Leitsatz (amtlich)

Der Ausgleichsdienst, den ein arbeitsdienstuntauglicher Abiturient zwischen Ostern und Herbst 1935 nach den Erlassen des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung von 1935-03-07 und von 1935-04-08 mit dem Ziel abgeleistet hat, zum Hochschulstudium zugelassen zu werden, ist kein aufgrund gesetzlicher Dienstpflicht geleisteter militärähnlicher Dienst iS von AVG § 28 Abs 1 Nr 1 (= RVO § 1251 Abs 1 Nr 1).

 

Normenkette

AVG § 28 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 36 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1259 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Fassung: 1972-10-16; BVG § 3 Abs. 1 Buchst. i Fassung: 1950-12-20

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 13.01.1978; Aktenzeichen L 1 An 96/76)

SG Berlin (Entscheidung vom 05.05.1976; Aktenzeichen S 6 An 1435/75)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 13. Januar 1978 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Streit geht um die Vormerkung eines studentischen Ausgleichsdienstes als Ersatzzeit.

Der 1915 geborene Kläger legte im März 1935 die Reifeprüfung ab. Vom 2. Mai bis 5. Oktober 1935 leistete er beim Siedlungsdienst des Arbeitsdanks P einen Ausgleichsdienst für arbeitsdienstuntaugliche, studierwillige Abiturienten ab. Ab November 1935 studierte er an der Universität B. Er wurde später Rechtsanwalt.

Mit dem streitigen Bescheid vom 16. September 1974 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Mai 1975 merkte die Beklagte zwar einen Teil der Schulausbildung sowie das Universitätsstudium als Ausfallzeiten vor, lehnte aber eine Vormerkung in bezug auf den studentischen Ausgleichsdienst ab.

Mit dem angefochtenen Urteil vom 13. Januar 1978 hat das Landessozialgericht (LSG) das dem Antrag des Klägers stattgebende Urteil des Sozialgerichts (SG) vom 5. Mai 1976 aufgehoben und die Klage abgewiesen. In der Begründung heißt es, der studentische Ausgleichsdienst sei kein militärähnlicher Dienst, der auf Grund gesetzlicher Dienstpflicht verrichtet worden sei. Insbesondere sei dieser Dienst nicht wie der Reichsarbeitsdienst zu behandeln. Die Ableistung des Ersatzdienstes habe nicht der Erfüllung des Arbeitsdienstes für Abiturienten gedient; der Ersatzdienst habe lediglich das Fehlen der Arbeitsdienstpflicht ausgeglichen.

Gegen dieses Urteil hat der Senat die Revision zugelassen (Beschluß vom 30. Mai 1978).

Der Kläger hat die Revision eingelegt. Er trägt vor, sein Fall unterscheide sich von der vom Bundessozialgericht (BSG) in BSGE 43, 192 entschiedenen Sache dadurch, daß es sich bei ihm um einen nur zeitlich arbeitsdienstuntauglichen Abiturienten gehandelt habe. Bei ihm habe daher Arbeitsdienstpflicht bestanden, welche jedoch durch den Ausgleichsdienst als abgegolten anerkannt worden sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 5. Mai 1976 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, der Ausgleichsdienst habe allein eine Besserstellung der Abiturienten verhindern sollen, die der Arbeitsdienstpflicht nicht unterlegen hätten. Durch den Ausgleichsdienst sei das Fehlen einer Arbeitsdienstpflicht ausgeglichen, nicht aber eine solche Pflicht erfüllt worden.

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Nach § 28 Abs 1 Nr 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG = § 1251 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) werden als Ersatzzeiten angerechnet ua Zeiten eines militärähnlichen Dienstes im Sinne des § 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), der auf Grund gesetzlicher Dienstpflicht oder während eines Krieges abgeleistet worden ist. § 3 Abs 1 Buchst i aaO zählt zum militärähnlichen Dienst den Arbeitsdienst. Arbeitsdienst hat der Kläger, worüber kein Streit besteht, nicht geleistet. Seiner Auffassung, der von ihm im Jahre 1935 geleistete Ausgleichsdienst sei rentenrechtlich wie Arbeitsdienst zu beurteilen, kann der Senat nicht folgen.

Der 11. Senat des BSG hat am 3. Februar 1977 bereits entschieden (BSGE 43, 192 = SozR 2200 § 1251 Nr 32), daß der auf Grund des Erlasses des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 6. Juli 1943 (Deutsche Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 1943, 254) geleistete "studentische Ausgleichsdienst" kein militärähnlicher Dienst im Sinne des § 3 BVG sei; die Zeit dieses Dienstes sei daher keine Ersatzzeit im Sinne des § 28 Abs 1 Nr 1 AVG. Das BSG stützt seine Entscheidung darauf, daß wegen Arbeitsdienstunfähigkeit nicht Arbeitsdienstpflichtige mit dem Ausgleichsdienst keinen Arbeitsdienst erfüllt, sondern einen solchen Dienst allein ausgeglichen haben könnten. Indessen kann dahinstehen, ob diese Entscheidung auch auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar ist. In jedem Fall kann der Kläger mit seinem Begehren schon deswegen nicht durchdringen, weil er 1935 nicht auf Grund gesetzlicher Dienstpflicht Dienst geleistet hat.

Nach dem auf den Kläger anwendbaren und offenbar auch angewendeten Erlaß des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 7. März 1935 (Deutsche Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 1935, 163) hatten "die Abiturienten von Ostern 1935 ... mit Studiumsabsicht ... vom 1. April 1935 bis 30. September 1935" Reichsarbeitsdienst zu leisten. Im weiteren Erlaß vom 8. April 1935 - K I 5424 - erklärte sich dieser Minister damit einverstanden, daß die im ersten Erlaß genannten Abiturienten, "die für dienstuntauglich erklärt worden sind, zu einem halbjährigen Ausgleichsdienst bei den Organisationen des Arbeitsdanks" herangezogen werden. Hiernach war die Ableistung von Ausgleichsdienst für den Kläger allein Voraussetzung für die Aufnahme eines Hochschulstudiums. Es bestand also keine "gesetzliche Dienstpflicht" im Sinne des § 28 Abs 1 Nr 1 AVG, weil Abiturienten "von Ostern 1935", die anders als der Kläger nicht zu studieren beabsichtigten, keiner Dienstpflicht unterlagen. Ein "mittelbarer Zwang" in Form einer Bedingung für die Zulassung zum Hochschulstudium begründete für Abiturienten mit Studiumsabsicht keine gesetzliche Dienstpflicht (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl BSG SozR 2200 § 1251 Nr 36; Urteil des erkennenden Senats vom 18. Januar 1978 in SozR 2200 § 1251 Nr 40 mit weiteren Nachweisen).

Bei den dargestellten Besonderheiten des Falles des Klägers kann es rechtlich nicht von Bedeutung sein, daß später in seinem Wehrpaß vermerkt worden ist, seine Arbeitsdienstpflicht gelte durch den Ausgleichsdienst als erfüllt. Maßgebend für die Beurteilung der Frage, ob der Kläger militärähnlichen Dienst im Sinne des § 28 Abs 1 Nr 1 AVG iVm § 3 BVG geleistet hat, kann nicht eine Paßeintragung, sondern können allein die Vorschriften sein, auf Grund derer der fragliche Dienst geleistet worden ist. Eine Vorschrift, die der Eintragung eine rechtsbegründende Wirkung beilegte, besteht nicht; auch der Kläger behauptet nichts in dieser Richtung. Ebensowenig ist eine Vorschrift vorhanden, die dem 1935 von Ostern bis Herbst mit dem Ziel der Zulassung zum Hochschulstudium abgeleisteten Ausgleichsdienst nachträglich die Rechtswirkung eines auf Grund gesetzlicher Dienstpflicht geleisteten Arbeitsdienstes zumißt.

Da Ablegung des Abiturs Ostern 1935 und Aufnahme des Studiums im November dieses Jahres über ein halbes Jahr auseinanderliegen, bilden Schul- und Hochschulausbildung des Klägers nach der Verkehrsanschauung keine zusammenhängende Ausbildungszeit. Deshalb ist der Anspruch des Klägers auf Anrechnung von Zeiten zwischen Ostern und Herbst 1935 als Ausfallzeiten nach § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG (= § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 4 RVO) ebenfalls nicht begründet (vgl dazu BSG SozR Nr 16 zu § 1259 RVO).

Die Revision des Klägers ist nach allem unbegründet und zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1653748

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