Orientierungssatz
Beiträge, die zwar für die Zeit vor dem 1957-01-01, jedoch tatsächlich erst nach diesem Zeitpunkt gemäß RVO § 1418 nF entrichtet wurden, sind bei der Prüfung der Frage, ob die Anwartschaft iS des ArVNG Art 2 § 42 zum 1956-12-31 erhalten war, nicht zu berücksichtigen.
Normenkette
ArVNG Art. 2 § 42 S. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. April 1961 wird aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 19. August 1960 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin ist seit Oktober 1959 berufsunfähig. Die Beklagte gewährt ihr deswegen von dieser Zeit an durch Bescheid vom 18. Februar 1960 eine Rente von 13,80 DM monatlich, die nach dem vom 1. Januar 1957 an geltenden Recht der Rentenversicherung berechnet ist. Die Beklagte lehnte es ab, die für die Klägerin günstigere "Vergleichsberechnung" durchzuführen, also die Berechnung der Rente nach den früheren Vorschriften über die Zusammensetzung und die Berechnung der Renten einschließlich des Sonderzuschusses des Art. 2 § 36 Abs. 1 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) aus den bis zum 31. Dezember 1956 zurückgelegten Versicherungszeiten vorzunehmen (Art. 2 § 42 ArVNG). Die Klägerin hatte nämlich vor dem 1. Januar 1957 nur 19 Wochenbeiträge für das Jahr 1956 entrichtet, die für sich allein zur Erhaltung der Anwartschaft zum 31. Dezember 1956 nicht ausreichten. Neun weitere, mit dem Aufdruck "1957" versehene Beitragsmarken berücksichtigte die Beklagte nicht zur Erhaltung der Anwartschaft im Sinne des Art. 2 § 42 ArVNG.
Den Rentenbescheid hat die Klägerin mit der Klage angefochten und die Gewährung einer Rente alten Rechts nach Art. 2 § 42 ArVNG verlangt, weil die Voraussetzungen der "Vergleichsberechnung" erfüllt seien; die für die Erhaltung der Anwartschaft zum 31. Dezember 1956 fehlenden Beiträge seien im Jahre 1957 wirksam nachentrichtet worden.
Das Sozialgericht Detmold hat durch Urteil vom 19. August 1960 die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hin hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen durch Urteil vom 5. April 1961 unter entsprechender Änderung des angefochtenen Bescheides und der erstinstanzlichen Entscheidung die Beklagte verurteilt, der Klägerin einen neuen Bescheid über die Berechnung der Rente nach den bis zum 31. Dezember 1956 geltenden Vorschriften (einschließlich des Sonderzuschusses des Art. 2 § 36 ArVNG) aus den für die Zeit bis zum 31. Dezember 1956 entrichteten 606 Wochenbeiträgen zu erteilen. Das LSG hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Von dem Vorteil, den die Vergleichsberechnung ermögliche, sollten nur solche Versicherte ausgeschlossen bleiben, deren Versicherung bei Fortgeltung des alten Rechtszustandes bereits endgültig erloschen gewesen sei. Dies sei bei der Klägerin nicht der Fall gewesen. Ein Rentenbewerber sei so lange bedingt versichert, als die gesetzliche Möglichkeit reiche, Beiträge für zurückliegende Kalenderjahre wirksam nachzuentrichten. Während der Zweijahresfrist des § 1442 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF wäre die Anwartschaft nicht endgültig erloschen. Art 2 § 42 ArVNG wolle einen vorhandenen Versichertenstatusschützen. Für die Klägerin sei daher die Anwartschaft zum 31. Dezember 1956 aus allen vorhandenen 606 Wochenbeiträgen erhalten gewesen. Die von dieser Auffassung abweichende Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 1. Juli 1959 (BSG 10, 139) laufe darauf hinaus, die "pünktlichen" Beitragszahler zu belohnen und die "schlechten" Versicherten zu benachteiligen. Dieser Wille dürfe dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden; denn es sei nicht angängig, einen Versicherten, der gesetzliche Zahlungsfristen ausnutze, ungewarnt zu benachteiligen.
Die Beklagte hat die - vom LSG zugelassene - Revision eingelegt und eine Verletzung des Art. 2 § 42 ArVNG gerügt.
Sie beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 5. April 1961 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil und seine Begründung für richtig.
Die Revision ist zulässig und begründet.
Die Klägerin hätte nur dann einen Anspruch auf die - für sie günstigere - Berechnung der Rente nach den bis zum 31. Dezember 1956 geltenden Vorschriften, wenn - neben weiteren, im vorliegenden Rechtsstreit gegebenen Voraussetzungen - "aus den vor dem 1. Januar 1957 entrichteten Beiträgen die Anwartschaft zu diesem Zeitpunkt nach den bis dahin geltenden Vorschriften erhalten" gewesen wäre (Art. 2 § 42 ArVNG). Da die Klägerin anstatt der zur Erhaltung der Anwartschaft erforderlichen sechsundzwanzig Wochenbeiträge (§ 1264 Abs. 1 RVO aF) für das Jahr 1956 nur neunzehn Wochenbeiträge mit dem Aufdruck "1956" entrichtet hat, kommt es - die Voraussetzungen der Halbdeckung (§ 1265 RVO aF) sind nicht gegeben - darauf an, ob die gleichfalls für das Jahr 1956 freiwillig entrichteten weiteren neun Wochenbeiträge mit dem Aufdruck "1957" als "vor dem 1. Januar 1957 entrichtete Beiträge" angesehen werden können. Dies ist nicht der Fall. Der Senat hält an seiner in der Entscheidung vom 1. Juli 1959 (BSG 10, 139) zum Ausdruck gebrachten Auffassung fest, daß Beiträge, die zwar für die Zeit vor dem 1. Januar 1957, jedoch tatsächlich erst nach diesem Zeitpunkt gemäß § 1418 RVO nF entrichtet worden sind, bei der Prüfung der Frage, ob die Anwartschaft zum 31. Dezember 1956 erhalten war, nicht zu berücksichtigen sind. Dieser Auffassung haben sich inzwischen der 12. Senat des BSG (BSG 15, 271) und der 1. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 25. Oktober 1963 - 1 RA 20/60 -, letzterer zu der gleichlautenden Vorschrift des Art. 2 § 41 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes, angeschlossen. Die somit einheitliche Rechtsprechung des BSG wird sowohl durch den Gesetzeswortlaut, der es auf die "vor dem 1. Januar 1957 entrichteten" Beiträge abstellt, als auch durch den Sinn und Zweck der Vorschrift gedeckt, die von der Fiktion des Eintritts des Versicherungsfalls zum 31. Dezember 1956 ausgeht und deshalb für die Rentenberechnung nach altem Recht nur die bis dahin zurückgelegten Versicherungszeiten berücksichtigt. Dem erkennenden Senat geben auch die in dem angefochtenen Urteil vom LSG angestellten Erwägungen keine Veranlassung, seine bisherige Rechtsprechung zu ändern. Dies gilt vor allem für die Gedanken, die - nach der Meinung des LSG - dem vor dem Deutschen Bundestag abgegebenen Bericht des Abgeordneten Schüttler (BT-Drucksache - 2. Wahlperiode - zu Nr. 3080 S. 25) zugrunde gelegen haben; solche Gedanken haben im Gesetz keinen Ausdruck gefunden. Wie der 12. Senat des BSG (BSG 15, 271, 277 ff) ausgeführt hat, sind gegen diese Auslegung keine durchgreifenden rechtsstaatlichen Bedenken zu erheben; sie widerspricht auch sonst nicht dem Grundgesetz.
Hiernach hat die Klägerin keinen Anspruch auf eine nach früherem Recht berechnete und um den Sonderzuschuß erhöhte Rente. Das angefochtene Urteil muß deshalb aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen die erstinstanzliche Entscheidung zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergeht in Anwendung des § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen