Leitsatz (amtlich)
1. Die Anfechtung eines nicht förmlich zugestellten Beitragserstattungsbescheides kann Jahrzehnte nach Abwicklung der Beitragserstattung wegen unzulässiger Rechtsausübung ausgeschlossen sein.
2. Der Versicherte hat keinen Rechtsanspruch auf Rücknahme eines vor 1981 bindend gewordenen Beitragserstattungsbescheides, auch wenn dessen Rechtswidrigkeit darauf beruht, daß die bei der Beitragserstattung nicht berücksichtigten Beiträge zu einem anderen Versicherungsträger die Beitragserstattung ausgeschlossen hätten (Anschluß an BSG vom 22.3.1984 - 11 RA 22/83 = SozR 1300 § 45 Nr 7).
Normenkette
RVO § 1303 Fassung: 1957-02-23; AVG § 87 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1744 Abs 1 Nr 6; BGB § 242; SGB 10 § 45 Abs 2
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 11.03.1987; Aktenzeichen L 4 An 14/86) |
SG Schleswig (Entscheidung vom 15.08.1985; Aktenzeichen S 3 An 23/84) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rückgängigmachung einer früheren Beitragserstattung.
Der 1927 geborenen Klägerin war von der Beklagten mit Bescheid vom 19. November 1959 auf entsprechenden Antrag die Hälfte der in der Zeit von Mai 1951 bis 15. Oktober 1955 entrichteten Pflichtbeiträge zur Angestelltenversicherung (325,10 DM) erstattet worden. Dabei war unberücksichtigt geblieben, daß die Klägerin außerdem für die Zeit von April 1944 bis Januar 1951 auch Pflichtbeiträge zur Arbeiterrentenversicherung entrichtet hatte, die die Beitragserstattung ausgeschlossen hätten (§ 82 Abs 1 Angestelltenversicherungsgesetz -AVG- in der seit 1. Januar 1957 geltenden Fassung). Der damalige Aktenvorgang der Beklagten ist inzwischen vernichtet.
Im März 1982 beantragte die Klägerin Zulassung der Wiedereinzahlung der erstatteten Beiträge mit der Begründung, der Erstattungsbescheid sei im Hinblick auf die zur Arbeiterrentenversicherung entrichteten Beiträge rechtswidrig gewesen. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 1. September 1982 von der Beklagten abgelehnt und außerdem festgestellt, daß auch die zur Arbeiterrentenversicherung entrichteten Beiträge verfallen seien. Widerspruch und Klage, mit der die Klägerin sinngemäß beantragte, die Beklagte zur Rücknahme des Erstattungsbescheids zu verpflichten, hilfsweise festzustellen, daß die zur Arbeiterrentenversicherung entrichteten Beiträge zu Recht entrichtet und nicht verfallen seien, hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 27. März 1984; Urteil des Sozialgerichts -SG- Schleswig vom 15. August 1985). Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) antragsgemäß den Erstattungsbescheid und die seine Rücknahme ablehnenden Bescheide aufgehoben (Urteil vom 11. März 1987) und im wesentlichen ausgeführt:
Der Erstattungsbescheid vom 19. November 1959 sei niemals bindend geworden. Es fehle am Nachweis seiner förmlichen Zustellung, die nach damaligem Recht erforderlich gewesen sei. Entgegen der Ansicht der Beklagten müsse auch nicht bis zum Beweis des Gegenteils davon ausgegangen werden, daß sich die Beklagte hinsichtlich der Zustellung an die jeweils geltenden Vorschriften gehalten habe; denn es sei gerichtsbekannt, daß es seinerzeit auch bei der Beklagten Verwaltungsbrauch gewesen sei, zwecks Portoersparnis stattgebende Bescheide den Antragstellern mit einfachem Brief zuzusenden. Deshalb bestehe keine hinreichend begründbare Veranlassung, im Falle der Klägerin etwas anderes anzunehmen. Der Mangel der Zustellung sei auch nicht dadurch geheilt worden, daß die Klägerin den durch einfachen Brief übersandten Erstattungsbescheid erhalten habe. Da mithin dieser Bescheid, den die Beklagte selbst als fehlerhaft erkannt habe, mangels förmlicher Zustellung aufhebbar geblieben sei, habe dem Aufhebungsantrag mit der Folge der Wiederherstellung des früheren Zustandes stattgegeben werden müssen. Damit würden auch die Bescheide vom 1. September 1982 und 27. März 1984 gegenstandslos, weil sie von der Unanfechtbarkeit des Bescheides vom 19. November 1959 ausgegangen seien.
Mit ihrer Revision macht die Beklagte geltend, das LSG sei zu Unrecht von der noch bestehenden Aufhebbarkeit des Erstattungsbescheides ausgegangen, weil es die inzwischen eingetretene Verwirkung des Anfechtungsrechts übersehen habe. In dem langjährigen Festhalten an der damaligen Verwaltungsentscheidung liege mehr als ein bloßer Zeitablauf; darin sei vielmehr eine fortdauernde Willensbetätigung zu sehen, es bei der durch Beitragserstattung entstandenen Lage zu belassen (Hinweis auf BSGE 34, 211). Es spreche alles dafür, daß die Klägerin 1959 mit der Erstattung vollständig einverstanden gewesen sei und damals eine Rückgängigmachung der Erstattung selbst bei Kenntnis eines Formmangels nicht gewollt hätte. Entschließe sich jemand erst nach Jahrzehnten unter anderen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen zur Auffüllung von Lücken in seinem Versicherungsleben, die er selbst vorher bewußt geschaffen habe, so hindere der bloße Sinneswandel die Geltendmachung eines Anspruchs, auf den sich der Betreffende aufgrund früheren Verhaltens gerade nicht habe berufen wollen.
Die Beklagte beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 15. August 1985 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision der Beklagten war das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das klagabweisende Urteil des SG zurückzuweisen.
Das LSG hat die - vom SG nicht zugelassene - Berufung zu Recht als zulässig angesehen, weil der Berufungsausschließungsgrund des § 144 Abs 1 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht eingreift. Die Berufung betrifft nicht einen Anspruch auf Beitragserstattung, also eine einmalige Leistung iS von § 144 Abs 1 Nr 1 SGG, sondern einen Anspruch auf Aufhebung eines Erstattungsbescheides mit der Folge der Wiederherstellung eines nach § 82 Abs 7 AVG erloschenen Versicherungsverhältnisses und damit der Verpflichtung der Beklagten zur Entgegennahme der erstatteten Beiträge (BSG SozR 2200 § 1303 Nr 12 S 32). Auch § 149 SGG schließt die Berufung nicht aus, weil es sich nicht um eine Streitigkeit wegen Rückerstattung von Beiträgen handelt; streitig ist vielmehr die Aufhebung eines Erstattungsbescheides mit dem Ziel der Wiederherstellung von Beitragszeiten.
In der Sache kann das Urteil des LSG schon deshalb nicht bestehen bleiben, weil es den Erstattungsbescheid auch bei Rechtswidrigkeit keinesfalls selbst aufheben durfte. Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes durch ein Gericht ist nur auf eine gegen den Verwaltungsakt gerichtete Anfechtungsklage zulässig (§ 54 Abs 1 SGG). Das Klagebegehren der Klägerin kann aber - ungeachtet ihrer Anträge in der Berufungsinstanz (vgl § 123 SGG) - nicht als Anfechtungsklage gegen den Erstattungsbescheid vom 19. November 1959 verstanden werden, weil eine solche Klage schon mangels Beschwer unzulässig gewesen wäre. Eine Anfechtungsklage ist - soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist - nur zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt beschwert zu sein (§ 54 Abs 1 Satz 2 SGG). Daran fehlt es hier, weil die Klägerin nicht behauptet, ihr hätten auf ihren Antrag weitere Beiträge erstattet werden müssen, sondern umgekehrt geltend macht, die Beitragserstattung sei rückgängig zu machen. Ist ihr im Verwaltungsverfahren alles gewährt worden, was sie beantragt hatte, fehlt es an der Beschwer. Dies gilt auch dann, wenn dem Antrag der Klägerin nicht stattgegeben werden durfte, weil die rechtlichen Voraussetzungen des § 82 Abs 1 AVG aF nicht erfüllt waren. Ist der Erstattungsbescheid - wovon beide Beteiligte ausgehen - rechtswidrig, kann er gleichwohl mangels Beschwer nicht angefochten werden, wenn dem Erstattungsbegehren in dem beantragten Umfang stattgegeben worden ist. Der Betroffene muß dann vielmehr bei der Verwaltung mit einem neuen Antrag die Beseitigung dieses Verwaltungsaktes geltend machen, und erst wenn dessen Rücknahme abgelehnt wird, kann er den Verwaltungsrechtsweg beschreiten (Eyermann-Fröhler, VwGO, § 42 RdNr 92). Gleiches gilt, wenn der Beitragserstattungsbescheid längst bindend geworden ist (§ 77 SGG), wovon der Senat, wie noch auszuführen sein wird, hier ausgeht; auch in diesem Fall kommt nach Verwaltungsverfahrensrecht nur noch eine Rücknahme des Erstattungsbescheides durch den zuständigen Versicherungsträger in Betracht (BSG SozR 1300 § 45 Nr 7 S 20); das ist hier die Beklagte, weil sie auch für die Erteilung des Erstattungsbescheides zuständig war (BSG aaO unter Bezugnahme auf BSGE 11, 69). Im Hinblick hierauf war für die Klägerin nur eine Klage sinnvoll, die die Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung des Erstattungsbescheides erstrebte. Eine solche Klage war auch vor dem SG erhoben worden; sie richtete sich gegen die Bescheide der Beklagten vom 1. September 1982 und 27. März 1984, mit denen diese die Aufhebung des Erstattungsbescheides abgelehnt hat. Mit ihr erstrebt die Klägerin zugleich die Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung (Rücknahme) des Erstattungsbescheides. Diese Anfechtungs- und Verpflichtungsklage kann allerdings keinen Erfolg haben, weil es für das Rücknahmebegehren an einer Rechtsgrundlage fehlt.
Seit dem 1. Januar 1981 richtet sich die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte vorrangig nach §§ 44 bis 47 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) vom 18. August 1980 (BGBl I 1469; zum Zeitpunkt des Inkrafttretens vgl Art 2 § 40 Abs 1 SGB 10). Der speziell für die Rücknahme rechtswidriger "nicht begünstigender Verwaltungsakte" geltende § 44 SGB 10 iVm Art 2 § 40 SGB 10 kommt als Anspruchsgrundlage für die begehrte Rücknahme nicht in Betracht, weil der Beitragserstattungsbescheid kein belastender Verwaltungsakt iS des § 44, sondern ein "begünstigender Verwaltungsakt" iS des § 45 SGB 10 ist. Dies hat der erkennende Senat bereits mehrfach entschieden (SozR 2200 § 1303 Nrn 23 und 26 und § 1744 Nr 17); der 11. Senat ist dem gefolgt (Urteil vom 22. März 1984 - 11 RA 9/83 - und SozR 1300 § 45 Nr 7). Der der Klägerin erteilte Beitragserstattungsbescheid hat einen - im Sinne der maßgebenden gesetzlichen Definition - rechtlich erheblichen Vorteil bestätigt, indem er dem damals geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der Beiträge in vollem Umfang entsprochen hat und es hier nur um die Aufhebung dieser Regelung, nicht aber um die Erstattung weiterer, nicht erstatteter Beiträge geht. Daß mit der auf eigenem Antrag beruhenden vorteilhaften Wiedererlangung der entrichteten Beiträge aufgrund von § 82 Abs 7 AVG auch nachteilige Folgen verbunden waren, insbesondere der Verfall der zurückgelegten Versicherungszeiten, steht der Annahme eines begünstigenden Verwaltungsakts iS von § 45 Abs 1 SGB 10 nicht entgegen. Das Gesetz stellt insoweit nur auf den Inhalt des Verwaltungsaktes ab und nicht auf die sonst damit verbundenen Folgen oder darauf, aus welchen Gründen der einzelne oder die Behörde die Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes betreibt.
Auch aus dem sonach heranzuziehenden § 45 SGB 10 kann die Klägerin indessen einen Rücknahmeanspruch nicht herleiten. Diese Vorschrift ist zwar - wie § 44 SGB 10 - nach Art 2 § 40 Abs 2 Satz 2 SGB 10 auch dann anzuwenden, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt - wie hier der Beitragserstattungsbescheid aus dem Jahre 1959 - vor dem 1. Januar 1981 erlassen worden ist. Nach dem sich auf begünstigende Verwaltungsakte iS des § 45 SGB 10 beziehenden (BSGE 54, 223, 229 = SozR 1300 § 44 Nr 3) Satz 3 des Art II § 40 Abs 2 SGB 10 sind jedoch Verwaltungsakte ausgenommen, die bereits bestandskräftig waren und bei denen auch nach § 1744 Reichsversicherungsordnung (RVO) in der vor dem 1. Januar 1981 geltenden Fassung eine neue Prüfung nicht vorgenommen werden konnte. Beide Voraussetzungen sind bei dem Erstattungsbescheid vom 19. November 1959 erfüllt. Das LSG ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß dieser Bescheid mangels der erforderlichen förmlichen Zustellung noch bis zum 31. Dezember 1980 nicht bestandskräftig und daher ungeachtet des § 1744 RVO "aufhebbar" war. Formell bestandskräftig bzw - was dem gleichsteht - bindend iS von § 77 SGG ist ein Verwaltungsakt dann, wenn er mit Rechtsbehelfen nicht mehr angegriffen werden kann, entweder weil die Rechtsbehelfsfristen verstrichen sind oder weil eine Anfechtungsklage rechtskräftig abgewiesen ist. Der Beitragserstattungsbescheid aus dem Jahr 1959 ist entgegen der Ansicht des LSG bereits vor dem 1. Januar 1981 unanfechtbar gewesen.
Zwar war - wie das LSG im einzelnen zutreffend und unangegriffen ausgeführt hat - mangels einer nachweisbar formgerechten Zustellung des Beitragserstattungsbescheides die Klagefrist nicht in Lauf gesetzt worden. Auch konnte dieser Formmangel bei der Bekanntgabe des Erstattungsbescheides nicht durch den Nachweis des tatsächlichen Zugangs als geheilt angesehen werden (BSGE 34, 211, 213/215). Die - bereits damals geltende - Vorschrift des § 9 Abs 1 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG), wonach ein Schriftstück, dessen formgerechte Zustellung nicht nachweisbar ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt gilt, in dem es der Empfänger nachweislich erhalten hat, greift hier nicht ein. Denn diese Vorschrift ist nach § 9 Abs 2 VwZG nicht anwendbar, wenn mit der Zustellung eine Frist ua für die Erhebung der Klage beginnt. Jedoch schließt diese Ausnahmeregelung, die ihren Grund darin hat, daß die Zustellung zur Vermeidung von Ungewißheit den Zeitpunkt des Fristbeginns genau festlegen soll (BSGE 34, 211, 215 mwN), nicht aus, daß der hier streitige Erstattungsbescheid aus dem Jahr 1959 gleichwohl - vor dem 1. Januar 1981 - bindend geworden sein kann.
Das LSG hat insoweit nicht berücksichtigt, daß auch Verfahrensrechte den Grundsätzen von Treu und Glauben unterliegen und deshalb z.B. verwirkt werden können (vgl die Nachweise in BSGE 34, 211, 213/214; BVerwGE 44, 294, 298; zur Anwendung von Treu und Glauben im Verfahrensrecht neuerdings auch das Urteil des erkennenden Senats vom 15. Oktober 1987 - 1 RA 57/85 -, zur Veröffentlichung vorgesehen). Das ist auch noch in der Revisionsinstanz zu beachten, wenn - wie hier - die dazu erforderlichen Tatsachen festgestellt sind. Verwirkung eines Rechts ist allerdings nur eine der unterschiedlichen Ausprägungen des Grundsatzes von Treu und Glauben, wobei die Ausübung eines Rechts auch aus anderen Gründen unzulässig sein kann als aus denen, die zu seiner Verwirkung führen. So gibt der vorliegende Sachverhalt Anlaß zu der Prüfung, ob nicht die Klägerin ihr Recht unzulässig ausgeübt hätte, wenn sie sich bei einer Anfechtungsklage rund zwei Jahrzehnte nach Abwicklung der Beitragserstattung und insbesondere der Entgegennahme der ausgezahlten Beträge - trotz Kenntnis von dem Erstattungsbescheid - darauf berufen hätte, daß ihr dieser nicht förmlich zugestellt worden sei. Dies hat der Senat bejaht, weil nach der gegebenen Situation davon auszugehen ist, daß die Klägerin eine Änderung der Erstattungsentscheidung im Hinblick auf die zur Arbeiterrentenversicherung entrichteten Beiträge nicht gewollt hätte, auch wenn sie den - erkennbaren - Formmangel bei der Zustellung dieses Bescheids wahrgenommen hätte. Ihrem Vorbringen in den Vorinstanzen, das durch die Bezugnahme des LSG auf die Gerichtsakten Gegenstand des Revisionsverfahrens ist, ist zu entnehmen, daß sie ihren zur Arbeiterrentenversicherung entrichteten Beiträgen wegen deren geringer Höhe seinerzeit keine Bedeutung beigemessen hatte und daher deren Berücksichtigung bei der Beitragserstattung und ihren Folgen für sie ohne Interesse war. Ob daraus und aus dem Inhalt des bei der Beitragserstattung zu verwendenden Formulars zu schließen ist, daß die Klägerin die zur Arbeiterrentenversicherung entrichteten Beiträge seinerzeit bereits bei der Antragstellung nicht angegeben hatte und damit die rechtswidrige Beitragserstattung selbst verursacht hat, bedarf hier keiner weiteren Erörterung. Jedenfalls liegt in dem langjährigen Festhalten an der getroffenen Erstattungsentscheidung in Kenntnis dessen, daß weitere - nicht erstattete - Beiträge entrichtet waren und davon betroffen sein konnten, zugleich eine ständige Willensbetätigung, es bei der durch die Beitragserstattung herbeigeführten Rechtslage zu belassen. Die Beklagte, die nach Ablauf der dafür vorgesehenen Frist ihre Unterlagen über die Beitragserstattung vernichtet hat, konnte jedenfalls seitdem darauf vertrauen, daß eine Anfechtungsklage nicht mehr erhoben würde. Wenn sich die Klägerin später gleichwohl - unter anderen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen - entschlossen hätte, hinsichtlich der bisher nicht erstatteten Beiträge Anfechtungsklage zu erheben, so hätte dem der Einwand unzulässiger Rechtsausübung (venire contra factum proprium) entgegengestanden, weil dies der ursprünglichen Motivation der Klägerin und ihrem früheren Verhalten nicht entsprochen hätte.
Ist mithin davon auszugehen, daß der Erstattungsbescheid bereits vor dem 1. Januar 1981 bestandskräftig gewesen ist, scheidet nach der Rechtsprechung des Senats seine Rücknahme durch die Beklagte nach § 45 SGB 10 ebenso aus wie eine Überprüfung nach früherem Recht, für die allein § 1744 Abs 1 Nr 6 RVO als Anspruchsgrundlage in Betracht gekommen wäre. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt, weil im Falle der Beitragserstattung ein dem Versicherten im Sinne dieser Vorschrift "günstigerer Verwaltungsakt" nicht in der Rückgängigmachung der Beitragserstattung, sondern allenfalls in der Erstreckung der Erstattung auf weitere Beiträge bestehen kann (BSG SozR 2200 § 1303 Nrn 23 und 26; § 1744 Nr 17). Der Senat hat in den genannten Entscheidungen auch darauf hingewiesen, daß zwar die Aufhebung eines begünstigenden rechtswidrigen Verwaltungsaktes mit Zustimmung oder gar auf Wunsch des Begünstigten grundsätzlich nicht dessen schutzwürdiges Vertrauen verletzt. Dennoch kann es im öffentlichen Interesse liegen, es bei der durch Verwaltungsakt gewährten Vergünstigung zu belassen, zumal der durch die Beitragserstattung bewirkte Verfall von Leistungsansprüchen die Solidargemeinschaft aller Versicherten von Rentenanwartschaften freigestellt und insofern begünstigt hat. Die vom Versicherungsträger vertretene Solidargemeinschaft hat daher ein anzuerkennendes rechtliches Interesse daran, an der Bindung des Erstattungsbescheides festzuhalten. Dieser kann deshalb - trotz Zustimmung des Versicherten - jedenfalls solange nicht aufgehoben werden, als sich der Versicherungsträger - wie im vorliegenden Fall - auf die Bindung des Bescheides beruft.
Das Rücknahmebegehren läßt sich schließlich auch nicht mit dem von der Rechtsprechung entwickelten Herstellungsanspruch begründen. Daß die Beklagte im Rahmen der Erteilung des Erstattungsbescheides der Klägerin gegenüber Aufklärungs- und Beratungspflichten verletzt hätte, ist weder vom LSG festgestellt worden noch sonst ersichtlich. Dem von der Beklagten seinerzeit benutzten Vordruck für Erstattungsanträge, der Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war, ist vielmehr zu entnehmen, daß damals detaillierte Fragen nach den zu anderen Versicherungsträgern entrichteten Beiträgen gestellt worden sind und außerdem der Antragsteller die Erklärung zu unterschreiben hatte, ihm sei ua bekannt, daß die Beitragserstattung weitere Ansprüche aus den bisher zurückgelegten Versicherungszeiten in allen Zweigen der Rentenversicherung ausschließe. Die Klägerin hat auf Vorhalt zwar erklärt, sie könne sich nicht mehr erinnern, ob und auf welche Weise sie diesen Vordruck ausgefüllt habe. Gleichwohl läßt aber ihre Einlassung, sie und ihr Ehemann hätten den Beiträgen zur Arbeiterrentenversicherung seinerzeit gar keine Bedeutung beigemessen, darauf schließen, daß nicht die Beklagte, sondern eher die Klägerin Pflichten in bezug auf eine ordnungsgemäße Beitragserstattung versäumt hat.
Die Klägerin kann nach allem weder die Aufhebung des bindenden Erstattungsbescheides noch - da die Verfallswirkung der Beitragserstattung unverändert fortbesteht - die Wiederherstellung der verfallenen Beitragszeiten beanspruchen. Von dieser Verfallswirkung der Beitragserstattung sind im übrigen - wie das BSG ebenfalls bereits entschieden hat - nicht nur diejenigen Beiträge erfaßt, die zur Hälfte erstattet worden sind oder die wie die bis zum 20. Juni 1948 im Bundesgebiet entrichteten Beiträge nicht erstattet werden konnten (§ 82 Abs 1 AVG aF, § 1303 Abs 1 RVO aF; vgl dazu BSG SozR 2200 § 1303 Nr 18). Vielmehr hat der der Beitragserstattung zugrundeliegende Gestaltungsakt (Antrag) zu einer rückwirkenden Auflösung des Versicherungsverhältnisses in seiner Gesamtheit geführt und damit - ausgenommen einen eventuellen Anspruch auf Erstattung restlicher Beiträge - zum Verlust der Rechte aus sämtlichen vor der Beitragserstattung zurückgelegten Versicherungszeiten, auch wenn sie - wie im vorliegenden Fall - zu einem anderen Versicherungszweig, hier der Arbeiterrentenversicherung, entrichtet worden sind (BSG SozR 2200 § 1303 Nr 7; SozR 1300 § 45 Nr 7).
Darin, daß die Verfallswirkung des § 82 Abs 7 AVG auch solche Beiträge erfaßt, die nicht erstattet worden sind oder die eine Erstattung sogar ausgeschlossen hätten, liegt weder eine Verletzung des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) noch ein entschädigungsloser Eingriff in eigentumsähnliche Rentenanwartschaften (vgl dazu BSGE 49, 63, 66 f = SozR 2200 § 1303 Nr 14; SozR aaO Nr 18; zu letzterem Urteil auch Beschluß des Dreierausschusses des Bundesverfassungsgerichts in SozR aaO Nr 19). Ist nämlich die Beitragserstattung nur Folge der durch Ausübung des Gestaltungsrechts bewirkten Auflösung des bisherigen Versicherungsverhältnisses, kann sie nicht zugleich Voraussetzung der auflösenden Wirkung sein; der Erstattungsantrag bewirkt vielmehr den Verfall der bis dahin zurückgelegten Versicherungszeiten unabhängig davon, in welchem Umfang eine Beitragserstattung als Folge der Ausübung des Gestaltungsrechts tatsächlich erfolgt ist oder ob sie überhaupt zulässig war. Ein unter Berücksichtigung des Art 14 GG zu bewirkender Ausgleich für die Verfallswirkung wäre deshalb allenfalls bei der Beitragserstattung und ihrem Umfang, nicht aber bei der Auflösung des Versicherungsverhältnisses als der unabänderbaren Wirkung der Ausübung des Gestaltungsrechtes vorzunehmen (vgl BSG SozR 2200 § 1303 Nr 18).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen