 10. Januar 1969). Demgegenüber hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin die Bescheide der Beklagten wieder hergestellt und die Feststellungsklage abgewiesen (Urteil vom 17. Oktober 1969).

Mit der Revision rügt der Kläger neben anderen Verfahrensmängeln und der Verletzung materiellen Rechts, daß seine Arbeitgeber nicht zum Rechtsstreit beigeladen worden seien, obwohl dies notwendig gewesen sei (§ 75 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Die Revision des Klägers ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen ist.

Zutreffend rügt der Kläger, daß seine Arbeitgeber nicht zum Rechtsstreit beigeladen worden sind. Eine Beiladung ist im Sinne des § 75 Abs. 2 SGG notwendig, wenn die in dem Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung über das Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre eines Dritten unmittelbar eingreift (BSG 11, 262 = SozR Nr. 17 zu § 75 SGG). Unterbleibt in einem solchen Fall die Beiladung, so ist eine das Verfahren betreffende Vorschrift verletzt, auf deren Befolgung ein Beteiligter wirksam nicht verzichten kann (BSG 13, 217 = SozR Nr. 18 zu § 75 SGG). Bei Streitigkeiten über das Bestehen der Versicherungspflicht - mit der Folge der Beitragspflicht - zur Rentenversicherung sind Arbeitgeber und Versicherter notwendige Streitgenossen; gegenüber Arbeitgeber und Versichertem kann die Entscheidung nur einheitlich ergehen; die Beiladung des Arbeitgebers ist daher notwendig (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. I, S. 234 w, 234 w I und 234 w VI mit weiteren Nachweisen; Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Anm. 5 zu § 75 SGG, S. 258/8 - 29 -; siehe auch LSG Bremen in Breithaupt 1964, 628 mit weiteren Nachweisen).

Die Besonderheiten des vorliegenden Falles rechtfertigen keine andere Entscheidung. Das Urteil über die Anfechtungsklage greift unmittelbar in die Rechtssphäre des zweiten Arbeitgebers des Klägers ein. Der Kläger selbst muß zwar die von der Beklagten geforderten Beiträge entrichten (§ 1405 Abs. 1 RVO); sein Arbeitgeber aus der zweiten Beschäftigung hat ihm aber beim Bestehen der Versicherungs- und Beitragspflicht nach § 1405 Abs. 3 RVO den Arbeitgeberanteil zu zahlen (vgl. auch BSG in SozR. Nr. 32 zu § 75 SGG).

Die Entscheidung über die Feststellungsklage bedeutet darüber hinaus auch einen unmittelbaren Eingriff in die Rechtssphäre des ersten Arbeitgebers des Klägers. Mit dem Bestehen der Versicherungs- und Beitragspflicht in der Arbeiterrentenversicherung im zweiten Beschäftigungsverhältnis entfällt die Versicherungsfreiheit in der Angestelltenversicherung bezüglich des ersten Beschäftigungsverhältnisses. Unbeachtlich ist, daß diese Versicherungsfreiheit - teilweise - auch Gegenstand eines bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (Beigeladene zu 2) anhängigen Vorverfahrens ist.

Nach den §§ 168, 170 Abs. 2 Satz 2 SGG ist das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen. Bei seiner erneuten Entscheidung hat das LSG Gelegenheit, den übrigen Vortrag der Revision zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669015

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