Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmter Revisionsantrag. Klagebegehren. jugoslawische Beschäftigungszeiten. Versicherungslast
Orientierungssatz
1. Dem Erfordernis des "bestimmten Antrags" iS von § 164 Abs 2 S 3 SGG genügt es, wenn die Revisionsbegründung in ihrer Gesamtheit, und sei es in Verbindung mit dem in der Vorinstanz gestellten Antrag, noch hinreichend deutlich erkennen läßt, welches Ziel mit der Revision verfolgt und in welchem Umfang diese eingelegt wird (vgl BSG 2.9.1977 12 RK 10/76 = SozR 1500 § 164 Nr 10).
2. Das Zustimmungsgesetz zum SVVtr YUG stellt in Art 5 Abs 1 eine Fiktion insofern auf, als es genügen läßt, wenn die in Art 1 Abs 1 Buchst a des Vertrages genannten Deutschen Zeiten zurückgelegt haben, die nach jugoslawischem Recht Versicherungszeiten oder ihnen gleichgestellte Zeiten wären, falls diese Personen bis zum 1.1.1956 im Gebiet der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hätten, und es ordnet weiter an, diese Versicherungszeiten und gleichgestellten Zeiten wie Versicherungszeiten anzurechnen, die in einer deutschen gesetzlichen Rentenversicherung im Bundesgebiet zurückgelegt worden sind. Die vom jugoslawischen Versicherungsträger mitgeteilten Zeiten gelten als deutsche Versicherungszeiten, ohne daß die Voraussetzungen des FRG vorliegen müssen, zum anderen aber auch, weil das nach Art 3 des SVVtrYUGVtrG entsprechend geltende FRG nur subsidiär, nämlich insoweit anwendbar ist, als SVVtr YUG und SVVtrYUGVtrG keine Regelung enthalten (vgl BSG 31.10.1978 4 RJ 11/77 = SozR 5050 § 19 Nr 6).
Normenkette
SGG § 164 Abs 2 S 3 Fassung: 1974-07-30; SVVtr YUG Art 1 Abs 1 Buchst a Fassung: 1956-03-10; SVVtrYUGVtrG Art 3 Fassung: 1958-06-25; SVVtrYUGVtrG Art 5 Fassung: 1958-06-25; FRG
Verfahrensgang
SG Bayreuth (Entscheidung vom 18.10.1984; Aktenzeichen S 3/Ar 814/82) |
Tatbestand
Der am 14. Oktober 1914 geborene und am 14. Mai 1982 verstorbene Ehemann der Klägerin (Versicherter) war volksdeutscher Vertriebener aus Jugoslawien; er hielt sich seit 1945 im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland auf. Von der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA) bezog er zunächst Berufsunfähigkeitsrente, die ab November 1975 in Rente wegen Erwerbsunfähigkeit umgewandelt wurde; an deren Stelle trat ab November 1979 Altersruhegeld. Der Rentenberechnung lagen Ersatzzeiten vom 15. Februar 1942 bis Dezember 1946 (Kriegsdienst in der deutschen Wehrmacht, pauschale Vertreibungszeit) und Beitragszeiten ab September 1949 zugrunde.
Den im Dezember 1979 gestellten Antrag auf Rentenneuberechnung (Anerkennung der Zeit von 1930 bis zum 19. September 1939 als Versicherungszeit) lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 19. Mai 1980). Nachdem der Versicherte Widerspruch erhoben und ein Arbeitsbuch vorgelegt hatte, übersandte der jugoslawische Versicherungsträger eine Aufstellung über Beschäftigungszeiten vom 2. Juni 1930 bis zum 21. November 1932, vom 1. Januar 1933 bis zum 30. Juni 1933 und vom 11. Juni 1934 bis zum 5. August 1934. Mit Bescheid vom 11. Dezember 1980 stellte die Beklagte das Altersruhegeld von Beginn an neu fest, indem sie zusätzlich die mitgeteilten jugoslawischen Beschäftigungszeiten (ab 14. Oktober 1930) als Beitragszeiten berücksichtigte. Entsprechend wurde die Erwerbsunfähigkeitsrente für die Rentenbezugszeit von November 1975 bis Oktober 1979 neu festgestellt (Bescheid vom 14. März 1981). Der Versicherte erhob durch seinen Bevollmächtigten gegen den Bescheid vom 11. Dezember 1980 Widerspruch mit der Begründung, daß die Zeiten vom 6. August 1934 bis zum 14. Februar 1942 hätten anerkannt werden müssen. Mit gleicher Begründung ließ auch die Klägerin gegen den Bescheid vom 22. Juli 1982, mit dem ihr Witwenrente gewährt wurde, Widerspruch einlegen.
Die Beklagte wies den "Widerspruch gegen den Bescheid ... vom 11. Dezember 1980" zurück; sie führte in der Begründung aus, daß die Klägerin auch gegen den Witwenrentenbescheid Widerspruch erhoben habe, die "Widersprüche ... jedoch nicht begründet" seien (Widerspruchsbescheid vom 24. November 1982).
Hiergegen hat die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Bayreuth Klage erhoben und durch ihren Bevollmächtigten beantragt, "die Beklagte zu verpflichten, weitere Beitragszeiten und Beschäftigungszeiten sowie die Wehrdienstzeit des Jakob T. in Jugoslawien neu zu berücksichtigen und die Witwenrente der Klägerin neu festzustellen".
Das SG hat die Klage abgewiesen: Die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage sei zulässig und die Klägerin insbesondere befugt, den Prozeß hinsichtlich der Neufeststellung des dem Versicherten zu gewährenden Altersruhegeldes zu führen. Es bestehe jedoch kein Anspruch auf Berücksichtigung weiterer Beitrags-, Beschäftigungs- oder Ersatzzeiten im Zeitraum vom 6. August 1934 bis zum 14. Februar 1942 und auf die Neufeststellung der Rente. Die Glaubhaftmachung einer bis zum 30. August 1937 zurückgelegten Beitragszeit nach § 15 des Fremdrentengesetzes (FRG) scheitere schon daran, daß in Jugoslawien erst vom 1. September 1937 an die gesetzliche Rentenversicherung der Arbeiter eingeführt worden sei. Ab dem 19. September 1939 habe der Versicherte als Selbständiger nicht der Versicherungspflicht unterlegen. Hinsichtlich der Zwischenzeit sprächen die Umstände für eine familienhafte Mitarbeit und gegen ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis im väterlichen Betrieb (Hinweis auf BSGE 3, 30). Deshalb scheide auch eine Beschäftigungszeit nach § 16 FRG aus. Der bei der jugoslawischen Armee geleistete Wehrdienst könne nicht als Ersatzzeit gemäß § 1251 der Reichsversicherungsordnung (RVO) angerechnet werden. Zum einen stünden die Bekundungen der Zeugen im Widerspruch dazu, daß der Versicherte 1969 angegeben habe, im März 1940 zur jugoslawischen Wehrmacht eingezogen worden, aber bereits nach vier Wochen geflüchtet zu sein. Zum anderen könne eine Ersatzzeit nur angerechnet werden, wenn zuvor eine Versicherung bestanden habe. Daran fehle es hinsichtlich des nach Angaben des Bruders des Versicherten in den Jahren 1934/35 geleisteten Wehrdienstes, weil vorher in Jugoslawien noch keine gesetzliche Rentenversicherung bestanden habe. Die Zeit vom 6. August 1934 bis zum 14. Februar 1942 könne auch nicht nach dem deutsch-jugoslawischen Vertrag vom 10. März 1956 als Beitrags-, Beschäftigungs- oder Ersatzzeit berücksichtigt werden. Zwar seien bei Deutschen iS des Art 1 Abs 1 Buchst a des Vertrages, die vor dem 1. Januar 1956 nach jugoslawischem Recht Versicherungszeiten oder ihnen gleichgestellte Zeiten zurückgelegt haben oder hätten, wenn sie bis zum 1. Januar 1956 in Jugoslawien beschäftigt gewesen wären, diese Zeiten als Versicherungszeiten anzurechnen, die in einer deutschen gesetzlichen Rentenversicherung im Bundesgebiet zurückgelegt wurden (Art 5 des Zustimmungsgesetzes vom 25. Juni 1958 zum Vertrag); nach Art 3 des Zustimmungsgesetzes gelte aber das FRG entsprechend. Deshalb könnten Versicherungszeiten nur angerechnet werden, wenn nach innerstaatlichem Recht eine Anrechnung möglich wäre. Deshalb habe von der Anhörung des von der Klägerin genannten Gutachters abgesehen werden dürfen, ob die Wehrdienst- und Beschäftigungszeiten des Versicherten nach jugoslawischem Recht eine Versicherungszeit begründet hätten.
Das SG hat in seinem Urteil die Sprungrevision zugelassen.
Die Klägerin hat gegen das sozialgerichtliche Urteil mit schriftlicher Zustimmung der Beklagten Sprungrevision eingelegt. Sie trägt vor, das SG habe zu Unrecht einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz angenommen, soweit durch den deutsch-jugoslawischen Vertrag Vertriebene aus Jugoslawien bessergestellt seien als Vertriebene aus anderen Gebieten. Außerdem sei nicht beachtet worden, daß Abkommens- und Vertragsrecht gegenüber dem FRG vorrangig sei. Schließlich setze sich das sozialgerichtliche Urteil in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wonach in einem Fall, in dem - wie vorliegend - die einschlägige Rechtsfrage im Vertrag geregelt sei, das FRG unberücksichtigt zu bleiben habe (Hinweis auf SozR 5050 § 19 Nr 6). Darüber hinaus sei das SG von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen und habe seine Amtsermittlungspflicht verletzt.
Die Klägerin beantragt, "1. Das Urteil des SG Bayreuth vom 18.10.84 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die beantragte Witwenrente zu gewähren. ..."
Die Beklagte beantragt, die Zurückweisung der Revision.
Sie hält das angefochtene Urteil für im Ergebnis zutreffend.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Sprungrevision ist zulässig. Sie genügt trotz Bedenken auch dem Formerfordernis des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG, wonach die Revisionsbegründung einen "bestimmten Antrag" enthalten muß; dem ist hier in noch ausreichender Weise Rechnung getragen worden:
Die Klägerin hat neben der Aufhebung des angefochtenen Urteils und (nach § 193 Abs 1 Halbsatz 1 SGG allerdings bereits von Amts wegen auszusprechenden Erstattung der außergerichtlichen Kosten) den Antrag gestellt, die Beklagte zu verurteilen, ihr "die beantragte Witwenrente zu gewähren". Dieser Revisionsantrag ist deshalb mißverständlich, weil der Klägerin auf ihren Antrag hin bereits durch Bescheid vom 22. Juli 1982 Witwenrente gewährt worden ist. Insofern wirft die Formulierung des Revisionsantrages die Frage nach dem Rechtsschutzinteresse auf, an dem es dann fehlen würde, wenn die Beklagte dem Antrag in vollem Umfang stattgegeben hätte. Indessen ist der Antrag auslegungsfähig und auch auslegungsbedürftig, zumal das Gericht über die erhobenen Ansprüche (das Klagebegehren) entscheidet, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein (§ 123 SGG iVm § 165, 153 Abs 1 SGG). Damit übereinstimmend hat es die Rechtsprechung auch für den "bestimmten Antrag" iS von § 164 Abs 2 Satz 3 SGG genügen lassen, wenn die Revisionsbegründung in ihrer Gesamtheit, und sei es in Verbindung mit dem in der Vorinstanz gestellten Antrag, noch hinreichend deutlich erkennen läßt, welches Ziel mit der Revision verfolgt und in welchem Umfang diese eingelegt wird (vgl BSGE 1, 93; BSG in SozR 1500 § 164 Nrn 8, 10). Das bezieht sich nach der Auffassung des Senats nicht nur darauf, daß der Formalantrag lückenhaft ist und deshalb der ergänzenden Auslegung bedarf, sondern muß auch insoweit gelten, als ein Antrag mißverständlich oder, wortwörtlich genommen, sinnwidrig erscheint, während die Gesamtheit des Revisionsvorbringens einen sinnvollen Antrag nach Ziel und Umfang bestimmbar macht.
Für den vorliegenden Streitgegenstand und damit für die Ausdeutung des Revisionsantrages ist wesentlich, daß die Klägerin vor dem SG, wenngleich unzulänglich formuliert, im Kern sinngemäß beantragt hat, weitere Beitrags- und Beschäftigungszeiten sowie die in Jugoslawien zurückgelegte Wehrdienstzeit des Versicherten auch bei der Witwenrente zu berücksichtigen. Das vorangegangene Verwaltungsverfahren gibt hierzu näheren Aufschluß. Nachdem der Versicherte, der eine (weitere) Neufeststellung seines Altersruhegeldes unter Anrechnung weiterer Versicherungszeiten beantragt hatte, während des Widerspruchsverfahrens gestorben war, focht die Klägerin den ihr erteilten Witwenrentenbescheid (ebenfalls) an, weil die Beschäftigungszeiten von 1934 bis 1942 nicht als Versicherungszeiten anerkannt worden seien. Dies verdeutlicht im Zusammenhang mit der Revisionsbegründung, die sich gegen die Nichtanrechnung zusätzlicher Versicherungszeiten richtet, daß mit der "beantragten Witwenrente" eine höhere Witwenrente gemeint ist. Das prozessuale Ziel der Revision ist damit noch hinlänglich erkennbar (vgl SozR 1500 § 164 Nrn 8, 190).
Mit dem Ziel der Revision ist hier allerdings nicht schon deren Umfang bestimmt. Klar und einer erweiternden Auslegung unzugänglich ist der Revisionsantrag insofern, als definitiv nur noch beantragt worden ist, eine höhere ("die beantragte") Witwenrente zu gewähren, nicht aber auch höheres Altersruhegeld, worüber das SG auch entschieden hatte (vgl S 10 und 20 des vorinstanzlichen Urteils).
Von der Beschränkung auf die Witwenrente abgesehen, also hinsichtlich der Berücksichtigung weiterer Beitrags-, Beschäftigungs- und/oder Ersatzzeiten, wendet sich die Klägerin jedoch mit der Revision sinngemäß, wie sich bereits aus obigen Ausführungen ergibt, in vollem Umfang gegen das sozialgerichtliche Urteil. Ob ein Zurückgreifen auf den vorinstanzlichen Antrag für die Annahme eines bestimmten Revisionsantrages stets genügt (vgl BSGE 1, 98, 99), und zwar auch dann, wenn jener Antrag seinerseits unklar gewesen ist, mag zweifelhaft sein, kann aber hier letztlich dahingestellt bleiben, weil die Revision in jedem Falle statthaft ist. Denn obgleich der Klageantrag vor dem SG lückenhaft gefaßt war, läßt sich das Klagebegehren iS von § 123 SGG hinsichtlich des Umfangs geltend gemachter weiterer Zeiten im Wege der Auslegung noch abgrenzen. Zunächst fehlt es schon an der Kennzeichnung und ausdrücklichen Anfechtung von Bescheiden, die dem Klagebegehren entgegenstehen; dies sind der Widerspruchsbescheid vom 24. November 1982 und der ihm ua zugrundeliegende Witwenrentenbescheid vom 22. Juli 1982. Mit Recht hat daher das SG (wenngleich ohne Benennung von Bescheiden) eine Anfechtungsklage angenommen und auch als Klageart § 54 Abs 4 SGG angezogen, der die kombinierte Anfechtungs- und unechte Leistungsklage zum Gegenstand hat (soweit das SG von Leistungs- und Verpflichtungsklage spricht, bezeichnet dies keinen Fall des § 54 Abs 4 SGG, sondern des Abs 1 Satz 1 dieser Vorschrift und ist, jedenfalls soweit es sich um die Witwenrente handelt, unrichtig auch deshalb, weil hier die Leistungsklage möglich ist, vgl BSGE 41, 218, 219). Der vor der ersten Instanz gestellte Klageantrag enthält hinsichtlich der geltend gemachten weiteren zu berücksichtigenden Zeiten keine Beginns- und Endbegrenzung. Das SG hat aber, wie aus mehreren Stellen seiner Urteilsbegründung hervorgeht, den Zeitraum vom 6. August 1934 bis zum 14. Februar 1942 als strittig angenommen. Dem ist zuzustimmen. Zwar wird im Widerspruchsbescheid - ebenso wie im Widerspruch der Klägerin gegen den Witwenrentenbescheid vom 22. Juli 1982 - nur pauschalierend von Versicherungszeiten "von 1934 bis 1942" gesprochen; die Konkretisierung ist jedoch gerechtfertigt, zumal vor und nach den genannten Daten liegende Zeiten bereits anerkannt sind und der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin, der zugleich der frühere Bevollmächtigte des Versicherten gewesen war, selbst in seinem ersten Widerspruch gegen den das Altersruhegeld betreffenden Bescheid vom 11. Dezember 1980 die genauen Daten genannt hatte. Allerdings bedarf der somit zeitlich abgegrenzte Antrag noch einer ergänzenden Auslegung, weil nicht ausdrücklich festgelegt ist, auf welchen konkreten Zeitraum "weitere Beitragszeiten und Beschäftigungszeiten" einerseits "sowie die Wehrdienstzeit" andererseits fallen sollen. Indessen reicht die angegebene Reihenfolge aus, um über den erhobenen prozessualen Anspruch in einem Urteil - etwa bei teilweisem Obsiegen - entscheiden zu können. Denn eine Ersatzzeit - wie der militärische Dienst iS der §§ 2 und 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), der aufgrund gesetzlicher Dienst- oder Wehrpflicht oder während eines Krieges geleistet worden ist (§ 1251 Abs 1 Nr 1 RVO) - kann nur auf einen Zeitraum entfallen, der keine Beitragszeit - auch keine fiktive Beitragszeit - ist (§ 1250 Abs 1 Buchst a, b RVO). Daher muß davon ausgegangen werden, daß die Berücksichtigung der genannten Zeit bei der Gewährung der Witwenrente in erster Linie als Beitragszeit (Beschäftigungszeit) und hilfsweise als Ersatzzeit geltend gemacht worden ist.
Die mithin zulässige Revision der Klägerin ist insoweit begründet, als das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an dieses Gericht zurückverwiesen werden muß. Die Feststellungen des Tatsachengerichts reichen für eine abschließende Entscheidung nicht aus.
Das SG hat, wie die Revision im Ergebnis zutreffend rügt, die Rechtsqualität der vom Versicherten in Jugoslawien zurückgelegten - bescheidmäßig bereits anerkannten - Beschäftigungszeiten verkannt. Es hat das Verhältnis, in dem der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien über die Regelung gewisser Forderungen aus der Sozialversicherung vom 10. März 1956 (BGBl II 1958, 170) - im folgenden: Vertrag -, der durch das Zustimmungsgesetz vom 25. Juni 1958 (BGBl II 1958, 168) geltendes innerdeutsches Recht geworden und am 29. November 1958 in Kraft getreten ist (Bekanntmachung vom 17. Dezember 1958 - BGBl II 1958, 753), zu den Vorschriften des FRG steht, abweichend von der Rechtsprechung des BSG beurteilt. Dies wird besonders daran deutlich, daß das SG die Berücksichtigung (Anrechnung) der behaupteten jugoslawischen Wehrdienstzeit des Versicherten mit der Begründung verneint hat, es fehle an einer Vorversicherungszeit nach § 1251 Abs 2 RVO (S 16 und 19 des Urteils). Es trifft zu, daß Ersatzzeiten - von den Sonderfällen des § 1251 Abs 2 Satz 2 RVO mit den unter Buchstaben a), b) und c) genannten Voraussetzungen einmal abgesehen - im Grundsatz für die Erfüllung der Wartezeit und damit auf die Rentenhöhe (Ermittlung der Anzahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre nach § 1258 Abs 1 RVO) nur angerechnet werden, wenn eine Versicherung vorher bestanden hat (§ 1251 Abs 2 Satz 1 RVO). Diese Voraussetzung hat der Versicherte indessen erfüllt. Im Witwenrentenbescheid sind bereits jugoslawische Zeiten vom 14. Oktober 1930 bis zum 5. August 1934 (mit Unterbrechungen) berücksichtigt. Diese genügen entgegen der vom SG vertretenen Ansicht dem Kriterium der vorherigen Versicherung.
Da der Versicherte am 1. Januar 1956 seinen ständigen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hatte, sind die ihm bis zu diesem Zeitpunkt aus jugoslawischen Zeiten erwachsenen "Anwartschaften und Ansprüche" vom zuständigen Träger der deutschen Rentenversicherung "nach Maßgabe innerstaatlichen Rechts" übernommen worden (Art 1 Abs 1 Buchst a, Art 2 Buchst a des Vertrags). Zwar wurde in Jugoslawien erst im September 1937 die gesetzliche Invalidenversicherung (Arbeiterrentenversicherung) eingeführt, und die vorher zurückgelegten Beschäftigungszeiten sind nach jugoslawischem Recht nur anrechenbar, wenn der Versicherte am 15. Mai 1945 in Jugoslawien in einem Arbeitsverhältnis gestanden hat (vgl Schwarz, Die Bedeutung des deutsch-jugoslawischen Vertrages über die Regelung gewisser Forderungen aus der Sozialversicherung für die Rentenversicherungsträger, Bundesarbeitsblatt 1960, 59, 63); indessen stellt das Zustimmungsgesetz in Art 5 Abs 1 eine Fiktion insofern auf, als es genügen läßt, wenn die in Art 1 Abs 1 Buchst a des Vertrages genannten Deutschen - wie der Versicherte - Zeiten zurückgelegt haben, die nach jugoslawischem Recht Versicherungszeiten oder ihnen gleichgestellte Zeiten wären, falls diese Personen bis zum 1. Januar 1956 im Gebiet der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hätten, und es ordnet weiter an, diese Versicherungszeiten und gleichgestellten Zeiten wie Versicherungszeiten anzurechnen, die in einer deutschen gesetzlichen Rentenversicherung im Bundesgebiet zurückgelegt worden sind. Mit dieser Vorschrift sollte vermieden werden, die Anwartschaften und Ansprüche der bereits vor dem 1. Januar 1956 aus Jugoslawien nach Deutschland übergesiedelten (vertriebenen) Deutschen zu schmälern; diese Personen sollten durch die Versicherungslastregelung des Vertrages nicht schlechtergestellt werden, als wenn sie in Jugoslawien geblieben wären, und die nach jugoslawischem Recht gleichgestellten Zeiten sollten mit allen Folgen und Auswirkungen wie deutsche Versicherungszeiten behandelt werden (Schwarz aaO). Überdies definiert Art 2 des Zustimmungsgesetzes den Begriff des innerstaatlichen Rechts iS von Art 2 Buchst a des Vertrags als die im Bundesgebiet geltende Gesetzgebung über Sozialversicherung, "soweit sie den Bestimmungen des Vertrages und dieses Gesetzes nicht entgegensteht". Die Systematik des Zustimmungsgesetzes macht also deutlich, daß die von der jugoslawischen in die deutsche Versicherungslast übergegangenen Versicherungs- und gleichgestellten Zeiten eine Sonderstellung einnehmen auch insoweit, als aufgrund der bis zum 1. Januar 1956 in Kraft getretenen jugoslawischen Rechtsvorschriften frühere beitragslose Beschäftigungszeiten nunmehr als Versicherungszeiten gelten. Daraus folgt, daß die vom jugoslawischen Träger mitgeteilten Zeiten als deutsche Versicherungszeiten gelten, ohne daß die Voraussetzungen des FRG vorliegen müssen, zum anderen aber auch, daß das nach Art 3 des Zustimmungsgesetzes entsprechend geltende FRG nur subsidiär, nämlich insoweit anwendbar ist, als Vertrag und Zustimmungsgesetz keine Regelung enthalten (BSGE 47, 142, 144f = SozR 5050 § 19 Nr 6; BSGE 31, 54, 58).
Nichts Gegenteiliges ergibt sich aus Art 10 des Zustimmungsgesetzes, wonach die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates auch in den Fällen, in denen die Versicherungspflicht über das Bundesrecht hinausging (Nr 1), Näheres über die Anrechnung der in Art 1 Abs 1 Buchst a des Vertrages bezeichneten Versicherungszeiten hätte bestimmen können, von dieser Möglichkeit aber bisher keinen Gebrauch gemacht hat. Eine solche Rechtsverordnung hätte lediglich etwaige technische Schwierigkeiten beheben können; daß sie nicht erlassen worden ist, dürfte daran liegen, daß durch die entsprechende Anwendung des Fremdrentenrechts in der Praxis die Lücken geschlossen werden konnten, die der Vertrag, der selbst keine Berechnungsvorschriften enthält, hinterlassen hat. Soweit schließlich das SG meint, durch die Anwendung sowohl des Vertrags wie auch der Vorschriften des FRG würden die Vertriebenen aus Jugoslawien gegenüber Vertriebenen aus anderen Gebieten in einer den Gleichheitssatz verletzenden Weise begünstigt, vermag es jedoch keine willkürliche, sachfremde Differenzierung darzutun. Träfe die Auffassung des SG zu, dann wäre es der Bundesrepublik Deutschland verwehrt, unterschiedliche Sozialversicherungsabkommen abzuschließen. Das Grundgesetz könnte allenfalls verletzt sein, wenn ein in der Bundesrepublik lebender Deutscher hinsichtlich der im Vertreibungsgebiet zurückgelegten Zeiten abkommensrechtlich schlechter gestellt würde, als er ohne ein solches Abkommen stünde; um einen solchen Fall handelt es sich hier aber nicht.
Nach alledem sind die ursprünglich jugoslawischen Beschäftigungszeiten, die als Beitragszeiten bereits der Witwenrente zugrundeliegen, geeignet, als Vorversicherungszeit eine etwaige Ersatzzeit (Militärdienstzeit) anrechnungsfähig zu machen. Das SG hat bisher aus Rechtsgründen eine Anrechnung abgelehnt. Ob es auch aus tatsächlichen Gründen, etwa weil eine Militärdienstzeit nicht hinreichend glaubhaft gemacht ist, zur Ablehnung gelangt wäre, läßt sich den Urteilsgründen nicht mit letzter Sicherheit entnehmen. Es ist vielmehr nicht auszuschließen, daß es von der neuen rechtlichen Beurteilung aus zu einem anderen Ergebnis gelangt. Zwar hat die Klägerin ihre Revision nicht auf Verfahrensmängel stützen können, weil dies bei der Sprungrevision ausgeschlossen ist (§ 161 Abs 4 SGG); gleichwohl ist aber eine weitere Sachaufklärung dienlich.
In dem das Verfahren abschließenden Urteil wird auch über die außergerichtlichen Kosten zu befinden sein.
Fundstellen