Entscheidungsstichwort (Thema)

Rehabilitationsmaßnahme. Eintritt in eine Maßnahme. Abbruch einer Maßnahme. Höhe des Übergangsgeldes. Übergangsrecht

 

Orientierungssatz

1. Mehrere Rehabilitationsveranstaltungen bilden nur dann eine einheitliche Maßnahme, wenn zwischen ihnen eine organisatorische Verbundenheit besteht (vgl BSG 20.3.1986 11b RAr 11/85).

2. An einer organisatorischen Verbundenheit zweier Veranstaltungen fehlt es in aller Regel, wenn die erste vom Versicherungsträger vorzeitig abgebrochen worden ist, weil der Betreute aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr an ihr teilnehmen konnte.

3. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) beurteilen sich Inhalt und Wirkung sozialrechtlicher Ansprüche nach dem Recht, das zur Zeit des den Anspruch begründenden Ereignisses oder Umstands gegolten hat, sofern nicht später in Kraft gesetztes Recht ausdrücklich oder sinngemäß anderes bestimmt (vgl BSG 29.11.1985 4a RJ 85/84).

4. Zur Anwendbarkeit der Übergangsvorschriften des Art 4 § 2 AFKG (vgl BSG 29.11.1985 4a RJ 85/84).

 

Normenkette

RVO §§ 1241, 1241b, 1241a Abs 2 Fassung: 1981-12-22, § 1241e Abs 2 Fassung: 1974-08-07; AFKG Art 4 § 2 S 1 Fassung: 1981-12-22

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 29.11.1984; Aktenzeichen L 10 J 115/84)

SG Stade (Entscheidung vom 14.02.1984; Aktenzeichen S 5 J 242/83)

 

Tatbestand

Der 1936 geborene Kläger war bis zur Aufgabe seiner Erwerbstätigkeit wegen eines Wirbelsäulenleidens im November 1974 als Maurer beschäftigt; letzter Lohnabrechnungszeitraum war der September 1974. Die Beklagte gewährte ihm als Maßnahme der Berufsförderung eine Ausbildung zum Bürokaufmann in der Wirtschafts- und Sozialakademie B für die Dauer von 18 Monaten, beginnend am 2. Juli 1979. Mit Bescheid vom 14. September 1979 bewilligte sie ihm Übergangsgeld (Übg) nach § 1241 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) in der bis zum 31. Dezember 1981 geltenden Fassung in Höhe von täglich 66,53 DM. Seit dem 4. September 1980 war der Kläger arbeitsunfähig krank. Am 7. November 1980 beschied ihn die Beklagte dahin, die Rehabilitationsmaßnahme müsse "vorerst mit dem 3. September 1980 aus gesundheitlichen Gründen als abgebrochen angesehen werden"; Übg stehe dem Kläger nach § 1241e Abs 2 RVO bis zum 15. Oktober 1980 zu; sobald sich sein Gesundheitszustand gebessert habe und er in der Lage sei, die Berufsförderungsmaßnahme fortzusetzen, werde um eine kurze Mitteilung gebeten. Darauf gewährte ihm die Beklagte antragsgemäß ein Heilverfahren für die Zeit vom 10. August bis 7. September 1981. Im Oktober 1981 bat der Kläger um Fortsetzung der Berufsförderungsmaßnahme. Daraufhin bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 10. Februar 1982 die "Fortsetzung Ausbildung zum Bürokaufmann" in der Angestelltenkammer B erneut für die Dauer von 18 Monaten. Der Kläger nahm die Ausbildung am 9. August 1982 auf. Mit Bescheid vom 19. August 1982 bewilligte ihm die Beklagte Übg nach den §§ 1241a Abs 2, 1241b Nr 1 RVO in der vom 1. Januar 1982 an geltenden Fassung in Höhe von 48,67 DM täglich.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger mit dem Ziele einer Weitergewährung des früheren höheren Übg Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Nach Ansicht des LSG sind die Voraussetzungen des Art 4 § 2 Satz 1 Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz (AFKG), wonach das bis zum 31. Dezember 1981 geltende Recht weiter anzuwenden wäre, nicht erfüllt. Die im Juli 1979 und die im August 1982 begonnenen Maßnahmen stellten zwei selbständige Maßnahmen dar. Dies folge aus § 1241e Abs 2 RVO. Der gesundheitsbedingte Abbruch einer Maßnahme mit der sich aus der genannten Vorschrift ergebenden Konsequenz habe die Beendigung der Maßnahme zum Inhalt. Der Bitte der Beklagten um Mitteilung, sobald sich sein Gesundheitszustand gebessert habe, sei für den Kläger mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen gewesen, daß vor der Gewährung einer erneuten Maßnahme eine erneute Überprüfung der Voraussetzungen, insbesondere seines Gesundheitszustandes, erfolgen würde. Wenn ihm dabei die Fortsetzung einer Ausbildung zum Bürokaufmann in Aussicht gestellt worden sei, so liege darin keine Zusicherung hinsichtlich der Höhe des zu gewährenden Übg.

Das LSG hat die Revision zugelassen. Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt und rügt eine Verletzung der §§ 1241, 1241e RVO, 103 SGG, Art 4 § 2 AFKG. Nach seiner Ansicht handelt es sich hier nicht um zwei Maßnahmen, sondern um eine Maßnahme, die am 3. September 1980 aus gesundheitlichen Gründen unterbrochen und am 9. August 1982 wieder aufgenommen und fortgesetzt worden sei. Das ergebe sich schon daraus, daß nach dem Wortlaut des Schreibens vom 7. November 1980 die Beklagte nicht den Abbruch oder die Beendigung der Maßnahme ausgesprochen, sondern im Gegenteil deren Fortsetzung in Aussicht gestellt habe. Es sei nur folgerichtig, wenn die Beklagte in ihrem Bescheid vom 10. Februar 1982 ausdrücklich eine "Fortsetzung" der bereits begonnenen Maßnahme bewilligt habe. Im übrigen habe das LSG zu Unrecht nicht aufgeklärt, ob es sich bei der im August 1982 aufgenommenen tatsächlich um eine Fortsetzung der 1979 begonnenen Ausbildung und nicht um eine neu begonnene gehandelt habe und daß die neuerliche Kursdauer von 18 Monaten nicht vom Kläger zu vertreten, sondern allein durch verwaltungsorganisatorische Umstände bedingt gewesen sei.

Der Kläger beantragt (sinngemäß), die angefochtenen Urteile sowie den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger das ihm vom 9. August 1982 an zustehende Übg nach den bis zum 31. Dezember 1981 geltenden Vorschriften zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet.

Nach § 1237b Abs 1 Nr 1 RVO idF des RehaAnglG umfassen die die berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation (§ 1237a RVO) ergänzenden Leistungen ua Übg. Durch Art 4 § 1 Nr 23 des - am 1. Januar 1982 in Kraft getretenen (Art 18) - AFKG vom 22. Dezember 1981 ist ua § 1241b RVO geändert worden. Durch diese Änderung ist für Fälle der vorliegenden Art eine Kürzung des Übg im Vergleich zu dem Betrag bewirkt worden, der ua nach § 1241a Abs 2 RVO in der bis zum 31. Dezember 1981 geltenden Fassung als Übg zu gewähren war. Deshalb ist vorliegend streitig, ob auf den Kläger für die streitige Zeit Übg bereits nach der ungünstigeren neuen oder nach der günstigeren alten Fassung zu gewähren ist. Das erstere ist aus folgenden Gründen der Fall.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) beurteilen sich Inhalt und Wirkung sozialrechtlicher Ansprüche nach dem Recht, das zur Zeit des den Anspruch begründenden Ereignisses oder Umstands gegolten hat, sofern nicht später in Kraft gesetztes Recht ausdrücklich oder sinngemäß anderes bestimmt (vgl zB BSG in SozR Nr 1 zu § 9 der 7. BKVO; BSGE 44, 231, 232 = SozR 2200 § 1236 Nr 3; BSGE 45, 213, 214 = SozR 2200 § 182 Nr 29; SozR 2200 § 182 Nr 85; SozR 4150 Art 1 § 2 Nr 1 und 2; Entscheidung des erkennenden Senats vom 29. November 1985 - 4a RJ 85/84). Da der Anspruch des Betreuten auf Übg bei einer berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation (§ 1241a RVO) von der - materiell-konstitutiv wirkenden - Bewilligung dieser Maßnahme (BSG 55, 53 = SozR 2200 § 1237a Nr 23) ausgelöst wird und als ergänzende, unselbständige Leistung von ihr abhängt (BSG in SozR 2200 § 1241 Nr 21 mit zahlreichen weiteren Nachweisen), lösen Bewilligung und Durchführung einer Maßnahme zur Rehabilitation den Anspruch auf Übg aus (BSG in SozR 4150 Art 4 § 2 Nr 1). Für die Berechnung des Übg des Klägers gilt mithin § 1241e Satz 2 RVO in der vor dem 1. Januar 1982 geltenden Fassung, allerdings nur insoweit, als die mit dem Bescheid der Beklagten vom 14. September 1979 ausgesprochene Bewilligung einer berufsfördernden Maßnahme reicht. Sie reicht nur bis 3. September 1980, weil die Beklagte mit dem - nicht angefochtenen - Bescheid 3 vom 7. November 1980 diese Maßnahme "abgebrochen" und eine neue gleichartige Maßnahme ab August 1982 erst mit Bescheid 4 vom 10. Februar 1982 wieder bewilligt hat. Diese Wiederbewilligung aber liegt unter dem Geltungsbereich bereits des durch das AFKG geschaffenen neuen Rechts. Dabei ist folgendes herauszustellen:

Eine Rehabilitationsmaßnahme endet nicht immer erst mit dem Ablauf der Zeit, bis zu der sie planmäßig durchzuführen war. Sie endet insbesondere dann früher, wenn der Betreute aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr an ihr teilnehmen kann und der Versicherungsträger dies zum Anlaß nimmt, sie vorzeitig abzubrechen (BSGE 54, 146 = 1590 § 17 Nr 2; Urteile des erkennenden Senats vom 28. November 1985 - 4a RJ 65/84 und vom 20. Februar 1986 - 4a RJ 59/84). Ein solcher Abbruch, der die Rechtsfolgen des § 1241e Abs 2 RVO auslöst, steht zwar der Wiederaufnahme und Fortführung einer berufsfördernden Maßnahme nicht entgegen, sobald der Gesundheitszustand des Betreuten dies gestattet, doch handele es sich dann um die Neubewilligung einer Maßnahme.

Ein anderes Ergebnis könnte dann erörtert werden, wenn die mit Bescheid 4 wiederbewilligte berufsfördernde Maßnahme keine selbständige Maßnahme wäre, weil sie sich als bloße Fortsetzung des dem Kläger mit Bescheid 1 vom 21. August 1979 bewilligten Lehrgangs darstellte. Das ist aus folgenden Gründen nicht der Fall.

Der 11b Senat hat in einem vergleichbaren Fall aus dem Recht der Arbeitsförderung in der Entscheidung ua vom 20. März 1986 - 11b RAr 17/75 zu dieser Frage ausgeführt:

Der Begriff der Maßnahme in den Übergangsvorschriften des Art 1 § 2 AFKG stimme mit dem des Rehabilitationsrechts überein, wie der Senat bereits entschieden habe (Hinweis auf SozR 4150 Art 1 § 2 Nr 2). Im Rehabilitationsrecht würden unter Maßnahmen diejenigen Veranstaltungen des Rehabilitationsverfahrens verstanden, an denen der Behinderte auf Veranlassung und auf Kosten des Rehabilitationsträgers teilnehme, beispielsweise ein Kur- bzw Sanatoriumsaufenthalt oder ein Umschulungslehrgang (BT-Drucks 7/1237, S 54); dabei könne hier dahingestellt bleiben, ob der Gesetzgeber die Abgrenzung zwischen Maßnahme und Leistung im Gesetzeswortlaut auch durchgehend beachtet habe (Hinweis auf SozR 2200 § 1241 Nr 8 und 11). Soweit es sich um die Maßnahmen der beruflichen Bildung handele, wie es bei der streitigen Umschulung der Fall sei, habe die Rechtsprechung bereits entschieden, wann bei mehreren "Unterrichtseinheiten" (Lehrgangswochen) eine einheitliche Maßnahme angenommen werden könne. Sie habe dies bejaht, wenn die einzelnen Ausbildungsbemühungen (Unterrichtseinheiten) organisatorisch und inhaltlich miteinander verbunden und so aufeinander bezogen seien, daß erst mit dem letzten Abschnitt das angestrebte Ziel, dh ein auf dem Arbeitsmarkt verwertbares Ergebnis, insbesondere ein dort verwertbarer Beruf erreicht werde. Dem schließe sich der 11b Senat an. Danach genüge es für die Annahme einer einheitlichen Maßnahme nicht, daß unterschiedliche Veranstaltungen nur in einem Zusammenhang stünden und inhaltlich die gleiche Ausbildung vollzogen würde. Erforderlich sei vielmehr eine organisatorische Verbundenheit, die die unterschiedlichen Veranstaltungen in aller Regel schon im vorhinein als einheitliche Maßnahme kennzeichneten.

Dieser Auffassung des 11b Senats schließt sich der erkennende Senat an. Es genügt hiernach nicht, daß die beiden in Frage stehenden Ausbildungsmaßnahmen dasselbe Ausbildungsprogramm und dasselbe Ausbildungsziel verfolgten und daß sich der spätere Abschnitt als Fortsetzung der vorangegangenen Maßnahme dargestellt hat. Damit allein ließe sich eine organisatorische Verbundenheit mit den beiden Umschulungen nicht herstellen.

Für den vorliegenden Fall scheidet im übrigen sogar die Annahme nur einer "Fortsetzung" aus: Die Beklagte hat dem Kläger mit Bescheid vom 10. Februar 1982 eine Ausbildung zum Bürokaufmann erneut - wie im ersten Bewilligungsbescheid vom 21. August 1979 - für die volle, ungekürzte Lehrgangsdauer von 18 Monaten wiederbewilligt. Es handelt sich also um eine völlige "Neubewilligung" einer Umschulung unter dem Geltungsbereich des neuen Rechts.

Nach alledem bemißt sich das Übg für die Zeit vom 9. August 1982 an nach §§ 1241a, 1241b RVO idF des AFKG. Das Urteil des LSG trifft nach allem zu, so daß die Revision des Klägers hiergegen als unbegründet zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662418

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