Orientierungssatz
Anwendung des Art 2 § 42 Arbeiterrentenversicherungsneuregelungsgesetz (ArVNG):
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG zu ArVNG Art 2 § 42 können Beiträge, die zwar für die Zeit vor dem 1. Januar 1957, jedoch tatsächlich erst nach diesem Zeitpunkt entrichtet worden sind, bei der Prüfung, ob die Anwartschaft zum 31. Dezember 1956 erhalten war, nicht berücksichtigt werden (vgl BSG 1959-07-01 4 RJ 249/58 = BSGE 10, 139; BSG 1961-11-23 12/4 RJ 102/61 = BSGE 15, 271; BSG 1964-03-03 4 RJ 211/61).
Normenkette
ArVNG Art. 2 § 42
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 20.03.1963) |
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 19.01.1961) |
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. März 1963 wird aufgehoben. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 19. Januar 1961 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin hat die Bescheide, mit denen ihr zunächst die Rente wegen Berufsunfähigkeit (Bescheid vom 12. August 1960) und dann die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (Bescheid vom 31. Oktober 1961) zuerkannt worden sind, hinsichtlich der Höhe der Leistungen angefochten. Sie meint, die Rentenbeträge wären nicht in der Weise zu ermitteln gewesen, die seit der Rentenrechtsreform des Jahres 1957 gelte, sondern es hätte die sog. Vergleichsberechnung des Art. 2 § 42 Satz 1 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) angestellt werden müssen; die Voraussetzungen dafür seien erfüllt. Deshalb stehe ihr die - für sie günstigere, um den Sonderzuschuß des Art. 2 § 36 Abs. 1 ArVNG angehobene - Mindestrente des früheren Rechts zu.
Die Beklagte sieht hingegen die Anwartschaft aus den vor dem 1. Januar 1957 entrichteten Beiträgen nicht als zu diesem Zeitpunkt erhalten an, so wie dies Art. 2 § 42 ArVNG vorschreibt. Für das Kalenderjahr 1956 hat die Klägerin vor dem Stichtag lediglich drei Wochenbeitragsmarken mit dem Aufdruck "55" verwendet. Weitere für dieses Kalenderjahr verwertete 49 Beitragsmarken tragen den Aufdruck "57".
Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat die Klage abgewiesen; das Landessozialgericht (LSG) hat ihr stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, die Vergleichsberechnung nach Art. 2 § 42 Satz 1 ArVNG vorzunehmen sowie der Klägerin die sich daraus ergebende höhere Rente zu gewähren. Die Anwartschaftswahrung hält es mit den drei für 1956 vor Ende dieses Jahres aufgewendeten Beiträgen für verwirklicht. Zwar verlange § 1264 Abs. 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF regelmäßig für jedes Kalenderjahr eine Mindestmenge von 26 Wochenbeiträgen; für das laufende Kalenderjahr genüge aber auch eine geringere Zahl von Beiträgen. Auf diese entgegenkommende Regel habe man es für die Zeit des Übergangs vom alten zum neuen Recht abzustellen und das Jahr 1956 als "laufendes Kalenderjahr" zu behandeln.
Die Beklagte hat Revision eingelegt mit dem Antrag,
das Berufungsurteil aufzuheben und die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.
Die Klägerin ist im gegenwärtigen Rechtszuge nicht vertreten. Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Revision ist zulässig und begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung der in ihrem Falle höher zu veranschlagenden Rente gemäß Art. 2 § 42 ArVNG. Denn sie hat nicht "aus den vor dem 1. Januar 1957 entrichteten Beiträgen die Anwartschaft zu diesem Zeitpunkt nach den bis dahin geltenden Vorschriften erhalten". - Die Möglichkeit, daß die sog. Halbdeckung (§ 1265 RVO aF) gegeben sei oder eine Ersatzzeit vorläge, scheidet nach dem festgestellten Sachverhalt aus. - Deshalb sind für 1956 mindestens 26 Wochenbeiträge zu fordern (§ 1264 Abs. 1 RVO aF). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), die der erkennende Senat noch durch Urteil vom 3. März 1964 - 4 RJ 211/61 - bestätigt hat, mußten diese Beiträge bis zum 31. Dezember 1956 entrichtet sein, wenn sie für die Rechtsfolge des Art. 2 § 42 ArVNG von Nutzen sein sollen. Beiträge, die erst nachträglich, wenn auch innerhalb der hierfür vorgesehenen Wirksamkeitsfristen (§§ 1418 ff RVO) aufgewendet wurden, haben für die Anwartschaftserhaltung im Sinne des Art. 2 § 42 ArVNG außer Betracht zu bleiben (vgl. BSG 10, 139; 15, 271).
Gegen diese Auffassung läßt sich nicht - mit dem Berufungsgericht - einwenden, daß mit dem 1. Januar 1957 das ArVNG in Kraft getreten sei und daß deshalb für das ausgelaufene Jahr 1936 weniger als 26 Wochenbeiträge genügten. Das ist nicht richtig. Im Augenblick der Rechtsänderung war das Jahr 1956 zu Ende gegangen. Es spricht nichts für die Annahme, daß beim Übergang vom alten zum neuen Recht - wenn auch nur für eine "juristische Sekunde" - das Jahr 1956 als "laufendes Kalenderjahr" anzusehen wäre. Die gegenteilige Ansicht findet im Gesetz keine Stütze.
Hiernach kann die Klägerin nicht verlangen, daß ihre Rente nach dem früheren Recht der gesetzlichen Rentenversicherung berechnet werde. Die Entscheidung des LSG muß deshalb aufgehoben und das erstinstanzliche Urteil wieder hergestellt werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen