Leitsatz (amtlich)
Der auf Grund des Erlasses des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 1943-07-06 (Deutsche Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 1943, 254) geleistete "Studentische Ausgleichsdienst" ist kein militärähnlicher Dienst iS des BVG § 3; die Zeit dieses Dienstes ist keine Ersatzzeit iS des AVG § 28 Abs 1 Nr 1 (= RVO § 1251 Abs 1 Nr 1).
Normenkette
RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; BVG § 1 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20, § 3 Abs. 1 Buchst. i Fassung: 1950-12-20; RArbDG § 2 Abs. 2; AVG § 28 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 6. April 1976 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die 1923 geborene Klägerin hatte in der Zeit vom 1. April 1941 bis 30. September 1941 vor Beginn ihres Studiums auf Grund einer Einberufung studentischen Ausgleichsdienst bei der NSV, Kreisverwaltung Naugard, abgeleistet. Im August 1973 beantragte sie die Vormerkung der Zeit als Ersatzzeit. Die Beklagte lehnte die Eintragung mit der Begründung ab, daß es sich nicht um militärähnlichen Dienst im Sinne von § 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) gehandelt habe. Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Zur Begründung hat das Landessozialgericht (LSG) ausgeführt:
Der für eine Eintragung als Ersatzzeit im Sinne von § 28 Abs. 1 Nr. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) in Betracht kommende Reichsarbeitsdienst - RAD - (§ 3 Abs. 1 Buchst. i BVG) erfasse zwar auch den Arbeitsdienst für die weibliche Jugend und den Kriegshilfsdienst im Sinne des Erlasses vom 29. Juni 1941 (RGBl I S. 463), nicht aber den studentischen Ausgleichsdienst. Dieser sei ... vor Aufnahme des Studiums als "Ersatz"-Dienst u.a. von dauernd arbeitsdienstuntauglichen Abiturienten zu leisten gewesen; er sei beim Reichsluftschutzbund, der NSV, behördlichen oder gemeinnützigen Stellen abgeleistet worden und habe sich allgemein und auch im Falle der Klägerin auf die Heranziehung zu einfachen Büroarbeiten beschränkt; seine Durchführung sei der Reichsstudentenführung übertragen gewesen. Die Ausgleichsdienstleistenden seien weder in § 10 des Reichsarbeitsdienstgesetzes erwähnt, noch sei sonst eine Vorschrift ersichtlich, die den Ausgleichsdienst dem Reichsarbeitsdienst gleichgestellt habe. Eine entsprechende Anwendung von § 3 BVG verbiete sich schon deshalb, weil auch jeder andere unfreiwillige oder auf Grund einer Einberufung abgeleistete Dienst nur dann unter § 3 Abs. 1 BVG falle, wenn die Einberufung durch eine militärische Dienststelle oder sonst für Zwecke der Wehrmacht auf Veranlassung eines militärischen Befehlshabers erfolgt sei (§ 3 Abs. 1 Buchst. b BVG) oder wenn die bei der Wehrmacht abgeleisteten Zivildienste mit besonderen kriegseigentümlichen Gefahren verbunden gewesen seien (§ 3 Abs. 2 BVG). Der Ausgleichsdienst sei auch nicht "in Abgeltung" der RAD-Pflicht geleistet worden, da zu ihm Abiturienten herangezogen worden seien, die der Arbeitsdienstpflicht nicht unterlegen hätten. Ob er nach § 6 BVG als militärähnlicher Dienst anerkannt werden könne, sei nicht Gegenstand des Verfahrens, weil eine solche Anerkennung jedenfalls noch nicht vorliege.
Das LSG hat die Revision zugelassen. Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt und beantragt:
Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und Verurteilung der Beklagten, die Zeit vom 1. April 1941 bis 30. September 1941 als Ersatzzeit vorzumerken.
Sie hält eine Gleichbehandlung oder Gleichstellung von RAD und Ausgleichsdienst für geboten. Bei Frauen seien Zielsetzung, Einsatzart, Entgelt und sonstige Umstände im Arbeitsdienst und im Ausgleichsdienst im wesentlichen gleich gewesen, und zwar auch insofern, als beide Dienste nicht militärähnlich aufgezogen gewesen seien. Da der Ausgleichsdienst als Ersatz für den RAD gedient habe, habe er den letzteren abgegolten, auch wenn ein Wahlrecht gefehlt habe. Daß das BVG den Ausgleichsdienst nicht ausdrücklich erwähne, sei unschädlich, da er zumindest im Wege der Analogie dem Begriff des RAD unterzuordnen sei. Es komme hinzu, daß die Verwaltungsvorschriften (VV) zum Landesbeamtengesetz (LBG) von Nordrhein-Westfalen eine Anwendung der RAD-Vorschriften auf den studentischen Ausgleichsdienst vorsähen, und daß auch das heutige Zivildienstgesetz für Soldaten geltende Vorschriften auf Zivildienstpflichtige anwende.
Die Beklagte beantragt
Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet; das LSG hat die gegen die Abweisung der zulässigen Eintragungsklage (vgl. BSG 31, 226; Urteil vom 21. November 1976 - 11 RA 130/75 -) gerichtete Berufung zu Recht zurückgewiesen.
Nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG sind Ersatzzeiten u.a. Zeiten des militärähnlichen Dienstes i.S. von § 3 BVG, der auf Grund gesetzlicher Dienstpflicht oder während eines Krieges geleistet worden ist. Der Studentische Ausgleichsdienst war kein militärähnlicher Dienst. In der abschließenden (vgl. SozR Nr. 9 zu § 3 BVG) Aufzählung des § 3 Abs. 1 BVG ist er nicht aufgeführt. Dem in § 3 Abs. 1 Buchst. i BVG genannten RAD ist er nicht zuzurechnen. RAD war der auf Grund von § 1 Abs. 2 RAD-Gesetz vom 26. Juni 1935 (RGBl I 769) unter Berücksichtigung des Gesetzes vom 9. September 1939 (RGBl I 1747) zu leistende Dienst. Demgegenüber war der Studentische Ausgleichsdienst nur von Abiturienten abzuleisten, die nicht der Arbeitsdienstpflicht unterlagen (vgl. Erlaß des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 6. Juli 1943, Deutsche Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung S. 254).
Eine analoge Anwendung des § 3 BVG (Abs. 1 Buchst. i) auf den Ausgleichsdienst ist nicht möglich. Durch seine Ableistung wurde nicht die Arbeitsdienstpflicht abgegolten (vgl. SozR 2200 § 1251 Nr. 3). Denn wenn Abiturienten, die den Ausgleichsdienst abgeleistet hatten, nicht zum RAD herangezogen wurden, so ergab sich das daraus, daß sie von vornherein nicht arbeitsdienstpflichtig waren, nicht aber aus der Ableistung des Ausgleichsdienstes. Dieser stellte einen "Ersatz" für den RAD nur insofern dar, als er wie dieser Voraussetzung für die Aufnahme eines Studiums war; dadurch sollte verhindert werden, daß Abiturienten, die der Arbeitsdienstpflicht nicht unterlagen, besser gestellt wurden als solche, bei denen die Erfüllung der Arbeitsdienstpflicht die Aufnahme eines Studiums verzögerte. Durch den Ausgleichsdienst wurde mithin gleichsam das Fehlen einer Arbeitsdienstpflicht "ausgeglichen", nicht aber eine solche Pflicht erfüllt. Damit fehlt es an den Voraussetzungen, unter denen der 12. Senat in seinem Urteil vom 1. März 1974 (SozR 2200 § 1251 Nr. 3) § 1251 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) auf Zeiten der Ableistung des freiwilligen Arbeitsdienstes entsprechend angewandt hat. Dort galt die Arbeitsdienstpflicht als durch die Ableistung des freiwilligen Arbeitsdienstes erfüllt; für eine solche Gleichstellung ist kein Raum, wo eine Arbeitsdienstpflicht nicht bestanden hatte und damit auch nicht abgegolten sein konnte (vgl. SozR Nr. 41 zu § 1251 RVO).
Die analoge Anwendung rechtfertigt sich ferner nicht aus der Art und den Umständen des geleisteten Dienstes. Soweit die Klägerin geltend macht, auch der Arbeitsdienst für die weibliche Jugend habe keinen militärähnlichen Charakter getragen, übersieht sie, daß die Ableistung dieses Dienstes regelmäßig mit der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften und den dadurch geprägten Besonderheiten eines Zusammenlebens unter einer straff geregelten und ausgeübten Befehlsgewalt verbunden war; die Militärähnlichkeit ergibt sich mithin aus der Organisationsform (vgl. SozR Nr. 11 zu § 3 BVG). Dafür, daß der Dienst der Klägerin unter vergleichbaren Verhältnissen abgeleistet wurde, bieten die Feststellungen des angefochtenen Urteils keinen Anhalt. Damit und mangels einer näheren Beziehung zur Kriegsführung fehlt es aber an einem Sachverhalt, der eine Unterstellung des Studentischen Ausgleichsdienstes unter den Schutz der §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 BVG hätte rechtfertigen können (vgl. SozR Nr. 11, 19 zu § 3 BVG). Wie der Arbeitsdienst gerade für die weibliche Jugend dabei im einzelnen ausgestaltet war und inwieweit seine Ableistung Gefahren von Schädigungen i.S. von § 1 Abs. 1 BVG begründete, muß auf sich beruhen; der Gesetzgeber konnte bei der Zuordnung des Arbeitsdienstes einschließlich des weiblichen Arbeitsdienstes zum militärähnlichen Dienst von einer generalisierenden Betrachtungsweise ausgehen.
Unerheblich ist, wie der Studentische Ausgleichsdienst bei der Anwendung der Beamtengesetze des Bundes und der Länder behandelt wird; schon die Unterschiede zwischen Rentenversicherung und Beamtenrecht schließen es aus, eine etwa dort bestehende Übung (vgl. jedoch VG Darmstadt, Hessische VG-Rechtsprechung und Beilage zum Staatsanzeiger 1967, S. 44) der Anwendung des AVG zugrunde zu legen. Mit dem heutigen Zivildienst schließlich ist der Studentische Ausgleichsdienst in Zielsetzung und Ausgestaltung nicht zu vergleichen; aus den dort getroffenen Regelungen lassen sich daher keine Schlüsse für die Behandlung des Studentischen Ausgleichsdienstes im Rahmen von § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG ziehen.
Zu Unrecht beruft sich die Klägerin auf § 6 BVG. Nach dieser Vorschrift kann in anderen als den in §§ 2, 3 und 5 BVG bezeichneten, besonders begründeten Fällen mit Zustimmung des BMA u.a. das Vorliegen militärähnlichen Dienstes anerkannt werden. Es kann dahingestellt werden, ob und ggf. auf welchem Wege diese Vorschrift im Rahmen von § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG angewandt werden kann. Auf jeden Fall handelt es sich bei einer Anerkennung nach § 6 BVG um eine Ermessensentscheidung, die nur in einem von der Entscheidung über sich aus dem Gesetz ergebende Ansprüche unabhängigen Verfahren ergehen kann (vgl. SozR Nr. 1 zu § 6 BVG). Zu einem solchen Verfahren ist es bisher nicht gekommen. Die Klägerin hat mit ihrem von der Beklagten mit dem angefochtenen Bescheid abgelehnten Begehren lediglich einen Anspruch auf Eintragung einer Ersatzzeit geltend gemacht; nur darüber war im gegenwärtigen Verfahren zu entscheiden. Das LSG brauchte deshalb auch nicht die Anregung der Klägerin, eine Entscheidung des BMA i.S. des § 6 BVG herbeizuführen, Folge zu geben.
Da sich nach alledem das angefochtene Urteil als zutreffend erweist, war die Revision mit der sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Fundstellen