Leitsatz (amtlich)
Auch wenn der nach GAL 1957 § 1 Abs 4 von der Landwirtschaftlichen Alterskasse festgesetzte Einheitswert nicht überschritten ist, kann eine dauerhafte Existenzgrundlage gegeben sein. Voraussetzung ist jedoch, daß das landwirtschaftliche Unternehmen unter normalen Umständen geeignet ist, den Unterhalt einer bäuerlichen Familie zu sichern; es genügt nicht, wenn wegen besonderer Verhältnisse nur die betreffende Familie ihr Auskommen findet.
Normenkette
GAL § 1 Fassung: 1957-07-27; GAL 1957 § 1 Fassung: 1957-07-27
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. Oktober 1961 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Die 1881 geborene, seit 1939 geschiedene Klägerin veräußerte im Jahre 1951 ihr 1914 erworbenes Anwesen von 2 ha 38 a 88 qm. Von 1914 bis 1937 betrug das Unternehmen etwa 3 ha 39 a; hierzu kamen noch 25 a, die ihr die Gemeinde unentgeltlich zur Verfügung gestellt hatte. Im Jahre 1957 beantragte sie die Gewährung von Altersgeld. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil das Unternehmen keine dauerhafte Existenzgrundlage gebildet habe; diese sei nur gegeben, wenn bei einer durchschnittlichen Betriebsgröße von 4,5 ha ein Einheitswert von 3360,- DM überschritten sei. Auf die Klage hin verurteilte das Sozialgericht (SG) die Beklagte zur Zahlung von Altersgeld vom 1. Oktober 1957 an. Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung der Beklagten zurück. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin sei landwirtschaftliche Unternehmerin gewesen, da sie und nicht ihr Ehemann den Betrieb geführt habe. Das Unternehmen habe eine dauerhafte Existenzgrundlage dargestellt, weil sie und die Familie von seinen Erträgnissen gelebt hätten und der Ehemann nichts Nennenswertes aus seinem Einkommen als Zimmermann zum Unterhalt der Familie beigetragen habe. Die Voraussetzungen für den Bezug von Altersgeld seien daher erfüllt, gleichgültig ob man eine Entäußerung im Jahre 1937 oder 1951 annehme. Das LSG ließ die Revision zu.
Die Beklagte legte gegen das am 22. Dezember 1961 zugestellte Urteil am 16. Januar 1962 Revision ein und begründet sie am 21. Februar 1962. Sie rügt zunächst, das LSG habe gegen §§ 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verstoßen, weil es nicht geklärt habe, ob außer dem als Zeugen gehörten Sohn der Klägerin auch andere Familienmitglieder der Klägerin Zuwendungen gemacht hätten und ob, in welchem Umfang und wie lange eine Gastwirtschaft in dem landwirtschaftlichen Anwesen betrieben worden sei. Ferner habe das LSG entgegen dem Gutachten des Landwirtschaftsamtes eine dauerhafte Existenzgrundlage angenommen, wobei es sich lediglich auf eine entsprechende Auskunft des Bürgermeisteramtes gestützt habe. Das Unternehmen der Klägerin habe keine dauerhafte Existenzgrundlage gebildet; es komme nicht darauf an, ob es die Existenzgrundlage des betreffenden Unternehmers darstelle, sondern darauf, ob der Ertrag geeignet sei, unter normalen Verhältnissen einer bäuerlichen Familie eine angemessene Lebensgrundlage zu bieten. Es genüge also nicht, wenn die Klägerin mit Familie von den Erträgnissen der Landwirtschaft gelebt habe, was übrigens nach den Feststellungen keineswegs erwiesen sei. Das LSG habe außerdem den Begriff der Entäußerung verkannt. Wenn auch dazu eine vollständige Abgabe nicht notwendig, vielmehr das Zurückbehalten von etwa einem Viertel des Betriebes unschädlich sei, so habe dennoch im Jahre 1937 noch keine Entäußerung vorgelegen, weil die Klägerin von 3,39 ha insgesamt 2,38 ha zurückbehalten habe. Die Entäußerung habe erst 1951 stattgefunden; hiervon ausgehend sei jedoch die Klägerin nicht 15 Jahre hauptberufliche landwirtschaftliche Unternehmerin gewesen.
Auch vom 1. Januar 1961 an stehe der Klägerin kein Altersgeld zu, da die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 des Gesetzes zur Neuregelung der Altershilfe für Landwirte vom 3. Juli 1961 (BGBl I, 845) - GAL - nF nicht erfüllt seien.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 30. Oktober 1961 und des SG Stuttgart vom 31. Mai 1960 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die durch die Zulassung statthafte, auch form- und fristgerecht eingelegte Revision ist begründet.
Das Urteil des LSG gibt schon insoweit zu Bedenken Anlaß, als es die Frage, ob die Entäußerung im Jahre 1937 oder 1951 stattgefunden hat, hat dahinstehen lassen. Denn Altersgeld würde der Klägerin gemäß § 25 Abs. 1 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte vom 27. Juli 1957 (BGBl I, 1063) - GAL - aF nur zustehen, wenn sie 15 Jahre lang vor der Abgabe oder Entäußerung hauptberufliche landwirtschaftliche Unternehmerin gewesen wäre. Im Jahre 1937 hat aber keine Abgabe vorgelegen, weil die Klägerin von den bisher betriebenen 3,39 ha noch 2,38 ha, mithin etwa zwei Drittel zurückbehalten hat; ein derart großer zurückbehaltener Anteil erfüllt aber nicht den Tatbestand der Entäußerung (vgl. Urteil des Senats vom 20. Juni 1962 - SozR GAL § 2 Nr. 3 -, das etwa ein Viertel als unschädlich ansieht, es sei denn, daß der zurückbehaltene Teil wieder selbst eine dauerhafte Existenzgrundlage nach § 1 Abs. 4 GAL aF darstellt). Die Entäußerung hat daher erst im Jahre 1951 stattgefunden. Um den Anspruch auf Altersgeld zu erfüllen, müßte die Klägerin mithin von 1951 ausgehend 15 Jahre lang hauptberufliche landwirtschaftliche Unternehmerin gewesen sein, d. h. eine Landwirtschaft betrieben haben, die eine dauerhafte Existenzgrundlage im Sinne des § 1 Abs 4 GAL aF darstellt. Bis 1937 betrug das Unternehmen 3 ha 39 a, seitdem 2 ha 38 a 88 qm, also weniger als den von der Beklagten festgesetzten Einheitswert von 4,5 ha bzw. 3300,- DM. Damit ist aber noch nicht gesagt, daß das Unternehmen der Klägerin keine dauerhafte Existenzgrundlage darstellt. Während bei Überschreitung des von der Beklagten gemäß § 1 Abs. 4 GAL aF festgesetzten Einheitswertes eine dauerhafte Existenzgrundlage fingiert wird, ohne daß ein Gegenbeweis zulässig wäre (vgl. das Urteil des Senats in BSG 13, 4 zu der ähnlichen Vorschrift des § 59 AVAVG), ist es bei geringerer Grundstücksgröße nicht ausgeschlossen, den Nachweis zu führen, daß dennoch eine dauerhafte Existenzgrundlage vorliegt (vgl. hierzu Noell, Das Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte, Einführung VII 1 c S. 52). Es darf aber auch hier, wie der Senat schon wiederholt betont hat, nicht auf die Verhältnisse des Einzelfalls abgestellt werden, ob etwa wegen besonderer Tüchtigkeit des Unternehmers oder wegen geringeren Bedarfs der Familie diese ihre Lebensgrundlage darin findet, sondern darauf, ob gerade dieses Unternehmen nach Größe, Bewirtschaftung und Ertrag bei vernünftiger Betrachtungsweise einer bäuerlichen Familie die Existenz sichern kann. Entscheidend ist also, ob ein Unternehmen dieser Art in seiner Betriebsstruktur und Bewirtschaftungsweise diese Voraussetzung generell erfüllt. Diese Prüfung muß genau so vorgenommen werden, wie wenn eine Festsetzung des Einheitswertes durch die Alterskasse gemäß § 1 Abs. 4 GAL aF nicht vorgenommen worden wäre. Die Einkünfte des Ehemannes als Zimmermann, etwaige Zuschüsse der Kinder und die Einnahmen aus der Gastwirtschaft müssen dabei außer Ansatz bleiben (BSG 16/279).
Nach allem ist das Urteil des LSG aufzuheben. Weil die Feststellungen nicht ausreichen, um über den Anspruch der Klägerin zu entscheiden, muß der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden. Gelangt das LSG bei der erneuten Verhandlung zu dem Ergebnis, eine dauerhafte Existenzgrundlage habe vor der Entäußerung im Jahre 1951 nicht vorgelegen, so muß es weiter prüfen, ob etwa gemäß § 26 Abs. 2 GAL nF ab 1. Januar 1962 Ansprüche gegeben sind. Hiernach ist erforderlich, daß der Unternehmer nach Vollendung des 40. Lebensjahres mindestens 20 Jahre seinen und seiner Familie Lebensunterhalt allein aus der selbständigen Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer bestritten hat und der Einheitswert bzw. Arbeitsbedarf des Unternehmens die nach § 1 Abs. 4 GAL festgesetzte Mindesthöhe regelmäßig um nicht mehr als ein Viertel unterschritten hat. Die Erträgnisse des Unternehmens müßten also hierzu ausgereicht haben, ohne daß es auch hier auf die Einkünfte des Ehemannes als Zimmermann oder auf diejenigen aus der Gastwirtschaft und auf etwaige Zuschüsse der Kinder ankommt.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem LSG überlassen.
Fundstellen