Entscheidungsstichwort (Thema)

Höhe des Übergangsgeldes. Eintritt in eine Maßnahme. Übergangsvorschriften

 

Orientierungssatz

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG beurteilen sich Inhalt und Wirkung sozialrechtlicher Ansprüche nach dem Recht, das zur Zeit des den Anspruch begründenden Ereignisses oder Umstandes gegolten hat, sofern nicht später in Kraft gesetztes Recht ausdrücklich oder sinngemäß anderes bestimmt (vgl BSG 20.10.1983 7 RAr 17/83 = SozR 4150 Art 1 § 2 Nr 1).

2. Da der Anspruch auf Übergangsgeld bei einer berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation (§ 1241a RVO) von der - materiell-konstitutiv wirkenden - Bewilligung dieser Maßnahme (vgl BSG 24.3.1983 1 RA 61/82 = BSGE 55, 53) ausgelöst wird und als ergänzende, "unselbständige" Leistung von ihr abhängt (vgl BSG 27.4.1982 1 RA 71/80 = SozR 2200 § 1241 Nr 21), lösen Bewilligung und Durchführung einer Maßnahme zur Rehabilitation den Anspruch auf Übergangsgeld aus (vgl BSG 20.10.1983 7 RAr 17/83 = SozR 4150 Art 4 § 2 Nr 1).

3. Zur Frage der Anwendbarkeit der Übergangsvorschriften des Art 4 § 2 AFKG.

 

Normenkette

RVO § 1241e Abs 3 Fassung: 1974-08-07; RVO § 1241e Abs 3 Fassung: 1981-12-22; AFKG Art 4 § 2 Fassung: 1981-12-22; RVO § 1241a

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 05.09.1984; Aktenzeichen L 6 J 72/83)

SG Berlin (Entscheidung vom 05.08.1983; Aktenzeichen S 21 J 652/82)

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe eines Übergangsgeldes.

Die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) hatte dem 1943 geborenen Kläger, gelernter Tischler, mit Bescheid vom 27. Juni 1980 im Hinblick auf eine bei ihm vorliegende stärkere gesundheitliche Beeinträchtigung als Maßnahme der Berufsförderung nach §§ 1236 ff der Reichsversicherungsordnung (RVO) vom 1. Juli 1980 bis 18. Februar 1982 eine Ausbildung zum Informationselektroniker in einem Berliner Berufsförderungswerk bewilligt. Der Maßnahme hatte sie einen Vorbereitungslehrgang vorangehen lassen. Als Übergangsgeld hatte die Beklagte dem Kläger zunächst kalendertäglich 66,21 DM bewilligt (Bescheide vom 16. April 1980 und 10. Juli 1980). Mit Bescheid vom 23. Januar 1982 hatte die LVA das Übergangsgeld ab 1. Januar 1982 auf kalendertäglich 71,61 DM erhöht.

Nach Beendigung der Berufsausbildung nahm der Kläger am 22. März 1982 bei einer Computerfirma eine Tätigkeit als Informationselektroniker auf. Für die Zwischenzeit vom 19. Februar bis 21. März 1982, in der der Kläger arbeitslos gemeldet war, bewilligte ihm die Beklagte - unter Verrechnung eines Vorschusses von 1.606,77 DM - mit dem streitigen Bescheid (1) vom 20. April 1982 nach § 1241e Abs 3 RVO "in der Fassung des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes" (AFKG) Übergangsgeld von kalendertäglich nur noch 31,63 DM. Mit dem weiteren streitigen Bescheid (2) vom 10. Mai 1982 forderte die Beklagte vom Kläger gemäß § 50 Abs 2 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 10) einen angeblich überzahlten Vorschuß von 562,98 DM zurück.

Mit der gegen beide Bescheide erhobenen Klage hatte der Kläger in den Vorinstanzen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 5. August 1983 den Rückforderungsbescheid vom 10. Mai 1982 aufgehoben und den Bescheid vom 21. März 1982 dahin abgeändert, daß das Übergangsgeld des Klägers für die streitige Zeit vom 19. Februar bis 31. März 1982 kalendertäglich 71,61 DM betrage. Die von der Beklagten hiergegen eingelegte Berufung hat das LSG in der angefochtenen Entscheidung vom 5. September 1984 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Für die Berechnung des streitigen Übergangsgelds maßgebend sei § 1241e Abs 3 RVO in der bis zum 31. Dezember 1981 geltenden Fassung des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl I S 1881). Das ergebe sich aus der Übergangsvorschrift des Art 4 § 2 AFKG vom 22. Dezember 1981 (BGBl I S 1497; Eintritt in eine Maßnahme zur Rehabilitation vor dem 1. Januar 1982 und Bewilligung von Leistungen ohne einen Hinweis auf die Änderungen im AFKG). Noch in ihrem Schreiben vom 23. Januar 1982 habe die Beklagte dem Kläger vorbehaltslos mitgeteilt, daß das Übergangsgeld ab 1. Januar 1982 auf kalendertäglich 71,61 DM erhöht werde. Der Kläger erfülle auch keinen Ausnahmetatbestand nach Art 4 § 2 Satz 2 Buchst a bis c AFKG. Wenn § 1241e Abs 3 RVO in der bis zum 31. Dezember 1981 geltenden Fassung bestimme, daß das Übergangsgeld während der Arbeitslosigkeit bis zu 6 Wochen "weitergewährt" werde, so sei damit die Leistung in der bisherigen Höhe gemeint. Ein neuer Anspruch werde dadurch nicht begründet. Der gegenteiligen Auffassung der Beklagten könne nicht gefolgt werden.

Gegen dieses Urteil hat das Landessozialgericht (LSG) die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat die Revision eingelegt. Sie bringt vor: Das LSG verkenne, daß für die Gewährung des dem Kläger in der Zeit vom 19. Februar bis zum 31. März 1982 zustehenden Übergangsgeldes § 1241e Abs 3 RVO bereits in der ab dem 1. Januar 1982 geltenden Fassung des AFKG anzuwenden sei. Dies folge aus Art 18 aaO. Der besitzstandsgeschützte Anspruch des Betreuten auf Übergangsgeld habe mit dem Abschluß der Maßnahme am 18. Februar 1982 geendet. Der weitere Anspruch des Klägers auf Übergangsgeld gemäß § 1241e Abs 3 RVO sei erst mit erfolgreicher Beendigung der Maßnahme und anschließender Arbeitslosigkeit neu entstanden. Zu dieser Zeit habe die Vorschrift schon in der neuen Fassung des AFKG gegolten. Die Berechnung des Übergangsgeldes sei ebenfalls rechtsfehlerfrei erfolgt. Die Neuregelung ab 1. Januar 1982 verstoße auch nicht gegen Verfassungsrecht.

Die Beklagte beantragt, die Klage unter Aufhebung des Urteil des Landessozialgerichts Berlin abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er hält die Urteile der Vorinstanzen für zutreffend. § 1241 e Abs 3 RVO stelle keine gesonderte Anspruchsgrundlage dar. Es handele sich um eine Weiterführung eines bereits entstandenen Anspruchs. Die im AFKG getroffene Besitzstandsregelung müsse auch für seinen Fall gelten.

Beide Beteiligte haben erklärt, daß sie mit einer Entscheidung ohne mündlich Verhandlung einverstanden seien (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Nach § 1237b Abs 1 Nr 1 idF des RehaAnglG umfassen die die berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation (§ 1237a RVO) ergänzenden Leistungen ua Übergangsgeld. In bestimmten Fällen wird das Übergangsgeld nicht nur während einer Maßnahme zur Rehabilitation, sondern auch nach deren Ende für befristete Zeit weitergewährt. Ist der Betreute im Anschluß an eine abgeschlossene berufsfördernde Maßnahme zur Rehabilitation arbeitslos, so wird ihm das Übergangsgeld nach § 1241e Abs 3 (Satz 1) RVO während der Arbeitslosigkeit bis zu 6 Wochen weitergewährt, wenn er sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet hat und zur beruflichen Eingliederung zur Verfügung steht. Durch Art 4 § 1 Nr 25 Buchst b des - am 1. Januar 1982 in Kraft getretenen (Art 18 aaO) - AFKG vom 22. Dezember 1981 ist an die soeben genannte Vorschrift folgender Satz 2 angefügt worden: In diesem Fall beträgt das Übergangsgeld 68 vH des sich aus § 1241 Abs 1, 2 und 4, § 1241a ergebenden Betrags; zwischenzeitliche Erhöhungen des Übergangsgelds nach § 1241c sind zu berücksichtigen". Hierdurch ist eine Kürzung des Übergangsgelds im Vergleich zu dem Betrag bewirkt worden, der ua nach § 1241a Abs 2 RVO in der bis zum 31. Dezember 1981 geltenden Fassung in einem Fall der vorliegenden Art als Übergangsgeld zu gewähren war. Im konkreten Fall ist streitig, ob auf den Kläger für die streitige Zeit der an den Abschluß der Umschulung anschließenden Arbeitslosigkeit Übergangsgeld bereits nach der ungünstigeren neuen oder nach der günstigeren alten Fassung zu gewähren ist. Das letztere ist aus folgenden Gründen der Fall.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) beurteilen sich Inhalt und Wirkung sozialrechtlicher Ansprüche nach dem Recht, das zur Zeit des den Anspruch begründenden Ereignisses oder Umstandes gegolten hat, sofern nicht später in Kraft gesetztes Recht ausdrücklich oder sinngemäß anderes bestimmt (vgl zB BSG in SozR Nr 1 zu § 9 der 7. BKVO; BSGE 44, 231, 232 = SozR 2200 § 1236 Nr 3; BSGE 45, 213, 214 = SozR 2200 § 182 Nr 29; SozR 2200 § 182 Nr 85; SozR 4150 Art 1 § 2 Nr 1 und 2). Da der Anspruch des Betreuten auf Übergangsgeld bei einer berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation (§ 1241a RVO) von der - materiell-konstitutiv wirkenden - Bewilligung dieser Maßnahme (BSGE 55, 53 = SozR 2200 § 1237a Nr 23) ausgelöst wird und als ergänzende, "unselbständige" Leistung von ihr abhängt (BSG in SozR 2200 § 1241 Nr 21 mit zahlreichen weiteren Nachweisen), lösen Bewilligung und Durchführung einer Maßnahme zur Rehabilitation den Anspruch auf Übergangsgeld aus (BSG in SozR 4150 Art 4 § 2 Nr 1). Für die Berechnung des Übergangsgelds des Klägers gilt mithin grundsätzlich § 1241e Abs 3 RVO in der vor dem 1. Januar 1982 geltenden Fassung, weil ihm die Beklagte die Umschulung als Maßnahme zur Rehabilitation bereits mit Bescheid vom 27. Juni 1980 bewilligt hat und auch am 1. Juli 1980 bereits mit der Maßnahme begonnen worden ist.

Indessen hat der Gesetzgeber diesen für den zeitlichen Geltungsbereich einer Sozialrechtsnorm geltenden Grundsatz durch die speziellere ausdrückliche Regelung in Art 4 § 2 AFKG modifiziert:

Satz 1 aaO ordnet die weitere Anwendbarkeit ua von § 1241e Abs 3 RVO in der bis zum 31. Dezember 1981 geltenden Fassung nur unter der Voraussetzung an, daß - 1. Alternative - der Betreute vor dem 1. Januar 1982 nicht nur in eine Maßnahme eingetreten ist, sondern daß ihm die Leistungen - hier: Übergangsgeld - ohne Hinweis auf die Änderungen im AFKG bewilligt worden sind. Einen solchen Hinweis hat die Beklagte nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) nicht gegeben. Die Voraussetzungen der 2. Alternative aaO (Leistungen sind vor dem 1. Januar 1982 noch nicht bewilligt, sondern erst beantragt) liegen hier offenkundig nicht vor. Art 4 § 2 Satz 2 AFKG schränkt die Weitergeltung der bis 31. Dezember 1981 in Kraft gewesenen alten Vorschriften dahin ein, daß sich die Höhe der Leistungen nach dem ab 1. Januar 1982 geltenden neuen Recht richtet, wenn - der Betreute vor dem 1. Januar 1982 in eine Maßnahme eingetreten ist und ihm die Leistungen mit einem Hinweis auf die Änderungen in diesem Gesetz bewilligt wurden, - der Betreute vor dem 1. Januar 1982 in eine Maßnahme eingetreten ist, Leistungen beantragt hat und ihm die Leistungen aus einem von ihm nicht zu vertretenden Grund vor dem 1. Januar 1982 nicht bewilligt wurden, - dem Betreuten vor dem 1. Januar 1982 Leistungen bewilligt wurden, er aber erst nach dem 31. Dezember 1981 in eine Maßnahme eintritt. Der Kläger erfüllt keinen dieser Tatbestände, so daß es in seinem Fall bei der Anwendung alten Rechts verbleibt.

Wie oben bereits ausgeführt, stellt das Übergangsgeld nach der Rechtsprechung des BSG (vgl insbesondere SozR 2200 § 1241 Nr 21) neben der Bewilligung und Durchführung der Maßnahme zur Rehabilitation eine allein "ergänzende, unselbständige Leistung mit Lohnersatzfunktion dar, durch welche der Verlust des Arbeitseinkommens während und infolge der Durchführung einer Rehabilitationsmaßnahme ersetzt werden soll". Aber auch das Übergangsgeld der hier streitigen Art, das nach § 1241e Abs 3 RVO "im Anschluß an eine abgeschlossene berufsfördernde Maßnahme" für die Dauer der Arbeitslosigkeit bis zu 6 Wochen zu zahlen ist, bleibt eine die Maßnahme der Berufsförderung ergänzende, unselbständige Leistung: Der Gesetzgeber wollte mit dieser Regelung die Fälle erfassen, in denen der Betreute nicht sofort in den Umschulungsberuf vermittelt werden kann; das Ziel der berufsfördernden Maßnahme sieht der Gesetzgeber erst mit der Aufnahme einer Tätigkeit im Umschulungsberuf als erreicht an; der Maßnahmeträger soll daher für eine Übergangszeit nach Abschluß der Maßnahme noch den Lebensunterhalt des Betreuten sichern, sofern ein nahtloser Anschluß in die berufliche Tätigkeit nicht glückt (vgl dazu BSG in SozR 2200 § 1241e Nr 5 und in SozR 4150 Art 4 § 2 Nr 2).

Hiernach läßt sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht begründen, daß der Anspruch auf Übergangsgeld nach § 1241e Abs 3 RVO ein neuer, von der schon 1980 bewilligten Maßnahme zur beruflichen Rehabilitation verselbständigter Leistungsanspruch wäre, der nach dem 31. Dezember 1981 allein dem neuen Recht unterfiele.

Nach allem haben die Vorinstanzen den streitigen Anspruch richtig nach dem günstigeren alten Recht beurteilt und die streitigen Bescheide der Beklagten entsprechend abgeändert. Die Revision der Beklagten war demnach mit der Kostenentscheidung aus § 193 SGG als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662235

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